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01. Apr. 2008

Weg vom Öl?

Die Welt steht vor einer neuen Versorgungskrise - was tun?

Schwindende Ressourcen, geopolitische Spannungen, Klimawandel: Welchen Weg sollten Deutschland und die EU wählen, um eine verlässliche und umweltfreundliche Energieversorgung zu ermöglichen? Wie lange dürfen wir noch fossile Energien verfeuern? Und wie vertragen sich Energiesicherheit und Klimaschutz? Eine Debatte.

Mehr Pipelines, mehr Lieferanten!

Die Welt steht vor einer neuen Energiekrise: Was wir tun müssen – und können 

Wer über Energieversorgungssicherheit redet, meint vor allem die beiden Energieträger Öl und Gas. Sie machen heute knapp 56 Prozent des weltweiten Primärenergieverbrauchs aus, sie werden hauptsächlich importiert (teils aus Weltregionen, die nicht unser bevorzugtes Vertrauen genießen), und sie besitzen beide strategische Abhängigkeitsmerkmale: Öl als nahezu ausschließlicher und somit notwendiger Energieträger des weltweiten Transportsektors; Gas als überwiegend leitungsgebundener Energieträger, der den Verbraucher abhängig macht von der einmal gelegten Pipeline-Infrastruktur und der Zuverlässigkeit von Lieferanten und Transitstaaten (selbstverständlich ist und fühlt sich der Produzent hier ebenso vom Verbraucher abhängig).

Alle anderen Energieträger spielen in Bezug auf Versorgungssicherheit nur eine geringe Rolle: Kohle (Weltanteil 25 Prozent) hat geografisch diverse und reichhaltige Vorkommen, Kernenergie (sechs Prozent) besitzt eher ein Proliferations- und ein technisches Sicherheitsproblem. Bleiben erneuerbare Energien: Diese sind, solange nicht auch sie international gehandelt werden, versorgungssicher. Allerdings ist ihr Anteil am Weltverbrauch heute mit fünf Prozent sehr gering – selbst die großen Kraftanstrengungen innerhalb der EU werden ihren Anteil am europäischen Energieverbrauch im Jahr 2020 nicht über 20 Prozent steigen lassen. Sie sind daher nur sehr langfristig eine Alternative. Unter dem reinen Blickwinkel der Versorgungssicherheit muss man sich zudem die Frage stellen, ob hier Aufwand und Ertrag im Einklang stehen – volkswirtschaftlich sollte die Vermeidung eines kurzfristigen Versorgungsausfalls keinesfalls teurer sein als es der Ausfall selber wäre.

Öl- und Gasreserven sind endlich, doch glaubt man den meisten seriösen Institutionen und Auguren, noch für viele Jahrzehnte verfügbar. Auch ein politischer Produktions-Peak (hervorgerufen durch verwehrten Marktzugang zu den Ressourcenstaaten) oder ein geologischer (durch Verfügbarkeit) würde letztlich über den gestiegenen Energiepreis nur weltwirtschaftliche Anpassungsprozesse in Gang setzen. Sehr viel wahrscheinlicher ist das Szenario eines Nachfrage-Peaks (ausgelöst durch einen weltweiten Verbrauchsrückgang).

Bedenklich scheint eher die hohe Konzentration der Reserven: Rund zwei Drittel der Ölreserven liegen im Mittleren Osten, 60 Prozent aller Gasreserven in nur drei Ländern (Russland, Iran, Katar). Deutsche Energiepolitik muss daher den Interessen der Produzenten- und Transitstaaten, der privaten und staatlichen Produzenten wie auch der alten und neuen Verbraucherstaaten Rechnung tragen. Kein Leichtes für ein Land, das zwar wirtschaftlich groß ist, anders als alle seine Partner aber nicht über ein eigenes Öl- oder Gasunternehmen verfügt und, zumindest ölpolitisch, auf dem Weltmarkt ein Zwerg ist. Welche realen Handlungsoptionen hat Deutschland also, um die Versorgung mit Öl und Gas sicherer zu machen

Senkung des Energieverbrauchs?

Redet man über Versorgungssicherheit, besteht der erste Reflex häufig darin, den Öl- und Gasverbrauch einzuschränken, um somit weniger von den Unwägbarkeiten der Anbieter und Märkte abhängig zu sein. Versorgungssicherheit durch weniger Versorgungsbedarf! Leider ist dies nur scheinbar, auf jeden Fall nur bedingt richtig.

