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01. Febr. 2006

Ein Tandem für Nahost

Deutschlands und Frankreichs Beitrag für eine Konfliktlösung

Frankreich pflegt seit Jahrzehnten ein intensives Verhältnis zu den Palästinensern. Deutschland verbinden „besondere Beziehungen“ mit Israel. Die Betrachtung des Nahost-Konflikts fällt dementsprechend unterschiedlich aus. Vor Ort arbeiten deutsche und französische Diplomaten kaum zusammen. Trotzdem gelang es den Gründungsnationen der EU, eine für alle EU-Länder akzeptable und zukunftsweisende Nahost-Politik zu formulieren.

In Überlegungen zur europäischen Außenpolitik stellt sich die Frage nach dem deutsch-französischen Motor fast zwangsläufig.1 Die Annäherung zwischen Deutschland und Frankreich stand am Anfang der europäischen Integration. Beide Länder trugen in entscheidenden Momenten zur politischen Konsolidierung der EU bei. Nicht immer waren sie erfolgreich, wie die Ablehnung der europäischen Verfassung durch das französische Referendum im Mai 2005 gezeigt hat.

Im Nahen Osten teilen Frankreich und Deutschland bestimmte Interessen. Die spektakulärste gegenseitige Solidaritätsbekundung fand im Frühjahr 2003 statt, als das Tandem Schröder/Chirac sich gegen die amerikanische Intervention im Irak aussprach. Auch der Versuch, gemeinsam mit Großbritannien in der Nuklearfrage mit Iran zu vermitteln, bietet ein gutes Beispiel deutsch-französischer Zusammenarbeit. Der israelisch-palästinensische Konflikt könnte zu einem weiteren Testgebiet für eine zukünftige deutsch-französische Außenpolitik im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) werden. Die EU hat im Laufe der Jahre eine gemeinsame Position erarbeitet, die einen Konsens aus den teils stark divergierenden Positionen der EU-Mitgliedsstaaten darstellt.2

Deutschland und Frankreich bewerten den israelisch-palästinensischen Konflikt von Grund auf sehr unterschiedlich. Unter dem ehemaligen Außenminister Joschka Fischer hatte die deutsche Diplomatie einige Initiativen unternommen, während Frankreich sich in dieser Frage seit geraumer Zeit eher auf dem Rückzug befindet. Inwiefern sind die Positionen beider Länder komplementär? Könnten sie die Basis für eine gemeinsame Initiative im europäischen Rahmen bieten?

Zweierlei Verantwortung

Die Positionen und Reaktionen Deutschlands und Frankreichs gegenüber dem israelisch-palästinensischen Konflikt definieren sich je nach Zustand der Beziehungen zu den Konfliktparteien. Die  Handlungsmöglichkeiten beider Länder sind durch sehr spezifische Parameter eingeschränkt.

Aufgrund der historischen Verantwortung gegenüber der jüdischen Gemeinschaft pflegt Deutschland eine „besondere Beziehung“ zu Israel. Beide Seiten bezeichnen sie als sehr eng; die Zusammenarbeit in den Bereichen Wirtschaft, Militär, Sicherheit, Wissenschaft und Kultur verläuft zur gegenseitigen Zufriedenheit. Auf politischer Ebene jedoch können deutsche Diplomaten ihre Uneinigkeit mit Israel in bestimmten Fragen nicht öffentlich äußern; ein kritischer Dialog kann nur privat geführt werden.3 Wenn auch in den politischen Lagern die Auffassungen über die Unterschiede zwischen Israel-Kritik und Antisemitismus/Antizionismus variieren, so besteht doch Konsens darüber, dass gegenüber dem jüdischen Staat als Heimat zahlreicher Holocaust-Überlebender eine gewisse Vorsicht in der Kommentierung israelischer Politik angebracht ist. Aus französischer Perspektive ist dies manchmal schwer nachzuvollziehen.

Die französisch-israelischen Beziehungen sind auf andere Art besonders.4 Sie begannen unter einem besseren Vorzeichen: Frankreich hatte Israel in seinen Anfängen entschieden unterstützt, sich im Suez-Feldzug von 1956 auf israelischer Seite engagiert und einen Großteil der militärischen Ausrüstung geliefert, die einen israelischen Sieg ermöglichten. Nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967 brach es die diplomatischen Beziehungen zu Israel ab, um das Verhältnis zu den arabischen Ländern nicht zu gefährden. Dieser „gaullistische Verrat“ (und vor allem das Waffenembargo gegen Israel) wurde von Israel bis heute nicht verziehen. Die französisch-israelischen Beziehungen sind auch heute noch angespannt, wie Krisenperioden im Jahr 2004 zeigen.5 Israel wirft der französischen Diplomatie vor, sich im Konflikt mit den Palästinensern parteiisch zu verhalten. Die letzten Besuche französischer Außenminister bei Jassir Arafat wurden von Israel als Provokation empfunden. Seit einem Besuch Ariel Scharons in Frankreich im Juli 2005 versuchen sich beide Länder wieder anzunähern.

