Die Vielfalt bewahren
Wider den Verlust an biologischer Vielfalt
Der Verlust an biologischer Vielfalt hat bereits heute Ausmaße angenommen, die im Bereich des Klimawandels erst in einigen Jahrzehnten zu erwarten sind. Trotzdem beherrscht der Klimawandel die politische Debatte, während Biodiversität noch immer ein Randthema ist. Eine politische, auch institutionelle Aufwertung ist dringend notwendig.
Die Symbolik war selbstverständlich beabsichtigt: Im Schatten eines Dinosaurierskeletts im Berliner Museum für Naturkunde eröffnete Bundeskanzlerin Angela Merkel im Januar dieses Jahres offiziell das von den UN ausgerufene internationale Jahr der biologischen Vielfalt. 95 Prozent aller Pflanzen und Tiere, die jemals auf der Erde gelebt haben, seien schon wieder ausgestorben, sagte Merkel. Und: Der Verlust von Artenvielfalt und der Klimawandel hingen eng zusammen.
Tatsächlich wurde die Biodiversität mit der 1992 auf der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio verabschiedeten „Convention on Biological Diversity/CBD“ zum zentralen Begriff der internationalen Umweltpolitik. Seit dieser Konferenz aber führt die CBD ein Schattendasein, während die ebenfalls in Rio beschlossene Klimarahmenkonvention viel bekannter ist und den Sprung auf die Titelseiten der Zeitungen geschafft hat. Die biologische Vielfalt verharrt indes oft unter „Vermischtes“, wenn wieder einmal eine als exotisch empfundene Art wahlweise neu entdeckt wird oder schon ausgestorben ist.
Dabei hat der Verlust an biologischer Vielfalt inzwischen bereits Ausmaße angenommen, die im Bereich des Klimawandels erst in einigen Jahrzehnten zu erwarten sind. Vor allem in den Entwicklungsländern beeinträchtigt er die wirtschaftlichen Entwicklungsgrundlagen und das Überleben weiter Teile der von der Nutzung natürlicher Ressourcen abhängigen Bevölkerung bereits heute massiv. Nicht nur lokal, sondern auch auf globaler Ebene stößt die Belastbarkeit der Ökosysteme, beispielsweise im Bereich der Fischerei, an ihre Grenzen.
Eine politische Aufwertung des Themas „Schutz der biologischen Vielfalt“ ist deswegen dringend notwendig. Deutschland, das bis Oktober 2010 die Präsidentschaft des Abkommens für biologische Vielfalt innehat, will die seit Jahren andauernden Verhandlungen über ein Zusatzabkommen zum gerechten Vorteilsausgleich (Access and Benefit Sharing) zum Abschluss bringen. Dabei soll der bis dato freie Zugang zu genetischen Ressourcen rechtlich geregelt und der so genannten „Biopiraterie“ ein Riegel vorgeschoben werden.
Mit dem Bericht „The Economics of Ecosystems and Biodiversity“ (TEEB), der beim diesjährigen G-8-Gipfel vorgestellt wird, soll – ähnlich dem Stern-Report im Falle des Klimaschutzes – der Nachweis erbracht werden, dass Investitionen in den Schutz der biologischen Vielfalt volkswirtschaftlich vernünftig sind. Auch der G-8-Gipfel 2009 im italienischen L’Aquila befasste sich erstmals mit dem Biodiversitätsschutz und seinen Querverbindungen zum Klimaschutz.
Gleichzeitig steigt der Handlungsdruck in angrenzenden Politikbereichen. Ohne den Schutz der tropischen Wälder und anderer kohlenstoffspeichernder Ökosysteme sind die Klimaschutzziele nicht zu erreichen. Auch für die notwendige Anpassung an den Klimawandel sind stabile, belastbare Ökosysteme eine Grundvoraussetzung. Die Welternährungsorganisation (FAO) hat erkannt, dass die Sicherung der Welternährung ohne funktionsfähige Ökosysteme nicht gelingen kann. Nicht zuletzt deshalb wurde der Schutz der biologischen Vielfalt explizit in die Millenniumsentwicklungsziele aufgenommen. Ähnlich wie der Klimawandel kann der Verlust an biologischer Vielfalt bereits bestehende Sicherheitsrisiken verschärfen und im Extremfall sogar selbst Auslöser von Landnutzungs- und Ressourcenkonflikten werden.
