Wider die Zweiteilung der Welt
... und die demographische Ignoranz
Das Bevölkerungswachstum verschärft Ressourcenknappheiten vor allem in den Entwicklungsländern. Bessere Familienplanung ist ein Weg, diesen Druck zu verringern, ein anderer ist Migration. In beiden Fällen müssen die armen Staaten mehr internationale Unterstützung erhalten.
In den nächsten Jahrzehnten wird die Weltbevölkerung stark wachsen. Diese Tatsache findet aber in den Debatten über die großen globalen Zukunftsthemen – Klimawandel, Ressourcensicherheit, globale Ungleichheit – zu wenig Beachtung. In den meisten Industrie- und Entwicklungsländern besteht eine „demografische Ignoranz“, ein Desinteresse an den Auswirkungen der globalen Bevölkerungsentwicklung. Dabei ist vor allem das globale Bevölkerungswachstum gefährlich: Es ist so wirkmächtig, dass die bisherigen Bemühungen um eine Eindämmung des Klimawandels, größere Ressourcensicherheit und dauerhafte Entwicklung hinfällig werden könnten.
Welche demografischen Entwicklungen sind zu erwarten? Warum werden sie bisher nur unzureichend wahrgenommen? Wie werden sie sich auf Ressourcenkonflikte auswirken? Welche Rolle spielt dabei Migration? Und was kann getan werden?
Die ärmsten Länder tragen die größte Last
UN-Prognosen zufolge wird die Weltbevölkerung bis zum Jahr 2050 um ein weiteres Drittel wachsen, von derzeit 6,8 Milliarden auf 9,1 Milliarden Menschen, und diese Zunahme wird zu 97 Prozent in den armen und ärmsten Ländern stattfinden. Die Bevölkerung der Entwicklungs- und Schwellenländer wird voraussichtlich von 5,4 Milliarden auf 7,9 Milliarden Menschen ansteigen. Dabei werden die am wenigsten entwickelten Staaten die größte Last tragen. Ihre Bevölkerung wird sich verdoppeln, und sie wird extrem jung bleiben. Das Medianalter (eine Kennziffer, die eine Bevölkerung in eine ältere und eine jüngere Hälfte teilt) wird zwar auch in diesen Ländern steigen, aber beispielsweise in Uganda, Burundi, Afghanistan, Palästina und Jemen auch im Jahr 2050 noch unter 24 Jahren liegen.
Im Gegensatz dazu wird die Bevölkerungszahl der Industriestaaten zunächst stagnieren; vor allem in den europäischen Ländern (Deutschland, Italien und Spanien), aber auch in Japan, Russland und Südkorea wird sie sich bis zum Jahr 2050 verringern. Das Medianalter in diesen Staaten wird deutlich höher liegen, nach Japan sind gegenwärtig Deutschland und Italien mit einem Altersdurchschnitt von etwa 42 Jahren die zweit- bzw. drittältesten Gesellschaften der Welt. Insgesamt wird in Europa die Bevölkerungsgruppe im erwerbsfähigen Alter um ein Viertel abnehmen, während sich der Anteil der Über-60-Jährigen verdoppeln wird.
Das Ergebnis dieser regional unterschiedlichen Entwicklung von Fertilität (der durchschnittlichen Kinderzahl von Frauen im gebärfähigen Alter), Mortalität (Sterblichkeit) und Migration – die Zweiteilung der Welt in Gebiete mit wachsender, junger und mit schrumpfender, alternder Bevölkerung – wird in der Wissenschaft als „demografische Kluft“ bezeichnet.1 Obwohl die Trends seit langem bekannt und empirisch belegt sind, finden sie weder in den Industrie- noch in den Entwicklungsländern die notwendige politische Aufmerksamkeit.
Kein Interesse an Bevölkerungspolitik
Auf Seiten der Industriestaaten sind dafür vermutlich zwei Gründe ausschlaggebend. Zum einen ist die Auffassung weit verbreitet, das globale Bevölkerungswachstum sei eine vorübergehende Erscheinung. Diese Einschätzung ist in sehr langfristiger Betrachtung zwar zutreffend, weil die Fertilität in den vergangenen Jahrzehnten insgesamt stark abgenommen hat (sie ist seit 1950 weltweit von durchschnittlich 5,0 auf 2,6 Kinder pro Frau gesunken) und sich dieser Rückgang ab 2050 in einer Abschwächung des Wachstums der Weltbevölkerung niederschlagen wird. Bis dahin aber – und das ist die politisch wichtige Entwicklung – wird die Weltbevölkerung weiterhin schnell anwachsen, und die nächsten Jahrzehnte werden durch ein historisch beispielloses globales Bevölkerungswachstum geprägt sein.