Das deutsche Engagement für die Palästinenser ist weniger sichtbar als die Unterstützung für Israel, aber dennoch groß. Deutschland sieht sich in einer doppelten historischen Verantwortung: die Gründung des Staates Israel als Folge des Holocausts ist auch eine Ursache für das Leid der Palästinenser. Immer an „Ausgewogenheit“ interessiert,6 hat sich die Bundesrepublik bereits 1974 als erster europäischer Staat vor den Vereinten Nationen für das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser ausgesprochen und in den nachfolgenden Jahren entscheidend für eine gemeinsame europäische Position eingesetzt. Seit der Unterzeichnung der Abkommen von Oslo 1993 unterstützte das wiedervereinigte Deutschland die Palästinensische Autonomiebehörde (PA). Als erstes Land eröffnete Deutschland im August 1994 eine Vertretung in Jericho. Bis zum Ausbruch der zweiten Intifada im Herbst 2000 hat Deutschland eine intensive Zusammenarbeit mit den Palästinensern aufrechterhalten. Bis heute bleibt Deutschland der wichtigste europäische Geldgeber für die Palästinenser. Der politische Diskurs konzentriert sich auf die notwendige Reform der Autonomiebehörde.

Frankreich wird von den Palästinensern als Freundesland angesehen, das von der ersten Stunde an die palästinensische Sache maßgeblich unterstützt hat. Kurz nach François Mitterrands Rede vor der Knesset 1982, in der er die Notwendigkeit eines palästinensischen Staates betonte, beteiligte sich Frankreich an der Stationierung der multinationalen Schutztruppe im Libanon, die es ermöglichte, PLO-Kämpfer aus dem von Israel belagerten Beirut zu evakuieren. Die Solidarität mit Jassir Arafat wurde – im Gegensatz zu den offiziellen israelischen und amerikanischen Positionen – auch später niemals dementiert. Dass Arafat bis zu seinem Tod in Paris gepflegt wurde, war auch ein Zeichen an die Palästinenser. Zahlreiche französische Städte und NGOs arbeiten mit Partnern in den besetzten Gebieten zusammen und die französische öffentliche Meinung ist besonders sensibel für die palästinensische Sache. Das Engagement der französischen Diplomatie in der Region des Nahen Ostens insgesamt trägt zur Popularität Jacques Chiracs in der arabischen öffentlichen Meinung bei. Auch die Stellungnahme Frankreichs in der Irak-Krise verstanden die Palästinenser als Solidaritätsbekundung.7

Vergebliche Bemühungen

Seit dem Beginn der Al-Aksa-Intifada im September 2000 bemühen sich  europäische Diplomaten vergebens um eine friedliche Regelung.

Vor allem Deutschland intervenierte unter dem ehemaligen Außenminister Joschka Fischer mehrfach. Bereits im März 1999 wurde unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft die Erklärung von Berlin unterschrieben, mit der zum ersten Mal alle EU-Mitgliedsstaaten die Gründung eines palästinensischen Staates befürworteten und sich bereit erklärten, diesen sofort anzuerkennen. Im Juni 2001 gelang es durch Fischers Vermittlung nach einem Selbstmordattentat in der Tel Aviver Diskothek „Dolphinarium“, einen israelischen Gegenschlag zu verhindern. Dieses Ereignis beschleunigte sein persönliches Engagement für den Kon-flikt. Im April 2002 veröffentlichte das Kabinett des Ministers den „7-Punkte-Plan“, der präzise Etappen für eine Befriedung und das Prinzip eines externen Überwachungsmechanismus für die Sicherheit beider Parteien enthielt sowie auf einer notwendigen Demokratisierung der palästinensischen Institutionen bestand. Der Plan gilt als Inspirationsquelle der „Roadmap“ vom April 2003, die für das Nahost-Quartett bis heute als das Referenzdokument für eine Regelung des Konflikts gilt. Fischer wurde von beiden Konfliktparteien als wertvoller Vermittler angesehen. Sein Handlungsspielraum war jedoch sehr eng, sein wirklicher Einfluss blieb begrenzt. Um auf israelische Positionen einzuwirken, setzte Fischer seine Vermittlerrolle bei den anderen Europäern ein und insistierte auf seiner Fähigkeit, als „Advokat Jerusalems“8 israelische Positionen in Brüssel zu verteidigen, aber auch auf der Notwendigkeit, einen Kompromiss finden zu müssen.

