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01. März 2006

Zuwanderung in Zeiten des Terrors

Hilft erfolgreiche Integration gegen die islamistische Bedrohung?

Einwanderer bringen ihre Arbeitskraft, ihre Kreativität und ihr Know-how in die Aufnahmeländer mit – aber bringen sie auch den Terror? Lassen sich angesichts der neuen Gefahren die Prinzipien offener Gesellschaften aufrechterhalten? Wie kann die Balance twischen Bürgerrechten und Sicherheit gewahrt werden? Europa und die USA reagieren sehr unterschiedlich auf diese Fragen. Eine internationale Debatte über Migration, Integration und Sicherheit ist überfällig.

Im Zuge der Globalisierung nimmt die Mobilität von Menschen zu. Eine ihrer Formen ist die grenzüberschreitende Migration. Die Auswirkungen der globalen Wanderungsbewegungen werden in den verschiedenen Weltregionen höchst unterschiedlich wahrgenommen. So forcieren einige südostasiatische Staaten die Auswanderung, weil sie wirtschaftlich von den Rücküberweisungen ihrer Auswanderer abhängig sind; andere Herkunftsländer dagegen sehen in der Abwanderung nur den Verlust von Fachkräften, die sie – etwa im medizinischen Bereich – dringend selbst brauchen. Einige Industriestaaten möchten die demographische Alterung und Schrumpfung ihrer Gesellschaften durch Zuwanderung abfedern; andere lehnen das ab, weil sie einen Verlust kultureller Homogenität und Identität befürchten.

Ähnlich unterschiedlich werden auch die Zusammenhänge zwischen Migration, Integration und Sicherheit bewertet. Seit 9/11 und den zahlreichen anderen Attentaten islamistischer Terroristen gibt es weltweit eine neue Debatte über dieses Thema und eine national und regional spezifische Bewertung der migrationsbezogenen Risiken. Auch die politischen Konsequenzen weichen deutlich voneinander ab.

Ein Beispiel dafür sind die USA und Europa: Hier gibt es gravierende Unterschiede bei der Analyse der Risiken von Zuwanderung und den politischen Reaktionen darauf. So haben die USA die terroristischen Anschläge als Kriegserklärung aufgefasst und reagieren mit Mitteln der Kriegsführung auf die vermeintlichen oder tatsächlichen Ursachen. Die Europäer hingegen nehmen die Anschläge eher als besonders schreckliche Form der Kriminalität wahr, die mit Mitteln der Kriminalitätsbekämpfung angegangen werden muss. Die Amerikaner sehen den Terrorismus als importierte Gefahr, die Europäer haben lange und bittere Erfahrungen mit verschiedenen Formen des internen Terrorismus. In den USA sind die muslimischen Minderheiten relativ gut integriert, in den EU-Staaten – trotz aller Gegenbeispiele – immer noch eher randständig und wenig akzeptiert. Zudem reagieren die säkularen europäischen Gesellschaften mit Unverständnis auf das Wiederauftauchen des Religiösen in den muslimischen Minderheiten, im Gegensatz zu den Amerikanern mit ihrer weit größeren Offenheit für religiöse Haltungen.

Ein Grund ist die unterschiedliche Aufnahmebereitschaft: Die USA verstehen sich als Einwanderungsland und vertrauen auf die Integrationskraft ihres Gesellschaftsmodells, die Europäer sehen sich immer noch als ethnische Nationalstaaten, obwohl sie zum Teil inzwischen umfangreichere Zuwanderungen aufgenommen haben als die USA. Sie zweifeln an ihrer Integrations-fähigkeit und haben Angst, ihre vermeintliche (und empirisch nicht zu fassende) Aufnahmekapazität zu überschreiten.

Die mit offenen Grenzen und Wanderungen verbundenen Risiken werden künftig nicht geringer. Um so wichtiger ist es, einen internationalen Austausch über die nationalen Sichtweisen und Strategien zu organisieren, um aus den Erfahrungen anderer Länder zu lernen. Einen solchen Austausch gibt es zwar seit einiger Zeit zwischen den EU-Staaten über „best practices“ in der Integrationspolitik, für die Zusammenhänge zwischen Migration, Integration und Sicherheit aber noch nicht. Der folgende kursorische Überblick über den Umgang mit diesem Thema in den USA und Europa soll als Anregung für eine intensivere Debatte über die sicherheitsrelevanten Aspekte von Migra-tion und Integration dienen.

