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01. Jan. 2008

Joker im Machtpoker

Der Iran hilft den irakischen Schiiten, fürchtet aber den Zerfall des Nachbarn

Der Iran hat enge Beziehungen zu schiitischen Organisationen im Irak und unterstützt schiitische Milizen im Kampf gegen die US-Truppen. Aber Teheran will andererseits auch vermeiden, dass das Land zerfällt und zu einer Bedrohung wird. Irans Interesse an stabilen Verhältnissen im Irak sollten die USA zur Kooperation nutzen.

Nicht nur über das iranische Atomprogramm streiten sich die Vereinigten Staaten mit dem Iran, sondern auch über seine Rolle im Irak. Die US-Regierung wirft Teheran vor, schiitische Aufständische auszubilden, zu finanzieren und mit Waffen auszustatten. Federführend auf iranischer Seite sollen hierbei die Quds-Brigaden sein, eine Spezialeinheit der Revolutionsgarden. Ende Oktober 2007 verhängte die US-Regierung Sanktionen gegen die Revolutionsgarden und beschuldigte die Quds-Brigaden, terroristische Gruppen im Irak zu unterstützen. Die Spannungen eskalierten so weit, dass der Enthüllungsjournalist Seymour Hersh im Oktober im New Yorker von Plänen der amerikanischen Regierung berichtete, einen Angriff auf den Iran mit den Aktivitäten Teherans im Irak und dem Schutz dort stationierter US-Soldaten zu rechtfertigen.

Ab November verdichteten sich jedoch Hinweise auf eine Entspannung des Konflikts: US-Militärs im Irak verwiesen mehrfach darauf, dass der Iran offenbar erfolgreich versuche, Waffenschmuggel über die iranisch-irakische Grenze zu unterbinden und mäßigend auf seine Verbündeten im Irak einzuwirken. So problematisch Irans Atomprogramm auch ist, so legitim ist sein Interesse an einem stabilen, Teheran freundschaftlich verbundenen Irak und so legitim sind auch viele seiner politischen und wirtschaftlichen Aktivitäten im Irak. Eine ausschließlich destabilisierende Rolle, wie sie Iran immer wieder unterstellt wird, lässt sich nicht bestätigen. Das Atomprogramm und die iranische Irak-Politik sollten voneinander getrennt behandelt werden. Statt im Zusammenhang mit dem Irak mit Militäraktionen zu drohen, sollte die US-Regierung den Iran beim Wort nehmen und ihn auf Zusammenarbeit im Irak und mit der irakischen Regierung verpflichten.

Die Rolle des Irak im iranischen Interessengefüge

Ein berechtigtes Interesse am Irak kann man dem Iran nicht absprechen. Schließlich haben beide Länder eine ca. 900 Kilometer lange gemeinsame Grenze, und der Irak kann nicht nur heute, sondern auch historisch in vieler Hinsicht als Irans wichtigster Nachbar gelten. In den irakischen Städten Kerbela und Nadschaf befinden sich die bedeutendsten Heiligtümer und theologischen Zentren der Schia; jährlich besuchen Tausende iranische Pilger diese Stätten. Politisch und ideologisch rivalisierte der Irak seit der Beseitigung der pro-britischen Monarchie im Jahr 1958 bis zum Sturz Saddam Husseins mit dem Iran. Diese Rivalität erreichte ihren Höhepunkt, als im Herbst 1980 Saddam Hussein (mit Unterstützung des Westens) den Krieg gegen den revolutionären Iran begann, der acht Jahre dauerte. Nach dem Kriegsende und dem Tod Khomeinis 1989 konfrontierte die Entstehung der unabhängigen postsowjetischen Staaten im Kaukasus und in Zentralasien den Iran mit einer neuen, von vielen Unwägbarkeiten gekennzeichneten geopolitischen Situation. Stabilität im Interesse des Wiederaufbaus wurde oberstes Ziel iranischer Außenpolitik.

