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01. Apr. 2006

Weniger Altruismus, mehr Engagement

Doch wie genau soll ein solches Engagement aussehen?

Die deutsche Afrika-Politik befindet sich im Umbruch. Lange stand sie unter den Vorzeichen von Werteorientierung, Altruismus und Armutsbekämpfung. Die sicherheitspolitischen Herausforderungen in Afrika bedürfen jedoch zunehmend einer nüchternen Abwägung von Interessen.

In der deutschen Öffentlichkeit, insbesondere unter außen- und sicherheitspolitischen Interessierten, ist die Aufmerksamkeit für Afrika in den vergangenen Monaten enorm gestiegen. Hauptgründe sind die Anfrage der Vereinten Nationen an die Europäische Union, zur Absicherung des Wahlprozesses in der Demokratischen Republik Kongo für eine begrenzte Zeit 1500 Soldaten zur Verfügung zu stellen, und das Drängen europäischer Partner, die Bundeswehr solle dabei einen Großteil des Kontingents und die militärische Führung stellen. Aber schon geraume Zeit zuvor hatte die Debatte über die deutsche Afrika-Politik an Dynamik gewonnen. Die Stichworte hierfür sind NEPAD, die G-8-Afrika-Initiative, die „Commission for Africa“ des britischen Premiers Tony Blair, die Initiative Partnerschaft mit Afrika von Bundespräsident Horst Köhler und als vorläufiger Kulminationspunkt auf europäischer Ebene die Afrika-Strategie der EU. Damit drängte auch die Überlegung auf die deutsche Agenda, was denn die nationale deutsche Afrika-Strategie der Bundesregierung wäre und zu welchem Zweck Afrika-Politik betrieben wird. Diese beiden sehr allgemeinen Aspekte lassen sich in drei konkrete Fragestellungen aufschlüsseln: Was sind die Prämissen deutscher Afrika-Politik? Was sind ihre Ziele? Und was ist notwendig, um diese Ziele umzusetzen?

Grauzonen mit Schattierungen

Die jeweiligen Ausgangsbedingungen in Afrika bestimmten die Prämissen der deutschen Afrika-Politik. Bei deren Einschätzung wurde immer wieder der Konflikt zwischen so genannten Afropessimisten und Afrooptimisten künstlich zugespitzt. Mittlerweile hat sich ein weitgehender Konsens herausgebildet, dass Afrika südlich der Sahara in den vergangenen 20 Jahren eine starke Differenzierung durchlaufen hat. Einigen wenigen afrikanischen Staaten – Südafrika, Mauritius, Botswana, Ghana, Senegal – werden gute Chancen einer demokratischen Konsolidierung und weiteren wirtschaftlichen Erholung zugemessen; andere Staaten – dazu zählen Somalia, Sudan, Elfenbeinküste und noch immer die Demokratische Republik Kongo – werden von Staatszerfall und Bürgerkrieg geplagt. Viele Staaten befinden sich zwischen diesen beiden Extremen. Zwei solche Pole zu markieren – hier Demokratie und Entwicklung, dort Staatszerfall und Bürgerkrieg – bedeutet keineswegs, dass sich die dazwischen liegenden Staaten von einem Extrem zum anderen bewegen. Vielmehr fächert sich die Grauzone weiter auf in Staaten wie Kenia, Uganda, Tansania, Mosambik, Mali und Burkina Faso, die sich mit mehr oder weniger großem Erfolg an den Aufgaben guter Regierungsführung und wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung abmühen; in Staaten wie Angola, Simbabwe, Gabun und Kamerun ist ein Aufbrechen verfestigter Macht kaum absehbar; Länder wie Liberia, Sierra Leone und Burundi stehen nach einer langen Phase des Bürgerkriegs vor der überwältigenden Herausforderung des Wiederaufbaus; und Staaten wie Nigeria, Tschad und die Republik Kongo sind aus unterschiedlichen Gründen von der Gefahr des rasch fortschreitenden Staatszerfalls und sogar eines daraus resultierenden Bürgerkriegs bedroht.

