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31. Aug. 2018

Ohne Geld ist alles nichts

Bei der Bundeswehr klaffen Anspruch und finanzielle Wirklichkeit auseinander

Der Vorwurf, dass Deutschland zu wenig für Sicherheit und Verteidigung ausgibt, steht schon länger im Raum. Tatsächlich reichen die von der Bundesregierung bisher geplanten Etaterhöhungen bei Weitem nicht aus, um die bereits eingegangenen Verpflichtungen zu erfüllen. Berlins Glaubwürdigkeit steht auf dem Spiel.

Die Debatte über die Höhe der deutschen Verteidigungsausgaben schwelt nicht erst seit dem Wahlsieg Donald Trumps. Schon länger werfen Verbündete Berlin vor, nicht genug für die eigene Verteidigung auszugeben – und im Umkehrschluss die europäischen und transatlantischen Partner im Stich zu lassen. Tatsächlich ist die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit augenfällig: auf der einen Seite das rhetorische Bekenntnis zu mehr Verantwortung in einer turbulenteren Welt. Auf der anderen Seite das Unvermögen von Bundesregierung und Parlament, der Bundeswehr für die gestiegenen Anforderungen auch die nötigen finanziellen Ressourcen bereitzustellen.

Ohne weitere Aufstockung des Verteidigungsetats aber drohen eine fortgesetzte Abrüstung der Bundeswehr und damit ein weiterer Vertrauensverlust bei europäischen und transatlantischen Partnern. Die momentan geplante Erhöhung des Budgets allein wird nicht ausreichen, um die vielen bereits eingegangenen Verpflichtungen gegenüber der NATO, der EU und wichtigen sicherheitspolitischen bilateralen Partnern wie Frankreich und Norwegen erfüllen zu können: Der Bedarf an Investitionen und Beschaffungen ist schlicht nicht gedeckt. Mit Blick auf laufende und geplante Beschaffungsvorhaben ist heute bereits absehbar, dass der Verteidigungshaushalt bis 2024 jährlich um mindestens vier Milliarden Euro steigen müsste, damit die Bundeswehr ihre Aufgaben erfüllen kann.

Erhalt von Fähigkeiten

Dabei geht es im Kern gar nicht um „Aufrüstung“. Sondern es geht um die Frage, wieviel bereitgestellt werden sollte, um essenzielle Fähigkeiten zu erhalten, eingegangene Verpflichtungen innerhalb der EU und NATO zu erfüllen und europäische Kooperationsvereinbarungen einhalten zu können. Ohne eine kontinuierliche Steigerung des Budgets wird es keinen Ersatz für die knapp 50 Jahre alten, schweren Transporthubschrauber (ca. vier Milliarden Euro) geben, keine gemeinsame U-Boot-Flotte mit Norwegen (ca. zwei Milliarden Euro) und keine gemeinsame europäische Drohne (ca. 1,1 Milliarden Euro) – und auch keine EU-Projekte im Rahmen der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit (PESCO). Dabei könnte Deutschland gerade hier aktiv die effizientere Ausgabe europäischer Steuergelder mitbestimmen. Unsere Analyse laufender und geplanter Rüstungsprojekte zeigt die eklatante Lücke im Budget: Viele der aufgrund von Verpflichtungen nötigen Projekte sind mit den bisher vorgesehenen Mitteln nicht finanzierbar. Bis 2023 fehlen bereits ca. 30 Milliarden Euro.

Bereits jetzt laufen die momentan geltende mittelfristige Finanzplanung und das Vorhaben der Regierung, bis 2024 Verteidigungsausgaben in Höhe von 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erreichen, deutlich auseinander. Die Diskrepanz klettert schnell von 0,8 Milliarden Euro 2019 auf 16,9 Milliarden Euro 2024. Die nachträglichen Haushaltserhöhungen, die diesen Sommer in die mittelfristige Finanzplanung aufgenommen wurden, sind daher nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Darüber hinaus frisst die Inflation im Verteidigungsbereich die Erhöhungen im Budget auf: Die Preise steigen jährlich um 5 bis 10 Prozent. Das wiederum bedeutet, dass nach heutigem Stand ungefähr eine gute halbe Milliarde Euro jährlich aufgewendet werden müsste, allein um auf dem derzeitigen Stand der Ausrüstung zu bleiben.

