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01. März 2010

Jetzt wird wieder in die Hände gespuckt

Brief aus… Kapstadt

Der ehemalige Schatzmeister der Kommunistischen Partei zitiert Ludwig Erhard, der Chef eines liberalen Think-Tanks hat es sich zur Aufgabe gemacht, die „sozialistischen Wurzeln der Apartheid“ zu kappen, und die Frau aus dem Township sagt: „Unternehmerin – was für ein verdammt stolzes Wort!“ Aber vielleicht sollten wir diese Geschichte von Anfang an erzählen.

Phillip Dexter ist Sprecher der inzwischen drittgrößten Partei Südafrikas, der erst im Dezember 2008 gegründeten COPE (Congress of the People), die aus dem Stand bei den letzten landesweiten Wahlen immerhin 7,4 Prozent erreichte und inzwischen auch in allen Provinzparlamenten Abgeordnete stellt. Sie begreift sich als linkszentristisches, vor allem aber multiethnisches Korrektiv zum machtverwöhnten, etatistischen ANC. „Glauben Sie einem ehemaligen Kommunisten“, sagt der frühere Anti-Apartheid-Aktivist Dexter nicht ohne Ironie, während wir auf der sonnendurchfluteten Terrasse eines Lounge-Cafés sitzen, dessen Belegschaft vor allem aus simbabwischen Flüchtlingen besteht. „Je stärker sich die Wirtschaftskrise auch in Südafrika bemerkbar macht, desto weniger wird der ANC der Versuchung widerstehen können, in die Fußstapfen von Hugo Chávez oder Daniel Ortega zu treten. Dabei müsste es für eine moderne Linke doch vor allem darum gehen, in Bildung zu investieren, kleineren und mittleren Unternehmen zu helfen, mit den Großunternehmen Win-Win-Strategien auszuknobeln oder auf dem Land profitable Solarenergie zu entwickeln anstatt sich weiterhin von den Industriegewerkschaften erpressen zu lassen, deren Klientel in unserer wachsenden Servicegesellschaft ohnehin immer mehr schrumpft. Übrigens sag ich das, wenn ich in Deutschland bin, auch immer meinem alten Freund Lothar Bisky.“

Gilt Phillip Dexter in der nach wie vor geltenden Farbenlehre als „coloured“, so ist Temba A Nolutshungu ein 60-jähriger, stolzer „black“, dessen „Free Market Foundation“ in einem ehrwürdigen, holzgetäfelten Büro an Kapstadts idyllischer Fußgängerzone St. George’s residiert. „Die Herausforderung besteht darin“, sagt der bullige Mann mit den aufgekrempelten Hemdärmeln, „dass wir endlich mit dem sozialistischen Erbe der Apartheid aufräumen.“ Bitte wie? „Ich sagte es doch: Sozialismus! Die westliche Antiapartheid-Bewegung wollte nämlich trotz all ihrer Verdienste nicht sehen, was für ein geschlossener Markt Südafrika war, wie panisch die Furcht der weißen Rassisten vor jeglicher Konkurrenz und wie groß ihre Vergottung des Staates. Es waren Trennungs- und Ordnungsfetischisten, die ihren Rassismus sogar noch im letzten Eckchen irgendeines Friedhofs oder Zugwaggons durchsetzen mussten. Letztlich ging es jedoch darum, die Weißen vor unerwünschtem schwarzen Wettbewerb zu schützen. Wie aber nennt man einen Staat, in dem 70 Prozent der Bevölkerung per Gesetz kein Eigentum besitzen durften?“

Und heute? Temba A Nolutshungu lehnt die „Affirmative action“-Programme des ANC ab, da sie zu wenig Ausbildungschancen böten, sondern Leute in Posten brächten, für die sie nicht geeignet seien – ausgerechnet zur Freude ressentimentgeladener Weißer, die damit all ihre Vorurteile bestätigt sehen.

Eine der möglichen Alternativen ist in Khayelitsha, Südafrikas drittgrößtem Township, zu besichtigen – gleich vor den Toren Kapstadts, wo sich auch tagsüber kaum ein Weißer hinwagt. Statt Gangstern treffen wir dort Thope Lekau, eine voluminöse Mummy im farbenfrohen Batikumhang. Ihr Beispiel, ausgerechnet hier Guesthouses für Touristen einzurichten, hat längst Schule gemacht. „Schon mal was von der Idee des kompetitiven Vorteils gehört, junger Mann? Die Luxushotels in der Innenstadt locken mit dem Tafelberg und Shopping-Malls – weshalb sollte dann ich nichts aus der Realität meines Viertels machen? Zwei, drei hübsche Gästezimmer, und siehe da – seitdem kommen Leute aus aller Welt hierher.“

In der Tat fährt gerade ein Bus mit skandinavischen Bibelreisenden in die schmale Straße ein, die von Wellblechhütten und glasscherbengespickten Mäuerchen gesäumt ist. Wahrscheinlich die gleiche Klientel, für deren Hilfsprojekte Miss Lekau einst in einer NGO gearbeitet hatte – bis sie erkannte, dass man sich auch am eigenen Rastazopf aus dem Schlamassel ziehen kann, ganz ohne linksprotestantische Schuldrhetorik.

„Wenn plötzlich mehr Mittagsgäste als geplant anreisen, heuere ich schnell Köchinnen aus der Nachbarschaft an, so kommt kein sozialer Neid auf.“ Wir stehen im schattigen Innenhof des „Kopanong B&B“ vor einer flaggenflankierten, ockerfarbenen Wand, und Thope Lekaus aufbrandendes Lachen ist von einem selbstbewussten Wir-Schaffen-Es-Frohmut, der wahrscheinlich noch aus Apartheid-Zeiten stammt, in denen man sich besser auf die eigenen Kräfte als auf die Gnade staatlicher Funktionäre verließ. „Sagen Sie den Leuten in Deutschland, dass wir keine Opfer sind, sondern unser Schicksal in die eigene Hand nehmen!“

MARKO MARTIN lebt als Schriftsteller und Publizist in Berlin. 2009 erschien sein Erzählband „Schlafende Hunde“ im Eichborn Verlag.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, März/April 2010, S. 128 - 129

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