Globale NATO – aber wie?
Amerika setzt auf Allianzen außerhalb der NATO als neue Säule des Bündnisses
Unter den Verbündeten ist es mittlerweile unstrittig, dass die NATO global agieren soll. Doch die Krise um die Lastenteilung in Afghanistan zeigt: Mit der Handlungsfähigkeit ist es nicht allzu weit her. Befürwortern einer weltweit operierenden NATO wie den USA kommt es daher entgegen, dass sich eine Reihe demokratischer Staaten auch außerhalb des Bündnisses an gemeinsamen Operationen beteiligt. Washington will solche globalen, privilegierten Partnerschaften zu einer neuen Säule der NATO machen. Doch dies provoziert Streit.
Der Aufwertung der NATO zu einer „Allianz der Demokratien“ haben sich die USA bereits seit einiger Zeit verschrieben. So erklärte im März 2006 der stellvertretende Leiter der Europaabteilung im US-Außenministerium, Kurt Volker, dass die „Neuaufnahme gleich gesinnter Demokratien“ die NATO als „Kern unserer globalen demokratischen Sicherheitsgemeinschaft“ weiter stärken könne. Angesichts der bestehenden Zusammenarbeit mit Ländern wie Australien, Südkorea oder Japan in Afghanistan, auf dem Balkan und im Irak müsse über eine vertiefte Partnerschaft mit diesen Ländern gesprochen werden. Während Beobachter in Washington auf eine Mitgliedschaft der Partnerländer drängten, zerstreute die amerikanische NATO-Botschafterin Victoria Nuland im Juni 2006 Befürchtungen über ein weltumspannendes Bündnis: „Dies bedeutet keine globale NATO. Es bedeutet Partnerschaft, nicht Allianz.“ So sieht das auf dem NATO-Gipfel in Riga verabschiedete Partnerschaftskonzept die stärkere militärische und politische Zusammenarbeit mit den so genannten „Contact Countries“ wie Australien, Neuseeland, Südkorea und Japan vor – als dritte Säule der NATO neben den Partnerschaften mit Nachbarregionen und den Sonderbeziehungen zu Russland und der Ukraine.
Das dem neuen Partnerschaftsansatz zugrunde liegende amerikanische Kalkül sorgt jedoch für Spannungen. Den USA geht es schlicht um die Handlungsfähigkeit der NATO: Immerhin tragen die Partnerstaaten direkt zu den NATO-geführten Operationen bei und können für sich in Anspruch nehmen, auch an den entsprechenden Abstimmungen im Bündnis teilzunehmen. Nach dem Willen Washingtons sollen sie auch die nötigen Fähigkeiten, Ressourcen und den politischen Willen für kommende Einsätze aufbauen. Derartige Verbündete außerhalb der NATO könnten damit leichter für US-geführte Missionen herangezogen werden. Der Umstand, dass die Partnerländer allesamt in der Großregion Asien-Pazifik beheimatet sind, kommt der Ausrichtung amerikanischer Sicherheitspolitik im Hinblick auf mögliche Auseinandersetzungen mit China zusätzlich entgegen. Die Europäer befürchten jedoch, dass ein solcher Ausbau die Möglichkeiten der USA erweitert, Koalitionen der Willigen unabhängig vom Bündniskonsens aufzustellen. Nicht zuletzt ist für die USA die Option attraktiv, neben den UN ein neues politisches Gravitationszentrum der Demokratien zu etablieren, das sie selbst dominieren können – wie bereits die NATO.
Bindung an das Bündnis?
Es spricht wenig dagegen, die Zusammenarbeit mit den Partnern durch regelmäßige Konsultationen, gemeinsame Transformationsprogramme oder Übungen aufzuwerten. Strittig aber ist eine vertiefte Integration in die Entscheidungsmechanismen der Allianz – eine solche Partnerschaft kurz vor der Mitgliedschaft hätte gravierende Konsequenzen für ihr politisches Gefüge.
Die NATO müsste um ihren politischen Zusammenhalt fürchten. Schon jetzt ist der Konsens unter den Alliierten schwach, regelmäßig gibt es Konflikte über die Anwendung militärischer Gewalt oder die Rolle in der Welt. Die Annahme, die NATO einige sich im Schulterschluss mit anderen demokratischen Staaten, zumal mit eigenständigen Regionalinteressen, leichter auf ein gemeinsames Vorgehen, dürfte sich als Trugschluss erweisen. Für die neuen Partner ist es vor allem die Beziehung zu den USA, welche die Bindung an das Bündnis attraktiv macht. Dazu kommen Probleme bei der Kandidatenauswahl: Wie geht man mit europäischen Partnern um, die nicht in der NATO sind? Wie mit nichtdemokratischen Staaten, ohne die das Engagement der NATO in Afghanistan schwer vorstellbar ist – wie Usbekistan oder Pakistan?
Die Partner könnten die NATO zudem in knifflige politische Verwicklungen stürzen. Zwar ist es unwahrscheinlich, dass eine globale NATO ihren Beistandsartikel auch auf die Partner ausdehnt. Doch was, wenn diese politische Unterstützung für jene Risiken einfordern, die wenig mit der Sicherheit der jetzigen NATO-Staaten zu tun haben? Droht die Allianz so in einen Konflikt zwischen Nord- und Südkorea gezogen zu werden oder in eine Auseinandersetzung in Ost-Timor? Dies lenkt den Blick auf ein weiteres Problem: eine mögliche Konfrontation der NATO mit China. Zwar streben die USA offiziell eine politische und militärische Kooperation mit Peking an, gleichwohl überwiegt in Washington das Misstrauen angesichts hoher chinesischer Militärausgaben und gemeinsamer Militärmanöver mit Russland und anderen Staaten in der Schanghai-Organisation für Zusammenarbeit (SCO). Eine Partnerschaft der NATO mit Japan oder Süd-Korea hätte für die USA demnach strategische Bedeutung, die ihrerseits in Widerspruch zur eher ökonomisch angelegten China-Politik der EU geraten kann.
