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01. Nov. 2003

Afrika südlich der Sahara – ein hoffnungsloser Fall?

Warum staatliche Strukturen versagen

Der heute vorherrschende „neopatrimoniale Staat“ im Afrika südlich der Sahara, in dem die „Chefs“ zusammen mit einer kleinen Klientel über die Ressourcen verfügen, sowie die teilweise ineffiziente und Korruption fördernde internationale Unterstützung haben verhindert, dass sich wirtschaftskonforme Rahmenbedingungen herausbilden konnten. Veränderung ist möglich, doch die Weltgemeinschaft darf keine falschen Versprechungen machen.

Um Afrika südlich der Sahara steht es derzeit schlecht. Schlechter als nötig. Es hat große naturbedingte Strukturdefizite, leidet aber vor allem an den Folgen sozialer, teils historisch tradierter Schwächen und ist noch immer Opfer von Kriegen und internationaler Instrumentalisierung.

Die Natur hat Afrika mit großem landwirtschaftlichen Potenzial, tropischen Wäldern, großen Flüssen mit enormen Wasserkraftreserven, reichen Bodenschätzen und Erdölvorkommen ausgestattet. Die Sonneneinstrahlung in den Wüstengebieten kann sich als zukunftsträchtiger Energieträger erweisen. Die Natur hat dem Kontinent aber auch gesundheitliche Geißeln wie Malaria, Bilharziose, Schlafkrankheit, Flussblindheit, den Guinea-Wurm und seit einigen Jahren die Immunschwächekrankheit AIDS auferlegt. Die Wüstenbildung im Süden der Sahara hat inzwischen die Flüsse Niger und Senegal überschritten, deren jährliche Flutwellen bisher als Sperrriegel gewirkt haben. Die marginalen Lebensräume weiten sich auch am Rande anderer Wüstengebiete aus.

Afrika südlich der Sahara ist trotz regionaler Problemzonen global gesehen nicht überbevölkert. Aber die gesellschaftlichen und staatlichen Netze wurden durch das rasante Bevölkerungswachstum der letzten fünfzig Jahre überfordert.1 Hoffnung ist jedoch angebracht, die Wachstumskurve flacht inzwischen ab.

Besonders gravierend ist das staatliche Strukturdefizit. Es hat historische, teils vorkoloniale Wurzeln. Im Kalten Krieg wurde es durch den „demokratischen Sündenfall“ der Unterstützung von militärischen und zivilen „Entwicklungsdiktatoren“ verschärft und nach einer kurzen Demokratisierungsphase Anfang der neunziger Jahre mit der erneuten Förderung von Militärherrschern ab 1993 perpetuiert. Afrika wird erst nach ihrer Ablösung im Gefolge des Aufbaus neuer demokratischer Parteien und Strukturen der Zivilgesellschaft eine auf den Erfahrungen vielfachen Scheiterns aufbauende Entwicklungsdynamik entfalten können.

Mit Ausnahme Südafrikas – und auch das nur partiell – gibt es in Afrika südlich der Sahara keinen Industriestaat. Der Agrarstaat mit allerdings hoher Verstädterungsrate herrscht vor. Die wirtschaftlichen Wachstumschancen der meisten Länder südlich der Sahara sind, darauf hat Robert Kappel eindringlich hingewiesen, sehr gering. „Es wird vorerst keinen Wachstumsdurchbruch und auch keine Reduktion der Armut geben, auch wenn zahlreiche Untersuchungen immer wieder optimistische Szenarien präsentieren.“2 Mangelnde Staatstradition und der Zusammenbruch der Grundschulbildung sind Schlüsselfaktoren der gescheiterten oder kollabierten Staaten.

