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01. Febr. 2006

Neomerkantilistische Energie-Diplomatie

China auf der Suche nach neuen Energiequellen

China ist inzwischen der zweitgrößte Energiekonsument nach den USA. Zwar verfügt das Land über riesige eigene Kohle-, Öl- und Gasvorkommen, es ist aber zunehmend auf Importe angewiesen. Um sich Energiequellen exklusiv zu sichern, scheut es nicht vor Konflikten mit Nachbarländern oder Abkommen mit Paria-Staaten zurück. Eine stärkere Einbindung Chinas in die internationale Energiekooperation, vor allem in die Strukturen der Internationalen Energieagentur (IEA), ist vordringlich.

Chinas Aufstieg von der Peripherie ins Zentrum der Weltwirtschaft in nur 25 Jahren ist ohne historisches Beispiel. Großbritannien und die USA brauchten sehr viel länger, um einen Anteil an der globalen Produktion und am Welthandel zu erreichen, der dem des heutigen Chinas entspricht. Chinas Energie- und Ressourcenhunger als größter Konsument von Kohle, Stahl und Kupfer und zweitgrößter Konsument von Erdöl und elektrischer Energie nach den USA hat die Preise auf den Energie- und Rohstoffmärkten weltweit in die Höhe schnellen lassen. Gleichzeitig überfluten preiswerte chinesische Waren guter und weiter steigender Qualität den Globus und gefährden Arbeitsplätze in den Industriestaaten des Nordens sowie in den Entwicklungsländern des Südens. China ist Gegenstand einer wachsenden Zahl von Hearings im US-Kongress und beschäftigt Politiker in europäischen Hauptstädten und in vielen Ländern der Dritten Welt. Die chinesische Herausforderung ist globaler Natur. Als Japan sich Ende der achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts anschickte, die Position der USA als führende Weltwirtschaftsmacht zu gefährden, ließen die Abwehrreaktionen Washingtons und auch Brüssels nicht lange auf sich warten. Die Herausforderung, die der wirtschaftliche, aber auch politische Aufstieg Chinas für die internationale Ordnung bedeutet, ist um ein Vielfaches größer als der Aufstieg Japans, der Anfang der neunziger Jahre jäh zu Ende ging.

Steigender Energiebedarf

Der wachsende Energiebedarf Chinas ist die Kehrseite des nunmehr seit einem Vierteljahrhundert andauernden Wirtschaftsbooms mit einem wachsenden Außenhandel, Einkommenssteigerungen, Urbanisierung und Bevölkerungswachstum. Die steigende Nachfrage nach Energie erstreckt sich auf sämtliche Energiearten: Kohle, Erdöl, Gas, Elektrizität, Wasserkraft bis zur Nuklearenergie. China verfügt über große Kohlevorkommen, so dass Kohle bis heute der wichtigste Energieträger ist und zwei Drittel des Energiebedarfs abdeckt. Das schnelle Wirtschaftswachstum hat allerdings zu einem rapiden Anstieg des Ölbedarfs geführt. Ferner entschied die chinesische Regierung, die Nutzung von Erdgas auszuweiten. Diese Entwicklungen werden Chinas Abhängigkeit von Energieimporten erhöhen und die chinesische Regierung veranlassen, die ausländische Energiezufuhr abzusichern. Die Sicherung der Erdölversorgung bereitet der Pekinger Führung die größten Sorgen. Bis vor einigen Jahren war China Selbstversorger in Bezug auf Erdöl und bis in die neunziger Jahre hinein sogar in der Lage, kleinere Mengen zu exportierten. 1993 wurde China erstmals zum Erdölimporteur, und die Importe wachsen seitdem kräftig. Seit Mitte der sechziger Jahre ist China Asiens größter Erdölproduzent mit einer Produktion von etwa 3,5 Millionen Barrel pro Tag während der vergangenen Jahre. Doch die Produktionssteigerung konnte mit dem wachsenden Bedarf nicht mithalten. Die Nachfrage verdoppelte sich zwischen 1984 und 1995 von 1,7 auf 3,4 Millionen Barrel pro Tag und hat sich bis 2005 erneut auf 6,8 Millionen Barrel verdoppelt. 2003 hat China Japan vom Platz des zweitgrößten Erdölverbrauchers verdrängt und ist nach den USA und Japan der drittgrößte Erdölimporteur der Welt. Mehr als 40 Prozent seines Ölbedarfs importiert China heute.