Der Konsens unter Analytikern und Entscheidungsträgern über diese Differenzierung Afrikas wird von zwei Konfliktlinien überlagert. Zum einen sehen sich Entscheidungsträger häufig dem Vorwurf ausgesetzt, ihre Wahrnehmung von Afrika hätte mit der Realität wenig zu tun. Staatliche Institutionen und offizielle Wirtschaftsstatistiken reflektierten nämlich nur einen, nach Einschätzung vieler sogar nur einen kleineren Teil der Wirklichkeit. Die Lebenserfahrung vieler Afrikaner ist nämlich eher von personalisierten als von formalisierten Machtverhältnissen geprägt, und die informelle Wirtschaft spielt die zentrale Rolle für das physische Überleben und Wohlergehen. Diese Diskussion ist nicht neu, wird aber mit dem seit Anfang der neunziger Jahre rapide zunehmenden Verfall afrikanischer Staaten und dem Anhalten wirtschaftlicher Schwäche immer wichtiger.

Die zweite Konfliktlinie bezieht sich auf die Ursachen des Zurückbleibens Afrikas in der menschlichen Entwicklung. Sind es politische Instabilität, das Fehlen von Rechtssicherheit oder gar eines staatlichen Gewaltmonopols, die Afrikaner und ausländische Unternehmer an dringend notwendigen Investitionen in die Wirtschaft und Zukunft ihres jeweiligen Landes hindern? Ist es das Fehlen guter Regierungsführung, von Rechenschaftspflicht und Transparenz, das die Wirkungen internationaler Entwicklungshilfe und afrikanischer Staatshaushalte verpuffen lässt? Oder ist es die bestehende Unterentwicklung, die Afrika in einer Armutsfalle gefangen hält und nur durch massive Investitionen in die physische Infrastruktur zu überwinden ist? Die Trennlinien bei der Beantwortung dieser Fragen verlaufen nicht zwischen Entscheidungsträgern und Analytikern, sondern vor allem zwischen Außen- und Sicherheits-, Entwicklungs- und Wirtschaftpolitik.

Dabei sind Konjunkturen erkennbar. In den neunziger Jahren dominierte die Auffassung, gute Regierungsführung sei ausschlaggebend für die Überwindung der Unterentwicklung. In den vergangenen Jahren aber gewann die Fraktion jener deutlich an Gewicht, die für Afrika einen „big push“ in Sachen Infrastrukturentwicklung forderten – angeleitet durch Jeffrey Sachs’ Zwischenbericht über die Umsetzung der Millennium-Entwicklungsziele und den Bericht der von Tony Blair eingesetzten „Commission for Africa“. Nach dem 11. September 2001 gerieten neue Sicherheitsrisiken in den Fokus westlicher Außen- und Sicherheitspolitiker. Nun wurde der Sicherheitslage in Afrika nicht nur als Entwicklungshemmnis für den Kontinent Bedeutung beigemessen, sondern auch als Bedrohung für Europa. Damit hat wieder die Gruppe jener an Bedeutung gewonnen, die politische Instabilität und das Fehlen von Rechtssicherheit oder gar eines Gewaltmonopols für die Hauptübel halten.

Deutsche Außen- und Sicherheitspolitik

Damit wird bereits deutlich, dass es nicht nur die Ausgangslage in Afrika ist, die deutscher Afrika-Politik Prämissen setzt, sondern auch die deutsche außen- und sicherheitspolitische Orientierung generell. Für die Vergangenheit kann man sogar mit Fug und Recht behaupten, dass diese letzteren Vorgaben weitaus wichtiger waren als die Ausgangsbedingungen. In den fünfziger und sechziger Jahren prägte vor allem die Hallstein-Doktrin die Afrika-Politik der Bundesregierung. 1969 hatte man zwar de facto von ihr Abschied genommen, nicht aber von der mit ihr verbundenen Grundorientierung: In Zeiten des Kalten Krieges ging es darum, möglichst viele afrikanische Staaten im westlichen Lager zu halten oder sie zumindest von einem Schwenk in das östliche Lage abzuhalten. Diplomatie und Entwicklungshilfe wurden primär in den Dienst dieser Sache gestellt. Darüber hinaus galt es, dem wichtigsten europäischen Partner Frankreich in dessen Hinterhof, dem frankophonen Afrika, nicht ins Handwerk zu pfuschen. Mit dem Wegfall des Ost-West-Konflikts fehlte der deutschen Afrika-Politik die überwölbende Ratio. Entsprechend groß war der Bedeutungsverlust, die sie im Verlauf der neunziger Jahre erfuhr. Die Außen- und Sicherheitspolitik schien Afrika immer mehr der Entwicklungspolitik überlassen zu wollen.