Die neue Bedeutung sicherheitspolitischer Fragen

Die Anschläge vom 11. September 2001 waren auch migrationspolitisch eine Zäsur. Im Kampf gegen den fundamentalistischen islamistischen Terror, der mit den Anschlägen in New York, Washington, Madrid, London und Neu Delhi, in Indonesien, Marokko, der Türkei und an zahlreichen anderen Orten eine blutige Spur hinterlassen hat, sind muslimische Zuwanderer unter Generalverdacht geraten. Viele Staaten haben die Einreisemöglichkeiten für sie eingeschränkt und die Kontrolle der im Land lebenden Zuwanderer verstärkt. Und seit den Morden an Pim Fortuyn und Theo van Gogh in den Niederlanden werden muslimische Gemeinschaften in vielen europäischen Ländern besonders misstrauisch beobachtet. Die jüngsten Auseinandersetzungen um die Veröffentlichung von verunglimpfenden Mohammed-Karikaturen in europäischen Zeitungen haben die Spannungen zwischen muslimischen Einwanderern und den Aufnahmegesellschaften noch wachsen lassen.

Dabei tauchen grundlegende Fragen auf: Lassen sich angesichts der neuen Bedrohung die Prinzipien offener Gesellschaften aufrechterhalten? Wie verbindlich können und müssen menschen-, bürgerrechtliche und demokratische Normen im Kampf gegen den Terrorismus sein? Wie kann die Balance zwischen Bürgerrechten und Sicherheit gewahrt werden? Können sich die Industriestaaten, für die der internationale Austausch von Waren, Gütern, Dienstleistungen und Menschen lebenswichtig ist, weiterhin offene Grenzen leisten? Wie hängen Integration und Sicherheit zusammen? Reduziert ein Zugehörigkeitsgefühl zur Aufnahmegesellschaft die Anfälligkeit für extremistische Versuchungen? Welche Rolle spielt dabei die Aufnahmebereitschaft einer Gesellschaft? Und wie sollen säkulare Gesellschaften mit der Religiosität von Minderheiten umgehen?

Ein migrationsbedingter Terrorismus?

Die Anschläge auf die USA vom September 2001 wurden als neue Form des Terrorismus wahrgenommen. Neu waren die Monstrosität der Anschläge, die eingesetzten Mittel und die Skrupellosigkeit, mit der Tausende Menschen ermordet wurden. Das Ziel, möglichst viele unbeteiligte Menschen zu töten, hatten aber auch schon die radikalen Islamisten verfolgt, die im Februar 1993 den ersten Anschlag auf das World Trade Center in New York verübten, wie auch die japanische Aum--Sekte mit ihrem Giftgasanschlag im März 1995 auf die U--Bahn in Tokio. In diesen Anschlägen waren bereits die Muster zu erkennen, welche die Angriffe vom September 2001 und die folgenden Terroraktionen unter anderem in Riad, Casablanca, Jakarta, Istanbul und Madrid kennzeichneten: eine Kombination aus einer möglichst großen Zahl von Opfern, dem eingeplanten Tod der Attentäter, fundamentalistischen Motiven und einer internationalen Planung.

In der sicherheitspolitischen Dis-kussion wird ein direkter Zusammenhang dieser neuen Form des Terrorismus mit Migration gesehen. So wird darauf hingewiesen, dass alle in der vergangenen Dekade in westlichen Staaten verübten Terroranschläge (mit Ausnahme des Bombenan-schlags in Oklahoma City vom April 1995) von Einwanderern ausgeführt wurden und dass fast alle nach dem 11. September 2001 in den USA und Europa wegen Terrorismusverdachts inhaftierten Personen einen Migrationshin-tergrund hatten. Zudem seien die nach 9/11 in den USA inhaftierten Terroristen ausschließlich Muslime. Es handele sich bei dem neuen Terrorismus daher um einen „islamischen“ Terrorismus, der innerhalb eines unterstützenden Netzwerks von Stiftungen, Unternehmen, NGOs, Forschungsinstituten und Moscheen agiere.