Anders als in vielen Staaten Asiens kann das kollektive Bewusstsein in Schwarzafrika weniger auf alte Staatstraditionen zurückgreifen. Deshalb werden die heutigen Staaten von der Bevölkerung vielfach nicht als „ihre“ Staaten anerkannt. Die militärische Beherrschung fast des gesamten Kontinents für rund 60 Jahre ab der Berliner „Kongo-Konferenz“ von 1884/85 hat das kollektive Selbstbewusstsein tief geprägt. Die Phase des „Hochkolonialismus“ wird im Verständnis der Afrikaner zudem nur als Teil einer historischen Kontinuität europäischen Einflusses seit der Festsetzung von Handelsniederlassungen an den Küsten im 16. Jahrhundert und dem traumatischen Erleben des Sklavenhandels gesehen.

Allen Staatenbildungsanstrengungen im 19. Jahrhundert nach dem Abflauen des Sklavenhandels ist gemein, dass sie – mit Ausnahme Äthiopiens unter Menelik II. – die militärische Modernisierung nicht weit genug hatten vorantreiben können, um den modernen Waffen der Großmächte, insbesondere den ersten Maschinengewehren, auf Dauer Widerstand leisten zu können. Nur dort, wo mit wenigen europäischen Kolonialbeamten und Soldaten das System der indirekten Herrschaft praktiziert wurde, konnten sich vorhandene Machtstrukturen teilweise erhalten und in begrenztem Umfang weiter entwickeln. Siedlerkolonien wie Süd-Rhodesien/Simbabwe leisteten deshalb auch am längsten Widerstand gegen die Unabhängigkeit.

Es war gleichsam ein „historischer Schock“, als der amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt dem britischen Premierminister Winston Churchill am 13. August 1941 im Rahmen der Verhandlungen über die Atlantik-Charta folgenden, auch für Afrika das Ende der Kolonialzeit einleitenden Satz abrang: „Mr. President, I think you want to abolish the British Empire … everything you have said confirms it. … You know that we know that without America, the British Empire cannot hold out.“3 Indien wurde 1947 tatsächlich unabhängig. Bis zum Ausbruch des Kalten Krieges hielten die USA an ihrer antikolonialen Grundhaltung fest. Danach erhielten die europäischen Kolonialstaaten nochmals eine Schonfrist. Aber spätestens mit der Wahl von John F. Kennedy kamen die USA auf Roosevelt zurück. Auch unter dem Einfluss der USA veränderte sich die politische Landkarte Afrikas rasant. Am 26. Mai 1963 unterzeichneten in Addis Abeba 30 Staaten die Charta der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) und schrieben die kolonialen Grenzen fest. Die neuen Staaten im Afrika südlich der Sahara waren zu diesem Zeitpunkt fast alle demokratisch verfasst.

Die Kuba-Krise und der Vietnam-Krieg bewirkten allerdings den „demokratischen Sündenfall“ des Westens. Ohne auf Widerstand aus dem Westen zu stoßen, wurden Einparteienstaaten und Militärregime zur Regel. Bis zum Ende des Kalten Krieges 1990 kam es den Westmächten vor allem auf Bündnistreue an. Die inneren Verhältnisse wurden – häufig mit sichtbaren Bauchschmerzen wie z.B. bei Idi Amin, „Kaiser“ Bokassa oder Mobutu Sese Seko – mit der Begründung der Nichteinmischung zumeist toleriert. Mit der Auflösung der Sowjetunion wurde der Westen endlich dieser Art von Verbündeten überdrüssig. Auch im Afrika südlich der Sahara wehte unter dem Beifall der afrikanischen Völker, jedoch weniger der Machthaber, wieder der Wind des Wandels – anfangs von den USA und Frankreich gemeinsam gefördert. Demokratische Parteien und „runde Tische“ schossen wie Pilze nach einem warmen Sommerregen aus dem Boden.