Die Verwundbarkeit eines Landes hinsichtlich seiner Energieimporte hängt faktisch nicht von der absoluten Höhe des Verbrauchs, sondern von der Öl- und Gasintensität ab (Verbrauch pro Einheit BIP). Aus dieser Definition folgt, dass die ökonomische Verwundbarkeit durch höheres Wirtschaftswachstum und/oder geringeren Energieverbrauch gesenkt werden kann. Die erste Option findet insbesondere in der amerikanischen Diskussion Beachtung und ist im Hinblick auf die zweitgenannte Option relevant. Zur Minderung der Energieintensität ist es daher kontraproduktiv, technische Verbrauchssenkungen zu Kosten durchzuführen, die zu einem relativen Verlust internationaler Wettbewerbsfähigkeit und somit langfristig zu einem (relativen) Verlust des BIP führen. Wer also die volkswirtschaftliche Verwundbarkeit Deutschlands zu mindern sucht, sollte eher vorsichtige und insbesondere international koordinierte Schritte in Richtung Verbrauchsreduktion unternehmen. Ein Ausstieg aus Öl oder Gas durch überzogene Quotierungen der Verwendung von Biomasse oder ordnungspolitische Interventionen im Transportsektor, Kraftwerks- oder Hausbau führen zu hohen Investitionskosten, die eine international nur unterdurchschnittliche Rendite erbringen – was langfristig weder dem Land noch der Versorgungssicherheit dient

Pipelinediplomatie

Zunächst ein Apriori. Gas wird, anders als Öl, faktisch nicht auf weltweiten, sondern auf regional abgetrennten Märkten gehandelt – was an der traditionellen Pipelinegebundenheit des Gastransports liegt. Erste Konsequenz ist, dass die Beziehungen zwischen Anbieter und Verbraucher starrer und die gefühlte Abhängigkeit aufgrund häufig fehlender alternativer Versorgungsquellen deutlich höher ist. Zweitens gelten in dieser Gemengelage einige schlichte Prinzipien, die in der internationalen Politik nur ungern gesagt werden, da sie zu Ungemach führen. Aus versorgungssicherheitspolitischer Sicht eines Verbrauchers sind nämlich

  1. mehr Pipelines besser als weniger,
  2. weniger Transitländer besser als mehr,
  3. mehr Lieferanten besser oder
  4. ist es auch vorteilhaft, Transitland zu sein.

So ist beispielsweise die Ostseepipeline für Deutschland ein Schritt in Bezug auf a) und b), aber insbesondere deswegen in der Kritik, weil für Polen d) gilt. Ähnliche Interessenklarstellungen bieten sich auch in Bezug auf die anderen europäischen Pipelineprojekte (u.a. Nabucco, South-Stream etc.) an – und es käme der internationalen Debatte zugute, solche eigenen Interessen auch offen zu benennen.

Erste reale Handlungsoption zur Verbesserung der deutschen Versorgungssicherheit mit Gas ist, nach klarer Benennung der Interessenlagen, Divergenzen so zu handhaben, dass sie auf international übliche diplomatische Weise gelöst werden können. Der Energiecharta-Vertrag (ECT) aus dem Jahr 1994 hatte dies zum Ziel, nämlich rechtsstaatliche marktwirtschaftliche Prinzipien in den internationalen energiewirtschaftlichen Beziehungen zu verankern. In seinem Kern beinhaltet er ein Streitschlichtungsgremium, das bei Auseinandersetzungen zwischen Verbrauchern, Transitländern oder Produzenten angerufen werden kann. Bis zur Schlichtung sind den Parteien u.a. Lieferstopps untersagt; auf diese Weise könnten etwa die russisch-ukrainischen Differenzen auf institutionalisierte Weise geregelt werden. Der Vertrag strebte für die Verbraucher jedoch so sehr nach einem einseitigen Idealzustand, dass ihn die wichtigsten Öl- und Gasproduzenten Europas und einige Transitländer nicht ratifizieren wollten. Norwegen, drittgrößter Öl- und zweitgrößter Gasexporteur der Welt und demokratischer Vorzeigestaat par excellence, lehnt den Vertrag ebenso ab wie Russland, desgleichen das Transitland Weißrussland. Hinzu kommt der für Europa zwar energie-politisch nicht relevante, aber äußerst symbolträchtige Ausstieg der USA aus den Verhandlungen.