Tatsächlich wurde nach den Anschlägen von 9/11 in den USA gezielt nach islamischen Einwanderern gefahndet. Dabei zeigte sich, dass die als Al-Qaida-Mitglieder Verdächtigten auf vielfältige Weise ins Land eingereist waren (mit gülti-gem Visum, als Asylbewerber, als illegale Einwanderer), und dass einige von ihnen eingebürgert worden waren. Die Legalität von Einreise und Aufenthalt stellt für die Sicherheitsbehörden ein besonderes Problem dar, da dies die Identifizierung von möglichen Terroristen erschwert.

Eine weitere Gefahr besteht nach Auffassung vor allem amerikanischer Sicherheitsexperten in der Rekrutierungsstrategie dieses neuen Terrorismus: Vor allem in Europa könnten Islamisten versuchen, potenzielle Gefolgsleute unter legal anwesenden, aber sozial randständigen Einwanderern der zweiten und dritten Zuwanderergeneration bzw. unter zum Islam konvertierten Einheimischen anzuwerben. Den Europäern wird dringend geraten, sich besser um die Integration dieser Zuwanderer zu kümmern, da sonst sicherheitspolitische Risiken drohten. Für diese Vermutungen fehlen aber empirische Belege. Der Zusammenhang zwischen Terrorismus und Migration scheint bislang eher darin zu bestehen, dass die Terroristen die Mobilitätschancen nutzen, die offene Gesellschaften und offene Grenzen bieten. Denn für die Vorbereitung und Durchführung terroristischer Anschläge reicht auch der Touristenstatus.

Bei der bisherigen Bekämpfung des Terrorismus ist deutlich geworden, dass den Sicherheitsbehörden in Europa wie in den USA grundlegendes Wissen über die muslimischen Einwanderergemeinschaften fehlt. Es mangelt an Wissen unter anderem über die Denkweisen, die Religiosität, den Politisierungsgrad und über zahlreiche andere Aspekte, wie zum Beispiel über die Einstellungen der Zuwanderer zur Aufnahmegesellschaft. Dieses fehlende Wissen erschwert den Zugang zu den muslimischen Gemeinschaften. Häufig wird er zudem durch ein grundsätzliches gegenseitiges Misstrauen zwischen der Aufnahmegesellschaft und den Einwanderergemeinschaften behindert.

Die Verbindung von Migrations- und Sicherheitspolitik

Bis zu den Anschlägen auf die USA waren Migrations- und Sicherheitspolitik weitgehend getrennte Politikfelder. Allerdings wurde unter Sicherheitsexperten schon zu Beginn der neunziger Jahre über die Notwendigkeit eines erweiterten Sicherheitsbegriffs diskutiert. Um neue Sicherheitsrisiken besser erkennen und bewältigen zu können, wurde der traditionelle Begriff der militärischen Sicherheit um politische, ökonomische, ökologische und gesellschaftliche Aspekte ergänzt und auf „menschliche Sicherheit“ zugespitzt. Der Kerngedanke war, dass die staatliche Souveränität nicht nur im Fall einer militärischen Bedrohung von außen in Gefahr geraten könne, sondern auch, wenn eine Gesellschaft in ihrer sozialen Kohäsion geschwächt würde. Der Vorteil dieses erweiterten Sicherheitsbegriffs war, dass neben dem Staat auch noch andere Akteure als sicherheitspolitisch relevant betrachtet werden konnten. Dazu zählten etwa ethnische Gemeinschaften, die ihre Identität durch staatliche Politik bedroht sehen. Mit diesem erweiterten Sicherheitsbegriff wurden die Verbindungen zwischen innerer und äußerer Sicherheit sichtbar.

