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01. Okt. 2005

Jenseits von Françafrique

Wie Paris’ desaströse Afrika-Politik einen Kontinent ruiniert hat

Kaum jemals zuvor sind das von de Gaulle geschaffene französisch-afrikanische Sonderverhältnis und sein endgültiges Scheitern am Ende des Kalten Krieges so brillant beschrieben worden. Heute, so der Buchtitel und das inhaltliche Fazit, habe Frankreich „Afrika verloren“. Die beiden Journalisten Antoine Glaser und Stephen Smith, jeder eine Afrika-Kapazität, haben ihre Erlebnisse, Recherchen und Archivstudien zu einem spannend zu lesenden Band zusammengeführt.

Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass es nicht in Frankreichs Interesse war, ein immer nach Rohöl riechendes Netzwerk aus Diplomatie, Geheimdiensten und Energieindustrie, häufig als „Françafrique“ apostrophiert, so lange am Leben erhalten zu haben. Sie stimmen damit im Prinzip, allerdings in abgewogener Form, mit dem als Chef der Nichtregierungsorganisation „Survie“ geradezu manisch Frankreich denunzierenden, jüngst verstorbenen François-Xavier Verschave überein. Diese Übereinstimmung ist vor dem Hintergrund der noch kurz vor seinem Tod von Verschave gegen Smith verfassten Polemik („Négrophobie“, 2005) erstaunlich. Sie richtet sich gegen ein Buch von Smith aus dem Jahr 2003 mit dem Titel „Négrologie“. Die schwere Kritik an Smith ist insoweit erklärlich, als Verschave nicht mehr erlebt hat, dass Smith – vielleicht unter dem mäßigenden Einfluss von Antoine Glaser – seine Zornesschrift eines enttäuschten „weißen Afrikaners“ etwas relativiert hat. Inhaltlich bleibt aber, dass Smith die Verantwortung Frankreichs für die Ruanda-Katastrophe – sie spielt in diesem Buch nur eine sehr untergeordnete Rolle – anders einschätzt als Verschave. Für den von Mitterrand enttäuschten Linken Verschave war dessen Fortführung der Politik de Gaulles, auf die der Militärpakt mit dem Regime von Präsident Habyarimana zurückging, den Verschave im Gegensatz zu Smith als alleinige Ursache des ruandischen Völkermords ansieht, eine moralische Sünde.

Die Sonderbeziehungen zum französischen „Jagdrevier“ im frankophonen Afrika haben sich nach Glaser und Smith inzwischen tot gelaufen. Die Agonie begann „um 1994“ mit dem Tod von Félix Houphouët-Boigny, der Abwertung des Franc CFA, der Katastrophe in Ruanda, dem anschließenden Bruch zwischen dem „afrikakalten“ Balladur und dem Altgaullisten Chirac und schließlich dem Verkauf der staatlichen Anteile und der Privatisierung des Ölkonzerns Elf 1997. Frankreich verfügt seither über kein wirklich effizientes Instrument zur „Förderung“ seiner Interessen. Denn auch die französische Militärpräsenz war nur mit Hilfe des politischen, zudem vom Geheimdienst dominierten Elf-Netzes wirksam – dafür stand besonders der Name seines Afrika-Chefs André Tarallo. Premierminister Balladur tat in seiner Amtszeit von 1993 bis 1995 sein Bestes, um das von ihm als unrentabel eingeschätzte Afrika-Engagement zu reduzieren.

Als endgültiges Todesdatum von „Françafrique“ wird das militärische Eingreifen französischer Kampfhubschrauber in Abidjan gegen antifranzösische Demonstranten in der Nacht vom 6. zum 7. November 2004 angesehen. Damit wurde ein Vordringen zum französischen Militärcamp verhindert. Vorausgegangen war die Zerstörung der ivorischen Luftwaffe auf Befehl Chiracs am 5. November 2004. Dies war eine Vergeltungsmaßnahme für den Tod von neun französischen Soldaten durch ivorische Regierungstruppen beim Versuch, die abtrünnige Regionalhauptstadt Bouaké unter Bruch des gültigen Waffenstillstandsabkommens wieder zu erobern: „Für die Autoren des Buches ist klar, dass ‚Françafrique‘ nicht an den Folgen einer späten Reaktion der französischen Zivilgesellschaft gestorben ist, sondern am französischen Zögern, sich Afrika und der Welt, die sich beide tief greifend verändert haben, anzupassen“ (S. 24).

Damit war die Konzeption de Gaulles, mit Hilfe Afrikas und der Force de Frappe die Weltmachtrolle Frankreichs zu begründen, gescheitert. Man hatte sich die französische Präsenz sowohl militärisch als auch zivil einiges kosten lassen. De Gaulle hatte nach 1958 mit Jacques Foccart einen Mann in den Elyséepalast geholt, der mit größter Hingabe die Pflege der französisch-afrikanischen Sonderbeziehung als „éminence grise“ bei völliger persönlicher Integrität zu seiner Lebensaufgabe machte. Das Wirken Foccarts bis zu seinem Tod 1997 ist der rote Faden des Buches, das die gesamte Geschichte französischer Afrika-Beziehungen schildert. Foccart war „über 30 Jahre lang die Schlüsselperson der französisch-afrikanischen Verbindung im Schatten de Gaulles und später seiner Erben“. Seine Macht war die „Verbindung des Gaullismus der Libération, der Geheimdienste und von ‚Elf-Africaine‘ in einer Person“. Wie Foccart und einige andere Schlüsselfiguren zusammengewirkt haben, um einerseits die französischen Ölinteressen etwa in Gabun zu verteidigen und andererseits die nachkoloniale Ordnung im Kalten Krieg mit Hilfe militärischer Eingriffe zu sichern, ist spannend zu lesen.

Mit dem Fall der Mauer sei dieses System in sich zusammengebrochen, Frankreich sei nun „out of Africa“, Amerika dagegen in. Überraschend ist die positive Bewertung der Bush-Administration, die sich für die Sicherung amerikanischer Interessen bei der Ausbeutung des neuen afrikanischen Ölsegens, aber auch für den Kampf gegen AIDS einsetzt. Unterbelichtet bleibt hingegen die Analyse der Ära Clinton. Denn hätten Clinton und Madeleine Albright – zuerst als UN-Botschafterin, dann als Außenministerin – die von James Baker (mit der faktischen persönlichen Verabschiedung Mobutus im März 1990) und Mitterrand (mit seiner Grundsatzrede in La Baule im Juni 1990) schon eingeleitete vorsichtige, auf Kooperation mit afrikanischen Reformbewegungen beruhende Demokratisierungspolitik in Afrika weiter geführt, statt eine neue Generation von Militärregimes aufzubauen, dann müssten die Autoren heute nicht – was in Frankreich ja einem Sakrileg gleichkommt – eine neue Kooperation mit Amerika zum Vorteil Afrikas und Frankreichs empfehlen. Doch Glaser und Smith haben damit Recht.

Positiv hervorzuheben ist, dass das Buch einen Index enthält, was in Frankreich bei derartigen Büchern noch immer die Ausnahme ist. (Verwunderlich ist hingegen, dass in der Karte auf Seite 269 die Großen Seen falsch lokalisiert sind.)

Dr. Helmut Strizek, geb. 1942, befasst sich seit 1973 in Forschung und Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 10, Oktober 2005, S. 118 - 119

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