Buchkritik

01. Nov. 2010

Energie für die beiden Amerikas

Ein neuer Sammelband zur energiepolitischen Integration des Kontinents

In Nord- und Südamerika hat Energie im vergangenen Jahrzehnt eine überragende Rolle gespielt. Insbesondere Lateinamerika erlebt einen historisch einmaligen Wirtschaftsboom, der einen enormen Anstieg der Energienachfrage zur Folge hat. Die Chance für eine verstärkte Kooperation und damit Integration in den beiden Amerikas?

Ist Energie in den Amerikas ein Motor der regionalen Integration? Wird aus Energiekooperation und Märkteanbindung eine politische, regulatorische, institutionelle Integration des Kontinents? Das ist die Frage, mit der sich Günther Maihold und Jörg Husar, die Herausgeber des vorliegenden Bandes, auseinandersetzen. Eine Frage, die weniger auf Energiewirtschaft denn auf internationale Beziehungen abzielt. Nun, um die Antwort von gut 300 Seiten sehr kenntnis- wie inhaltsreicher Analyse vorwegzunehmen: Nein, leider fällt das Urteil überwiegend negativ aus. Der Kontinent ist zerpflügt mit politischen Initiativen, die genau diese regionale Einbindung und Kooperation zum Ziel haben, doch sind sie nur selten über den Status des politischen Voluntarismus hinausgekommen. Im Wesentlichen sind die Beziehungen bilateral geblieben, überwiegend sogar nur bezogen auf die direkte Nachbarschaft.

Die Herausgeber und ihr knappes Dutzend Autoren untersuchen beispielhaft die energiewirtschaftliche Situation, ihre regionale Eingebundenheit und ihr politisches Momentum der Diskussion über eine Regionalisierung von zehn Ländern (USA, Kanada, Mexiko, Venezuela, Kolumbien, Ecuador, Peru, Brasilien, Bolivien, Argentinien), aus deren realpolitischer Beispielfülle einige Gründe für das Scheitern eines integrationistischen Moments von Energie zutage treten.

Da wäre zunächst einmal eine unübersehbare ordnungspolitische Divergenz: Zwischen der klaren staatswirtschaftlichen Ausrichtung von Bolivien, Venezuela, Ecuador und den marktwirtschaftlichen von Kolumbien, Brasilien, Nordamerika sind die Vorstellungen über energiewirtschaftliche Ziellagen häufig so unvereinbar, dass eine Integration über punktuelle Kooperationen hinaus sehr schwierig ist.

Hinzu kommt eine ordnungspolitische Inkongruenz. Argentinien etwa, ein großer Gasproduzent und -verbraucher, importiert Erdgas aus Bolivien und exportiert Gas nach Chile und Brasilien. Durch die Deckelung der Verbraucherpreise unterhalb der Marktpreise ist die Nachfrage explodiert, die Investitionen in Produktionskapazität sind hingegen geschrumpft. Konsequenz: Produktion und Importe reichen nicht mehr aus für Eigenverbrauch und Exporte; es kommt zu Versorgungsengpässen, insbesondere aber auch zu regelmäßigen Lieferstopps an Chile und Brasilien, da die heimische Nachfrage prioritär bedient wird – unabhängig von Verträgen.

Zudem ist kontinentweit wenig Neigung zu erkennen, nationalstaatliche Hoheit abzugeben, um sich einmal getroffener gemeinsamer Regeln zu unterwerfen. Wenig besser wird die Situation durch die Existenz politischer Zerwürfnisse zeitlich und inhaltlich unabhängig vom Thema Energie: über Grenzverläufe und Guerilla-Aktivitäten wie zwischen Kolumbien und Venezuela. Oder auch Zerwürfnisse über Geschichtsinterpretationen wie zwischen Bolivien und Chile, die in Kombination mit der ordnungspolitischen Inkongruenz Argentiniens dazu führen, dass Chile Erdgas aus Indonesien importieren muss, da der „eine Nachbar nicht liefern will (Bolivien), der andere nicht kann (Argentinien)“. Weitere Gründe sind ein konstatierbares Desinteresse der USA an einer regionalen Einbindung revolutionärer Hinterlassenschaften wie in der Verfassung Mexikos oder die überstarke Betonung der Idee der Energieunabhängigkeit auch in einem Land wie Brasilien, das verbal die regionale Energieintegration pflegt. 

Die Aufarbeitung der Fallbeispiele ist anschaulich und übersichtlich. An einigen Stellen hätte man sich gewünscht, mehr zu Kanada zu erfahren, einem der drei größten Öl- und Gasexporteure der Welt, doch ist das der Tatsache geschuldet, dass der Fokus des Bandes auf den spanischsprechenden Teilen der Amerikas liegt.

Auch wenn die Gründe für eine Behinderung von weiterer Integration vielfältig und durchaus schwerwiegend sind, so gibt es doch auch zarte Pflänzchen der Hoffnung, die der Band zitiert. Denn faktisch findet eine Integration der Energiemärkte bereits statt, große Infrastrukturprojekte wie Gaspipelines und Stromnetze sind in Betrieb. Zwar sind diese nur ein Bruchteil dessen, was angekündigt und gewollt wurde, und sie stehen auch unter dem ständigen Damoklesschwert der institutionellen Schwäche, aber faktisch wurde ein guter Teil der Infrastruktur in den letzten anderthalb Jahrzehnten fertiggestellt. Zum Teil gehen auch die immer potenteren heimischen Energiekonzerne Partnerschaften und Kooperationen ein – im Up- wie im Downstream-Bereich.

Ob die Aktivität nichtregionaler, russischer oder chinesischer, Staatskonzerne sich als integrationsfördernd herausstellen wird, ist noch nicht klar. Doch dass Petrobras in diesem Sommer die weltgrößte Kapitalerhöhung aller Zeiten erzielen konnte, ist ein Zeichen der Stärke, vielleicht auch für den Weg eines teilstaatlichen Erfolgsunternehmens.

ENNO HARKS ist Political Advisor bei der Deutschen BP. Zuvor war er u.a. Mitarbeiter der SWP und Energy Analyst bei der Internationalen Energieagentur.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 6, November/Dezember 2010, S. 138-139

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