Zum anderen sind in den Industriestaaten viele Menschen überzeugt, Bevölkerungspolitik sei ein stumpfes politisches Instrument und die Geburtenzahl könne durch politische Mittel nicht beeinflusst werden. Dieses Argument mag im Hinblick auf die Versuche der Industrieländer zutreffen, ihre niedrige Geburtenzahl durch familienpolitische Maßnahmen (kurzfristig) zu erhöhen. In Bezug auf die Reduzierung hoher Geburtenzahlen in den Entwicklungsländern aber ist das Argument schlicht falsch, wie die bisherige Verringerung der globalen Fertilität zeigt. Hohe Geburtenraten lassen sich langfristig sehr wohl durch eine Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen und durch Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung und Familienplanung reduzieren.
Skepsis gegenüber Bevölkerungspolitik gibt es aber auch auf Seiten der Entwicklungsländer. In vielen Ländern wird das Bevölkerungswachstum zwar durchaus als Entwicklungsrisiko und als potenzielle Gefahr für die innere Stabilität erkannt, gleichzeitig wird aber eine große und dynamisch wachsende Bevölkerung im klassischen machtpolitischen Sinn oft immer noch als Garant für nationale Macht und regionalen oder internationalen politischen Einfluss betrachtet. Dementsprechend werden Bemühungen der Industriestaaten um eine Reduzierung der Geburtenzahl in den Entwicklungsländern nicht als Hilfe zu nachhaltiger Entwicklung wahrgenommen, sondern als neokolonialistische Eingriffe mit dem Ziel, die ärmeren Staaten machtpolitisch noch weiter zu schwächen. Wie auch immer das fehlende Interesse an demografischen Entwicklungen und die Ablehnung bevölkerungspolitischer Maßnahmen zu erklären sein mag: Beides reduziert auch die Aufmerksamkeit für den Einfluss der Bevölkerungsentwicklung auf die Ressourcenknappheit.
Welcher Entwicklungspfad soll beschritten werden?
Die demografische Teilung der Welt in wachsende und schrumpfende Bevölkerungen wird sich jeweils unterschiedlich auf die Ressourcenknappheit auswirken. Die Folgen für die Entwicklungsländer sind offensichtlich. Diese Länder stehen vor dem Problem, eine schnell wachsende Zahl von Menschen versorgen und in die Arbeitsmärkte integrieren zu müssen, und sie müssen verhindern, dass die Konkurrenz um knappe Ressourcen zu innerstaatlichen und möglicherweise gewalthaltigen Konflikten führt. Im Hinblick auf die Ressourcenknappheit ist entscheidend, wie sich die Verbrauchsmuster entwickeln. Würden die Entwicklungsländer ähnliche Verbrauchsmuster wie die Industriestaaten aufweisen, würde dies schon dann einen immensen Mehrverbrauch an Ressourcen und Energie bedeuten, wenn die Bevölkerung dort nicht weiter wachsen würde. Wenn aber die Entwicklungsländer bis 2050 ihre Bevölkerungszahl verdoppeln, würde das bei ähnlichen Verbrauchsmustern eine Verachtfachung des globalen Ressourcenverbrauchs bedeuten.2
Für die Industrieländer werfen die Alterung und Schrumpfung andere Fragen auf: Sollen die aufwändigen Infrastrukturen trotz der Schrumpfung aufrechterhalten werden? Wie soll der Entvölkerung strukturschwacher Gebiete und innerstaatlichen Entwicklungsdisparitäten begegnet werden? Und wie kann angesichts der demografischen Alterung die internationale Konkurrenzfähigkeit aufrechterhalten werden? 3 Theoretisch könnte die demografische Entwicklung der Industriestaaten auch eine Chance darstellen, falls nämlich ein abnehmender Ressourcenverbrauch hier die zunehmende Nachfrage nach Ressourcen in den Entwicklungsländern ausgleichen würde. Bislang allerdings gibt es dafür keine überzeugenden Belege. Vor allem der Einfluss der demografischen Alterung auf Konsummuster ist schwer vorherzusagen. So könnte es durchaus sein, dass die Alterung in den Industriestaaten nicht zu einer Senkung, sondern zu einer Steigerung des Ressourcenverbrauchs führt. Ein Beispiel wäre, dass der Wohnraumbedarf in den Industriestaaten trotz des demografischen Wandels steigt.