Die chinesische Regierung hat auf diese Situation sowohl mit energischen innenpolitischen Reformen als auch mit einer globalen außenpolitischen Strategie zur Sicherung seines Importbedarfs reagiert. So ist die chinesische Führung bemüht, die Produktion in den traditionellen Ölfeldern im Nordosten des Landes aufrechtzuerhalten und gleichzeitig die Produktion in Westchina zu erhöhen („Stabilize the East, develop the West“-Politik). Die Entwicklung von Offshore-Ölfeldern sowohl im Südchinesischen als auch im Ostchinesischen Meer genießt eine hohe Priorität, wenn auch mit nur mäßigen Ergebnissen. Die einheimische Ölindustrie wurde wiederholt restrukturiert, um Wettbewerb und Effizienz zu erhöhen, und die Preisbildung wurde stärker den Marktkräften überlassen. Es ist aber kaum zu erwarten, dass die heimische Ölproduktion in absehbarer Zeit signifikant ausgeweitet werden kann.

Alle Beobachter gehen davon aus, dass der Bedarf und damit die Importe weiter ansteigen werden. Die Internationale Energieagentur (IEA) prognostiziert eine Verfünffachung der chinesischen Ölimporte bis 2030 von etwa zwei Millionen (2002) auf fast elf Millionen Barrel pro Tag. Dann würde China 80 Prozent seines Ölverbrauchs importieren.1 Die chinesische Führung muss sich heute damit auseinandersetzen, dass die Abhängigkeit von Ölimporten nicht zu vermeiden ist und weiter wachsen wird.2 Darüber hinaus ist China – wie seine asiatischen Nachbarn – in hohem Maße abhängig von Importen aus dem Persischen Golf. 2015 werden wahrscheinlich 70 Prozent der chinesischen Ölimporte aus dem Nahen und Mittleren Osten stammen. Der Rest dürfte per Pipeline und per Bahn aus Russland eingeführt werden, per Pipeline aus Zentralasien, per Tanker aus Afrika und eventuell kleinere Mengen aus Lateinamerika.

Auch der Bedarf an elektrischer Energie ist in den vergangenen Jahren rasant gestiegen. China greift für die Erzeugung von Elektrizität vor allem auf seine großen Kohlevorkommen zurück. China ist der weltweit größte Kohleproduzent und -konsument. Es wird davon ausgegangen, dass der Kohleverbrauch sich im Zeitraum von 2001 bis 2025 verdoppeln wird – mit enormen Belastungen für Umwelt und Gesundheit. China würde damit zum Verursacher eines Viertels der weltweiten CO2-Emissionen. Obwohl derzeit kleinere Mengen an Kohle exportiert werden, könnte China trotz der großen eigenen Vorräte ab 2015 auch zu einem Importeur von Kohle werden.

Der boomende Bedarf an elektrischer Energie treibt zudem ambitionierte Pläne zum Ausbau der Nuklearenergie voran: China plant über die nächsten 20 Jahre, in jedem Jahr zwei große Atomkraftwerke zu bauen. Die Wasserkraft soll weiter ausgebaut werden, wie auch die Nutzung anderer erneuerbarer Energien (vor allem Sonnen- und Windenergie), ohne dass diese einen nennenswerten Beitrag zum Energiebedarf leisten dürften.

Beim Energieträger Gas ist China weitgehend Selbstversorger, allerdings ist der Anteil am gesamten chinesischen Energieverbrauch mit nur drei Prozent im weltweiten Vergleich sehr gering. Die Regierung ist bemüht, den Anteil von Erdgas an der Stromproduktion zu Lasten der Kohle auszuweiten. Bis 2020 soll der Anteil von Gas am Gesamtenergieverbrauch auf acht bis zehn Prozent steigen. Die Regierung verstärkt ihre Investitionen in die Gasexploration und erweitert das nationale Gaspipelinenetz, um das Gas aus dem Norden und Westen Chinas in die Großstädte des Südens und der Ostküste zu transportieren. Eine 4000 km lange Gaspipeline von Xinjiang im Westen nach Schanghai wurde kürzlich fertiggestellt.