Mit dem Sturz Saddam Husseins sah sich Iran von seinem wichtigsten regionalen Widersacher befreit, aber zugleich eingekreist von amerikanischen Truppen: im Irak, im Golf, in Afghanistan, in Zentralasien und im NATO-Mitgliedsstaat Türkei, das obendrein israelische Aufklärungsflüge an seiner Grenze zu Iran gestattet. Das Atomprogramm des Iran war zum Hauptproblem im amerikanischiranischen Verhältnis geworden, und Präsident Bushs Streben nach einem Regimewechsel im Iran gipfelte darin, dass er Anfang 2002, noch vor dem Irak-Krieg, den Iran mit Nordkorea und Syrien auf die „Achse des Bösen“ setzte. Die Angst, der Iran könne als nächstes Land den regionalen Neuordnungsphantasien der Bush-Regierung zum Opfer fallen, fasste ein Parlamentarier der Reformbewegung kurz nach dem Irak-Krieg in die Worte: „Das kann einem passieren, wenn man auch nur im Verdacht steht, Nuklearwaffen zu bauen.“ Heute werden solche Befürchtungen mit intensiver Regierungspropaganda und Durchhalteparolen unterdrückt, und Teheran sieht sich im Irak den USA gegenüber in einer Position der relativen Stärke. Die seit Ende Mai 2007 geführten direkten Gespräche Teherans mit den USA über den Irak wertet die iranische Führung nicht ganz zu Unrecht selbstbewusst als Zeichen dafür, dass Washington im Irak auf den Iran angewiesen ist.

Der Iran verfolgt im Irak prinzipiell die gleichen sicherheitspolitischen, geo-politischen und ideologischen Interessen wie auch sonst in der Region. An erster Stelle steht für Teheran das sicherheitspolitische Interesse, dass vom Irak keinerlei Bedrohung mehr ausgehe. Es ist Teil des elementaren außenpolitischen Interesses am Erhalt der territorialen Integrität des Iran und seines politischen Systems. Deshalb ist der Iran durchaus für einen politisch, wirtschaftlich und sozial ausreichend stabilen Irak in seinen bestehenden Grenzen, nicht aber für eine blühende, wirtschaftlich und politisch erfolgreiche Demokratie nach westlichem Vorbild, die das Selbstverständnis des Iran als islamische Demokratie und sein eigenes Vormachtstreben in der Region unterminieren könnte. Als mögliche direkte Bedrohungen gelten einerseits die Entstehung chaotischer Verhältnisse im Irak und andererseits die Nutzung irakischen Territoriums durch US-Truppen für einen Angriff auf den Iran wegen des Atomstreits. Zwar fordert Teheran den Abzug der USA aus dem Irak, doch aus Furcht vor den Folgen soll dieser geregelt und nach festem Zeitplan geschehen. Denn ein endgültiger Zusammenbruch oder der Zerfall des Staatswesens im Irak könnte auch die ethnischen Minderheiten im Iran rebellischer machen. Die Kurden auf beiden Seiten der Grenze gelten als Problem, ebenso die arabischstämmige Bevölkerung in der erdölreichen iranischen Provinz Khusistan.

Für Teherans Streben nach regionalem Einfluss ist der Irak deshalb so wichtig, weil sich hier regionale und internationale Faktoren überlappen. Dieses Streben ist aber eher defensiv motiviert: Es geht darum, mögliche Gefahren zu verringern. „Standhaftigkeit“ und „Widerstand“ heißt die offizielle Losung, und „offensive“ Außenpolitik ist die iranische Antwort auf die Herausforderungen des Westens. Dessen Behinderung des iranischen Atomprogramms und die US-Präsenz im Irak wie in der gesamten Golf-Region gelten als größte Hindernisse für das Ziel des Iran, zur „ersten Kraft“ in der Region zu werden, wie es der entwicklungspolitische „20 Jahre-Perspektivplan“ vorsieht. Die Probleme in der Region sollen und können nach Teherans Auffassung die betroffenen Staaten allein regeln. Dann könnte Teheran seine Potenziale als regionale Führungsmacht zur Geltung bringen.

Den eigenen Führungsanspruch begründet der Iran auch mit seiner Rolle als „antiimperialistische“ Kraft in der gesamten islamischen Welt. Damit findet Teheran – bis nach Lateinamerika – durchaus Resonanz; es wird deshalb von vielen Regimen der Region gefürchtet. Zugleich führt der antiimperialistische „revolutionäre“ Anspruch des Iran dazu, dass er konfessionelle Konflikte zwischen Sunniten und Schiiten ablehnt, unabhängig davon, wie stark konfessionelle Differenzen in den politischen Alltag hineinspielen mögen.