Überschrittene Systemgrenzen
Im September 2009, drei Monate vor dem UN-Klimagipfel von Kopenhagen, erschien in der Zeitschrift Nature ein von 29 Wissenschaftlern erarbeiteter Beitrag mit dem Titel „A Safe Operating Space for Humanity“. Die Autoren beschreiben insgesamt neun mit-ein-ander verknüpfte biophysikalische Schwellenwerte des planetaren Systems, die die Menschheit nicht überschreiten darf, wenn sie ihr Überleben nicht gefährden will. Die dramatische Erkenntnis der Autoren lautet, dass drei der hier identifizierten Systemgrenzen bereits überschritten worden sind. Dazu gehören das Klimasystem, der weltweite Stickstoffkreislauf und – am dramatischsten – die Stabilität der biologischen Vielfalt.
Das Aussterben von Arten ist ein natürlicher Prozess. Seit Beginn des Anthropozän, dem vom Menschen geprägten Erdzeitalter, hat sich die natürliche Aussterberate – gemessen an fossilen Daten – allerdings um das Hundert- bis Tausendfache erhöht. Hauptgründe des Aussterbens sind der Wegfall und die menschliche Überformung natürlicher Lebensräume sowie der Klimawandel. Die Verringerung biologischer Vielfalt hat lokale und regionale Auswirkungen, kann aber auch die globalen Funktionen des Erdsystems beeinträchtigen. Beispielsweise kann der Verlust an Biodiversität die Stabilität und Widerstandsfähigkeit mariner und terrestrischer Ökosysteme negativ beeinflussen und damit ihre Widerstandsfähigkeit gegen den Klimawandel und extreme Wetterereignisse schwächen. Die Lebensmittelsicherheit und die Versorgung der Menschheit mit anderen organischen Grundstoffen, z.B. Holz oder Fasern für die Produktion von Textilien, hängt ganz unmittelbar mit der Stabilität natürlicher Systeme zusammen.
In den vergangenen Jahren hat sich der Begriff der „Ökosystemdienstleistungen“ durchgesetzt, um die vielfältigen Leistungen zu beschreiben, die natürliche Systeme bereitstellen. Im Jahr 2001 gab der damalige UN-Generalsekretär Kofi Annan eine Studie in Auftrag, die den Zustand von 24 Schlüsseldienstleistungen untersuchen sollte, die die natürlichen Ökosysteme für die Menschheit erbringen. Dieses so genannte „Millennium Ecosystem Assessment“ erschien erstmals im Jahr 2005. Folgende Ergebnisse werden hervorgehoben:
- In den vergangenen 50 Jahren waren die Ökosysteme weltweit größeren Belastungen ausgesetzt als jemals zuvor in der Menschheitsgeschichte. Diese Belastungen nehmen mit dem wachsenden Zugriff der Menschen auf die natürlichen Ressourcen exponentiell zu.
- Zahlreiche – allerdings nicht alle – Dienstleistungen, die natürliche Ökosysteme für Menschen erbringen, nehmen deswegen rapide ab. Dazu gehört unter anderem die Fischerei als wichtigste Proteinquelle für über ein Drittel der Menschheit.
- Durch die Abnahme der Quantität und Qualität von Ökosystemdienstleistungen werden auch weitere, in den Millenniumsentwicklungszielen aufgeführte Ziele gefährdet. So werden durch die Verringerung der Wasserspeicherungsfähigkeit natürlicher Ökosysteme die Ernährungssicherheit und die Bekämpfung des Hungers erschwert.
- Prinzipiell stehen Wissen und Technologien zur Verfügung, um die wichtigsten Ökosystemdienstleistungen der planetaren Systeme zu sichern. Was fehlt, sind vielfach die finanziellen Ressourcen und institutionellen Voraussetzungen, vor allem in Entwicklungsländern.