Dem Erdgas kommt eine wichtige Rolle zur Deckung des chinesischen Energiebedarfs zu – vor allem auch unter Umweltgesichtspunkten – und es hat daher eine große Bedeutung für die nationale Energiepolitik. Nach 2010 dürfte der Bedarf allerdings nicht mehr aus eigener Produktion zu decken sein. Chinas erste Gasimporte werden 2007 beginnen, wenn in der Provinz Guangdong das erste Importterminal für verflüssigtes Gas (Liquified Natural Gas, LNG) in Betrieb genommen wird. Eine ganze Kette weiterer Terminals entlang der Küste ist in Planung. 2025 dürfte der Importanteil am chinesischen Gasverbrauch 40 Prozent erreichen. LNG-Importe werden wohl größtenteils aus der asiatisch-pazifischen Region kommen: aus Australien, Indonesien, Malaysia, Brunei und Osttimor. Auch die Region des Persischen Golfes mit Katar, Iran, Oman und möglicherweise Jemen dürfte zu den Lieferanten gehören. Ferner wird China wahrscheinlich Erdgas aus Ostsibirien importieren, wo Russland ein großes Pipelinenetz plant.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass China trotz aller Anstrengungen, die heimische Energieproduktion anzukurbeln, der wachsenden Abhängigkeit von Energieimporten nicht wird entgehen können. Die Importabhängigkeit ist beim Erdöl am größten, wird aber auch bei Erdgas schnell ansteigen. Darüber hinaus treibt der wachsende Bedarf an elektrischer Energie China zu Entscheidungen mit erheblichen Implikationen für Umwelt und Sicherheit und neuen Risiken für die nukleare Nichtverbreitung.

Chinas zunehmende Energieunsicherheit

Chinas Wirtschaftswachstum hängt in hohem Maße davon ab, ob es Peking gelingt, seinen steigenden Energiebedarf zu sichern. Die immer größere Abhängigkeit von Importen hat zu einer ausgeprägten Sorge in der Führungsspitze des Landes geführt, dass Unterbrechungen in der Energieversorgung und unvorhersehbare Preissteigerungen Chinas Wirtschaftswachstum bremsen könnten. Die Pekinger Führung befürchtet, eine Abschwächung des Wirtschaftswachstums könne zu sozialer Instabilität führen, die ihrerseits die Macht und die politische Kontrolle der Kommunistischen Partei Chinas zu untergraben vermöchte. Die Führung stellt daher einen engen Zusammenhang her zwischen verlässlicher Energieversorgung, politischer und wirtschaftlicher Stabilität sowie der Aufrechterhaltung des Führungsanspruchs der Partei.

Daher steht die Energieversorgung ganz oben auf der Agenda der nationalen Sicherheit. Energiesicherheit wird als zu wichtig angesehen, um sie allein den Märkten zu überlassen, da Chinas Wohlstand in zunehmendem Maße den Risiken internationaler Versorgungsengpässe, der chronischen Instabilität der energieexportierenden Regionen und den Unwägbarkeiten der globalen Energiegeopolitik ausgesetzt ist. Die globale Suche nach sicheren Energiequellen ist mit großer Dringlichkeit aufgenommen worden.