Dieser neue deutsche außenpolitische Aktivismus unter Fischer rief in Frankreich insofern Erstaunen hervor, als der Nahost-Konflikt schon immer als eine Art französisches Hoheitsgebiet betrachtet wird. Traditionell plädiert Frankreich für eine Internationalisierung der Konfliktregelung, die das amerikanische Monopol in dieser Frage aufbrechen soll.9 Die letzten ernsthaften Versuche eines Engagements wurden unter Außenminister Hubert Védrine (1997–2002) unternommen; sie zielten auf eine möglichst schnelle Ausrufung eines palästinensischen Staates und das Abhalten von Wahlen in den besetzten Gebieten ab. Seitdem ist Frankreich weniger präsent; seine Einflussmöglichkeiten gegenüber der israelischen Regierung verringerten sich.

Wie entwickeln sich die deutsch-französischen Beziehungen vor diesem Hintergrund?

Besser in Paris und Berlin

Die deutsch-französischen Beziehungen sind ein konstanter Parameter in der Konzeption und der Umsetzung der Außenpolitiken beider Länder. Auf der gemeinsamen deutsch-französischen Agenda stehen zahlreiche Treffen mit dem Ziel, die deutschen und französischen Positionen zu zentralen Fragen der internationalen Politik zu harmonisieren.

Der Informationsaustausch stellt nur die erste Ebene der Zusammenarbeit dar. Darüber hinaus wurden konkrete Austauschmechanismen zwischen Quai d’Orsay und Auswärtigem Amt eingerichtet: Mobilität des Personals zwischen beiden Ländern (auch zwischen den Botschaften im Ausland), regelmäßige Kommunikation zwischen den für die gleichen Bereiche zuständigen Beamten. Beide Außenministerien versuchen ihre Positionen zu bestimmten Fragen zu koordinieren, was jedoch nur möglich ist, wenn sich deutsche und französische Interessen überschneiden. Im September 2004 wurde während eines Botschaftertreffens der Nahe und Mittlere Osten als privilegierter Bereich der deutsch-französischen Abstimmung benannt. Seit einiger Zeit ist diese Region tatsächlich ein Testgebiet für eine erneuerte deutsch-französische Partnerschaft. Die gemeinsamen Anstrengungen, die das deutsch-französische Team unternommen hat, um einen Krieg im Irak zu verhindern, werden von Diplomaten beider Länder als ein positives Beispiel gelungener Zusammenarbeit genannt. Inzwischen beteiligt man sich nach Absprache an der Ausbildung irakischer Offiziere. Beide Länder möchten sich für einen freien und demokratischen Libanon einsetzen. Die Zusammenarbeit in den Verhandlungen mit Iran zeigt, dass hier drei europäische Staaten in der Lage sind, ihre außenpolitischen Ambitionen zu teilen und eine Kernallianz für die zukünftige GASP darstellen könnten.

Während die Bereitschaft zu einer deutsch-französischen Zusammenarbeit in den Ministerien und Administrationen in Berlin und Paris groß ist, ist sie in Israel und in den palästinensischen Gebieten vergleichsweise geringer. Die Koordination deutscher und französischer Positionen gegen-über den Konfliktparteien gestaltet sich in der Praxis sehr schwierig. Die sonst üblichen Mechanismen der deutsch-französischen Zusammenarbeit funktionieren hier nicht. Die diplomatischen Vertretungen beider Länder in Israel und in den palästinensischen Gebieten pflegen keinen regelmäßigen Kontakt zueinander und begegnen sich sogar eher mit Misstrauen. Die deutsche Diplomatie ist durch ihre besonderen Beziehungen zu Israel sehr eingeschränkt; sie verfügt zwar über einen privilegierten Zugang zu israelischen Machtkreisen, aber ihre Möglichkeiten, Stellung zum Konflikt zu beziehen, sind begrenzt. Die gespannten Beziehungen Frankreichs zu Israel zwingen die französischen Diplomaten in Tel Aviv und im Generalkonsulat in Jerusalem zu einer Position der Zurückhaltung. Das politische und repräsentative Gewicht Frankreichs gegenüber den Palästinensern wird als eindeutig größer wahrgenommen. Französische Diplomaten äußern sich pessimistisch über die Frage nach einer regelmäßigen Zusammenarbeit mit ihren deutschen Kollegen, während sich deutsche Diplomaten in gewisser Weise isoliert fühlen. Einzig nennenswertes positives Beispiel der Zusammenarbeit vor Ort ist die Gründung eines gemeinsamen Kulturzentrums in Ramallah im Juni 2004, das aus einem Goethe--In-stitut und einem Centre Culturel Français entstand. Die Initiative wurde in Paris und Berlin wohlwollend aufgenommen, wenn auch vereinzelte französische Stimmen befürchten, dass es nicht opportun sei, in den palästinensischen Gebieten eine solche Nähe zu Deutschland zu demonstrieren.