Das umfassendere Verständnis von Sicherheit führte auch zu einer Debatte über die Risiken von Zuwanderung. Diese wurden vor allem in der Zunahme von Fremden-feindlichkeit, der Ausbrei-tung rechts-radikalen Gedankenguts, dem Import ethni-scher Konflikte und der Ausbrei-tung des Drogen- und Menschenhandels gesehen. Zudem wurde auch schon zu Beginn der neunziger Jahre die Gefahr eines Überspringens terroristi-scher Aktivitäten auf das betreffende Land beschworen. Auch wenn vieles in dieser Debatte der damaligen weltpolitischen Umbruchsituation und der Angst vor unkontrollierten Zuwanderungen vor allem aus der zusammenbrechenden Sowjetunion geschuldet war, wuchs – und das war der eigentliche Fortschritt bei dieser Diskussion – das Bewusstsein dafür, dass es für die Sicherheit eines Landes entscheidend ist, ob sich Zuwanderer als Teil der Aufnahmegesellschaft fühlen oder nicht. Sie half zu erkennen, dass die Binnenstabilität zwar möglicherweise etwas mit dem Umfang der Zuwanderungen zu tun haben kann, aber ganz wesentlich von der Bereitschaft der betroffenen Gesellschaften abhängt, Neuankömmlinge zu integrieren.

Inzwischen gibt es einen Konsens darüber, dass Sicherheit mehr bedeutet als „harte“ Sicherheit, also verstärkte Grenzkontrollen und High-Tech-Überwachungssysteme. Die Erkenntnis, dass ein Schutz der Menschenrechte von Migranten und ihre Beteiligung am Wirtschaftsleben die Loyalität gegenüber der Aufnahmegesellschaft stärkt und die Zuwanderer weniger empfänglich für extremistische Einflüsse macht, hat Eingang in die Integrationskonzepte vieler EU-Staaten gefunden. Es herrscht auch Konsens, dass sich die Aufnahmegesellschaften und die Zuwanderer um Integration bemühen müssen.

Die Umsetzung dieser Konzepte lässt allerdings zu wünschen übrig. Einige Staaten haben begonnen, einen Dialog mit den muslimischen Gemeinschaften zu organisieren. Erreicht werden soll mit diesen Integrationsinitiativen auch, dass sich gerade die muslimischen Minderheiten für den Kampf gegen den Terrorismus verantwortlich fühlen und sich aktiv daran beteiligen. Diese Ansätze sind begrüßenswert, müssen aber ausgebaut werden. Die Fähigkeit, kohärente Integrationskonzepte zu entwickeln und umzusetzen, ist jedenfalls offensichtlich stark von nationalen Traditionen und den Erfahrungen mit früheren Integrationsprozessen abhängig, wie das Beispiel des amerikanischen und europäischen Umgangs mit diesen Fragen zeigt.

Terrorismusbekämpfung und Einwanderung in den USA

Da die Anschläge vom 11. September 2001 größtenteils von in die USA eingereisten Attentätern ausgeführt wurden, brach in den USA zunächst eine Debatte darüber aus, ob die Anschläge durch unzureichende Grenzkontrollen und mangelhafte Überwachung verdächtiger Ausländer ermöglicht worden seien. Auch wurde diskutiert, ob es Verbindungen der Terroristen zu radikalen muslimischen Organisationen im Land gab, ob sie versucht hätten, Unterstützer in den USA zu rekrutieren und ob es eine Einwanderungsstrategie gegeben habe. Die Regierung reagierte zunächst, indem sie die migrations- und sicherheitspolitischen Zuständigkeiten in einem neuen Ministerium, dem Department of Homeland Security, zusammenfasste – einer Superbehörde mit 180 000 Mitarbeitern.

Ein zweiter Schritt war der so genannte USA Patriot Act, ein Gesetz, das in den schwierigen Wochen nach dem 11.9. im US-Kongress ohne nennenswerten Widerstand verabschiedet wurde. Es hat die Möglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden erheblich erweitert. Unter anderem wurde die Überwachung, Inhaftierung und Ausweisung von terrorismusverdächtigen Ausländern erleichtert, in einigen Fällen auch die Inhaftierung von amerikanischen Staatsbürgern. Insgesamt hat das Gesetz – im Zusammenspiel mit anderen Bemühungen, die Macht des Präsidenten und der Strafbehörden zu stärken, einschließlich der legitimierten Anwendung von Folter und geheimdienstlicher Überwachung im Inland – die USA im Sicherheits-Freiheits-Kontinuum deutlich weiter in Richtung Sicherheit gerückt.