Biologische Vielfalt und Entwicklung
Unter Ziel 7 „Umweltschutz und nachhaltige Nutzung der natürlichen Ressourcen“ der Millenniumsentwicklungsziele (Millennium Development Goals/MDG) wurde auf der UN-Konferenz für Nachhaltige Entwicklung 2007 in Johannesburg nachträglich der Schutz der Biodiversität eingefügt. Der Verlust an biologischer Vielfalt sollte „mit einer signifikanten Reduktion der Verlustrate bis 2010“ eingedämmt werden. Als Indikatoren wurden der Anteil der geschützten Land- und Meeresgebiete sowie der Verlust an bedrohten Arten festgelegt. Im September dieses Jahres treffen sich die Vereinten Nationen zu einer Sondergeneralversammlung, um die Umsetzung der Entwicklungsziele zu überprüfen. In derselben Woche findet eine weitere Sondergeneralversammlung anlässlich des Internationalen Jahres der Biodiversität statt.
Das in den Millennium Development Goals festgelegte Ziel für den Schutz der biologischen Vielfalt geht zwar nicht über vorherige Vereinbarungen im Rahmen der CBD hinaus. Der politische Wert dieser Erklärung liegt jedoch darin, dass der Schutz der Biodiversität, wie der Wälder und des Klimas, nun gleichberechtigt neben andere entwicklungspolitische Ziele gestellt wird. Damit wollen die UN sicherstellen, dass einzelne MDG-Ziele nicht zu Lasten anderer verfolgt werden. Auch in die Abschluss-erklärung des FAO-Gipfels für Ernährungssicherheit vom November 2009 fanden der Schutz und die nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt Eingang: „Wir werden nachhaltige Praktiken einführen, einschließlich verantwortlicher Fischerei, verbesserter Ressourcennutzung, Schutz der Umwelt, Erhalt einer nachhaltigen Ressourcengrundlage und verbesserten Nutzung von Ökosystemdienstleistungen.“
Lange Zeit empfanden internationale Organisationen wie die FAO die Ziele der Ernährungssicherung und des Biodiversitätsschutzes als politischen Widerspruch. Ernährungssicherheit wurde durch Intensivierung von Fischerei und Landwirtschaft sowie Ausweitung der genutzten Flächen auf Kosten natürlicher Lebensräume angestrebt. Auslöser des Umdenkens der FAO wurde der weltweite Boom der Biotreibstoffe und der dadurch ausgelöste zusätzliche Druck sowohl auf bisher extensiv landwirtschaftlich genutzte Flächen als auch auf deren Artenvielfalt. Die Ziele Klimaschutz, Ernährungssicherheit und Naturschutz lassen sich schließlich nur dann in Einklang bringen, wenn die sich daraus ergebenden Nutzungsansprüche auf begrenzt zur Verfügung stehenden Flächen in ein Gleichgewicht gebracht werden, das die Bereitstellung aller Ökosystemdienstleistungen maximiert.
Biologische Vielfalt und Klimaschutz
Im Schatten der Klimadebatte könnte der Schutz der biologischen Vielfalt seine politische Renaissance erleben. Ohne den Schutz der tropischen Wälder sowie anderer wichtiger kohlenstoffspeichernder Ökosysteme (z.B. Torfmoore, Mangrovenwälder und Korallenriffe) dürfte es nahezu unmöglich sein, den Anstieg der weltweiten Treibhausgaskonzentrationen rechtzeitig zu stoppen. Nach verschiedenen Schätzungen stammen heute zwischen 15 und 20 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen aus dem Verlust tropischer Wälder und anderer Formen der Landumwandlung – womit er in der Statistik der Treibhausgasemissionen noch vor den Emissionen des Verkehrssektors weltweit rangiert. In wichtigen Schwellenländern wie Indonesien und Brasilien stammen über die Hälfte der Emissionen aus dem Verlust der Wälder. Gleichzeitig könnte der Tropenwaldschutz eine der kostengünstigsten Möglichkeiten sein, die heutigen Emissionen unter den Ist-Stand zu senken.
