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01. Dez. 2008

Gegen Ansteckung nicht immun

Die Kreditkrise der Industrieländer beeinträchtigt die Entwicklungsfinanzierung

Ein besseres Timing hätte die Konferenz der Vereinten Nationen zur Entwicklungsfinanzierung in Doha, Katar, zwei Wochen nach dem Weltfinanzgipfel Mitte November kaum finden können. Die 20-Jahresfeier zum Fall der Mauer steht bevor und der Kapitalismus ist im Kern, nämlich in den Finanzzentren der westlichen Industriestaaten, getroffen. Nach Ausbruch der Krise setzten Unternehmensbosse, Prognostiker und Politiker ihre Hoffnung vor allem in die asiatischen Länder: Deren robuste Wirtschaftskraft, so die Hoffnung, werde die laufende Finanzkrise und Rezession der amerikanischen Wirtschaft abfedern. Man tröstete sich mit den hohen Wachstumsraten der Schwellenländer, mit ihren hohen Devisenreserven, den ausgeglichenen Staatshaushalten und ihrer wachsenden Konsumneigung. Die Hoffnung hatte einen Begriff: Abkopplung. Die Diagnose lautete schließlich: kräftige Ansteckung!

Die globale Kreditkrise hatte sich seit August dieses Jahres rapide verschärft, im Oktober wurde sie zur Pandemie, die mit aller Wucht auch die Schwellenländer erfasste. In Panik wurden Wertanlagen ohne Rücksicht auf Wachstumserwartungen in allen Schwellenländern aufgelöst. Währungen und Aktienkurse stürzten in die Tiefe. Die Ansteckung ließ zwar auf sich warten, kam dann aber umso heftiger. Die Investoren verkauften nicht nur Aktien, Anleihen und Währungen, sondern den ganzen Mythos der Globalisierung. Auf der Höhe der Krise regte sich im Herbst diesen Jahres der Verdacht, dass die ganze Erfolgsgeschichte der Schwellenländer übertrieben worden war:1 Die asiatischen Leistungsbilanz Überschüsse wären ohne die Kreditblase geringer ausgefallen, die Kapitalkosten höher, der steigende Rohstoffzyklus wäre schwächer gewesen. Genau diese Faktoren zählten zu den wichtigsten Wachstumstreibern der Schwellenländer.

Auf der anderen Seite belasteten die dadurch in die Höhe getriebenen Nahrungsmittel- und Energiekosten zunehmend die arme Bevölkerung. Ein dauerhafter Rückgang dieser Preise kann einen erheblichen Kaufkraftschub auslösen, den Abbau staatlicher Preissubventionen erlauben und damit besonders den armen Staaten helfen.

Der mit den Schwellenländern verknüpfte große Optimismus wurde auch von der weitverbreiteten Art und Weise genährt, mit der Volkseinkommen der Staaten verglichen werden. Ein Beispiel: Berechnet mit Wechselkursen, welche die unterschiedliche Kaufkraft eines Dollars in den einzelnen Ländern reflektiert, trägt China ca. 15 Prozent zum Weltsozialprodukt bei. Berechnet anhand der Wechselkurse, die am Markt gezahlt werden, schrumpft Chinas Anteil allerdings auf etwas mehr als fünf Prozent. China wird den krisenbedingten Rückgang des amerikanischen Verbrauchs also nicht kompensieren können. Die Folge wird eine globale Rezession sein.

Von Finanzanalysten, Unternehmensstrategen und anderen Berufsoptimisten wurde oft übersehen, dass nicht alles Gold war, was glänzte.2 Nun, im Stresstest der globalen Finanzkrise, trennt sich die Spreu vom Weizen:

  • Die Wachstumsraten der Schwellenländer: Oft hängt ihr Wachstum stark von niedrigen Finanzierungskosten und hohen Rohstoffpreisen ab, hat also einen stark zyklischen Charakter. Wachstum ist aber nur dann von Dauer, wenn es durch stetes Produktivitätswachstum unterfüttert wird. Dies trifft auf Asien mehr zu, hier wären besonders China und Indien zu nennen, als auf Afrika und Lateinamerika.
  • Hohe Devisenreserven: Kapitalflucht in- und ausländischer Anleger und die Rekapitalisierung der einheimischen Banken können auch hohe Devisenreserven rasch aufbrauchen, wenn die Politik gleichzeitig den Absturz der -Währung eindämmen will, wie in Russland und Korea zu beobachten ist.
  • Öffentliche Haushalte: Eine auch bei Ratingagenturen verbreitete Fehl-analyse3 nährt sich aus der Beobachtung von Staatsschuldenquoten und Defiziten. Sind diese niedrig, kann das auch durch den Boom begründet sein. Steuereinnahmen florieren mit hohen Rohstoffpreisen und Exporten, Staatsschuldenquoten sinken als Folge hoher Wechselkurse; in der Krise schnellen Defizite und Schuldenquoten rasch wieder nach oben, insbesondere in Lateinamerika und in Afrika.

Diese Beobachtung schließt nicht aus, dass sich einige Fundamentaldaten der Schwellenländer verbessert haben, meist in der Folge schmerzhafter Krisenerfahrung. So sind die Bankensysteme in vielen Schwellenländern Asiens und Lateinamerikas heute solider finanziert. Was die westlichen Industriestaaten den Schwellenländern bislang als Goldstandard der Bankenregulierung aufnötigen wollten, hat sich als Schimäre erwiesen.