Was die wirtschaftliche Kooperation mit Israel und die Entwicklungszusammenarbeit mit den Palästinensern betrifft, befinden sich Deutschland und Frankreich eher in Konkurrenz. Deutschen Firmen fällt es leichter, sich auf dem israelischen Markt niederzulassen, während französische Firmen unter dem schlechten politischen Image Frankreichs leiden. Deutschland ist der wichtigste europäische Geldgeber für die Palästinenser, Frankreich steht an siebter Stelle.10 Deutschland setzt auf einen pragmatischen Entwicklungsansatz, der undankbar in bezug auf sein Image ist, aber auf die dringendsten Bedürfnisse der Palästinenser eingeht (Wasserversorgung, Abfallmanagement, medizinische Ausstattung). Frankreich bevorzugt die kulturelle Kooperation, die als eine Fortsetzung der politischen Positionen gesehen werden kann.

Keine offenen Konflikte

Seit über 30 Jahren beziehen die Europäer Stellung zum israelisch-palästinensischen Konflikt.11 Aber die verschiedenen EU-Mitgliedsstaaten beteiligen sich nicht gleichermaßen an der Formulierung einer gemeinsamen Position. In Brüssel unterscheidet man drei Arten von Akteuren, die sich regelmäßig zum israelisch-palästinensischen Konflikt äußern: Deutschland, Frankreich und die Transatlantiker.

Die Positionen, die Frankreich und Deutschland im europäischen Rahmen verteidigen, entsprechen in den meisten Fällen den bereits beschriebenen nationalen Präferenzen. Deutschland übernimmt die Rolle des israelischen Nachrichterüberbringers in den europäischen Institutionen, vertritt aber gleichzeitig eine politische Position im Rat, die dem traditionellen deutschen Diskurs der Ausgewogenheit entspricht. Das Anliegen Fischers war es, weder nationale Alleingänge zu unternehmen, noch systematisch Israels Interessen zu verteidigen. Deutschland verfolgt einen eher pragmatisch orientierten Kurs und ist bemüht, jedwede politische Entgleisung zu vermeiden. Dies wird sich auch unter Außenminister Frank-Walter Steinmeier kaum ändern.

Deutsche und französische Divergenzen werden in bestimmten Fragen sichtbar, doch zu offenen politischen Auseinandersetzungen kommt es nicht. Beide Länder befürworten die finanzielle Unterstützung der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) und betrachten diese als eine notwendige Etappe auf dem Weg zur Konsolidierung der Institutionen eines zukünftigen palästinensischen Staates. Unterschiedliche Ansichten bestehen über die Ziele dieser Hilfe: Deutschland insistiert auf der notwendigen Reform der PA, für Frankreich steht die politische Unterstützung im Vordergrund.

Zwei weitere kontroverse Fragen betreffen die ökonomischen Beziehungen zu Israel. Die Bezeichnung der israelischen Exportprodukte, hergestellt von Siedlern auf palästinensischem Gebiet, bietet regelmäßig Anlass zu Diskussionen. Frankreich erkennt die israelischen Labels auf den Produkten nicht an, während Deutschland eine zu politische Behandlung dieses Themas vermeiden möchte. Die EU-Kommission fand eine provisorische technische Lösung für das Problem, um Israel nicht offen abstrafen zu müssen.12

Das zweite Problem betrifft die Möglichkeit von Handelssanktionen gegen Israel als Reaktion auf internationale Rechtsverletzungen Israels in den palästinensischen Gebieten. Diese Frage wurde im April 2002 diskutiert, als das Europäische Parlament eine Resolution beschloss, die den Europäischen Rat aufforderte, ein Waffenembargo gegenüber Israel und den palästinensischen Gebieten zu verhängen und den Assoziierungsrat EU–Israel einzuberufen, um das Assoziierungsabkommen der EU mit Israel zu suspendieren. Eine Mehrheit kam nicht zustande. Deutschland ist neben Großbritannien und den Niederlanden nicht der einzige Staat, der sich gegen Sanktionen ausspricht, wird aber aus französischer Perspektive als zentraler Alliierter Israels in diesen Fragen angesehen. Frankreich verhielt sich reserviert und begründete die Ablehnung der Suspendierung mit Zweifeln über die Wirksamkeit von Handelssanktionen.