Im Prinzip sind die USA – im Vergleich zu europäischen Staaten – eine ungewöhnlich offene Gesellschaft: Amerikaner misstrauen grundsätzlich der Kontrolle und Überwachung durch die Regierung. Die Mobilität wird nicht durch ein Meldesystem beschränkt, und Personaldokumente spielen im Alltagsleben kaum eine Rolle – was es den Behörden erschwert, die Bewegungen von Menschen im Land zu verfolgen. Zweifellos gibt es aber auch in den USA ein grundlegendes Spannungsverhältnis zwischen der Offenheit der Gesellschaft und ihrem Sicherheitsbedürfnis. Diese Spannungen wurden immer dann akut, wenn eine Regierung in Krisenzeiten ihre Macht ausdehnte, um (angeblich) die Sicherheit der Bürger zu erhöhen. Während des Kalten Krieges und der Bürgerrechts- und Antikriegsbewegungen der sechziger Jahre waren Bespitzelungen und Kompetenzmissbräuche durch Regierungsstellen häufig. Aber dies stärkte auch den Protest gegen die Macht der Behörden: ein entscheidender Grund, warum die Befugnisse der Regierung und der Geheimdienste nach solchen Ausweitungen erheblich beschnitten wurden, wie beispielsweise in den siebziger Jahren.

Außerdem verstehen sich die USA als ein Einwanderungsland mit traditionell hoher Aufnahmebereitschaft. In Amerika geborene Kinder erhalten automatisch die Staatsbürgerschaft, und das Einbürgerungsverfahren ist relativ einfach. Einwanderer sind zwar aufgefordert, sich zu integrieren, aber die Mehrheitsgesellschaft nimmt auch die kulturellen und sozialen Einflüsse der Einwanderer auf. Wer Staatsbürger ist, wird als Amerikaner akzeptiert und reklamiert für sich die gleichen Rechte wie jeder andere Amerikaner auch. Religiöse Minderheiten werden selten misstrauisch betrachtet (auch wenn es Ausnahmen gab wie im späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, als Katholiken verdächtig waren, oder in der fünfziger Jahren, als das gleiche für Juden galt), denn die in der Verfassung verankerte Trennung von Staat und Kirche erleichtert ihre Integration. Die durch Zuwanderung entstandene kulturelle Vielfalt wird akzeptiert und seit der Bürgerrechtsbewegung der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch rechtlich durch eine starke Betonung der Bürgerrechte und eine Antidiskriminierungsgesetzgebung unterstützt.

Diese Traditionen werden allerdings im Zuge des Antiterrorkampfs in Frage gestellt – freilich nicht zum ersten Mal. Besonders in Kriegszeiten hat die Regierung oft mit den Ängsten der Bevölkerung gespielt und Minderheiten zu Sündenböcken gemacht, um ihre eigenen Kompetenzen und Handlungsmöglichkeiten auszudehnen. Während des Ersten Weltkriegs wurden Deutsche belästigt. Ihre Loyalität wurde bezweifelt, und in einigen Staaten wurden sie daran gehindert, Unterricht in ihrer Sprache abzuhalten. Während des so genannten Red Scare wurden Tausende mutmaßliche Radikale festgenommen und in ihre Herkunftsländer abgeschoben, oft allein wegen ihres Protests gegen den Krieg. Die Internierung von US-Bürgern japanischer Abstammung während des Zweiten Weltkriegs ist bekannt; während des Kalten Krieges deportierte die Regierung Zuwanderer wegen angeblicher Unterstützung kommunistischer Organisationen.

Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 hat es wieder eine Ausweitung der Regierungsmacht gegeben. Die Regierung erklärte den Kampf gegen den Terrorismus zum „Krieg“ und nutzte dies, um ihre Kompetenzen auszudehnen. Die Folgen bekamen vor allem Einwanderer und Ausländer zu spüren. So versicherte die Regierung in den ersten Monaten nach den Anschlägen den in den USA lebenden Muslimen, sie würden nicht unter den Verbrechen einiger weniger Islamisten zu leiden haben. Gleichwohl wurden Tausende von muslimischen Einwanderern, unter ihnen auch amerikanische Staatsbürger, inhaftiert und monatelang ohne Anklage oder Kontakt zu ihren Familien und Anwälten festgehalten. Viele wurden wegen eines Verstoßes gegen das Einwanderungsrecht abgeschoben, oft in administrativen Verfahren, die nicht den strafrechtlichen Erfordernissen entsprachen. Das Einwanderungsrecht wurde zur Kriminalitätsbekämpfung missbraucht. Vor allem Männer aus arabischen Ländern mussten sich zeitweise bei der Polizei melden; und selbst einige von denen, die diesen Pflichten nachkamen, wurden abgeschoben.