„Neue Generation afrikanischer Führer“

Unter dem Eindruck der Bedrohung durch den islamischen Fundamentalismus nach dem Ende des Kalten Krieges begannen die USA und Großbritannien sich jedoch schon bald erneut mit Militärherrschern wie z.B. Sani Abacha in Nigeria zu arrangieren und zogen sich im zentralen Afrika ab Herbst 1993 fast unbemerkt aus der Demokratisierungspolitik zurück. Nach dem Abzug amerikanischer Soldaten aus Somalia im Oktober 1993 wurde eine Regionalstrategie zur Bekämpfung der u.a. auch Ägypten bedrohenden „islamischen Gefahr in Khartum“ erkennbar.

Da der damalige amerikanische Präsident, Bill Clinton, nach Somalia versprochen hatte, keine amerikanischen Soldaten mehr nach Afrika zu entsenden, wurde eine Gruppe von in der einen oder anderen Form mit Khartum in Konflikt stehenden Militärführern von Eritrea bis Kinshasa (Mobutu wurde 1997 durch Laurent-Desiré Kabila ersetzt) zu amerikanischen Bundesgenossen und „stellvertretend“ tätig. Diese Verbündeten erhielten den Ehrentitel „Neue Generation afrikanischer Führer“, obgleich sie demokratische Wahlen ablehnten.

Der bei einem nur teilweise geglückten Armeeputsch in Burundi am 21. Oktober 1993 ermordete Staatschef Melchior Ndadaye wurde zum Menetekel. Der spektakulärste und verlustreichste Ausdruck dieser Politik war die (inzwischen vielfach beschriebene) britisch-amerikanische Entscheidung, den vom ugandischen Staatspräsidenten Yoweri Museveni geförderten Rebellenführer Paul Kagame – unter Hinnahme des Völkermords an der Tutsi-Bevölkerung als „Bystander to genocide“4 – den ruandischen Bürgerkrieg 1994 gewinnen zu lassen. Zu dem andauernden Chaos in der gesamten Region führte die westliche Unterstützung Ruandas und Ugandas, das Problem der Hutu-Flüchtlinge in Ost-Zaire buchstäblich „aus der Welt zu schaffen“ und Kabila mit seinen Kindersoldaten am 17. Mai 1997 in Kinshasa an die Macht zu tragen. Verlierer dieser Politik war Etienne Tshisekedi, dessen demokratische Partei UDPS zuvor von Washington gefördert worden war. Der Abbruch der Unterstützung der Demokratiebewegung und die faktische Zerschlagung der in den frühen neunziger Jahren entstandenen demokratischen Parteien UDPS in Zaïre/Kongo, FRODEBU in Burundi und MDR in Ruanda im Interesse externer Ziele hat auch andernorts zur Verbreitung des Phänomens der gescheiterten Staaten beigetragen.

Der amerikanische Außenminister, Colin Powell, bestieg nach seinem Amtsantritt am 20. Januar 2001 wieder den „demokratischen Zug“. Das Verhältnis zu Angola wurde nach dem Tod des prowestlichen Rebellenchefs Jonas Savimbi normalisiert und zum Sudan wurden Gesprächsfäden (z.B. Danforth-Bericht) geknüpft. Ruanda und Uganda mussten im Oktober 2002 ihre Soldaten aus Kongo abziehen. (Kabila war drei Tage vor Powells Amtsübernahme ermordet und in einem sehr undurchsichtigen Manöver durch seinen Adoptivsohn Joseph „ersetzt“ worden.)

Mit der Entscheidung für ein militärisches Eingreifen in Irak wurde dieser Zug jedoch de facto wieder aufs Abstellgleis geschoben. Man gab in den letzten Monaten dem alten Reflex zur Instrumentalisierung Afrikas wieder nach.5 Wer sich hinter die Irak-Politik der USA stellt, kann damit rechnen, demokratisch „in Ruhe“ gelassen zu werden. Im zentralen Afrika herrscht seither der Status quo.

Allerdings kann man feststellen, dass dort, wo der demokratische Zug Mitte der neunziger Jahre nicht entgleiste, wie z.B. in Mali, Senegal, Südafrika, weiterhin demokratische Anstrengungen honoriert wurden. Nigeria konnte sich nach dem Tod des Diktators Abacha im Juni 1998 in diese Gruppe einreihen. Eine globale „Rückkehr zu Roosevelt“ ist nicht ausgeschlossen, aber unwahrscheinlich, solange in Irak keine demokratische Stabilisierung gelungen ist.