Ein Grundmuster iranischer Politik gegenüber seinen Nachbarn ist, Kontakte und Beziehungen zu möglichst vielen Akteuren zu pflegen, um sich Einfluss in verschiedensten Szenarien zu sichern. Im Irak verfügt der Iran über enge Kontakte zur Zentralregierung, zu den in ihr vertretenen kurdischen und schiitischen Parteien und zu schiitischen und (wenigen) sunnitischen Aufständischen. Die engsten Beziehungen unterhält Teheran zu schiitischen Organisationen. Die demographische Stärke der Schiiten, die im Irak rund 60 Prozent der Bevölkerung stellen, machte nach dem Regimewechsel 2003 eine Machtübernahme durch schiitische Gruppierungen – und damit die Etablierung einer iranfreundlichen Regierung – wahrscheinlich. Und tatsächlich dominierten nach den Wahlen vom Januar und Dezember 2005 schiitische und kurdische Organisationen die irakische Regierung. Doch obwohl die Ausgangslage für Teheran insofern günstig ist, sehen auch viele schiitische Iraker den wachsenden Einfluss Teherans kritisch. Ursache ist ein stark ausgeprägter irakischer Nationalismus, der Teheran zwingt, seine teils sehr engen Beziehungen zu irakischen politischen Akteuren diskret zu handhaben. Der wichtigste Verbündete des Iran im Irak ist der Irakische Islamische Hohe Rat.

Der Irakische Islamische Hohe Rat

Die Beziehungen Irans zum Irakischen Islamischen Hohen Rat1 zeigen die Unübersichtlichkeit der iranischen Politik im Irak. Der Hohe Rat ist nämlich nicht nur der wichtigste Verbündete Teherans im Irak, sondern auch der wichtigste Verbündete der USA unter den irakischen Schiiten.

Mohammad Baqir al-Hakim (1939–2003), Abkömmling einer der prominentesten irakischen Gelehrtenfamilien, gründete den Hohen Rat für die Islamische Revolution im Irak im iranischen Exil 1982. Die Organisation war vollkommen abhängig von der iranischen Führung, die sich so ein willfähriges Instrument zur Einflussnahme auf die irakische Politik schuf. 1984 wurde mit iranischer Unterstützung der militärische Flügel des Hohen Rates, die Badr-Brigaden, gegründet. Sie wurden von den iranischen Revolutionsgarden ausgebildet und kontrolliert und im Krieg gegen den Irak2 eingesetzt. Die allzu deutliche Abhängigkeit von Teheran hinderte den Hohen Rat, als Dachverband zu fungieren und weitere Gruppierungen zu integrieren. Ideologisch folgte der Hohe Rat Khomeinis Lehre von der „Herrschaft des Rechtsgelehrten“, nach der der jeweils bestqualifizierte Geistliche in Abwesenheit des zwölften Imam Mahdi die Macht im islamischen Staat ausüben sollte, und akzeptierte zunächst Khomeini und anschließend Khamenei als diesen Rechtsgelehrten. Erst als im Jahr 2002 deutlich wurde, dass die Bush-Administration zum Regimewechsel im Irak entschlossen war, versuchte Hakim, sich als unabhängig von iranischer Kontrolle zu präsentieren, und er intensivierte bereits bestehende Kontakte zur amerikanischen Regierung, um eine politische Rolle im Nachkriegsirak spielen zu können.

Nach Hakims Rückkehr in sein Heimatland im Mai 2003 wurde der Hohe Rat schnell zur wichtigsten schiitischen Gruppierung im Irak. Dank der fortgesetzten iranischen Unterstützung war er anderen schiitischen Gruppierungen vor allem organisatorisch und finanziell überlegen. Gleichzeitig kooperierten Hakim (und sein Nachfolger ab August 2003, sein Bruder Abdalaziz) sehr pragmatisch mit den USA: Sie arbeiteten intensiv mit den Amerikanern zusammen, machten gleichzeitig jedoch deutlich, dass sie baldmöglichst den Abzug ausländischer Truppen verlangen würden. Der Hohe Rat akzeptierte sogar das Wahlprinzip, und die von ihm dominierte Vereinigte Irakische Allianz der Schiitenparteien gewann die Wahlen vom Januar und Dezember 2005. Er stellt bis heute gemeinsam mit den beiden Kurdenparteien Demokratische Partei Kurdistans (KDP) und Patriotische Union Kurdistans (PUK) das Gravitationszentrum der irakischen Regierung.