Seit wenigen Jahren ist jedoch eine Trendumkehr zu bemerken. Dies hat sehr viel mehr mit der oben angedeuteten und später etwas ausführlicher zu behandelnden Wahrnehmung der Sicherheitsrisiken zu tun. Sicherlich aber ebenso viel mit dem Willen Deutschlands, die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der EU sowie die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) voranzutreiben. Die weltweite Dominanz der USA sowie der Aufstieg Chinas und Indiens werden die Staaten Europas immer stärker zur effektiven Zusammenarbeit zwingen, wenn sie international Gehör finden und auf die Gestaltung der Globalisierung Einfluss nehmen wollen. Um in der Rolle als international relevanter Akteur ernst genommen zu werden, wird es allerdings nicht reichen, das Gewicht Europas in internationalen Handelsfragen und in der Entwicklungspolitik zu betonen. Unerlässlich scheint es, in der Außenpolitik verstärkt gemeinsam zu handeln und Frieden zu erzwingen und zu wahren – selbst in Regionen, die nicht im Zentrum wirtschaftlicher und strategischer Interessen Europas liegen. Mit dieser Argumentation ist eine wichtige Säule des anstehenden, erneut verstärkten Engagements Deutschlands in der Afrika-Politik errichtet.

Als Großbritanniens Premierminister Tony Blair und Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac ihre Initiatve für europäische Battle Groups lancierten, machten sie keinen Hehl daraus, dass der primäre Einsatzort der Kampfgruppen die Konfliktregionen Afrikas sein sollten. Die Tatsache aber, dass sich Deutschland relativ rasch der britisch-französischen Initiative anschloss, unterstreicht, dass zumindest ein Teil der deutschen Entscheidungsträger in der Außen- und Sicherheitspolitik dieser Argumentation folgt. Das Attraktive bei einer einstweiligen Konzentration der Anwendung neuer Instrumente der GASP und ESVP auf Afrika südlich der Sahara ist, dass man den USA auf absehbare Zeit dabei kaum ins Gehege kommen dürfte.

Es ist aber nicht nur der europäische Kontext, der der Afrika-Politik in Deutschland mehr Gewicht verleiht. Spätestens seit den vehementen Bemühungen der Regierung Schröder für einen ständigen Sitz Deutschlands im UN-Sicherheitsrat ist klar, dass Deutschland eine gewichtigere Rolle für sich in der Welt reklamiert – zumindest auf gleicher Augenhöhe mit Frankreich und Großbritannien. Dies entspricht nicht neuer Großmannssucht, sondern der Einsicht, dass Vorgänge außerhalb Deutschlands und Europas sich nachdrücklich auf die Sicherheit und Wohlfahrt der Bundesbürger auswirken und dass das gemeinsame außenpolitische Handeln in der EU noch so in den Anfängen steckt, dass ein völliger Verzicht auf bilaterales, nationalstaatliches Handeln kaum verantwortbar wäre. Daraus ergeben sich folgende Konsequenzen: erstens international mehr Verantwortung für die Stabilisierung und Entwicklung von Krisengebieten zu übernehmen und zweitens bilaterale Partner außerhalb und zusätzlich zu den bestehenden multilateralen Handlungskontexten zu suchen und sie für die gemeinsame Gestaltung von Globalisierungsprozessen zu gewinnen. In Afrika befinden sich viele dieser Krisengebiete und bieten sich einige solcher potenziellen Partner.

Werte und Interessen miteinander verbinden

Damit sind zwei wichtige Ziele deutscher Afrika-Politik benannt, die aus den übergeordneten außen- und sicherheitspolitischen Vorgaben abgeleitet werden. Aber wie ist es mit den Interessen Deutschlands in Afrika südlich der Sahara selbst bestellt? Hier gilt nach wie vor, dass sie im Vergleich zu anderen Regionen relativ gering ausgeprägt sind. Zu den primären Aufgaben eines Staates gehört es, die Sicherheit seiner Bürger und deren Wohlfahrt zu steigern. Gemessen daran ist die sicherheitspolitische Bedeutung Afrikas für Deutschland begrenzt, seine wirtschaftliche gering.