Die Terroranschläge in den USA vom 11. September 2001, der vornehmlich amerikanische „war on terror“ sowie die militärischen Interventionen in Afghanistan und im Irak haben dieses Gefühl der Unsicherheit und Verletzlichkeit verstärkt. China sorgt sich zunehmend über die Risiken möglicher terroristischer Anschläge auf Teile der Energieinfrastruktur und auf besonders anfällige Stellen der Seetransportwege aus dem Nahen Osten wie die Straßen von Hormuz und Malakka. 2003 passierten Tanker mit täglich 15 Millionen Barrel die Straße von Hormuz im Persischen Golf; davon passierten zehn Millionen Barrel auch die Straße von Malakka zwischen Indonesien und Malaysia. Eine weitere Million Barrel durchquert diese Meerenge auf dem Weg von Afrika nach Nordostasien, so dass mehr als 50 Prozent des täglichen Ölbedarfs ganz Asiens diese Meerenge passieren muss.3 Peking fürchtet, dass die als überzogen bewertete Antwort der USA auf die Terroranschläge von New York und Washington zu einer weiteren Destabilisierung der ohnehin wenig stabilen Energieförderregionen des Nahen und Mittleren Ostens und Zentralasiens führen wird. Darüber hinaus sieht China die USA langfristig als einen „strategic competitor“, so dass der Ausbau des amerikanischen Einflusses in Zentralasien und am Persischen Golf die ohnehin vorhandene Furcht vor einer Einkreisung durch die USA verstärkt. Nicht nur aus Sicht Pekings dominieren die USA den Persischen Golf, die damit an der strategischen Schaltstelle der Weltölversorgung sitzen. Die US-Marine kontrolliert die Seeschifffahrtswege durch den Indischen Ozean nach Nordostasien und damit die wichtigste Schlagader der chinesischen Ölversorgung. In Peking fragt man sich, was dies für die eigene Sicherheit, die eigenen strategischen Manövriermöglichkeiten, die eigene Wirtschaft und letztlich für die eigene soziale und damit politische Stabilität bedeutet. Insbesondere sorgt man sich, dass die USA im Falle eines Konflikts wegen Taiwan die Ölversorgung Chinas unterbrechen könnten.

Der globale Ölmarkt und die globale Erdölindustrie werden in den Augen Pekings zu stark von den USA und von großen westlichen Ölfirmen dominiert. Zudem fühlt sich Peking von den globalen Institutionen ausgeschlossen, die zur Steuerung der internationalen Energieversorgung entstanden sind, insbesondere der IEA, obwohl Peking gleichberechtigt am Internationalen Energieforum teilnimmt, das Konsumenten- und Produzentenländer zusammenbringt.

Chinas Energie-Diplomatie

Auf diese Herausforderungen reagiert China mit einer breit angelegten internationalen Energiestrategie. Ziel dieser Politik ist es, die Versorgungssicherheit zu erhöhen und damit die Verletzlichkeit gegenüber Angebotsverknappungen und Preisschocks zu verringern. Unterm Strich führt dieses zu einer Nullsummen-Energiestrategie, die in hohem Maße neomerkantilistisch ist. Sie basiert auf der direkten nationalen Kontrolle über ausländische Öl- und Gasvorkommen vermittels des Erwerbs von Öl- und Gasfeldern durch die drei großen staatlichen Ölfirmen CNPC, Sinopec und CNOOC4 sowie durch Abkommen mit Nachbarstaaten über neue Pipelines. Peking betreibt eine aktive Energie-Diplomatie, indem es mittels groß angelegtem Besucheraustausch, der Ausweitung des Handels durch Finanz- und Wirtschaftshilfe und der Aufnahme militärischer Kontakte zu wichtigen Öl- und Gas-Exporteuren enge Beziehungen knüpft. Diese Bemühungen konzentrieren sich nahe liegender Weise auf den Persischen Golf, Zentralasien, Russland, Afrika, Lateinamerika und seit jüngstem auch Kanada. So hat die chinesische Regierung während der vergangenen fünf Jahre mit mindestens acht Staaten „strategische Energieallianzen“ geschlossen.

Auswirkungen auf den Ölpreis

Die Auswirkungen der chinesischen Energie-Diplomatie werden vor allem in Asien, aber inzwischen auch weltweit mit Sorge verfolgt. Viele bringen den starken Anstieg der Ölpreise mit der boomenden Nachfrage Chinas in Verbindung. In der Tat hat die steigende chinesische Nachfrage allein 2004 mit 14 Prozent zu den jüngsten Preissteigerungen beigetragen. Damit lag Chinas Beitrag zum weltweiten Nachfrageanstieg von 2,8 Millionen Barrel pro Tag im Jahr 2003 nur bei circa 30 Prozent, was dem Mittelwert des chinesischen Anteils am Nachfragewachstum während des vergangenen Jahrzehnts entspricht. Zwischen 2000 und 2004 wuchs die chinesische Nachfrage um 1,5 Millionen Barrel pro Tag und lag damit geringfügig über dem Nachfrageanstieg der USA, der im selben Zeitraum bei 1,3 Millionen Barrel pro Tag lag. Der weltweite Nachfrageanstieg nach Öl ist vor allem eine Folge der Belebung der Weltkonjunktur seit Mitte 2003. Der wichtigste Grund für die aktuell hohen Ölpreise ist der Mangel an zusätzlichen Produktionskapazitäten, zu denen noch Kapazitätsengpässe im Raffineriesektor hinzukommen.