Parallel zur Festigung seiner Macht in Bagdad versucht der Hohe Rat, die neun überwiegend schiitisch besiedelten Provinzen im Zentrum und Süden des Landes seiner Kontrolle zu unterwerfen. Schon während der Verfassungsdebatte im Sommer 2005 forderte Abdalaziz al-Hakim die Einrichtung einer schiitischen föderalen Region im Süd- und Zentralirak. Er folgte damit dem Konzept der Kurdenparteien, denen es gelang, ihre Autonomiezone im Verfassungstext in eine ebensolche föderale Region umzuwandeln. Wie den Kurden geht es dem Hohen Rat um die Schaffung einer möglichst autarken Machtbasis, auf die sich die Schiiten für den Fall eines eskalierenden Bürgerkriegs oder eines Machtverlusts im Zentralirak zurückziehen könnten. Im September 2006 legte der Hohe Rat dem Parlament einen entsprechenden Gesetzentwurf vor, der allerdings nur unter großen Schwierigkeiten verabschiedet werden konnte. Um zumindest einen Teil der Gegner für das Projekt zu gewinnen, musste seine Implementierung auf das Frühjahr 2008 verschoben werden.

Bezeichnend war die iranische Reaktion auf die Pläne des Hohen Rates. Da die Gründung föderaler Regionen die Gefahr einer Teilung des Landes birgt, die iranischen Interessen diametral entgegenlaufen würde, lehnten iranische Regierungsvertreter ein ethnisch-konfessionelles Föderalismuskonzept zunächst ab. Als der Hohe Rat jedoch beschloss, eine schiitische Südregion einzufordern, leistete Teheran keinen Widerstand. Die iranische Führung akzeptiert offenbar das Argument, dass die Situation im Zentralirak die Etablierung einer vom Hohen Rat dominierten schiitischen Machtbasis notwendig macht. Solange der Bestand des Gesamtirak durch eine solche Maßnahme nicht unmittelbar bedroht ist, fügt sich die iranische Regierung den Wünschen ihres wichtigsten Verbündeten. Andernfalls bestünde auch die Gefahr, dass eine Einflussnahme Teherans in dieser Frage als Einmischung interpretiert und Gegenreaktionen unter irakischen Schiiten hervorrufen würde. Deren ausgeprägter Nationalismus zwingt die iranische Regierung zu einer diskreten und vorsichtigen Politik. Der Hohe Rat ist dementsprechend weitaus mehr als ein Befehlsempfänger Teherans.

Die Sadr-Bewegung

Trotz iranischer Zurückhaltung ist die Kritik am Einfluss Teherans auf die irakische Politik im Allgemeinen und auf den Hohen Rat im Besonderen gewachsen. Für viele Schiiten überbrückt die gemeinsame Konfession nicht den ethnischen Graben zwischen Arabern und Persern. Die schiitische Sadr-Bewegung ist die wichtigste nationalistische Organisation und damit der bedeutendste Gegner sowohl des Hohen Rates als auch seines Föderalismusprojekts für die schiitischen Provinzen. Sadr fordert vielmehr einen starken Zentralstaat. Die Gegnerschaft zum Hohen Rat zeigt sich auch in heftiger Kritik am iranischen Einfluss im Irak. Inwieweit Teheran trotzdem auch die Sadr-Bewegung beeinflusst, ist umstritten. Zwar gibt es eine enge Beziehung, die sich beispielsweise in den häufigen Iran-Aufenthalten Muqtada al-Sadrs widerspiegelt. Wie weit die finanzielle und militärische Unterstützung des Iran geht, ist jedoch nicht bekannt. Teheran scheint pragmatisch vorzugehen: Da die Sadr-Bewegung einer der wichtigsten politischen Akteure im Irak ist und durchaus in der Lage sein könnte, ihre Position auszubauen, müssen auch zu ihr enge Beziehungen aufgebaut werden – bis hin zu militärischer Unterstützung.