Der Patriot Act hat die Definition des Terrorismus besonders für ausländische Verdächtigte ausgedehnt. Gegen alle diese Maßnahmen gab es jedoch Widerstand, und tatsächlich sind die Versuche, einen noch restriktiveren Patriot Act II durchzusetzen, gescheitert. Die Kritiker wiesen vor allem darauf hin, dass solche Praktiken letztlich kontraproduktiv seien, weil sie das Vertrauen der Einwanderer in die Regierung zerstörten.

Gleichwohl muss vor allem im Vergleich zu den europäischen Staaten gesehen werden, dass der Erfolg des amerikanischen Integrationsmodells viele Einwanderer dazu gebracht hat, sich als Amerikaner zu fühlen –  selbst dann, wenn sie sich diskriminiert sehen. So haben nach dem 11.9. viele Muslime zwar mit Nachdruck gegen die Rasterfahndung und andere diskriminierende Maßnahmen protestiert, gleichzeitig aber ihren Patriotismus betont. Dabei hat sicherlich geholfen, dass Muslime in den USA zu den wirtschaftlich besonders gut integrierten Zuwanderern gehören, und dass viele von ihnen inzwischen der Mittelschicht angehören. Zahlreiche muslimische Gemeinden gingen auf die Sicherheitsbehörden zu, um den Kampf gegen den Terrorismus zu unterstützen.

Migration und Sicherheit in Europa

Im Vergleich zu den „klassischen“ Einwanderungsländern USA, Kanada, Australien und Neuseeland sind die europäischen Gesellschaften gegenüber Zuwanderung eher ablehnend eingestellt – obwohl auch sie seit langem faktisch Einwanderungsländer sind. Deutschland zum Beispiel kann auf eine nahezu ununterbrochene Zuwanderungstradition seit dem Kaiserreich zurückblicken; Großbritannien, Frankreich und die Niederlande haben seit langem Zuwanderer aus den ehemaligen Kolonialgebieten aufgenommen, und in viele EU-Staaten sind seit Ende des Zweiten Weltkriegs Arbeitsmigranten, Familienangehörige und Flüchtlinge eingewandert.

Der grundlegende Unterschied zu den klassischen Einwanderungsländern ist, dass die meisten europäischen Staaten sich nicht als Einwanderungsländer verstehen und dass sie eine dauerhafte Zuwanderung nur in Ausnahmefällen zulassen (oder nachträglich akzeptieren, wenn sie de facto stattgefunden hat). Die Aufnahmebereitschaft für Einwanderer ist in den EU-Staaten geringer ausgeprägt als in den USA, ebenso die Bereitschaft, den sozialen Aufstieg der Zuwanderer durch rechtliche und tatsächliche Chancengleichheit zu unterstützen. Diese Muster bestimmen auch heute noch in vielen europäischen Staaten die Zuwanderungspolitik. Eine wirkliche Offenheit für Zuwanderung in dem Sinn, dass kulturelle und ethnische Heterogenität als etwas Positives wahrgenommen und gefördert würde, ist nicht vorhanden. Die mangelnde Bereitschaft, Vielfalt als Vorteil zu erkennen, zeigt sich auch daran, dass Antidiskriminierungsgesetze und Affirmative-Action-Programme nicht als Integrationsinstrumente eingesetzt werden.