Kein Staat Afrikas südlich der Sahara stellt eine unmittelbare Bedrohung der territorialen Integrität und Sicherheit Deutschlands dar, keiner verfügt über Massenvernichtungswaffen oder ist im Begriff, sie anzuschaffen. Bisher gibt es keinerlei Hinweis auf das Auftreten eines spezifisch afrikanischen Terrorismus; Anschläge die in Afrika verübt wurden, und afrikanische Mitglieder des Al-Qaida-Netzwerks sind im Kontext des Ausgreifens islamistischen Terrorismus auf das Horn von Afrika und auf Teile des Sahel zu sehen. Von Sicherheitsgefährdungen in Afrika sind vor allem Bundesbürger unmittelbar betroffen, die in der Region leben. Deren relativ geringe Zahl und sehr punktuelles Auftreten konstituieren allerdings kein besonderes sicherheitspolitisches Interesse. Migration und organisierte Kriminalität, die von Afrika ausgehen, könnten zwar indirekt und direkt die Sicherheit der Bundesrepublik betreffen; sie sind aber nach wie vor primär Herausforderungen der Innenpolitik und weniger der Außen- und Sicherheitspolitik.

Allerdings gibt es keine Garantie dafür, dass die Auswirkungen, die Staatszerfall, Repression, wirtschaftliche Perspektivlosigkeit, soziale Verelendung und exzessive Gewaltanwendung auf die Gesellschaften Afrikas haben, dauerhaft auf den Kontinent begrenzt bleiben werden. Europa und Nordamerika sind schon einmal davon ausgegangen, dass ähnliche Prozesse in Afghanistan, einer anderen peripheren Weltregion, bedeutungslos für die eigene Sicherheit und Wohlfahrt gewesen wären, und sahen sich darin dramatisch widerlegt.

Gemessen am Außenhandel und an den Investitionen Deutschlands ist die wirtschaftliche Bedeutung Afrikas südlich der Sahara nur gering. Der Anteil der Region am gesamten deutschen Außenhandel und an den deutschen Auslandsinvestitionen liegt deutlich unter zwei Prozent, wobei sich dieses Volumen vor allem auf Südafrika und weit danach auf Nigeria konzentriert. Wenn auch der Aufschwung des chinesisch-afrikanischen Handelns darauf hinweist, dass deutsche Unternehmer vielleicht nicht alle Marktchancen in Afrika wahrnehmen, wird sich dennoch auf absehbare Zeit wenig an diesem Befund ändern. Der Anstieg der Preise für Öl und andere Rohstoffe hat erneut der Diskussion Nahrung gegeben, wie wichtig Afrika gegenwärtig und künftig als Rohstofflieferant ist. Bisher spielen die afrikanischen Ölländer bei der Versorgung Deutschlands jedoch nur eine geringe Rolle und auch der Rohstoffboom – sofern er anhält – wird das wirtschaftliche Interesse nur auf einige wenige Länder Afrikas lenken. Beträchtlich ist jedoch das Interesse Deutschlands am Erhalt von Regenwäldern, ökologischer Nischen und der Biodiversität in Afrika sowie an der rechtzeitigen Bekämpfung neuartiger Epidemien. Während die Bedeutung ökologischer Belange in entfernten Weltregionen schon lange in das Bewusstsein von Bundesbürgern und Entscheidungsträgern gelangt ist, haben der Ausbruch von Krankheiten wie SARS und Vogelgrippe erst seit relativ kurzer Zeit die Erkenntnis wachsen lassen, dass weit entfernte Regionen auch im Fall von Gesundheitsrisiken für Europa eine wichtige Rolle spielen können.

Interessen sind eine zentrale Determinante außenpolitischen Handelns. Für einen demokratischen Staat kaum weniger wichtig sind die Werte, zu denen sich ein Staat gegenüber seinen Bürgern verpflichtet hat. Wer nach innen bestimmte Werte vertritt, macht sich unglaubwürdig, wenn er ihnen nach außen keinerlei Bedeutung zumisst. Die Förderung von Frieden, Sicherheit, Freiheit, Demokratie, Recht und menschlicher Entwicklung sind zentrale Werte deutscher Außen- und Sicherheitspolitik, wobei oft ausgeblendet wurde, dass auch eine werteorientierte Außenpolitik nicht frei von Zielkonflikten ist. In der Afrika-Politik reklamierte die Bundesregierung stets, dass sie vor allem wertegeleitet sei, was angesichts ihrer geringen wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Interessen nicht verwunderlich ist. Doch selbst unter diesen Umständen ist ein weitgehendes Negieren nationaler Interessen weder gegenüber den afrikanischen Partnern glaubwürdig, noch geeignet, in Zeiten schrumpfender Staatshaushalte ausreichende Ressourcen für eine effektive Afrika-Politik zu mobilisieren.