Aus dieser Sackgasse wird man auch durch das Herunterbeten des ECT vor russischen Verhandlungspartnern kaum herauskommen. Deutschland sollte hier einen Schritt weitergehen, die internationale Erfolgslosigkeit des ECT eingestehen und einen Neuanfang mit einem reduzierten, aber kompromissfähigen Vertrag machen. Lässt man das strittige Thema Investitionen aus dem Anwendungsgebiet des Streitschlichtungsmechanismus weg (zugegebenermaßen ein relativ großer Eingriff in die nationale Souveränität der Ressourcenstaaten) und konzentriert sich auf die versorgungspolitisch relevanten Themen Handel und Transit, stehen die Chancen einer Annahme deutlich besser. Auch Russland könnte für einen solchen Vorschlag gewonnen werden, da es ein Interesse hat, seine Probleme mit den Transitstaaten Weißrussland und Ukraine zu reduzieren. Und für Westeuropa gilt: Im Falle von Lieferunterbrechungen (Handel oder Transit) könnte ein Schiedsgericht angerufen werden.

Optionen auf dem Ölmarkt

Deutschlands Handlungsoptionen auf dem Ölmarkt sind leider begrenzt. Zwar lassen sich die Hauptquellen deutschen Ölimports (Russland und Norwegen) als sicher einstufen, die tatsächlichen versorgungspolitischen Gefährdungen liegen jedoch weit außerhalb dieser beiden Länder. Mit unserer Einflussnahme ist es eher schlecht bestellt: Deutschlands Anteil am weltweiten Ölmarkt beträgt nur drei Prozent des Verbrauchs (null Prozent des Angebots), ein Einwirken auf Angebot, Nachfrage oder Preis ist somit auch durch radikale, nationale energiepolitische Wendungen nicht möglich. Was also ist zu tun?

Aus Sicht eines ölpolitisch kleinen Landes ist internationale Kooperation mit den anderen „betroffenen“ Verbrauchern notwendig. Die nach dem Ölembargo 1973 gegründete Internationale Energieagentur (IEA) ist eine solche institutionalisierte Kooperation, deren Mitglieder Krisenvorräte und einen solidarischen Mechanismus für die Ausschüttung dieser Vorräte besitzen. Ihre Mitgliedsländer repräsentieren 60 Prozent des weltweiten Ölverbrauchs, und ihre Statuten sehen vor, dass bindende Entscheidungen im Krisenfall per Mehrheitsvotum im Gouverneursrat gefällt werden (keine Einstimmigkeitsregeln).

Letztlich repräsentiert die IEA jedoch Welt- und Machtverhältnisse der siebziger Jahre – die USA sind Vetomacht, Mitglieder sind die westlichen Industrienationen; der rasante Aufstieg Chinas und Indiens spiegelt sich bisher nicht wider. Ihre Relevanz sinkt somit im gleichen Maße wie der Anteil der IEA-Länder an den Welt-Rohstoffmärkten. Die Aufnahme oder Assoziierung Indiens und Chinas ist somit dringend notwendig, um sie in einen Kompromiss einbinden zu können, der eine regelgebundene und -setzende globale Energiepolitik ermöglicht – was insbesondere das Verhalten in und mit afrikanischen Rohstoffländern angeht. Auch unterhalb der Schwelle einer Vollmitgliedschaft ist eine Formalisierung und Verstetigung des Dialogs möglich und notwendig und kann Impulse für eine internationale Energiepolitik setzen.

Fast wichtiger noch als der Dialog unter den Verbrauchern ist derjenige zwischen Verbrauchern und Produzenten von Öl und Gas. Letztlich hängen viele der versorgungssicherheitspolitischen Probleme mit der Interessendivergenz zwischen Produzenten- und Konsumentenstaaten zusammen, insbesondere mit ihrer wahrgenommenen Konfrontationsstellung. Trotz dieser simplen Wahrheit existiert weltweit nur eine Institution, die einen solchen Austausch ermöglicht: das Internationale Energieforum, ein regelmäßiges, aber relativ unformalisiertes Treffen der großen Produzenten und Konsumenten, mit Sekretariat unterhalb des Status einer internationalen Organisation. Dieses Forum stellt, auch wenn es international bisher nicht in prominenter Weise in Erscheinung getreten ist, einen notwendigen ersten Schritt dar, den es zu unterstützen gilt. Es dient nicht nur der Vertrauensbildung und dem Dialog konträrer Positionen, sondern ermöglicht auch, sich über Erwartungen zukünftiger Marktentwicklung auszutauschen und so langfristig böse Überraschungen (Stichwort Preisvolatilität) zumindest zu dämpfen. Auch dies sollte Deutschland aktiv unterstützen.