Auswirkungen auf den Weltölmarkt

Ein anderer Aspekt des chinesischen Bemühens um Energiesicherheit ist möglicherweise von größerer Bedeutung. Ein Element der neomerkantilistischen Ölstrategie Pekings ist das Streben nach direkter Kontrolle über die Ölproduktion in wichtigen Ölexportländern durch staatlich kontrollierte chinesische Ölfirmen mit dem Ziel des Direktexports nach China, so dass diese Produktion gar nicht erst auf den Weltmarkt gelangt. In dem Maße, wie es China in Zukunft gelingt, bestimmte Länder in exklusive Quellen für den eigenen Energiebedarf zu verwandeln, würde es die Flexibilität des Weltölmarkts verringern, sich an plötzliche Angebotsausfälle oder Nachfragesteigerungen anzupassen. Die westlichen Industrieländer haben aus der Ölpreiskrise von 1973/74 gelernt, dass ein Nullsummenspiel um Öl während einer Krise durch die Reduzierung der Möglichkeiten des Marktes, flexibel und effizient auf die Verknappung zu reagieren, das Problem weiter verschärft. Dies führte zur Gründung der IEA, die die Gefahr eines Wettbewerbs von Staaten um Energielieferungen bannen soll, welcher nur die Preise in die Höhe treiben und die Verknappung weiter verschärfen würde. Die westliche Strategie hat sich seitdem darauf konzentriert, die Ölproduktion zu diversifizieren und dafür zu sorgen, dass ein möglichst großer Teil davon auf den Weltmarkt gelangt, wo die Verteilung den Kräften des Marktes überlassen wird.

Geopolitische Auswirkungen in Asien

Chinas neomerkantilistische Strategie zur Wiederherstellung seiner Energiesicherheit durch die direkte Kontrolle über Öl- und Gasfelder und Transportrouten läuft Gefahr, die Spannungen in einer Region zu vergrößern, die sich ohnehin durch den Mangel an regionalen Institutionen zur Konfliktlösung auszeichnet und die sich schon durch den Aufstieg Chinas in einem schwierigen Transformationsprozess befindet. Der Wettbewerb um Energieressourcen verstärkt bestehende Rivalitäten zwischen China und einigen seiner Nachbarn. So befinden sich China und Japan bereits seit einiger Zeit in einem intensiven diplomatischen Wettbewerb um den Verlauf einer russischen Ölpipeline, die ostsibirisches Öl an die Pazifik-Küste bringen soll. Darüber hinaus streiten sich beide Länder über ein kleines Offshore-Gasfeld im Ostchinesischen Meer, das von beiden Seiten beansprucht wird. Dies addiert sich zu den bestehenden Konflikten zwischen den beiden Staaten und trägt dadurch zu einer deutlichen Verschlechterung der bilateralen Beziehungen zwischen Peking und Tokio bei. Das ist allerdings nicht nur ein chinesisches Problem. Eine virulente Form von „Energie-Nationalismus“ scheint sich in ganz Asien auszubreiten und alte Rivalitäten zu verschärfen. Alle größeren Wirtschaftsmächte Asiens – neben China auch Japan, Indien und Südkorea und in zunehmendem Maße auch einige Staaten Südostasiens – verfolgen einen neomerkantilistischen und/oder nationalistischen Ansatz zur Sicherung von Energieeinfuhren und Transportrouten, was die Entwicklung von kooperativen und marktorientierten Ansätzen, sich gemeinsam den für alle ähnlichen Herausforderungen der Energiesicherheit zu stellen, verhindert.