Eine Zieldefinition deutscher Afrika-Politik muss beide Elemente berücksichtigten. Sie sollte werte- und interessengeleitet sein, übergeordnete außen- und sicherheitspolitische Überlegungen berücksichtigen und sich der Machtbeziehungen jenseits staatlicher Formierungen in Afrika bewusst sein. Eine primär an Armutsbekämpfung ausgerichtete Afrika-Politik leistet dies nicht. Gegenüber diesem monokausalen, zu sehr von Altruismus motiviertem Ansatz ist die jüngst vom Europäischen Rat verabschiedete Afrika-Strategie ein großer Fortschritt. Als Ziele europäischer Afrika-Politik definiert sie die Schaffung von Frieden und Sicherheit, die Förderung von Menschenrechten und Demokratie, von wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung sowie regionale Integration und Handel. Die Abfolge dieser Punkte im vom Europäischen Rat verabschiedeten Dokument impliziert eine Prioritätensetzung. Daran sollte sich die Bundesregierung nicht nur im Sinne der Anschlussfähigkeit an europäische Außen- und Sicherheitspolitik orientieren. Eine solche Abfolge von Zielen scheint auch mit den Interessen Deutschlands und den von ihm vertretenen Werten vereinbar zu sein. Zu ergänzen ist diese Zieldefinition in einem Aspekt: die Kooperation mit verlässlichen und gleichgesinnten afrikanischen Partnern zur Gestaltung globaler Politik. Eine derartige Prioritätensetzung auf abstrakter Ebene wird nicht verhindern können, dass in der politischen Praxis immer wieder Zielkonflikte auftreten. Sie bietet jedoch eine Orientierungshilfe, die bisher weitgehend fehlt.

Deutschland braucht Partner von politischem und wirtschaftlichem Gewicht

Auch wenn Afrika in der deutschen Politik mehr Bedeutung eingeräumt werden sollte als früher, werden doch die dafür zur Verfügung stehenden Ressourcen nicht in einem Maße ansteigen, dass alle in der Afrika-Politik anstehenden Aufgaben gleichermaßen angegangen werden können. Das gilt auch dann, wenn die Bundesregierung ihre Verpflichtung einlösen sollte, die Entwicklungshilfe für Afrika bis 2015 massiv zu steigern. Eine Schwerpunktsetzung ist also gefragt – sowohl regional als auch sektoral.

Innerhalb der Bundesregierung hat bisher nur das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung eine regionale Schwerpunktsetzung vorgenommen, indem sie zwischen Schwerpunktpartnerländern, Partnerländern und potenziellen Partnerländern unterschied. Diese Anstrengung hat nicht nur deutlich gemacht, wie schwer es ist, geeignete Merkmale für ein solches Unterfangen zu identifizieren. Es wurde auch deutlich, dass bei den mit dem Entscheidungsprozess Befassten neben halbwegs objektiv überprüfbaren Kriterien auch der subjektive Faktor eine große Rolle spielt. So anerkennenswert der Versuch der Schwerpunktsetzung durch das BMZ ist, so wenig eignen sich doch die ihm zugrunde liegenden Maßstäbe und die durch sie getroffene Auswahl als Grundlage für die Afrika-Politik allgemein. Denn sie sind naturgemäß primär auf die Belange der Entwicklungspolitik abgestellt und berücksichtigen kaum außen- und sicherheitspolitische Aspekte.