Sowohl in den Entwicklungs- als auch in den Industriestaaten stellt sich daher im Hinblick auf den Ressourcenverbrauch die Frage, welcher Entwicklungspfad beschritten werden und wie wachstumsorientiert dieser Weg sein soll. Einige Experten ziehen den Schluss, dass eine Reduzierung des globalen Ressourcenverbrauchs nur durch eine radikale Reduzierung des Materialverbrauchs möglich ist. Abgesehen von der praktisch-politischen Frage, wie solche Selbstbeschränkungen festgelegt und durchgesetzt werden sollen, werfen diese Vorschläge zahlreiche normative Fragen auf, nicht zuletzt die nach dem „Recht auf Entwicklung“.
Da eine radikale Abkehr vom bisherigen Entwicklungspfad weder in den Industriestaaten noch in den Entwicklungsländern ernsthaft diskutiert wird, ist zu erwarten, dass das Bevölkerungswachstum die Ressourcenknappheit vor allem in den ärmeren Staaten erhöhen wird. Unter welchen Bedingungen also könnten Bevölkerungswachstum und Ressourcenknappheit zu gewalthaltigen Konflikten führen?
Keine einfachen Erklärungsmodelle
Seit den frühen neunziger Jahren wurden im Zusammenhang mit der Debatte über Umweltzerstörung und Konflikte lineare Modelle entwickelt, die direkte Kausalitäten zwischen Ressourcenknappheit und politischer Gewalt unterstellen. Das Argument lautete, Umweltzerstörung könne in Verbindung mit einer Übernutzung natürlicher Ressourcen destabilisierende interne oder grenzüberschreitende Wanderungen auslösen, die dann zu gewalthaltigen Konflikten führen könnten. Der empirische Nachweis solcher direkter Zusammenhänge fiel aber schwer. Daraus ergab sich eine Suche nach komplexeren, nichtlinearen Modellen. Diese neueren Modelle gehen davon aus, dass Konflikte auf einer Vielzahl wirtschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Faktoren beruhen und nicht monokausal von Ressourcenknappheit getrieben werden.
Vertreter der „political demography“ weisen schon seit langem auf die große Bedeutung politischer Rahmenbedingungen für den Ausbruch von Konflikten hin. Insbesondere die Fähigkeit einer Regierung, zwischen rivalisierenden Gruppen zu vermitteln, entscheide in der Regel über die Entstehung oder Verhütung innerstaatlicher Konflikte. Ein häufig zitiertes Beispiel für solche komplexeren Ursachen für den Ausbruch von Gewalt ist der Genozid in Ruanda Anfang der neunziger Jahre, in dessen Verlauf in kürzester Zeit Hunderttausende Menschen in die benachbarten Länder flohen. Neuere Analysen sehen die Ursachen dieses Völkermords in der Kombination folgender Probleme: Landknappheit, ungleiche Landverteilung, extreme Armut, eine auf ethnischer Unterscheidung basierende Arbeitsteilung, wirtschaftliche Perspektivlosigkeit und politische Mobilisierung durch extremistische Kräfte.
Im Zusammenhang mit Bevölkerungswachstum und Klimawandel wird häufig auf die Gefahr von „Wasserkriegen“ hingewiesen. Die Empirie stützt aber die Vermutung, dass Wasserknappheit tendenziell eher zu (zwischenstaatlicher) Kooperation als zu Konflikt beiträgt.4 Gleichwohl ist offensichtlich, dass aufgrund des Bevölkerungswachstums die pro Kopf zur Verfügung stehende Wassermenge in den nächsten Jahrzehnten deutlich abnehmen wird. Von der Wasserknappheit werden insbesondere Gebiete mit schon derzeit geringem Niederschlag und hoher Bevölkerungsdichte betroffen sein. Zu diesen Regionen gehören vor allem der Nahe Osten sowie Nord-, Ost und Südafrika.