Die Sadr-Bewegung wird von Muqtada al-Sadr (geb. ca. 1973) angeführt, einem Sohn des Religionsgelehrten Mohammed Sadeq al-Sadr (1943–1999). Mohammed Sadeq hatte seit den frühen neunziger Jahren versucht, die Führungsposition unter den irakischen Schiiten zu gewinnen, indem er die tonangebenden schiitischen Religionsgelehrten in Nadschaf wegen ihres angeb-lichen Quie-tismus scharf kritisierte. Er verstand es, sich durch die Etablierung eines Netzwerks von sozial-karitativen Einrichtungen und Moscheen die Unterstützung von Angehörigen der schiitischen Unterschichten – vor allem in Bagdad – zu sichern. Mohammed Sadeq al-Sadr vertrat dabei eine strikt nationalistische und stark antiamerikanische Linie, überwarf sich schließlich aber mit dem Regime Saddam Husseins, worauf er von dessen Schergen 1999 ermordet wurde. Nach dem amerikanischen Einmarsch gelang es Muqtada, die Bewegung seines Vaters ab Frühjahr 2003 unter seine Kontrolle zu bringen. Er gerierte sich in der politischen Tradition seines Vaters als irakischer Nationalist und geriet schnell in offenen Gegensatz zum Hohen Rat, zur Daawa-Partei und zu Groß-ayatollah Ali Sistani, dem führenden schiitischen Religionsgelehrten im Land. Im April und August 2004 rebellierte Sadrs Mahdi-Armee offen gegen die US-Truppen.

Es ist vor allem die Gegnerschaft zwischen Sadr und dem Hohen Rat, die sich negativ auf die Beziehungen der Sadr-Bewegung zum Iran auswirkt. In Fortsetzung eines schon länger anhaltenden Konkurrenzkampfs zwischen den Gelehrtenfamilien Hakim und Sadr dreht sich die Auseinandersetzung in erster Linie um die Kontrolle über die schiitisch bewohnten Gebiete des Irak. Bisher ist der Hohe Rat im Vorteil, sodass Sadr weitgehend defensiv agiert. In der Öffentlichkeit dreht sich der Streit häufig um das Föderalismusprojekt des Hohen Rates. Da die Hochburgen der Sadr-Bewegung zum einen in Bagdad (und in Kufa in der Provinz Nadschaf), zum anderen aber in den südlichen Provinzen Maisan und Basra liegen, könnte die Bildung einer Region südlich von Bagdad diese voneinander abschneiden und Sadrs Position schwächen. Seit 2006 führt dieser Konflikt zu anhaltender Gewalt in den städtischen Zentren südlich von Bagdad. Die Sadr-Bewegung nutzt in erster Linie ihren militärischen Arm, die Mahdi-Armee, um diesen Konflikt auszutragen. Sie scheint dabei von Teilen der iranischen Revolutionsgarden – durch Ausbildung, Finanzierung und Waffen – unterstützt zu werden. Ihre Position wurde jedoch durch die neue amerikanische Militärstrategie des Jahres 2007 geschwächt: Die konfessionelle Gewalt ging vor allem zurück, weil die amerikanischen Truppen die Mahdi-Armee zum Rückzug zwangen. Sadr rief seine Anhänger daraufhin zur Zurückhaltung auf und verkündete im August 2007 einen einseitigen Waffenstillstand. Er hat jedoch die Kontrolle über Teile der Mahdi-Armee verloren, die weiterhin Anschläge auf US-Truppen und Streitkräfte der Zentralregierung verüben. Schiitische Aufständische

Es ist schwer einzuschätzen, wer die schiitischen Aufständischen sind, die im Süden des Landes den Kampf gegen die Besatzungstruppen und teils auch gegen die irakische Regierung führen. Bei den meisten handelt es sich um Abspaltungen der Sadr-Bewegung nach 2003. Einige von ihnen – wie die Armee des Imam Hussein von Mahmud as-Sarkhi und die Gruppe von Qais al-Khazali – haben sich als eigenständige Organisationen etabliert und führen den Kampf gegen die amerikanischen und britischen Truppen fort. Gleichzeitig scheinen auch Teile der Mahdi-Armee auf Anweisung Sadrs den Kampf fortzusetzen. Dies gilt vor allem im Süden des Landes, wo Auseinandersetzungen zwischen den schiitischen Gruppierungen an der Tagesordnung und Ausdruck des Machtkampfs zwischen dem Hohen Rat, Sadr und einigen kleineren Gruppierungen sind. Doch auch Angriffe auf Besatzungstruppen dürften auf die Sadr-Bewegung zurückgehen.