Endogene Faktoren

Ethnische Konflikte oder – wie man früher sagte – der „Tribalismus“ spielen bei den endogenen Faktoren noch immer eine wichtige Rolle. Ein Auslöser sind dabei die kolonialen Grenzziehungen. Aber man muss sich fragen, ob es 1963 andere Lösungen als die Anerkennung dieser Grenzen gegeben hätte. Franz Ansprenger dürfte Recht haben: „Es war eine weise Entscheidung, mag sie noch so viele (meist europäische) Ethnologen verärgern. Eine Selbstbestimmung der Völker, deren Identität in vielen Fällen erst unter der Kolonialherrschaft festgestellt und erfunden wurde, hätte Afrika nach 1960 nicht die jetzt bestehenden etwa fünfzig, sondern Hunderte oder Tausende von ‚Staaten‘ eingebracht.“6

Ethnische Fragen könnten heute zumeist emotionsloser diskutiert werden, hätten die diversen Militärregime, die faktisch immer zur Dominanz einer ethnischen Gruppe geführt haben, sie nicht zum Tabu erklärt. Mit umso größerer Wucht schufen sie sich nach 1990 freie Bahn.

Dies trifft auch für religiöse Auseinandersetzungen zu. Im Kalten Krieg gab es eine gemeinsame Interessenlage vom christlich bestimmten Westen und dem Islam gegen den atheistischen Kommunismus. Dessen Zusammenbruch hat in der Religionsfrage eine neue Dynamik freigesetzt. Noch immer herrscht generell in Afrika südlich der Sahara ein liberaler Islam vor, aber auch hier ist eine wachsende antiwestliche, in Sonderheit antiamerikanische Stimmung zu beobachten. Im Gegenzug wächst der Einfluss antimuslimischer – vorwiegend, aber nicht ausschließlich – protestantisch-evangelikaler Sekten. In der Elfenbeinküste ist die religiöse Nord-Süd-Teilung des Landes ein Element der derzeitigen Staatskrise. Besonders spannend ist der Fall Nigeria. Die Zukunft wird erweisen, ob sich die schon ausgebrochenen Konflikte weiter entwickeln oder als Folge eines weltweiten Dialogs der großen Religionen eingrenzen lassen.

Wenn man die Kolonialmächte dafür verantwortlich machen kann, dass die Führer der ersten Stunde nach dem Ende des Kolonialzeitalters nicht auf die Leitung moderner Staaten vorbereitet und insbesondere auf ökonomischem Gebiet „unterbelichtet“ waren, kann man nicht umhin, diesen Führern auch die Verantwortung für die großen wirtschaftlichen Fehlentscheidungen der ersten Jahre zuzuschreiben. Und wie bei den Vätern des „afrikanischen Sozialismus“ (Kenneth Kaunda in Sambia, Julius Nyerere in Tansania, Modibo Keita in Mali, Sékou Touré in Guinea u.a.), herrscht noch immer die Grundvorstellung vor, man sei ausschließlich das Opfer der ungerechten „Weltwirtschaftsordnung“. Das Scheitern der von der Gründergeneration etablierten Planwirtschaften mit der Verfügung über Staat und Wirtschaft ist nicht ausreichend verarbeitet. Obwohl selbst links stehend, hat René Dumont mit „L’Afrique noire est mal partie“ schon 1962 auf das Problem aufmerksam gemacht. Er kritisierte vor allem, dass der afrikanische Bauer durch staatlich festgelegte niedrige Preise die Rechnung der Unabhängigkeit bezahlen sollte. Auf die wirtschaftsfeindliche Grundeinstellung afrikanischer Eliten hat Axelle Kabou 1991 mit „Et si l’Afrique refusait le développement?“7 hingewiesen.