Auswirkungen auf die Militär- und Marinestrategie

Die zunehmende Abhängigkeit von Ölimporten aus instabilen Regionen über lange, nur schwer kontrollierbare Schifffahrtsrouten bleibt nicht ohne Auswirkungen auf die Planungen des chinesischen Militärs. Einige westliche Militärexperten gehen davon aus, dass die Pekinger Führung entschlossen ist, die Marinekapazitäten über das für den Küstenschutz und die Taiwan-Straße Erforderliche auszubauen. Als Indiz dafür werden der Aufbau einer beträchtlichen U-Bootflotte sowie das Bemühen um Abkommen zur Nutzung von Hafenanlagen entlang der Tankerrouten im Südchinesischen Meer, in Myanmar, Bangladesch und Pakistan gesehen. Hier könnten Konflikte entstehen, falls China nicht die Kooperation mit anderen asiatischen Staaten mit vergleichbaren Interessen und vor allem mit den USA sucht, von denen die Sicherheit der Schifffahrtslinien mindestens bis weit in die zweite Hälfte dieses Jahrhunderts abhängen wird.

Auswirkungen auf die „internationale Ordnung“

Durch seine aktive Energie-Diplomatie ist China in den vergangenen Jahren zu einem wesentlichen Akteur in vielen energie- (und rohstoff-)reichen Ländern und Regionen geworden. So hat Peking Energieallianzen mit einer Reihe von Pariastaaten der internationalen Gemeinschaft geschlossen und in diesen zum Teil erhebliche Investitionen getätigt. Hierzu gehören der Sudan, Iran, Myanmar, Venezuela und Usbekistan. Im Sudan hat China seine größten Auslandsinvestitionen im Ölsektor getätigt. Peking wird vorgeworfen, die aufgrund der massiven Menschenrechtsverletzungen in Darfur verhängten UN-Sanktionen  zu unterwandern und weitergehende zu verhindern. China hat seine Aktivitäten in Myanmar weiter ausgebaut und jüngst ein Abkommen über eine substanzielle Investition im usbekischen Energiesektor abgeschlossen sowie eine strategische Energieallianz mit Venezuelas populistischem und antiamerikanischem Präsidenten Hugo Chávez unterzeichnet. Schaut man über den Energiesektor hinaus auf den weiteren Rohstoffbereich, fällt die Intensivierung der Beziehungen zum Simbabwe Robert Mugabes, einem weiteren Paria der Staatengemeinschaft, ins Auge. Das Bemühen der internationalen Staatengemeinschaft um Einhaltung der Menschenrechte und Good Governance wird dadurch untergraben.

Auswirkungen in Nah- und Mittelost sowie Eurasien

Durch seine Aktivitäten zur Energiesicherung wird Chinas Einfluss im Nahen und Mittleren Osten mittelfristig wachsen, die bisher dominante Stellung der USA in dieser Region in Frage stellen und die schwierigen Beziehungen der USA zu einigen Staaten der Region, allen voran Iran, weiter verkomplizieren, was hinsichtlich der iranischen Nuklearambitionen bereits spürbar ist. Schon heute gehen nahezu zwei Drittel des Nahost-Öls nach Asien, Tendenz steigend. Neben dem Iran versuchen auch einige andere Golf-Staaten, unter anderem Saudi-Arabien, ihre Beziehungen zu China aktiv auszubauen, um der einseitigen Abhängigkeit von den USA entgegenzuwirken.

Auch Russland und Zentralasien stehen im Fokus der chinesischen Energie-Diplomatie. Neben russischen Rüstungsgütern ist vor allem Chinas Energiehunger der Antrieb für die neue chinesisch-russische Annäherung der vergangenen Jahre. Dank des chinesisch-japanischen Wettbewerbs um russisches Öl (und Gas) steht Russland vor einem Comeback in Asien. Angesichts des mit Sorge verfolgten Aufstiegs Chinas, des wachsenden wirtschaftlichen und politischen Einflusses Pekings und des chinesischen Bevölkerungsdrucks auf Sibirien und den Fernen Osten ist Moskau bemüht, die eigene Energiekarte möglichst effizient auszuspielen. Die Entscheidung Moskaus, das Öl über das eigene Territorium an die Pazifik-Küste zu leiten, ist in diesem Zusammenhang zu sehen – was die Pekinger Führung sichtlich frustriert hat, auch wenn Moskau inzwischen einer Abzweigung nach China zugestimmt hat.