Zudem gibt es in den europäischen Staaten kaum Einwanderereliten. Viele Zuwanderer haben zwar einen sozialen Aufstieg hinter sich (so ist in Deutschland, nahezu unbemerkt von der Mehrheitsgesellschaft, ein kleiner, aber wirtschaftlich durchaus bedeutsamer türkischer Mittelstand entstanden), ihre Sichtbarkeit ist jedoch – abgesehen von wenigen Ausnahmen wie etwa im Sport – gering. Aus der Sicht mancher US-Beobachter ähneln die Integrationsprobleme der europäischen Gesellschaften mit den Nachkommen der Zuwanderer aus den früheren Kolonien (wie in Großbritannien und Frankreich) oder mit den Kindern und Enkeln der früheren Gastarbeiter (wie in Deutschland und den Niederlanden) den Problemen mit der Integration der afroamerikanischen Minderheiten vor einigen Jahrzehnten (und zum Teil bis in die Gegenwart) in den USA. So war anlässlich der Jugendunruhen in Frankreich im Herbst 2005 von amerikanischer Seite der Ratschlag zu hören, die Europäer sollten sich doch einmal die Konzepte ansehen, mit denen die USA ihre Rassenkonflikte bewältigt hätten.

In Europa werden muslimische Zuwanderer vor allem deshalb oft mit Argwohn betrachtet, weil ihnen unterstellt wird, sie hätten aufgrund eines anderen Wertesystems ein geringeres Interesse als andere Zuwanderer, sich zu integrieren. Auch wird in den eher säkularen europäischen Gesellschaften die Religiosität von Zuwanderern mit größerem Misstrauen betrachtet als in den USA mit ihrer größeren Selbstverständlichkeit religiöser Lebensweisen. Die unvollständige Trennung von Staat und Kirche in Europa wirft auch Fragen auf, die in den USA weitgehend unbekannt sind, wie die der staatlichen Unterstützung für religiöse Gruppen und der staatlichen Verantwortung für den Religionsunterricht. Einige europäische Staaten versuchen inzwischen, den Islam in ihren Umgang mit Religionsgemeinschaften zu integrieren, beispielsweise durch die staatliche Ausbildung von muslimischen Religionslehrern.

Ein transatlantischer und internationaler Dialog über diese Fragen, vor allem darüber, wie Zuwanderer integriert werden können und wie ihre Zugehörigkeit zur Aufnahmegesellschaft gestärkt werden kann, ist notwendig. Europäer und Amerikaner haben im bisherigen Kampf gegen den Terrorismus unterschiedliche Ansätze verfolgt. Für die USA waren die Anschläge auf das World Trade Center und das Pentagon auch deshalb so traumatisch, weil sie zuvor keine terroristischen Anschläge erleiden mussten. Für Amerikaner ist Terrorismus eine von außen kommende Gefahr, auf die wie auf einen Krieg reagiert werden muss. In diesem Denkmuster werden Ausländer als „Kriegsfeinde“, ausländische Einwanderer als Verräter angesehen. Anders als US-Amerikaner nehmen die Europäer den islamistischen Terror eher als Phänomen wahr, das auf ihrem Territorium und in ihren Gesellschaften entsteht. Die Europäer haben jahrzehntelange Erfahrungen mit unterschiedlichen Terrorismusformen, so unter anderem mit dem auf Separatismus gerichteten Terror ethnischer Minderheiten, den auf sozialrevolutionären Wandel zielenden Gewalttaten sowie dem auf eine autoritär-faschistische Staatsordnung gerichteten Rechtsterrorismus.

Weil sie sich schon früher mit dem Terrorismus auseinander setzen mussten, ziehen die Europäer es vor, den Terrorismus aus dem Blickwinkel der Kriminalitätsbekämpfung anzugehen. Sie haben Verfahren und Instrumente entwickelt, um den Terrorismus zu bekämpfen, ohne den Kriegszustand auszurufen. Gleichwohl sind in Europa, wie in den USA auch, in erster Linie Zuwanderer von den Antiterrormaßnahmen betroffen, und Europäer haben im Vergleich zu Amerikanern weniger Skrupel, Ausländer bereits wegen mündlicher Äußerungen zu bestrafen – beispielsweise radikale Imame auszuweisen, deren Predigten als aufrührerisch angesehen werden.