Weltbankpräsident Robert S. McNamara hat sich 1973 Afrika mit aller Macht zugewandt. Er verkündete in einer berühmten Rede am 24. September in Nairobi, wie er durch massive Kapitalzufuhr dem Problem der Armut zu Leibe rücken wolle. Die Mitarbeiter der Bank wurden schon bald nicht mehr daran gemessen, ob sie „gute“ Projekte konzipierten und voranbrachten.8 Der „Umsatz“ wurde zum entscheidenden Indikator. Die afrikanischen Staaten wurden besonders abhängig von dem „Stoff“. Der „Kater“ ließ sich infolge langer rückzahlungsfreier Perioden hinausschieben. Erst nach dem Ausscheiden McNamaras  1981 aus der Weltbank begann die Schuldenkrise virulent zu werden. Die forcierte Darlehensvergabe der Weltbank wurde aber auch noch fortgesetzt, als erkennbar war, dass die meisten afrikanischen Staaten ihre Exporte nicht in erwartetem Maße steigern konnten und das Geld nicht für produktive Investitionen benutzt wurde. Als Teilhaber der Bank können die Entwicklungsländer mitwirken, sich das „süße Gift“ selbst zu verordnen. Zudem fordert die Weltbank entgegen ihrer marktwirtschaftlichen Programmatik – z.B. im Rahmen der Auflagen für Schuldenerlass – von den Entwicklungsländern noch immer Fehlallokation verursachende gesamtstaatliche Investitionsplanung.

Sechs deutsche Afrika-Wissenschaftler haben in einem – häufig als afrika-pessimistisch kritisierten – Memorandum9 aus dem Jahr 2000 den Begriff „strukturelle Stabilität“ geprägt, die es zu fördern gelte. Dabei ist „eine ausreichende Legitimation des Staates“ ein zentrales Element. Strukturell stabil können nur Staaten sein, in denen ein Grundkonsens zwischen Bevölkerung und Staatsführung herrscht. Auch im Afrika südlich der Sahara ist das „Welterbe“ Demokratie das Mittel der Wahl. Ein „afrikanischer Sonderweg“ wäre ein Irrweg und sollte von außen nicht gefördert werden. Wo er in den neunziger Jahren beschritten wurde, hat er wie „Brandfackeln“ gewirkt.

Es kann nicht darum gehen, demokratische Ordnungen mit Gewalt durchzusetzen. Vielmehr müssen eigenständige demokratische Bewegungen unterstützt und gegebenenfalls auch militärisch vor Warlords aller Art geschützt werden. Die von einigen Militärherrschern der „neuen Generation afrikanischer Führer“ vorgetragene Behauptung, Afrika sei „für Demokratie noch nicht reif“, ist als Machterhaltungsvorwand zu verstehen.

Die Staaten werden allerdings ein neues Verhältnis von Zentralisierung und Regionalisierung finden müssen. Bis zu einem gewissen Grad hat die „souveräne Nationale Konferenz“ in Kinshasa in der ersten Hälfte der neunziger Jahre Pionierarbeit geleistet. Damals wurde eine Verfassung ausgearbeitet, die in angemessener Weise festlegt, wie die verschiedenen Völker eines niemals zuvor in diesen Grenzen bestehenden Staates zusammenbleiben und in starken Regionaleinheiten untergliedert sein wollen.

Der heute vorherrschende „neopatrimoniale Staat“, in dem noch immer die „Chefs“ über die staatlichen und wirtschaftlichen Ressourcen zusammen mit einer kleinen Klientel verfügen, kann nur schrittweise überwunden werden. Es wäre möglich, die auf zentrale Funktionen eingeschränkten Staaten als funktionierende Ordnungsgeber und -hüter zu stabilisieren und der Wirtschaft in einem kalkulierbaren Rechtsrahmen die nötigen Spielräume zu verschaffen.

