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01. Jan. 2008

Rein ins Verderben

Buchkritik

Fast fünf Jahre stehen amerikanische Soldaten nun im Irak. Auch wenn sich die Sicherheitslage verbessert hat, wird das Demokratisierungsprojekt von Präsident Bush kein wirklich gutes Ende mehr nehmen. Umso erklärungsbedürftiger erscheint deshalb die Frage, wie die Bush--Regierung ein so waghalsiges Unterfangen eingehen konnte.

Derjenige, der die Gründe für den Irak-Krieg am besten kennen müsste, ist der damalige CIA-Direktor George Tenet. Er habe, schreibt etwa Bob Woodward (in: „Die Macht der Verdrängung“, siehe die Rezension auf Seite 137 in dieser Ausgabe), dem Präsidenten im Dezember 2002 versichert, es sei eine todsichere Sache, ein „Slam Dunk“, dass Saddam Hussein Massenvernichtungswaffen besitze. Überhaupt erscheint Tenet bei Woodward als überloyaler Geheimdienstchef, der Bush und die Kriegsbefürworter nie wirklich die Lückenhaftigkeit und dubiose Herkunft seiner Informationen offenbarte. Vielmehr soll er in vorauseilendem Gehorsam und unter Missachtung der Analysen seiner Untergebenen genau die Angaben geliefert haben, die die politische Führung, allen voran Vizepräsident Cheney, haben wollte. In seinen Memoiren versucht Tenet nun, dieses wenig schmeichelhafte Bild zurechtzurücken. Es gelingt ihm jedoch nur ansatzweise. Sein Argument, dass Cheney und seine Mitarbeiter Libby und Feith sowie der stellvertretende Verteidigungsminister Wolfowitz früh zum Krieg entschlossen waren und die vorsichtigen Einschätzungen der CIA stets nur in eine Richtung interpretiert oder gar ignoriert hätten, trifft wohl zu. Auch zeigt er, wie schlecht Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice ihren Job ausfüllte, weil sie sich primär als Sprachrohr und Protektorin des Präsidenten verstand und darüber vernachlässigte, abweichenden Stimmen Gehör zu verschaffen.

Bei aller Selbstkritik bleibt Tenet in seinen aufschlussreichen Memoiren für sich selbst aber genau diese Antwort schuldig: Warum er als Direktor aller Geheimdienste Bush nicht warnte, wie wenig belegbar der grundsätzlich ja nachvollziehbare Generalverdacht war, Saddam verfüge über Massenvernichtungswaffen.

Auch Tyler Drumheller, der ehemalige Europa-Chef der CIA, will erklären, warum die Geheimdienste vor der Irak-Invasion so versagten. Den Titel „Wie das Weiße Haus die Welt belügt“ hat die deutsche Ausgabe allerdings nicht verdient. Offenbar war der Heinrich Hugendubel-Verlag der Ansicht, die mittlerweile nicht mehr sonderlich spektakulären Einlassungen reißerisch aufpeppen zu müssen, um überhaupt noch Interesse zu wecken. Drumheller argumentiert nämlich, das Weiße Haus habe nach den Anschlägen von 9/11 die Informationen der CIA über die angeblichen Massenvernichtungswaffen Husseins völlig einseitig interpretiert, um einen Krieg gegen den Irak zu legitimieren. Dieser „Insider-Bericht“ wäre im Jahr 2004 noch erstaunlich gewesen, in den USA erschien er aber erst im Oktober 2006, in Deutschland im August 2007. Mittlerweile ist fast alles bekannt, mehr noch, es steht detaillierter und klarer im Untersuchungsbericht der Silberman/Robb-Kommis-sion vom 31. März 2005.

Dennoch ist das Buch nicht ohne Wert: Es zeigt die Frustration eines hochrangigen CIA-Mitarbeiters über die flagrante Politisierung seiner Behörde und das Ignorieren aller Warnungen. Damit spricht er wohl vielen seiner Kollegen aus der Seele, die miterleben mussten, wie das Weiße Haus ihre Arbeit diskreditierte. Das prominenteste Beispiel: Obwohl der vom BND abgeschöpfte Exiliraker mit dem Decknamen „Curveball“ sowohl von der deutschen Seite als auch von Drumheller als unzuverlässig, ja als „Schwindler“ bezeichnet wurde, gingen seine Angaben über die angeblichen mobilen Biowaffenlabors als Beweisstück in die Präsentation Colin Powells vor dem UN-Sicherheitsrat am 5. Februar 2003 ein. Am Ende stellte sich heraus, dass es höchstwahrscheinlich fahrbare Anlagen zur Herstellung von Wasserstoff für Wetterballons waren. Übrigens: Tenet legt in seinen Memoiren dar, dass Drumheller ihn gerade nicht von der mangelnden Glaubwürdigkeit „Curveballs“ unterrichtet habe, also selbst Teil des Problems gewesen sei.