Vielerorts werden außerdem die Erträge des bewirtschafteten Landes schrumpfen: Das Bevölkerungswachstum führt tendenziell dazu, dass Agrarland extensiver bewirtschaftet und übernutzt wird, was die Flächenerträge erheblich und dauerhaft reduziert. Ob die abnehmende Pro-Kopf-Kulturfläche und die rückläufige Flächenproduktivität durch neue Produktionsverfahren kompensiert werden können, ist strittig, zumal in den vergangenen Jahrzehnten der Ertragszuwachs durch den Einsatz von Düngemitteln gerade in der Getreideproduktion abgenommen hat.5 Es ist absehbar, dass in vielen Ländern mit starkem Bevölkerungswachstum die für die Subsistenzwirtschaft benötigte Fläche nicht mehr ausreichen wird. Eine Konsequenz können Abwanderungen in andere Landesteile oder in Nachbarländer sein, in Gebiete, in denen sich die Migranten bessere Lebensbedingungen erhoffen.
Migration als Ausweg
Im Zusammenhang mit Bevölkerungsentwicklung und Ressourcenknappheit müssen daher auch Wanderungen beachtet werden. Diese sind neben Fertilität und Mortalität die dritte Komponente der Bevölkerungsentwicklung.
Wie in der Konfliktursachenforschung besteht auch in der Migrationsforschung inzwischen weitgehende Übereinstimmung, dass kein direkter Zusammenhang zwischen Ressourcenknappheit, Migration und gewalthaltigen Konflikten nachgewiesen werden kann. Die meisten Forscher gehen davon aus, dass nur indirekte Wirkungen zu erkennen sind, die sich aus dem Zusammenspiel mit anderen Faktoren – schlechte wirtschaftliche Bedingungen, Regierungsversagen oder fehlende Mechanismen zur Konfliktregulierung – ergeben, und dass Migration eine intermediäre Rolle spielt.
Migration kann aber auch aus einem anderen Blickwinkel betrachtet werden, nämlich nicht als Problem, sondern als Ausweg aus einer lokalen Konkurrenzsituation, als „exit option“, die zur Einhegung von Ressourcenkonflikten beitragen kann. Ibrahim Sirkeci hat dazu kürzlich ein Modell vorgelegt, das Migration als individuelles Streben nach menschlicher Sicherheit versteht.6 Die Folgen von Wanderungen können ambivalent sein. Einerseits können Wanderungen auf vielfältige Weise und auf verschiedenen Ebenen Konflikte auslösen: Auf der Makroebene von Staaten zwischen Herkunfts-, Transit- und Aufnahmeländern, wenn die Herkunftsländer Auswanderungen forcieren, die Nachbarländer aber keine Zuwanderung möchten; auf der Mesoebene von Gruppenbeziehungen, wenn Einheimische Zuwanderer als Konkurrenten um knappe Ressourcen betrachten; und auf der Mikroebene individueller Kontakte, wenn Zuwanderer Opfer fremdenfeindlicher oder rassistischer Gewalt werden. Andererseits können Abwanderungen aus von Ressourcenknappheit betroffenen Gebieten aber auch die dortige Lage entspannen, wie etwa an den Wanderungsbewegungen in der Sahelzone erkennbar ist.
Zumindest für die Herkunftsregionen von Migranten lässt sich daraus folgern, dass das Risiko gewalthaltiger Konflikte größer ist, wenn der „Ausweg Migration“ versperrt ist.
Drei Schlussfolgerungen …
Die hier diskutierten Zusammenhänge von Bevölkerungswachstum, Ressourcenknappheit, Migration und Konflikt lassen drei Folgerungen zu:
1. Das globale Bevölkerungswachstum wird bestehende Ressourcenknappheiten verschärfen, und dies wird vor allem die schnell wachsenden Entwicklungsländer betreffen. Ungewiss ist hingegen, ob die demografische Alterung und Schrumpfung der Industriestaaten entspannend oder verstärkend auf die Ressourcenknappheit wirken wird.
2. Auch wenn es bislang keine empirischen Belege für einen direkten und linearen Zusammenhang zwischen Ressourcenknappheit und gewalthaltigem Konflikt gibt, ist zu erwarten, dass es für die armen Staaten immer schwieriger wird, demografisch verstärkte Ressourcenkonflikte mit friedlichen Mitteln zu bewältigen.
3. Eine Reaktion auf anhaltende Ressourcenknappheit kann Migration sein. Deren Folgen sind aber ambivalent: Sie können möglicherweise in den Aufnahmegebieten Konflikte auslösen, in den Herkunftsgebieten aber eine Strategie darstellen, um Ressourcenknappheit zu entkommen, womit sie zumindest in den Herkunftsgebieten konfliktreduzierend wirken würden.