Carola Kaps, ehemaligeAfrika-Korrespondentin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, hat das Problem auf den Punkt gebracht: „Sowohl die bilateralen Geber wie auch die Weltbank und andere multilaterale Institutionen haben über Jahrzehnte hinweg den Staat – und nicht den individuellen Menschen – in den Mittelpunkt ihrer Bemühungen gestellt und damit beigetragen, dass Ineffizienz und Korruption gefördert, dagegen Eigeninitiative und -verantwortung erstickt worden sind.“10 Private Kapitalzuflüsse und sinnvolle Kapitalnutzung zum Aufbau von wirtschaftlichen Binnenkreisläufen werden noch immer behindert. Das ist noch schädlicher als die Importhindernisse für afrikanische Produkte auf den Märkten des Nordens.11 Der Aufbau einer Unternehmerschaft wurde und wird hinausgezögert. Unter wirtschaftskonformen Rahmenbedingungen könnte z.B. der von der Natur so reich ausgestattete Gürtel von Angola über Gabun und die beiden Kongos bis zu Sudan sein Potenzial in relativ kurzer Frist entfalten und zum Wachstumsmotor für die Nachbarregionen werden. Dann könnte sich das Afrika südlich der Sahara stabilisieren, ohne dass schon gerechtfertigt wäre, „blühende Landschaften“ zu versprechen.

Nur ganz besonders benachteiligten Regionen müsste dann noch – mit all den darin enthaltenen Souveränitätseinbußen – „geholfen“ werden. Hierfür wäre eine strukturelle Reform der Weltbank im Sinne des so genannten Meltzer-Berichts nötig. In diesem Bericht aus dem Jahr 2000 wird empfohlen, der Weltbank auch unter Inkaufnahme eines reduzierten Vergabevolumens die Gewährung von Zuschüssen zu ermöglichen, um nicht nach den laufenden Entschuldungsaktionen die Schuldenspirale – z.B. durch AIDS-Bekämpfung per Darlehen – erneut in Gang zu setzen. Vorhaben, die ihre Devisenkosten „einspielen“ können, sollten zunehmend an den privaten Bankensektor, der politischen Einflüssen bei der Vergabe weniger zugänglich ist, verwiesen werden.12

Für langfristige Hilfsmaßnahmen in armen Ländern – ohne allerdings auf das gefährliche Instrument von Budgethilfen zurückzugreifen – ist das Bildungswesen der Schlüsselindikator, da selbst die AIDS-Verbreitung im weiteren Sinne ein Bildungsmangel ist. In keinem Land darf der Zusammenbruch des Primarschulwesens zugelassen werden. Hier muss zulasten ressourcenstärkerer Länder geholfen und die Mittelvergabe verantwortlich kontrolliert werden.

Abschied von Träumen

Die internationale Gemeinschaft sollte eine realistische Bestandsaufnahme vornehmen. Die von der 55.UN-Generalversammlung verabschiedeten Millenniumsziele atmen den Geist der frühen neunziger Jahre, als man von einer „Friedensdividende“ nach dem Ende des Kalten Krieges ausging. Man übersah dabei die Tatsache, dass nicht nur das „sozialistische Lager“ unter dem Wettrüsten zusammengebrochen war, sondern auch der Westen von der Hochrüstung erschöpft war. Die Staatsverschuldung bremste – z.B. aller verbalen Erklärungen der verschiedenen deutschen Bundesregierungen zum Trotz – die „Geberlaune“ des Westens gewaltig.