Selbst wenn es nach Kopenhagen zügig gelingen sollte, doch noch ein internationales Klimaschutzabkommen mit anspruchsvollen Reduktionszielen zu verabschieden, lassen sich die ersten Auswirkungen des Klimawandels nicht mehr aufhalten. Bei einer Erhöhung der durchschnittlichen Temperaturen weltweit um zwei Grad Celsius oder mehr und den damit einhergehenden Änderungen der Wetter- und Niederschlagsverhältnisse sind vor allem für ärmere, von ihrer Landwirtschaft und natürlichen Ressourcenbasis besonders abhängige Entwicklungsländer massive Auswirkungen zu befürchten. Gerade diese Länder können sich jedoch kostspielige Infrastrukturmaßnahmen, beispielsweise die Eindämmung ihrer Küstenlandschaften, nicht leisten. Ökosystembasierte Anpassungsstrategien („Ecosystem Based Adaptation“) – ein Begriff, der sich inzwischen in den UN-Klimaverhandlungen durchgesetzt hat – und das Management natürlicher Ressourcen unter den Bedingungen eines sich verändernden Klimas werden deshalb wichtiger. Beispiele dafür sind der integrierte Küstenschutz, zu dem in tropischen Zonen der Schutz von Mangrovenwäldern und Korallenriffen gehört, aber auch der Schutz von Bergwäldern und Wassereinzugsgebieten.
Allerdings tauchen auch Zielkonflikte zwischen dem Klimaschutz und dem Erhalt der biologischen Vielfalt auf. Dabei spielt der Bereich der nachhaltigen Landnutzung eine besonders wichtige Rolle. So gerät der Anbau von Energiepflanzen (Mais, Ölpalmen und Zuckerrohr) für die Biospritproduktion nicht nur in Konflikt mit der Nahrungsmittelproduktion, sondern übt auch zusätzlichen Druck auf bisher gar nicht oder extensiv bewirtschaftete Flächen aus bis hin zur Abholzung von Primärwäldern in Südostasien für die Anlage von Ölpalmplantagen. Politische Antworten darauf sind Grundsätze der nachhaltigen Entwicklung, ein nachhaltiges Flächenmanagement, das die landwirtschaftliche Nutzung auf schon bestehende oder degradierte Nutzflächen lenkt, sowie die Zertifizierung von Energiepflanzen und Biotreibstoffen für den internationalen Markt.
Nachhaltige Finanzierung
Das auf dem Weltklimagipfel von Kopenhagen beschlossene politische Paket enthält mittel- und langfristige Zusagen für die Finanzierung klimapolitischer Aktivitäten in den Entwicklungsländern. Zugesagt wurden ein Finanzierungspaket von bis zu 30 Milliarden Dollar für den Zeitraum 2010 bis 2012 sowie die Schaffung eines Fonds, mit dem ab dem Jahr 2020 jährlich 100 Milliarden Dollar aus privaten und öffentlichen Mitteln sowie aus dem Kohlenstoffmarkt mobilisiert werden sollen.
Für die Finanzierung des Schutzes der biologischen Vielfalt folgen daraus eine gute und eine schlechte Nachricht. Einerseits besteht die Gefahr, dass knappe Mittel für andere internationale Aufgaben, darunter der Schutz der Biodiversität, zugunsten des Klimaschutzes umgeschichtet werden. Andererseits gehen Klima- und Biodiversitätsschutz, beispielsweise beim Erhalt der tropischen Regenwälder und anderer kohlenstoffspeichernder Ökosysteme wie den Torfmooren, Mangroven oder humusreichen Steppenökosystemen, Hand in Hand. Die besondere Herausforderung der Klimaanpassung lässt sich in vielen Regionen, vor allem in ärmeren Ländern, am besten durch den Schutz funktionierender Ökosysteme, z.B. wasserspeichernder Bergwälder und einem integrierten Küstenschutz, bewältigen. Die Bundesregierung fördert deswegen schon heute im Rahmen ihrer internationalen Klimaschutzinitiative ökosystembasierte Anpassungsstrategien. Die im Millennium Ecosystem Assessment von UNEP beschriebenen Ökosystemdienstleistungen, beispielweise die Regeneration von Wasserreserven in ihren Einzugsgebieten, geraten durch den Klimawandel unter zusätzlichen Druck. Investitionen in diese natürliche Infrastruktur und durch sie erbrachte Dienstleistungen sind deswegen oftmals kostengünstiger als gebaute Maßnahmen zur Klimaanpassung wie Dämme oder die Verlegung kritischer Infrastruktureinrichtungen weg von bedrohten Küstenlinien.