Mit Blick auf die Energiequellen Zentralasiens, die Stabilität der fünf zentralasiatischen Staaten und die Sicherung seiner Energieimporte aus der Region hat China die Schanghai Organisation für Zusammenarbeit (SCO) weiter ausgebaut. China hat erheblich in die kasachische Energiewirtschaft investiert und jüngst beim Wettbewerb um die kanadische „Petro Kasachstan“ einen indischen Konkurrenten ausgestochen. Gemeinsam mit Kasachstan baut Peking derzeit eine große Pipeline in den Westen Chinas.

Was tun? Die Kooperation mit China vertiefen

Chinas wachsender Energiebedarf und das Bemühen Pekings um Energiesicherheit sind eine globale politische Herausforderung. Kommt es diesbezüglich zu keinem kooperativen Verhältnis zu China, hätte dies fatale Folgen für das Weltklima („global warming“), die Vitalität der Weltwirtschaft, für Stabilität und Frieden nicht nur in Asien und für die internationale Ordnung insgesamt. China braucht Unterstützung, um seine Energieeffizienz zu verbessern und die Nutzung erneuerbarer Energien auszubauen. Nur so lässt sich der rasante Anstieg seines Energiekonsums abbremsen, der dem Gefühl der Versorgungsunsicherheit zugrunde liegt.

Es sollte nach Möglichkeiten gesucht werden, Chinas Vertrauen in den Weltölmarkt zu stärken – als kooperative Alternative zu seiner neo-merkantilistischen Energie-Diplomatie, die mittelfristig die Funktion dieses Marktes untergraben könnte. Es sollte erwogen werden, China in das System der gemeinsamen globalen Erdölbevorratung, das von der IEA dominiert wird, einzubeziehen. China plant an zentralen Stellen seiner Ostküste den Bau von vier eigenen strategischen Ölreservelagern. Es wäre sinnvoll, diese Bemühungen und die Nutzung der strategischen Reserven mit der IEA zu koordinieren, um ihre Effektivität im Fall einer Krise zu maximieren.

Den Sicherheitsimplikationen des wachsenden Energie-Nationalismus in Asien könnte möglicherweise durch den Aufbau regionaler „Energieinstitutionen“ begegnet werden, die multilaterale Energieprojekte und regionale Kooperation fördern. Auch die bestehenden Institutionen – APEC, ARF und ASEM –, die den Vorteil haben, dass darin auch an der Stabilität der Region interessierte außerregionale Mächte wie die USA und die EU vertreten sind, könnten für einen effektiven Energiedialog genutzt werden. Inzwischen gibt es bereits eine ganze Reihe von Ansätzen, China in die internationale Energiekooperation einzubeziehen – beim G-8-Gipfel 2005 in Gleneagles; auf EU-Ebene, etwa beim EU-China-Gipfel; in zahlreichen bilateralen Aktivitäten (wie der deutsch-chinesischen Zusammenarbeit bei erneuerbaren Energien); das internationale Energieforum der IEA –, auf die es aufzubauen gilt, um die globale energiepolitische Herausforderung zu meistern.

Dr. HEINRICH KREFT, geb. 1958, ist Berater im Planungsstab des Auswärtigen Amtes, dessen stellvertretender Leiter er bis zum 22.11.2005 war. Zuvor leitete er den Wirtschaftsdienst an der Deutschen Botschaft in Washington und war Fellow in verschiedenen amerikanischen Think Tanks.

  • 1International Energy Agency: World Energy Outlook, 2004, OECD, Paris.
  • 2Darüber gibt es eine erstaunlich breite und lebhafte Debatte. Vgl. Erica S. Downs: The Chinese Energy Security Debate, The China Quarterly, März 2004, S. 21–41.
  • 3World Oil Transit Chokepoints“, Energy Information Administration, U.S. Department of Energy, April 2004. Vergleiche dazu auch Ophir Falk und Yaron Schwartz: Piraten unter grüner Flagge, Internationale Politik, November 2005, S. 28-31.
  • 4CNPC = China National Petroleum Corporation; Sinopec = China National Petrochemical Corporation; CNOOC = China National Offshore Oil Corporation.