Es ist gefährlich, die Armen dieser Welt glauben zu machen, man könne innerhalb eines Jahrzehnts ihre Lage grundlegend verbessern. Enttäuschte Illusionen können wie Sprengstoff wirken. Die Nord-Süd-Konferenz in Johannesburg 2002 hat die Zweifel an den vollmundigen Erklärungen der „Nordleute“ deutlich gemacht. Aber auch die „Südleute“ sollten erkennen, dass es keinen Sinn mehr hat, auch bei den sektoral ausgerichteten Weltkonferenzen immer wieder – zumeist in Konfrontation mit den USA – unerreichbare Zielsetzungen festzuschreiben. Man kann sich auch fragen, ob die von den G-8-Gipfeln verbal unterstützte Neue Partnerschaft für Afrikas Entwicklung (NEPAD) angesichts der gegebenen Lage viel zu viel verspricht. Die Prognose von Peter Molt hat sich leider bestätigt: „Die nachrangige Rolle der Entwicklungspolitik beim Kampf gegen den Terrorismus dürfte dazu führen, dass die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit weiterhin stagnieren oder sogar gekürzt werden. Zusätzliche Mittel werden eher für militärische Aufgaben und Wiederaufbaumaßnahmen bereitgestellt werden.“13

Afrika südlich der Sahara hat zum Glück keine zentrale strategische Bedeutung beim Kampf gegen den internationalen Terrorismus – so müsste man auch der Versuchung widerstehen können, erneut mit zweifelhaften Regimen zu paktieren. Die internationale Gemeinschaft sollte trotz aller finanziellen Zwänge demokratische Parteien massiv fördern und auch Demokraten im Exil auf Verantwortungsübernahme in Staat und Wirtschaft vorbereiten, wenn sie – hoffentlich bald – in ihre Heimatländer zurückkehren können.

Der frühere amerikanische Außenminister Warren Christopher hat auf seiner einzigen Afrika-Reise in einer Rede vor der Organisation für Afrikanische Einheit am 10. Oktober 1996 in Addis Abeba eine Art politisches Testament hinterlassen: „Die Investitionen, die wir heute auf dem Gebiet der Demokratie tätigen, sind geeignet zu vermeiden, dass wir morgen in Notsituationen tätig werden müssen. Die beste Strategie zur Konfliktvermeidung ist die Demokratie.“

Anmerkungen

1  Von ca. 120 Millionen Menschen 1948 auf über 600 Millionen im Jahr 2000.

2  Robert Kappel, Die Ursachen der Wachstumsschwäche Afrikas, in: Internationales Afrikaforum, 3/2002, S. 227.

3  Elliott Roosevelt, Mon Père m’a dit, Paris 1947, zitiert nach: Susan George und Fabrizio Sabelli, Faith and Credit. The World Bank’s Secular Empire, Boulder 1994, S. 23.

4  So der Titel des sehr aufschlussreichen Aufsatzes von Samantha Power in: Atlantic Monthly 288 (Heft 2/2001). Die Tatsache, dass die USA bisher beharrlich eine Untersuchung des den Völkermord auslösenden Flugzeugabschusses vom 6.4.1994 verhinderten, hat zu weitgehenden Spekulationen über eine mögliche Verwicklung der USA geführt.

5  Die Afrika-Reise von Präsident George W. Bush im Juli 2003 sollte diesem Eindruck – ohne großen Erfolg bei der internationalen Öffentlichkeit – begegnen.

6  Franz Ansprenger, Geschichte Afrikas, München 2002, S. 80.

7  René Dumont, L’Afrique noire est mal partie, Paris 1962; Axelle Kabou, Et si l’Afrique refusait le développement, Paris 1991.

8  Diese Ausführungen werden bestätigt bei George/Sabelli, a.a.O. (Anm. 3).

9  Memorandum zur Neubegründung der deutschen Afrikapolitik, Institut für Afrikanistik der Universität Leipzig, Oktober 2000.

10 Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.10.2000.

11 Damit soll die Schädlichkeit von Exportsubventionen des Nordens für Agrarprodukte (z.B. Baumwolle) nicht klein geredet werden.

12 Der Bericht auf Deutsch ist in Auszügen abgedruckt in: Internationale Politik (IP), 6/2000, S. 96 ff.

13 Peter Molt, Ein neuer Realismus in der Entwicklungspolitik, in: IP 4/2002, S. 63–70.