Investitionen in den Klimaschutz sowie in andere Herausforderungen der nachhaltigen Entwicklung – allen voran der Schutz der biologischen Vielfalt – sind also nicht voneinander zu trennen. Aus dieser nicht neuen Einsicht heraus wurde 1992 anlässlich der Rio-Konferenz für Umwelt und Entwicklung auf deutsch-französische Initiative die administrativ bei der Weltbank aufgehängte Globale Umweltfazilität (Global Environment Facility/GEF) eingerichtet. Die GEF ist bis heute die bedeutendste Finanzierungsquelle für die Umsetzung der so genannten Rio-Konventionen zu Klima und Biodiversität sowie von weiteren Abkommen zur Desertifikation und zum Chemikalienschutz. Die GEF muss in der um die klimapolitische Herausforderung herum entstehenden Finanzarchitektur deswegen eine zentrale Rolle spielen. Auch weitere Institutionen der internationalen Entwicklungsfinanzierung, sowohl im UN- als auch im Weltbanksystem, müssen sicherstellen, dass ihr Blick nicht zu eng auf die Klimapolitik gerichtet ist, sondern einen integrierten Ansatz nachhaltiger und umweltgerechter Entwicklung zum Maßstab nimmt.
Auf UN-Konferenzen aller Art ist es fast schon zum Ritual geworden, nach „neuen und innovativen“ Finanzquellen zu fragen. So wurde vorgeschlagen, das Aufkommen einer neu zu schaffenden Finanztransaktionssteuer („Tobin Tax“) zum Schutz der globalen Gemeinschaftsgüter, darunter der biologischen Vielfalt, zu verwenden. Möglich wäre es außerdem, die weitgehend ungeregelten Emissionen des internationalen Schiffs- und Flugverkehrs mit einer Abgabe zu belegen. Dies geschieht bereits für die Passagiere von Kreuzfahrtschiffen in der Karibik. Im Grunde funktioniert die Kurtaxe jedes Ostsee-Badeorts nach demselben Prinzip. Politisch sind für eine Tobin Tax und eine Flugverkehrsabgabe noch einige Hürden zu überwinden. Dass die Nichtbeteiligung nur eines wichtigen Wirtschaftsakteurs zu erheblichen Wettbewerbsverzerrungen führen würde, erschwert die Verwirklichung dieser Ideen. Deswegen ist kurzfristig der in Europa und einigen US-Bundesstaaten schon realisierte Emissionshandel eine der vielversprechendsten Möglichkeiten, über den Steuersäckel hinaus Mittel für den Schutz der globalen Gemeinschaftsgüter zu mobilisieren.
Genau auf dieser Idee basiert die Klimaschutzinitiative der deutschen Bundesregierung, die sich aus den Auktionierungserlösen des EU-Emissionshandelssystems speist. Seit dem Jahr 2008 werden, neben der Wahrnehmung nationaler Aufgaben, im Schnitt jährlich 120 Millionen Euro für internationale Klimaschutzprojekte ausgegeben. Jeweils ein Drittel der Mittel fließt dabei in Maßnahmen der Klimaanpassung – darunter zahlreiche Projekte, die auch zum Schutz der biologischen Vielfalt beitragen – sowie in den Wälderschutz. Mit insgesamt 40 Millionen Euro wird jährlich die Life-Web-Initiative unterstützt, mit der die von Entwicklungsländern im Rahmen der CBD abgegebenen Verpflichtungen zur Schaffung von Naturschutzgebieten unterstützt werden sollen.