Fossile Dominanz

Öl und Gas werden in den nächsten Jahrzehnten weiterhin einen entscheidenden Teil der globalen Energieversorgung ausmachen – auch in Europa. Dort wird nicht nur zusätzliches Erdgas zum Kohleersatz verbraucht werden, dort wiegt auch das Momentum des energiewirtschaftlichen Systems mit über 80 Prozent fossilen Energieträgern so schwer, dass große Veränderungen nur relativ langsam vor sich gehen.

Damit sind die ressourcenpolitischen Realitäten der Welt relativ klar abzusehen: Es gibt einige Länder, die die Ressourcen haben, und andere, die sie verbrauchen. Da zwischen beiden des Öfteren starke Interessengegensätze auftreten, sollte darüber nachgedacht werden, wie in beiden Ländergruppen ähnlich gerichtete Interessen synchronisiert werden können. Joint Ventures zwischen Verbraucher- und Produzentenstaaten (Down- und Upstream) sind hierfür eine sinnvolle Option. Zwar ist dies in der aktuellen politischen Debatte Deutschlands und Europas ein hochsensibles Thema, bei nüchterner Betrachtung könnten so allerdings die Interessen der beiden Partner sinnvoll miteinander verschränkt werden. Eine im europäischen Gasendkundengeschäft tätige Gazprom hätte damit selber ein Interesse an einer sicheren Gasversorgung.

Schafft eine neue Weltumweltorganisation!

Energiesicherheit morgen heißt Klimapolitik heute 

Was ist Energiesicherheit? Die Internationale Energieagentur (IEA) versteht darunter die Bereitstellung von preisgünstiger, verlässlicher und umweltfreundlicher Energie. Auf diese allgemeine Definition könnte man sich ohne Weiteres einigen. Doch der Teufel steckt wie üblich im Detail. Was eigentlich bedeutet eine „verlässliche“ Energieversorgung? Welchen Preis, sowohl finanziell als auch politisch, sind wir bereit, dafür zu zahlen? Und wie wird sichergestellt, dass beim Zugriff auf Energieressourcen die Belange des Umwelt- und Klimaschutzes nicht unter den Tisch fallen? Genau hierum geht es in der aktuellen politischen Debatte: Welcher Weg zu mehr Energiesicherheit ist der richtige? Dabei wird klar: Energiesicherheit morgen heißt konsequente Klimapolitik heute.

An der Energiefrage lässt sich aber auch zeigen, wie sich Außenpolitik im 21. Jahrhundert verändert hat. Bei der Suche nach Öl, Geld und Macht scheint für die hehren Prinzipien des Völkerrechts und für das feinziselierte Instrumentarium der internationalen Diplomatie kein Platz mehr zu sein. Der Kampf um die letzten Ressourcen wird mit harten Bandagen ausgetragen; die Sicherung der nationalen Energieversorgung ist für jedes Land knallharte Realpolitik. Bündnisse werden nicht mit denjenigen geschlossen, die man mag, sondern mit denen, die man braucht.

Die Welt steht vor einer neuen Energiekrise. Das rapide Wirtschaftswachstum in China und anderen Schwellenländern hat zu einem sprunghaften und andauernden Anstieg der Weltöl- und Gaspreise geführt. Erstmals seit der Ölkrise in den siebziger Jahren ist der Politik wieder bewusst geworden, dass Energie knapp ist. Die verbleibenden Öl- und Gasvorräte konzentrieren sich am Persischen Golf, in Zentralasien und Russland. Hier liegen die Energiegroßmächte des frühen 21. Jahrhunderts, Freunde des Westens sind nicht dabei. Nur Kohle ist weltweit weiterhin in ausreichendem Maße vorhanden. Doch würden alle vorhandenen Steinkohlevorräte verfeuert, geriete der globale Klimawandel vollends außer Kontrolle. Während sich die Energiekrise also noch ankündigt, hat die weltweite Klimakrise bereits begonnen. Sie wird zu wirtschaftlichen und politischen Verwerfungen, Instabilität und neuen Konflikten führen.

Konkurrenz oder Kooperation?