… und zwei Handlungsempfehlungen
Hieraus ergeben sich zwei vordringliche Handlungsempfehlungen für die Industriestaaten: Zum einen sollten die Bemühungen um Familienplanung und reproduktive Gesundheit in den Entwicklungsländern deutlich und schnell verstärkt werden. Gerade die ärmsten Staaten müssen in ihren Bemühungen um eine nachhaltige Bevölkerungsentwicklung unterstützt werden. Tatsächlich aber haben die Beiträge der westlichen Industrieländer zur Förderung der Familienplanung in den vergangenen 15 Jahren nicht zu-, sondern abgenommen. Im Jahr 2007 stellten die Industriestaaten (inflationsbereinigt) weniger als ein Viertel der 1994 bei der Kairoer Weltbevölkerungskonferenz vereinbarten Beträge zu Verfügung. Nach Angaben des Bixby Center for Population in Berkeley gibt es derzeit weltweit über 80 Millionen unbeabsichtigte Schwangerschaften pro Jahr. Das Institut schätzt, dass 200 Millionen Frauen ihre nächste Schwangerschaft gern verschieben oder verhindern würden, und dass 100 Millionen Frauen keine Verhütungsmittel verwenden, weil sie keinen Zugang dazu haben. Prognostiziert wird, dass die Zahl der Paare in Entwicklungsländern, die Verhütungsmittel benutzen, von 525 Millionen im Jahr 2005 auf 742 Millionen im Jahr 2015 steigen wird.7 Die Industriestaaten sollten daher erheblich mehr Mittel einsetzen, um insbesondere Frauen in den ärmsten und armen Ländern in die Lage zu versetzen, selbst zu entscheiden, wann und wie viele Kinder sie bekommen möchten. Familienplanung allein kann gewalthaltige Konflikte sicherlich nicht verhindern, ein Verzicht auf Hilfen zur Familienplanung würde aber langfristig die Gefahr solcher Konflikte erhöhen.
Zum anderen sollten die Industriestaaten bei ihren Reaktionen auf Wanderungsbewegungen aus Ländern mit Ressourcenknappheit bedenken, dass solche Auswanderungen potenzielle Konflikte entschärfen und zur Stabilität beitragen können. Da der größte Teil der Auswanderungen aus solchen Ländern in der betreffenden Region bleibt („Süd-Süd-Wanderungen“), sollten die Industriestaaten ihre Bemühungen verstärken, die Aufnahmegebiete in die Lage zu versetzen, die zusätzlichen Herausforderungen bewältigen zu können. Dies kann auf vielfältige Weise geschehen: durch einen gezielten Einsatz entwicklungspolitischer und anderer politischer Instrumente, durch nationale oder international abgestimmte humanitäre Hilfe oder durch eine entsprechende Ausstattung internationaler Organisationen, insbesondere des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) – aber auch durch eine größere Bereitschaft der Industriestaaten, in Krisensituationen eine begrenzte Anzahl von Flüchtlingen aufzunehmen und damit die südlichen Aufnahmestaaten zu entlasten.
Dr. STEFFEN ANGENENDT arbeitet in der Forschungsgruppe Globale Fragen der SWP.
- 1Vgl. Wenke Apt und Steffen Angenendt: Demografie – Einfluss auf die Sicherheit, in: Bundes-akademie für Sicherheitspolitik (Hrsg.): Sicherheitspolitik in neuen Dimensionen, Ergänzungsband 2, Hamburg 2009, S. 275–307.
- 2Vgl. Friedrich Schmidt-Bleek: Nutzen wir die Erde richtig? Frankfurt/Main, 2007, S. 29–50.
- 3Vgl. zu demografischen Disparitäten in Europa: Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung: Die demografische Zukunft von Europa – Wie sich die Regionen verändern, München 2008.
- 4Vgl. u.a. Dirk Messner: Klimawandel und Wasserkrisen der Zukunft, Entwicklung und Frieden, Nr. 3, 2009, S. 167–173.
- 5Vgl. FAO: How to Feed the World in 2050, Rom 2009; Klaus Hahlbrock: Kann unsere Erde die Menschen noch ernähren?, Frankfurt a.M. 2007.
- 6Vgl. Ibrahim Sirkeci: Transnational Mobility and Conflict, Migration Letters, April 2009, S. 3–14.
- 7Vgl. Philosophical Transactions B, Nr. 364, Oktober 2009, S. 2977 f.
Internationale Politik 11/12, November/Dezember 2009, S. 60 - 69.