Hinzu kommt: Planungssicherheit ist essenziell für die erfolgreiche Durchführung von Großprojekten – Rüstungsvorhaben bilden da keine Ausnahme. Erst wenn der Bund die notwendigen Mittel offiziell verplant hat, können Beschaffungsbehörden Projekte ausschreiben und sich mit Anfragen an die Industrie richten. Diese wären dann aber auch überfordert, wenn die Verteidigungsausgaben sprunghaft anstiegen. Wer also eine bald beginnende, ­gestaffelte ­Erhöhung der Verteidigungsausgaben aufschiebt, gefährdet das vielbeschworene Ziel, Rüstungsprogramme effektiver und effizienter durchzuführen, als es in den vergangenen Jahren der Fall war. Jetzt zu sparen, würde also später Geld kosten – und das Ansehen von Ministerium, Beschaffungsbehörde, Truppe und Verteidigungsindustrie weiter schädigen. Je länger ein Zustand anhält, in dem Lippenbekenntnisse nicht mit Beschlüssen übereinstimmen, desto mehr entsteht der Eindruck eines Nebelschleiers, der von Protagonisten gelegt wird, die hoffen, es würde schon nicht ganz so schlimm werden, wie alle fürchten, oder noch schlimmer: solchen, die schlafwandeln.

Deutschlands Glaubwürdigkeit steht auf dem Spiel

Planungssicherheit ist aber nicht nur im „Binnenverhältnis“ zwischen Verteidigungsministerium und Industrie notwendig, sondern auch auf europäischer und internationaler Bühne. Die Bundesregierung hat zugesagt, militärischer Anlehnungspartner für 20 Staaten in Europa sein zu wollen. Darauf vertrauen Berlins Partner in der EU und NATO nicht nur, sie richten auch bereits ihr Handeln danach aus – und begeben sich damit in Abhängigkeit zu Deutschland. Die Kooperation und Integration mit den niederländischen Streitkräften hat hier Vorbildcharakter; auch Staaten wie Rumänien und Tschechien wollen Beiträge zu einem gemeinsamen Streitkräfteverband leisten. Für diese Partner muss Deutschland verlässlich und „anlehnungsfähig“ sein.

Andernfalls wird das politische Kapital, das Deutschland bereits in die strategischen Partnerschaften mit seinen europäischen Partnern investiert hat, einfach verpuffen: Die Länder würden sich nach anderen umschauen; das Gleiche gilt für Rüstungskooperationsvorhaben. Frankreich beispielsweise stünde bereit, um mit Norwegen ein U-Boot zu bauen, und Großbritannien könnte Deutschland als Partner der Franzosen beim Kampfflugzeugbau ersetzen.

Ohne ein deutliches Bekenntnis zu mehr Ausgaben steht Deutschlands Glaubwürdigkeit als verlässlicher sicherheitspolitischer Partner auf dem Spiel. Dabei geht es nicht um das 2-Prozent-Ziel. Mit den notwendigen Investitionen bliebe Deutschland nach wie vor weit davon entfernt. Aber mit mehr Geld könnte es seine Zusagen gegenüber europäischen Partnern einhalten. Damit würde Berlin auch außenpolitische Handlungsoptionen in anderen Feldern gewinnen.

Die Debatte um den Verteidigungshaushalt lässt sich auch mit dem Volksmund zusammenfassen: „Geld ist nicht alles, aber ohne Geld ist alles nichts.“ Je eher Deutschland akzeptiert, dass eine ambitioniertere Sicherheitspolitik ein anderes Ausgabenverhalten erfordert als Trittbrettfahrerei und Sparkuren der vergangenen Jahrzehnte, desto eher wird es als führender sicherheitspolitischer Partner in Europa akzeptiert werden, und desto planvoller kann das Verteidigungsministerium mit dem Geld umgehen. Ansonsten droht aus der „Ausgabenlücke“ nicht nur eine „Fähigkeitslücke“, sondern auch eine „politische Lücke“ zu werden – eine Fehlstelle, die sich Deutschland in Europa nicht leisten kann.

Dr. Christian Mölling ist stellv. Direktor des Forschungsinstituts der DGAP

Torben Schütz ist Associate Fellow

Alicia von Voß Mitarbeiterin des Programms Sicherheit, Verteidigung und Rüstung der DGAP

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 5, September-Oktober, 2018, S. 19 - 21

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