Was werden mittelfristig die Folgen sein? Auf absehbare Zukunft werden wir als Konsequenz der globalen Kreditkrise in einer Welt leben, in der private Schulden nur zaudernd finanziert werden. Die Kapital- und Kreditkosten werden steigen, solange die Anleger wegen der traumatischen Erfahrung aus der Kreditkrise erhöhte Risikomargen verlangen werden. Dies hat wesentliche Implikationen für die weitere Finanzierung der Entwicklung und die internationale Finanzarchitektur. Die private Entwicklungsfinanzierung wird spärlicher -fließen. Der öffentliche Kredit wird wieder seinen angestammten Platz einnehmen, den er während der Boomphase der letzten zehn Jahre verloren hatte.

Im Sommer 2007 fragte ich an dieser Stelle: „Verlieren Währungsfonds und Weltbank dauerhaft an Bedeutung?“, um zu warnen: „Es wird derzeit leicht vergessen, dass die globale Liquiditätswelle auslaufen wird, die Rohstoffpreise nicht ewig steigen werden und die Investoren sich wieder an den Begriff ‚Ausfallrisiko‘ erinnern werden.“4 Den Rückgang öffentlicher Kredite zeigt die Grafik deutlich: Kredite des Internationalen Währungsfonds, der Weltbank und der regionalen Entwicklungsbanken wurden durch private Kredite verdrängt. Mit der globalen Kreditkrise wird sich das Bild abrupt wenden: Private Kredite werden eingezogen, öffentliche Kredite erleben eine Renaissance.

Allerdings ist die Kraft der multilateralen Finanzinstitutionen sehr begrenzt, wenn große Schwellenländer gleichzeitig von der systemischen Finanzpandemie erfasst werden. Der IWF hatte vor Ausbruch der Krise einen sofort verfügbaren Ausleihepool von etwa 250 Milliarden Dollar, wovon gleich nach Ausbruch der Krise mehr als 15 Prozent für Finanzhilfe an Island und Osteuropa abflossen. Auch die Weltbank kann ihre Kredite kurzfristig nicht um mehr als 50 Milliarden Dollar ausweiten. Die Liquiditätsbedürfnisse von zwei, drei der größten Schwellenländer reichen aus, um die Kapazität der multilateralen Finanzinstitutionen zur Vergabe von Krediten zu erschöpfen.

Derart begrenztes Potenzial bahnt den Weg für fast risikolose Spekulationsattacken auf Währungen, etwa auf Staaten Osteuropas; es ist daher zu fragen, wie sich diese Institutionen mit mehr Kapital ausstatten lassen. Aus der Befürchtung heraus, Russland und China könnten durch bilaterale Finanzhilfen an Länder mit Liquiditätsengpässen politisches Kapital schlagen, hat Japan im Vorfeld der G-20-Konferenz zur Reform der globalen Finanzarchitektur in Washington 100 Milliarden Dollar seiner Devisenreserven für den IWF in Aussicht gestellt. Die amerikanische Zentralbank hat gegenseitige Kreditlinien in Höhe von je 30 Milliarden Dollar mit Brasilien, Korea, Mexiko und Singapur vereinbart.

Es wäre auch daran zu denken, China und andere Länder mit sehr hohen Devisenreserven für solche Aktionen zu interessieren; China dürfte leichter davon zu überzeugen sein, dies bei den regionalen Entwicklungsbanken als bei den US-lastigen Bretton-Woods-Institutionen zu tun – falls der Westen ihnen dort höheres Stimm- und Gestaltungsrecht einräumt. Außerhalb der OECD-Staaten sind insgesamt fünf Billionen Dollar Devisenreserven akkumuliert worden. Jeder Dollar davon, als Eigenkapital bei einer Entwicklungsbank eingesetzt, kann die Basis für zwei bis drei Dollar Entwicklungskredit schaffen.

Allerdings wird es nur nachhaltige Fortschritte geben, wenn die Länder mit Kasse auch sagen können, wo es lang geht. Diese Einsicht scheint sich nicht nur in den USA erst langsam durchzusetzen. Lösungen zur Verteilung von Refinanzierungslasten und damit zur Stimmrechtverteilung müssen die Pax Americana und damit den amerikanischen Anspruch auf Vorherrschaft hinter sich lassen, soll das internationale Finanzsystem in Zukunft auf solidere Beine gestellt werden. In Asien, wo der große Teil der Devisenreserven gehortet wird, arbeitet man daran, einen asiatischen Währungsfonds aufzustellen, um sich nicht mehr westlichen Standards der Wirtschaftspolitik, Bankenaufsicht und Unternehmensführung unterwerfen zu müssen. Solchen asiatischen Lösungen hat bisher die Rivalität zwischen China und Japan im Wege gestanden. Doch kann die Wucht der globalen Kreditkrise auch hier neuen Koalitionen den Weg bahnen. Nach der Krise werden die Hohelieder auf westliche Standards mit noch mehr Skepsis aufgenommen werden als bisher.

Prof. Dr. HELMUT REISEN ist Head of Research am Entwicklungszentrum der OECD in Paris und Titularprofessor an der Universität Basel.

  • 1Stephen Jen und Spyros Andreopoulos: No Differentiation in the Sell-Off, Morgan Stanley Global Economic Forum, 27.10.2008.
  • 2Alejandro Izquierdo and Ernesto Talvi: All that glitters may not be gold: assessing Latin America’s recent macroeconomic performance, Inter-American Development Bank, 2008.
  • 3Helmut Reisen und Julia von Maltzan: Boom and Bust and Sovereign Rating, International Finance, 2/1999, S. 273–293.
  • 4Helmut Reisen: Schwächelnde Schwestern, Internationale Politik, Juli/August 2007, S. 108 f.
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 12, Dezember 2008, S. 43 - 47

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