Es ist sicherlich unmöglich, allen Aspekten der Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik bei einer regionaler Schwerpunktsetzung gerecht zu werden. Geht es um die Förderung von Frieden und Sicherheit, Demokratie und guter Regierungsführung, wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung in Afrika, braucht Deutschland jedoch Partner von Gewicht in der Region. Ebenso wichtig ist es, sich mit jenen bedeutenderen Ländern auseinander zu setzen, die die Realisierung dieser Ziele hintertreiben. Das bedeutet: Primäre Kriterien für die regionale Schwerpunktsetzung sind die wirtschaftliche und politische Bedeutung eines Landes. Geeignete Indikatoren sind dabei die Fähigkeit zur Projektion harter Macht, das Ausstrahlen von Soft Power, die Bevölkerungsgröße, die internationale Präsenz eines Landes und das Charisma seiner Führungspersönlichkeiten. Größe des Marktes, Rohstoffausstattung, Außenhandelsanteile und wirtschaftliche Dynamik eignen sich für die Bestimmung wirtschaftlichen Gewichts. Auch ökologische Aspekte verdienen Berücksichtigung.

Wendet man diese Kriterien restriktiv an, kommt man zu dem wenig überraschenden Ergebnis, dass nur Südafrika eine sehr hohe Bedeutung für die deutsche Afrika-Politik zuzuordnen ist. Eine Ebene tiefer rangiert Nigeria, gefolgt von einer weiteren Gruppe von Staaten, der Kenia, Angola, Äthiopien, Elfenbeinküste, Ruanda, Uganda, Simbabwe und Sudan zuzurechnen sind. Diesen zehn afrikanischen Staaten sollte besondere Aufmerksamkeit zuteil werden, wobei damit noch keine Aussage über die Art und Weise der Politik gegenüber diesen Ländern getroffen ist. Die in diesen Ländern herrschenden innenpolitischen Gegebenheiten – bemühen sie sich erfolgreich oder nicht um Demokratie und gute Regierungsführung, zeichnen sie sich durch hohe politische Stabilität und staatliche Leistungsfähigkeit aus oder sind sie von Bürgerkrieg und Staatszerfall geprägt – sollten darüber entscheiden, ob diese Staaten von der deutschen Politik als Partner oder Störenfriede eingeordnet werden und ob dann jeweils der Einsatz diplomatischer oder entwicklungspolitischer, notfalls sogar militärischer Mittel erforderlich ist. Die Kompatibilität von außenpolitischen Zielen und historischen Verbindungen kommt ins Spiel, wenn es um die Frage geht, welche Länder sich vorrangig als Partner in der gesamtkontinentalen Afrika-Politik und zur Gestaltung globaler Politik eignen. Neben Südafrika und Kenia verdienen hier Ghana, Mali, Mauri-tius, Senegal und Mosambik, vielleicht auch Tansania und Namibia besondere Aufmerksamkeit.

Deutschland wäre als relativ großer Akteur der internationalen Politik nicht nur schlecht beraten, bei der regionalen Auswahl von Ländern eine Nischenstrategie zu verfolgen. Ein solcher Ansatz wäre auch bei der sektoralen Schwerpunktsetzung verfehlt. Die Vielfalt der Aufgaben und die Komplexität des Gestaltungsanspruchs erfordern den Einsatz eines breiten Instrumentariums der Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik. Allerdings sollte die Bundesregierung besonderes Gewicht auf jene Instrumente legen, in denen sie Wettbewerbsvorteile hat, und jene weiterentwickeln, die für die Einlösung des Anspruchs besonders wichtig sind, international auf der Ebene Großbritanniens und Frankreichs zu agieren. Für die Entwicklungspolitik hat das BMZ seine sektoralen Schwerpunkte bereits definiert:

1. die Förderung von guter Regierungsführung für Friedenssicherung, Konfliktprävention und Demokratisierung

2. die Verbesserung der Wasserversorgung und

3. die Förderung der Privatwirtschaft.