Russland, China, die Europäische Union und die USA sind die vier Hauptakteure, die sich im Großen Spiel des 21. Jahrhunderts gegenüberstehen. Anders als beim Great Game des 19. Jahrhundert, als sich Russland und England einen Wettlauf um die Kontrolle Zentralasiens lieferten, handelt es sich heute nicht ausschließlich um ein Ringen um politische und wirtschaftliche Einflusszonen. Es geht auch darum, welche Spielregeln auf den Energiemärkten im Besonderen und in der Welt von morgen im Allgemeinen gelten sollen. Dabei stehen sich zwei Philosophien gegenüber: eine neue Großmachtpolitik, wie sie die USA durch die militärische und politische Neuordnung des Nahen Ostens, wie sie Russland und China durch die expansive Politik ihrer staatlichen Energiekonzerne in Afrika und Zentralasien betreiben. Oder eine Politik, die – um drohende Ressourcenkonflikte zu entschärfen – auf Klimaschutz, Energieeinsparung, erneuerbare Energien und internationale Kooperation setzt.

Der Eintritt Chinas und Indiens in die Weltwirtschaft hat zu einer dramatisch gestiegenen Nachfrage auf den weltweiten Energiemärkten geführt. Für diese beiden aufstrebenden Mächte des 21. Jahrhunderts gehören Energie- und Außenpolitik existenziell zusammen. Um ihr dynamisches Wirtschaftswachstum zu sichern, sind beide elementar abhängig von Energieimporten, sowohl aus dem Nahen Osten als auch aus Russland und Zentralasien. Auf Krisen und Kriege in diesen Regionen reagieren die asiatischen Schwellenländer und ihre Ökonomien deshalb höchst empfindlich. Die meisten Öl- und Gasvorkommen in der Region selbst liegen unter dem Meeresspiegel, die Oberhoheit über diese Gebiete ist heiß umkämpft und sorgt dafür, dass die Spannungen zwischen China und seinen Nachbarn steigen und regionale Kooperation auf anderen Gebieten erschwert wird. Chinas staatliche Ölkonzerne drängen zudem mit hoher Aggressivität auf den Weltmarkt, ohne dabei Rücksicht auf Umweltprobleme und Menschenrechte zu nehmen.

Die Europäische Union ist die größte Wirtschaftsmacht der Welt, verfolgt aber bisher keine eigenständige Energiepolitik. Ohne eine gemeinsame europäische Energiepolitik kann es keine überzeugende EU-Außenpolitik geben. Sonst bleibt die EU in einer zentralen ökonomischen Überlebensfrage erpressbar. Da Europa auf absehbare Zeit von Energieexporten aus seiner südlichen und östlichen Nachbarschaft abhängig sein wird, darf die gemeinsame Energiepolitik sich nicht auf die EU im engeren Sinne beschränken, sondern muss die angrenzenden Länder Osteuropas sowie des Nahen und Mittleren Ostens einbeziehen. Entscheidend dabei ist das Verhältnis zu Moskau. So wie Russland den Doppelkontinent Eurasien geografisch verbindet, so verknüpfen Energietransport und Handel Eurasien nicht nur wirtschaftlich, sondern zunehmend auch politisch miteinander. Weitere Schlüsselländer dabei sind die Ukraine, die Türkei und die Staaten des südlichen Kaukasus – sie dienen als politische Brücke und Transitländer für den Energieimport in die EU. Deshalb müssen diese Länder politisch und wirtschaftlich stärker an die Union herangeführt werden.

All dies entbindet Europas Energiepolitik nicht von der Aufgabe, gleichzeitig Alternativen zur wachsenden Abhängigkeit von Energieimporten zu entwickeln. Dazu gehört, die Energieeffizienz der europäischen Wirtschaft weiter zu verbessern und die Führungsrolle des alten Kontinents bei den erneuerbaren Energien weiter auszubauen.

„Peak Oil“?

Auch wenn die Öl- und Gasressourcen auf unserem Planeten per Definition endlich sind, so reichen die geologischen Reserven noch weit bis in die kommenden Jahrzehnte. Doch selbst wenn der „Peak Oil“ ausbleibt, sollten wir uns beim Verbrauch der verbleibenden fossilen Ressourcen eigene Schranken auferlegen. Das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), das die Vereinten Nationen zu Klimafragen berät, hat die Rahmenbedingungen dafür definiert, wie viele fossile Energieträger wir noch verbrennen dürfen, damit das Klimasystem unseres Planeten nicht außer Kontrolle gerät. Auch wenn durch neuartige Kohlenstoffabscheidungs- und Speicherungsmethoden (Carbon Capture and Storage, CCS) der steigende CO2-Ausstoß etwas gebremst werden kann, ist es völlig illusorisch zu glauben, dass diese noch nicht in der Praxis erprobte und ungemein teure Technologie das Problem gänzlich aus der Welt schaffen kann.