Die vielen Einzelinformationen aus Memoiren und journalistischen Berichten zu generalisierenden Aussagen über den Entscheidungsprozess vor dem Einmarsch in den Irak zu verdichten, ist das Ziel der jungen Mainzer Politikwissenschaftlerin Friederike Kuntz. Ihr zentrales Argument, das schon im Vietnam-Krieg diagnostizierte Phänomen des „Groupthink“ sei wieder zutage getreten, ist überzeugend. Danach kennzeichneten eine ausgeprägte Gruppenkohärenz, die kollektive Abwertung von Warnungen, der Glaube an die moralische Richtigkeit des eigenen Handelns, das Ausüben von Druck auf Abweichler und der Ausschluss von Kritikern die Entscheidungsfindung in Bushs Kriegskabinett. Die Folge: Man bestätigte den Präsidenten und sich selbst in vorgefassten Meinungen und vernachlässigte die Risikoanalyse.

Leider wird die Studie durch schwere Mängel getrübt. Die Darstellung des Groupthink-Ansatzes gerät viel zu ausführlich, die Argumentationsführung ist oft umständlich. Schachtelsätze, Neologismen, mangelndes Sprachgefühl und unzählige Kommafehler machen die Lektüre zu einer Tortur. Obwohl das Buch im August 2007 erschien, wurden nur Quellen bis Januar 2006 ausgewertet. Der Verlag hat seiner Autorin und seiner eigenen Reputation einen Bärendienst damit erwiesen, das Buch ohne die Durchsicht eines Herausgebers oder eines Lektors auf den Markt zu werfen.

Der New York Times-Journalist Stephen Kinzer will anhand des Irak- Kriegs ebenfalls Grundsätzliches über die treibenden Kräfte der amerikanischen Außenpolitik herausfinden. Er stellt ihn als letzten, prominentesten Fall in eine Reihe von 13 Interventionen, die Amerika in seiner Geschichte mit dem Ziel des Regimewandels unternahm. Aber ähnlich wie Kuntz scheitert Kinzer in seinem Unterfangen – wenn auch aus anderen Gründen. So gelingt es ihm, anschauliche, farbig geschriebene Porträts der einzelnen Umstürze zu zeichnen. Allerdings versagt er, wie Journalisten so oft, wenn es um übergreifende Erklärungen für die Washingtoner Politik geht. Immer wieder gibt er der Anekdote, dem flotten Zitat, dem einprägsamen Sprachbild den Vorzug gegenüber nüchterner Analyse. Die These, dass es immer wieder die Interessen des Großkapitals und der Riesenkonzerne oder ideologische Motive seien, die Amerika zu seinen Interventionen verleiten, lässt sich so nicht durchhalten. Und ob erst „der Einfall“ der USA Afghanistan „in heftigen Aufruhr“ versetzt hat, ist zumindest fraglich. Auch hat der Eichborn-Verlag mit dem Titel einen Bock geschossen: Das englische „Overthrow“ wurde zum deutschen „Putsch“, was ja einen von innen, nicht von außen initiierten Regimewechsel meint. Eine überzeugende Geschichte des amerikanischen Irak-Kriegs muss erst noch geschrieben werden.

George Tenet: At the Center of the Storm. My Years at the CIA. London: HarperCollins 2007, 576 Seiten, £ 25,00

Tyler Drumheller: Wie das Weiße Haus die Welt belügt. Kreuzlingen/München: Heinrich Hugendubel 2007, 320 Seiten, € 19,95

Friederike Kuntz: Der Weg zum Irak-Krieg. Group-think und die Entscheidungs-prozesse der Bush-Regierung. Wiesbaden: VS-Verlag 2007, 205 Seiten, € 24,90

Stephen Kinzer: Putsch! Zur Geschichte des amerikanischen Imperialismus. Frankfurt/M.: Eichborn 2007, 564 Seiten, € 32,00

Prof. Dr. STEPHAN BIERLING, geb. 1962, ist Professor für Internationale Politik mit dem Schwerpunkt Transatlantische Beziehungen an der Universität Regensburg. Zuletzt erschien von ihm „Die Huckepack-Strategie. Europa muss die USA einspannen“(edition Körber-Stiftung 2007).

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 1, Januar 2008, S. 134 - 139

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