Gleichzeitig steht Muqtada al-Sadr unter ungeheurem Druck: Die seit Dezember 2006 anhaltende amerikanische Offensive gilt auch den schiitischen Milizen und hier in erster Linie seiner Mahdi-Armee. Nur durch deren Rückzug und eine zumindest zeitweilige Mäßigung seiner Rhetorik konnte Sadr den Bestand seiner Bewegung vorerst sichern. Gleichzeitig beruht seine Legitimität auf dem bewaffneten Widerstand gegen die amerikanische Besatzung. Stellt er ihn vollständig ein, wird er viele Anhänger verlieren; schon seine rhetorische Mäßigung der letzten Monate hat viele kleine Gruppierungen innerhalb der Mahdi-Armee bewogen, auf eigene Faust zu agieren und den bewaffneten Kampf fortzuführen. Es ist daher nur folgerichtig, dass Sadr Teilen der Mahdi-Armee Angriffe auf US-Truppen gestattet. Da der Iran die Sadr-Bewegung unterstützt, ist er mitverantwortlich. Darüber hinaus jedoch scheint der Iran vor allem kleine Splittergruppen im bewaffneten Kampf gegen die USA zu unterstützen. Dies würde dem iranischen Interesse entsprechen, den US-Truppen im Irak möglichst viele Schwierigkeiten zu bereiten, ohne die Stabilität des Landes insgesamt zu gefährden. Es ist daher davon auszugehen, dass die militärische Unterstützung des Iran für schiitische Gruppierungen recht weit geht. Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass diese Unterstützung tatsächlich so systematisch ist, wie dies die amerikanische Seite immer wieder behauptet. Die Aufständischen verfolgen primär ihre eigenen, irakischen Interessen. Iranische Unterstützung müssen sie akzeptieren, da sie keine Alternativen haben. Der Iran hilft ihnen in erster Linie, weil er eine von irakischem Territorium ausgehende Bedrohung für das eigene Regime befürchtet. Diese Einschätzung ist angesichts wiederholter Drohungen der Bush-Regierung an die Adresse Teherans auch nicht von der Hand zu weisen.

Bedeutsam ist, dass das US-Militär seit Oktober 2007 mehrmals ausdrücklich darauf verwiesen hat, dass der Iran sich bemüht, mäßigend auf seine Verbündeten einzuwirken. Auch eine Art Waffenstillstand zwischen Abdal-aziz al-Hakim und Muqtada al-Sadr soll der Iran Anfang Oktober 2007 vermittelt haben, um Spannungen im Südirak abzubauen. Erst Ende November erlitt diese Entspannungsphase einen Rückschlag, als das US-Militär vom Iran unterstützte Gruppen aus dem Umfeld der Sadr-Bewegung für einen großen Anschlag auf einen Markt verantwortlich machte. Wichtig an dieser Entwicklung ist die Beobachtung, dass der Iran durchaus positiv auf Ereignisse im Irak Einfluss nehmen kann. Deshalb sind die Gespräche, die der amerikanische Botschafter im Irak mit der iranischen Seite führt, ein Schritt in die richtige Richtung. Die USA müssen jenseits ihrer Eindämmungspolitik vermehrt auf diplomatischem Wege Lösungen suchen und auch auf legitime iranische Sicherheitsbedürfnisse eingehen. Der Iran hingegen muss einsehen, dass es nicht reicht, sich stark zu geben, indem er nur die Instabilitäten der Region und die Schwierigkeiten und massiven Fehler amerikanischer Politik ausnutzt. Damit ist weder der eigenen Sicherheit noch der regionalen Stabilität gedient. Stattdessen sollte Teheran echte Stärke zeigen und die direkte Diplomatie mit Washington wagen. 

Dr. JOHANNES REISSNER,  geb. 1947, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der  Forschungsgruppe Naher Osten und Afrika der SWP.

Dr. GUIDO STEINBERG,  geb. 1968, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsgruppe Naher Osten und Afrika der SWP.

  • 1 Auf Englisch: Supreme Islamic Iraqi Council (SIIC). Bis Mai 2007 hieß er Hoher Rat für die Islamische Revolution im Irak.
  • 2Die Badr-Brigaden wurden nach 2003 in Badr-Organisation umbenannt.