Ab dem Jahr 2010 soll deutschland- und europaweit die Auktionierung der bis dato weitgehend frei vergebenen Emissionsrechte erheblich ausgeweitet werden. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat in ihrer Rede auf der 9. Vertragsstaatenkonferenz der CBD im Mai 2008 in Bonn bereits zugesagt, dass Deutschland ab 2013 jährlich 500 Millionen Euro aus dem Aufkommen des Emissionshandels in den Schutz von Biodiversität und Wäldern investieren wird. Auch wenn anzunehmen ist, dass diese Investitionen zum Teil mit Zusagen verrechnet werden, die im Rahmen der Klimaverhandlungen zum Wälderschutz gemacht worden sind, zeigt sich das Potenzial, das der Emissionshandel für die nachhaltige Finanzierung des Schutzes biologischer Vielfalt haben kann. In anderen EU-Staaten steht die Diskussion, wie die Mittel aus dem Emissionshandel verwendet werden sollen, noch am Anfang. Immerhin sah der – inzwischen allerdings auf Eis gelegte – Entwurf der Demokraten im US-Repräsentantenhaus für ein amerikanisches Emissionshandelssystem ebenfalls die Bereitstellung zusätzlicher Mittel für den Schutz kohlenstoffspeichernder und vom Klimawandel bedrohter Ökosysteme vor.
Neue Governance-Strukturen
Um den Schutz der biologischen Vielfalt voranzubringen, müssen die institutionellen Voraussetzungen im internationalen System verbessert werden. Auch hier ist der Vergleich mit dem Klimaschutz lehr- und hilfreich. So hat das in Bonn angesiedelte UN-Klimasekretariat nicht nur deutlich mehr Mitarbeiter (ca. 400) als das in Montreal heimische Sekretariat der Konvention für biologische Vielfalt (ca. 100). Auch der Status der beiden Einrichtungen im UN-System wurde unterschiedlich gewählt, obwohl beide Abkommen zum gleichen Zeitpunkt geschlossen wurden. So ist das Klimasekretariat direkt beim UN-Generalsekretär angesiedelt, der auch seinen Leiter benennt. Die Konvention für biologische Vielfalt dagegen ist eine nachgeordnete Behörde des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP).
Die Klimakonvention wird außerdem durch eine Reihe politischer und wissenschaftlicher Einrichtungen unterstützt. Darunter muss der Wissenschaftsbeirat „Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC)“ hervorgehoben werden, der durch seine regelmäßigen Berichte der Klimadebatte immer wieder wichtige politische Impulse gegeben hat. Deswegen wird momentan diskutiert, ob ein ähnlicher Beirat nicht auch eingerichtet werden sollte, der regelmäßig neueste wissenschaftliche Erkenntnisse politikrelevant aufarbeitet. Das wesentlich von der französischen Regierung vorangetriebene Projekt einer „Intergovernmental Platform on Biodiversity and Ecosystem Services“ (IPBES) steht momentan zur Entscheidung.
Eine einmalige Chance, die Governance-Strukturen im Bereich der internationalen Umweltpolitik neu zu ordnen und damit auch das Thema Biodiversität prominenter zu platzieren und mit wirkungsvolleren Strukturen auszustatten, ergibt sich im Jahr 2012, wenn auf Einladung der brasilianischen Regierung der Rio+20-Gipfel der Vereinten Nationen stattfinden wird. Dann soll auch das lange verschobene Projekt Deutschlands und Frankreichs, die Vielzahl der kleinen Sekretariate und Einrichtungen, die im Umweltbereich des UN-Systems existieren, unter dem Dach eines effizienter ausgestalteten Umweltprogramms UNEP zu koordinieren, Wirklichkeit werden.
SASCHA MÜLLER- KRAENNER ist Geschäftsführer des Umweltverbands „The Nature Conservancy“ in Europa.
Internationale Politik 3, Mai/Juni 2010, S. 68 - 75