Der erste Schwerpunkt spielt bereits stark in die Belange der Außen- und Sicherheitspolitik hinein. Wobei zu wünschen wäre, dass sich die deutsche Afrika-Politik verstärkt der Frage stellt, was eigentlich gute Regierungsführung bedeutet, wenn staatliche Institutionen kaum funktionsfähig sind, geschweige denn Vorgaben der Regierung umsetzen können, solange und wenn das Gewaltmonopol eines Staates kaum über die Grenzen der Hauptstadt hinausreicht. Die Diskussion um „good enough governance“ liefert hierfür interessante Ansätze, und der Aufbau und die politische Kontrolle von Sicherheitskräften verdienen in der Afrika-Politik mehr Aufmerksamkeit. In letzterem könnte die Bundesrepublik mit ihren Nachkriegserfahrungen bei der Integration der Sicherheitskräfte in Staat und Gesellschaft sicherlich einen wertvollen Beitrag leisten. Auch die ehemalige Ausstattungshilfe bietet vielversprechende Möglichkeiten für die zivile, militärische und polizeiliche Zusammenarbeit. Mit den politischen Stiftungen verfügt die Bundesrepublik darüber hinaus über ein international nach wie vor einzigartiges Instrument, dessen Erfahrungen und Arbeitsansätze nicht nur bei der Forcierung der Demokratieförderung, sondern auch in der zivilen Krisenprävention von großem Wert sind.

Beteiligung an völkerrechtlich legitimierten Militäreinsätzen

Die vor allem entwicklungspolitisch und außenwirtschaftlich definierten Schwerpunkte in der Wasserversorgung und bei der Förderung der Privatwirtschaft, die übergeordnet bedeutsamen Schwerpunkte der Förderung von Demokratie, guter Regierungsführung und ziviler Krisenprävention sind Sektoren des Engagements, in denen Deutschland einiges aufzuweisen hat. Sie bedürfen aber dennoch der Weiterentwicklung. Insbesondere die Konkurrenz zwischen den hier aktiven Institutionen und die geringe Flexibilität der mit ihnen verbundenen Budgetansätze bedarf der Abhilfe. Der Sektor, in dem gegenwärtig allerdings der größte Handlungsbedarf besteht, ist jener, ohne den Deutschland nur schwerlich den Anspruch aufrechterhalten kann, über Wirtschaftsfragen hinaus als relevanter Akteur wahrgenommen zu werden: die Beteiligung an völkerrechtlich legitimierten Einsätzen der Friedenswahrung und Friedenserzwingung auch in Afrika.

Zu lange hat die Bundesregierung, insbesondere das Bundesministerium der Verteidigung, eine Beschäftigung mit dieser Frage zurückgestellt und sich hinter den Verweis auf die bereits bestehenden Belastungen der Bundeswehr in anderen Weltregionen und der geringen Erfahrung in Afrika zurückgezogen. Die Debatte um die Beteiligung der Bundeswehr an einer etwaigen EU-Mission in der Demokratischen Republik Kongo sollte allerdings hinreichend deutlich gemacht haben, dass diese beiden Schutzargumente nicht mehr ausreichen – noch weniger, wenn die Battle Groups der Europäischen Union ab Anfang 2007 voll einsatzfähig sein werden. Es ist zu erwarten, dass dann harte Auseinandersetzungen in der EU geführt werden, wo und wann sie eingesetzt werden sollen. In diesen Auseinandersetzungen und in der deutschen Öffentlichkeit wird die Bundesregierung nur bestehen können, wenn ihre Position auf nachvollziehbaren Erwägungen beruht.

Deshalb bedarf es verstärkt einer Debatte über die Kriterien solcher Erwägungen. Neben der völkerrechtlichen Legitimation eines Einsatzes sollten folgende Fragen bei der Entscheidungsfindung bedacht werden: Wie groß sind die im Einsatzland involvierten deutschen Interessen? Welche Bedeutung hat die Beilegung oder die Verhinderung der Eskalation des Konflikts für Afrika oder eine Subregion des Kontinents? Wie sind die Erfolgsaussichten bei einem Einsatz von Battle Groups und wie groß könnte der Beitrag deutscher Soldaten zu diesem Erfolg sein? Welche Risiken bestehen für die Einsatzkräfte? Die Diskussion dieses letzten Aspekts bedarf einer großen Nüchternheit. Aufgeregte und zum Teil irrationale Spekulationen, welchen Risiken deutsche Soldaten durch Kindersoldaten ausgesetzt sind und ob sie in Gefahr geraten könnten, auf diese schießen zu müssen, sind das geringste, was einer vernünftigen Debatte dient.

Dr. STEFAN MAIR, geb. 1963, ist Experte für Afrika- und Entwicklungspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Er ist Mitglied im Beirat der Initiative des Bundespräsidenten „Partnerschaft mit Afrika“.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 4, April 2006, S. 34 - 41

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