Schließlich müssen die Auswirkungen auf die internationale Ordnung bedacht werden, die auf der Vormacht der UN und den Prinzipien der Staatengleichheit beruht. Eine globale NATO, getragen von der Selbstüberzeugung etablierter Demokratien, könnte in Versuchung geraten, militärische Mittel auch ohne völkerrechtliches Mandat anzuwenden. Eine Entwertung der UN und die Aushöhlung des Konzepts kollektiver Sicherheit wären die Folge.
Das größte Problem einer weltweit agierenden NATO dürfte jedoch der fehlende politische Wille der Mitgliedsstaaten sein, mit ihren Soldaten überall und jederzeit präsent zu sein. Beim globalen Krisenmanagement muss der NATO das Kunststück gelingen, ihren Einfluss auch ohne eine umfassende Beteiligung der Streitkräfte zu gewährleisten; der neue Partnerschaftsansatz der Allianz hilft allerdings wenig, das Bündnis auf der Weltbühne einsatzfähig zu machen.
Partnerorganisationen aufbauen
Genauso wichtig wie die Partnerschaft mit einzelnen hilfsbereiten Staaten ist daher der Ausbau der Beziehungen mit den UN und den regionalen Akteuren, mit dem Ziel, ein Netzwerk von Sicherheitsorganisationen zu flechten, die mehr und mehr für das Krisenmanagement in ihrer jeweiligen Region zuständig sind – in Afrika, im Mittleren Osten, in Zentralasien. Die NATO operierte als Kern eines solchen Netzwerks, Voraussetzung wäre ein Ausbau der ohnehin schon intensiven Zusammenarbeit zwischen dem Hauptquartier und dem UN-Generalsekretariat. Vor diesem Hintergrund würde sich die Allianz beim UN-Sicherheitsrat für die völkerrechtliche Mandatierung entsprechender Einsätze stark machen – mit dem Gewicht, nicht der Dominanz der demokratischen Bündnispartner.
Aufgabe der NATO wäre demnach, die Leistungsfähigkeit ihrer Partnerinstitutionen zu stärken, indem sie bestimmte Dienstleistungen zur Verfügung stellt: Ausbildung, Beratung und finanzielle Unterstützung beim Ausbau administrativer Fähigkeiten, Bereitstellung von Transportflugzeugen und Schiffen für die Verlegung der jeweiligen Truppen ins Krisengebiet, Kommunikations- und Aufklärungstechnologie, um die Einsatzfähigkeit der vor Ort agierenden Streitkräfte zu erhöhen. Bisher sind die Erfahrungen ernüchternd. Das Modell einer solchen Partnerschaft ist die Kooperation zwischen der NATO und der Afrikanischen Union (AU) bei der Durchführung der AU-Mission im Sudan. Die NATO stellte Flugzeuge zur Truppenverlegung bereit und erhöhte durch die Ausbildung von Personal die AU-Einsatzfähigkeit. Trotz dieser Unterstützung war die Mission nicht in der Lage, die Bevölkerung in Darfur zu schützen; sie wurde mittlerweile durch eine UN-Mission ersetzt, was allerdings nicht die Rolle der NATO diskreditiert.
Erschwerend kommt hinzu, dass es nicht überall Sicherheitsorganisationen gibt, welche zum einen die politische Kohärenz aufweisen und zum anderen die militärische Planungsfähigkeit aufbauen können, um im Krisenmanagement aktiv zu werden. So gibt es etwa im ASEAN-Regionalforum noch keine militärpolitische Zusammenarbeit, verfügt der Golf-Kooperationsrat erst über eine kleine gemeinsame Truppe, sind Militärübungen der SCO eher als Macht-Demonstration an die westliche Adresse gedacht.
Hier kommen die neuen Partnerstaaten ins Spiel. Diese müssten danach ausgesucht werden, ob sie als „politische Unternehmer“ ihr Gewicht dafür einsetzen können, solche Organisationen funktionsfähig zu machen. Folglich müssten nicht nur „willige“ Partner in Asien, sondern auch regionale Großmächte wie Brasilien, Südafrika, Ägypten oder Saudi-Arabien eingebunden werden, ebenso Russland, trotz aller Widrigkeiten. Die westlichen Verbündeten sollten dazu stärker auf politische, ökonomische und finanzielle Anreize setzen, um ihre Partner für diese schwierige Aufgabe zu gewinnen.
Die Anbindung der Partnerstaaten an die Allianz bleibt also wünschenswert, solange sie operativ ausgerichtet ist und unterhalb der Schwelle einer Beinahe-Mitgliedschaft bleibt. Die zentrale Aufgabe dieser Netzwerke sollte aber das Engagement der Partner in ihren eigenen Regionalorganisationen sein.
Dr. HENNING RIECKE, geb.1966, ist Programmleiter Europäische Außen- und Sicherheitspolitik bei der DGAP.
SIMON KOSCHUT, geb.1977, ist Programmmitarbeiter USA/Transatlantische Beziehungen bei der DGAP.
Internationale Politik 3, März 2008, S. 63 - 65