Bei der Suche nach den letzten Öl- und Gasvorkommen des Planeten gerät nicht zuletzt der Umweltschutz unter Druck. In der Arktis, auf den Weltmeeren, in tropischen und nordischen Wäldern wird bisher unberührte Natur durch den Rohstoffabbau bedroht. Für den Transport von Öl und Gas werden neue Schneisen durch Gebirge, Eis und Wälder geschlagen. Giftige Abfälle und Unfälle bedrohen einheimische Tier- und Pflanzenarten und entziehen der einheimischen Land- und Jagdwirtschaft damit die Grundlage. Die Menschen vor Ort werden in der Regel nicht gefragt, wenn das Energieministerium aus der Hauptstadt oder der multinationale Ölkonzern aus dem Ausland in ihrer Heimat baut und investiert. Wo das Öl regiert, kommt meist die lokale Mitbestimmung zu kurz. Die Verletzung von Menschenrechten und die (Zer-)Störung traditioneller Lebensweisen der einheimischen Bevölkerung führen zu sozialen Konflikten und politischer Instabilität. Doch bei ihrem Versuch, der Kolonisierung der letzten Naturparadiese durch die internationalen Energiekonzerne Einhalt zu gebieten, werden die Interessenvertretungen indigener Völker und internationale Umweltverbände von den Regierungen oft allein gelassen.

Wenn das Zeitalter der fossilen Energien wirklich zu Ende geht, stellt sich – vielleicht schneller als gedacht – die Frage, was danach kommt. Nicht jeder Tropfen Öl, nicht jeder Kubikmeter Gas und nicht alle Kohle werden noch gefördert werden. Natürliche Herausforderungen und politische Krisen machen die Erschließung der verbleibenden fossilen Ressourcen schwieriger und teurer. Gerade die Ärmsten der Welt sind deshalb die Hauptbetroffenen, sie werden ihre Öl- und Gasrechnung in Zukunft schlicht nicht mehr bezahlen können. Deswegen sucht die Energiewirtschaft mit Hochdruck nach Alternativen. Dabei stehen sich zwei Strategien diametral gegenüber: der verstärkte Ausbau der Atomenergie, ergänzt durch futuristische Fusionsreaktoren, sowie eine anspruchsvolle Klimaschutzpolitik, die auf Energieeinsparung und erneuerbare Energien setzt. Im Zeitalter des internationalen Terrorismus steigt jedoch auch die Sorge vor der nuklearen Proliferation. Nicht nur aus umwelt-, sondern auch aus sicherheitspolitischer Sicht gehört den erneuerbaren Energien deshalb die Zukunft.

Doch die Wende „Weg vom Öl“ erfordert nicht nur betriebswirtschaftliche Entscheidungen der einzelnen Energieunternehmen sowie eine volkswirtschaftliche jedes Staates über seinen Energiemix; letztendlich kann sie nur durch internationale Kooperation geleistet werden. Die Zukunft gehört deswegen der internationalen Energiediplomatie. Die Menschheit steht vor der Alternative, ob die Entscheidung über ihre gemeinsame Energiezukunft friedlich fällt oder ob in naher Zukunft Ressourcenkriege drohen. Das Gefüge völkerrechtlicher Verträge und Institutionen, die den Bereich der internationalen Energiepolitik regeln, ist jedoch noch lückenhaft. Eine neue Weltumweltorganisation und eine Agentur zur Förderung erneuerbarer Energien sollten daher an die Stelle etablierter Einrichtungen wie die Internationale Energieagentur treten.

ENNO HARKS, geb. 1969, arbeitet seit 2007 als Political Advisor bei der Deutschen BP. Zuvor war er Mitarbeiter der SWP im Bereich internationale Energiepolitik, davor Energy Analyst bei der IEA. Der Autor gibt hier seine persönliche Meinung wieder.

SASCHA MUELLER-KRAENNER, geb. 1963, vertritt die internationale Umweltorganisation „The Nature Conservancy“ in Europa. Er lehrt zudem internationale Klima- und Energiepolitik an der Hertie School of Governance. Sein jüngstes Buch: „Energiesicherheit – Die neue Vermessung der Welt“ (2007).

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 4, April 2008, S. 16 - 20

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