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01. Juli 2007

Schwächelnde Schwestern

Ökonomie

Verlieren Währungsfond und Weltbank dauerhaft an Bedeutung?

Mit 63 sind sie in die Jahre gekommen, die Bretton-Woods-Schwestern. In Bretton Woods, einem kleinen Ort im US-Bundesstaat New Hampshire, fand im Juli 1944 eine Währungs- und Finanzkonferenz der Vereinten Nationen über die Neugestaltung der Weltwirtschafts- und Finanzordnung der Nachkriegsperiode statt. Ergebnis dieser Konferenz war unter anderem die Gründung des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank. Die Aufgabenstellung war damals klar: Der IWF hilft temporäre Leistungsbilanzdefizite ausgleichen; dafür standen weder flexible Wechselkurse noch private Kapitalströme zur Verfügung. Die Weltbank leistet den öffentlichen Kapitaltransfer zum Wiederaufbau vor allem Europas und zur Entwicklung kapitalarmer Länder.

Auch wenn die ursprünglichen Aufgaben verschwanden, hielten sich die Schwestern über die Jahrzehnte fit durch Aneignung neuer Aufgaben. Ein letztes Formhoch erlebten sie in den neunziger Jahren, als sie den vormals kommunistischen Ländern den Übergang zur Marktwirtschaft und den traumatisierten Schwellenländern Asiens und Lateinamerikas den Ausweg aus schweren Finanzkrisen finanzierten. Doch heute sind die Schwestern nicht mehr attraktiv: Immer weniger Entwicklungsländer beanspruchen ihre Kredite und Zuschüsse. Die weltweite Liquiditätswelle untergräbt das Modell der Enwicklungsbanken. Immer drängender stellt sich die Frage, wann das Übergewicht des Westens in der Führung der Schwestern zugunsten Asiens, Lateinamerikas und Afrikas beseitigt wird. Nach einer ungeschriebenen Konvention führt ein Europäer den Währungsfonds, ein US-Amerikaner die Weltbank, nun also der ausgezeichnete Robert Zoellick. Die Affäre um den zurückgetretenen Präsidenten der Weltbank Paul Wolfowitz hat die Debatte weiter angefacht. Sie kommt vielleicht zu spät – und sie verfehlt den Kern des Problems.

Denn dem IWF sind inzwischen die Kunden so weit abhanden gekommen, dass sein Finanzierungsmodell wackelt. Die Türkei ist derzeit der einzige Kreditkunde von Bedeutung. Der Forderungsbestand des IWF beträgt nur noch ein Viertel dessen, was im Jahr 2003 zu Buche stand. Ein hochkarätig besetztes Gremium unter Führung von Andrew Crockett hat im Februar ein Gutachten vorgelegt, das Empfehlungen zur langfristigen Finanzierung des IWF ausspricht. Denn die Margen aus der Kreditvermittlung, bislang eine wichtige Einnahmequelle, drohen sich laut dem Crockett-Bericht bis 2010 zu halbieren. Der Bericht empfiehlt, die Finanzierung des IWF auf Kapitaldeckungsbasis zu sichern. Es würde ausreichen, einen Teil der unterbewerteten Goldreserven des Währungsfonds am Markt zu verkaufen und gleich wieder anzukaufen: Der Buchgewinn wäre mit rund zwei Milliarden Euro hoch genug, die Zukunft des IWF zu sichern. Es fragt sich allerdings, ob das vorgeschlagene Kapitaldeckungsmodell nicht ernsthaft die Rechenschaftspflicht des IWF seinen Mitgliedern gegenüber unterlaufen würde.

Auch der Weltbank sind die Kunden abhanden gekommen. Neue private Akteure – etwa die Gates-Stiftung und die Gesundheitsfonds, Geschäftsbanken und Aktieninvestoren – gesellen sich zu den neuen offiziellen Gebern – China, Indien und mancher Petrokrösus – und machen den traditionellen Gebern Konkurrenz. Zwar ist die Weltbank weit mehr als eine reine Entwicklungsbank, sie nennt sich gerne „Wissensbank“. Aber die Bank braucht den Finanzhebel, um wirtschaftspolitisches Wissen zu verkaufen.

Angesicht der gesunkenen Ausleihungen und der verringerten Nachfrage nach ihren Dienstleistungen muss überlegt werden, ob die altmodischen Schwestern nicht ein wenig abspecken sollten. Braucht etwa die Weltbank alle ihre gut 10 000 Entwicklungsexperten, braucht sie mehr als 100 Länderbüros? Ist der administrative Aufwand noch gerechtfertigt? Ein Privatbanker rechnete vor, pro Kreditprojekt beschäftige die Weltbank derzeit 80 Experten und gebe acht Millionen Dollar an Verwaltungsaufwand aus – eine fette Vermittlungsgebühr. Die Situation erinnert an das Problem der Spitzenbelastung in der Elektrizitätswirtschaft oder beim Stadtverkehr, da Krisenvorrat gehalten werden muss. Es wird derzeit leicht vergessen, dass die globale Liquiditätswelle auslaufen wird, die Rohstoffpreise nicht ewig steigen werden und die Investoren sich wieder an den Begriff „Ausfallrisiko“ erinnern werden. Außerdem sind die Entwicklungsländer gut beraten, nicht alles auf die chinesische Karte zu setzen, sondern ihre Kapitalgeber zu streuen.

Dennoch: Den Schwestern käme eine Schlankheitskur zugute. Der Ausstoß an Papieren und Publikationen ist inzwischen so riesig, dass weder die Exekutivausschüsse noch die verantwortlichen Ministerien die Schwestern noch wirksam steuern können. Die Evaluierungsnetzwerke florieren deshalb, sie sind die neue Wachstumsbranche der Hilfsindustrie. Die Schwestern müssen wieder zur Befolgung der alten Tinbergen-Regel zurückfinden, die jeweils einem Politikziel ein Politikinstrument zuordnet. Dass hieße konkret, dass sich die Weltbank aus den Aufgaben zurückzieht, in denen sie mit den Vereinten Nationen konkurriert; der Währungsfonds würde sich aus der langfristigen Finanzierung zurückziehen, wo die Weltbank ihren Platz hat. Allerdings: -Solange die Schwestern verschiedenen Ministerien zugeordnet und durch Amtspatronage geschützt bleiben, werden Fortschritte in Richtung kohärenter Aufgabenverteilung ausbleiben.

Prof. Dr. HELMUT REISEN, geb. 1950, arbeitet als Counsellor am Entwicklungszentrum der OECD in Paris und ist Titularprofessor an der Universität Basel. Er publiziert vor allem zu Fragen der Entwicklungs- und Währungspolitik sowie zur Globalisierung.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 7/8, Juli/August 2007, S. 108 - 109.

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