Die Verschärfungen der Einwanderungs- und der Reisevorschriften im Namen der Sicherheit haben auch unbeabsichtigte wirtschaftliche Folgen, wie das US-Beispiel zeigt: Nach den Anschlägen vom September 2001 haben ausländische Studenten ihren Status an US-Universitäten als zunehmend unsicher empfunden. Einigen wurde nach einem Heimaturlaub die Rückkehr in die USA verwehrt. Auch Unternehmen haben zunehmend Schwierigkeiten, Visa für dringend benötigte Arbeitskräfte zu erhalten. Amerikanische Unternehmen und Universitäten haben bereits wirtschaftliches und wissenschaftliches Potenzial an Länder mit weniger strikten Regeln verloren und dagegen protestiert. Der Tourismus in die USA ist ebenfalls betroffen: Selbst Touristen aus europäischen Staaten mussten bei der Einreise unerfreuliche Prozeduren über sich ergehen lassen; viele haben danach andere Reiseziele gewählt (siehe auch den Beitrag von Josef Braml, S. 100–107).

Transatlantische Lernfelder

Schon aus dieser kursorischen Betrachtung der amerikanischen und europäischen Wahrnehmung des Zusammenhangs von Migration, Integration und Sicherheit ergeben sich zahlreiche Fragen. Ein zentraler Punkt müssen die migrationsbedingten Sicherheitsrisiken sein: Welche gibt es, wie werden sie wahrgenommen und mit welchen Konzepten reagieren die Regierungen darauf? Ein internationaler Vergleich kann helfen, die Herausforderungen präziser zu bestimmen und Fehlwahrnehmungen zu korrigieren. Zu wissen, wie andere Gesellschaften mit den tatsächlichen und vermeintlichen Bedrohungen umgehen, kann die eigenen Handlungsmöglichkeiten vergrößern.

Es müssen Antworten gefunden werden: Was soll unter Integration verstanden werden? Assimilierung, Multikulturalismus, oder etwas völlig anderes? Wie kann Integration zu größerer Sicherheit beitragen? Wie kann die Aufnahmegesellschaft die Bemühungen von Zuwanderern um Integration fördern? Für säkulare Gesellschaften ist auch die Frage wichtig, ob Religion eher eine Brücke oder ein Hindernis zwischen Minderheiten und Mehrheit darstellt und welche Rechte religiöse Minderheiten haben sollen.

Schließlich ist eine Diskussion über die Auswirkungen der sicherheitspolitischen Maßnahmen auf die Wirtschaft notwendig. Wie wirkt sich der Kampf gegen den Terrorismus auf die Mobilität von Menschen und Gütern aus? Was geschieht, wenn Wissenschaft und Forschung nicht mehr auf die Kreativität von Zuwanderern zurückgreifen können, weil deren Bewegungsfreiheit im Zuge der Terrorismusbekämpfung beschränkt wird?

Dies sind lediglich einige der Fragen, mit denen demokratische Gesellschaften seit 9/11 konfrontiert sind. Im Kern geht es darum, wie der Schutz der Bevölkerung mit den Prinzipien offener Gesellschaften in Übereinstimmung gebracht werden kann. Genau darüber muss eine internationale Debatte geführt werden, an der sich Entscheidungsträger aus Politik und Wirtschaft, Sicherheits- und Migrationsexperten und Vertreter der Einwanderergemeinschaften beteiligen.

Für den Austausch zwischen Europa und den USA ergeben sich aus dem hier Gesagten bereits zwei Lernfelder: Zum einen können die USA von den Europäern lernen, dass der „asymmetrische Krieg“ des neuen Terrorismus nicht mit Mitteln der Kriegsführung zu gewinnen ist, sondern dass er als Kriminalitätsbekämpfung und unter Achtung der völker-, menschen- und bürgerrechtlichen Normen geführt werden muss. Die Europäer wiederum können von den Amerikanern lernen, dass Chancengleichheit, die Zuwanderern eine tatsächliche Aufstiegsperspektive und einen Platz in der Gesellschaft bietet, das beste Mittel gegen Radikalisierung und Extremismus ist. Die Aufnahmeländer müssen die Zuwanderer akzeptieren und ihnen eine faire Chance bieten; die Zuwanderer müssen sich an die grundlegenden Normen der Aufnahmegesellschaft halten.

Dr. STEFFEN ANGENENDT, geb. 1958, leitet im Forschungsinstitut der DGAP in Berlin das Programm Internationale Migration.

BELINDA COOPER, geb. 1961, ist Senior Fellow am World Policy Institute der New School in New York, wo sie als Kodirektorin im Programm „Citizenship and Security“ arbeitet.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 3, März 2006, S. 6 - 14.

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