Im Vergleich zur zögerlichen Zusammenarbeit in Israel und den palästinensischen Gebieten funktioniert die deutsch-französische Kooperation in Brüssel recht gut. Seit langem ist sie zu einem Reflex innerhalb der europäischen Institutionen geworden. Die Diplomaten der Ständigen Vertretungen beider Länder treffen sich regelmäßig und bereiten gemeinsam Sitzungen vor. Die Außenminister tauschen sich vor dem Ministerrat informell über wichtige Fragen der Tagesordnung aus. Ziel ist es öffentliche Divergenzen zu vermeiden und sich die Arbeit zu teilen. Diese generellen Prinzipien werden auch auf die Behandlung des israelisch-palästinensischen Konflikts angewandt.

Das deutsch-französische Tandem hat zu einigen zentralen Fortschritten der EU-Nahost-Politik beigetragen. Die Ausarbeitung der Roadmap ist ein gutes Beispiel. Der 7-Punkte-Plan von Joschka Fischer wurde von den Europäern zu einem konsensfähigen Dokument umformuliert, das als Arbeitsbasis für das Nahost-Quartett diente. An diesem Prozess waren neben der EU-Kommission auch Franzosen beteiligt. Eine entscheidende Rolle spielte auch die dänische Präsidentschaft im zweiten Halbjahr 2002 – so wurde es ein wirklich europäisches Dokument. Die tatsächliche Umsetzung der Roadmap kann allerdings nur in Zusammenarbeit mit den USA geschehen.

Ein weiteres positives Beispiel deutsch-französischer Zusammenarbeit war die gemeinsame Unterstützung der palästinensischen Präsidentschaftswahlen im Januar 2005. Beide Länder haben in Abstimmung mit der EU-Kommission die Listen der Wahlbeobachter vorbereitet und setzten sich über die „Arbeitsgruppe Wahlen“ der Task Force on Palestinian Reform, welche die Hilfe der internationalen Geldgeber koordiniert, erfolgreich für faire und freie Wahlen ein. An der EU-Wahlbeobachtungsmission für die palästinensischen Parlamentswahlen im Januar 2006 waren ebenfalls deutsche und französische Wahlbeobachter beteiligt. Im Team des Sonderbeauftragten der EU für den Nahen Osten, Marc Otte, arbeiten Franzosen und Deutsche konstruktiv zusammen.

Das neue Europa und Nahost

Die Europäer haben sich im Laufe der Jahre einen gemeinsamen soliden Standpunkt zum israelisch-palästinensischen Konflikt erarbeitet: die Anwendung der UN-Resolutionen, die Zwei-Staaten-Lösung mit einem unabhängigen palästinensischen Staat und dem Recht Israels, in sicheren, von der internationalen Gemeinschaft garantierten Grenzen zu leben. Die Befürchtung, dass die EU der 25 es schwerer als die EU der 15 haben werde, neue gemeinsame Positionen zum israelisch-palästinensischen Konflikt zu finden, hat sich bislang als unzutreffend erwiesen. Die neuen EU-Mitgliedsstaaten, von denen einige, wie Polen und Tschechien, explizite Transatlantiker sind, schwenkten relativ schnell und aus pragmatischen Gründen auf die europäische Linie ein. Dies bestätigt die These der progressiven „Europäisierung“ der Nahost-Politik der EU-Mitgliedsstaaten.13 Die Entsendung von EU-Sicherheitskräften, darunter auch Franzosen und Deutsche, zur Beobachtung des Grenzübergangs Rafah zwischen Gaza und Ägypten sowie zur Unterstützung der internen Reform der palästinensischen Polizei (EUPOL-COPPS) wird ein neuer Testfall für die europäische Nahost-Politik sein.

Die Parameter des israelisch-palästinensischen Konflikts haben sich seit dem Tod Arafats im November 2004 erheblich verändert. Israels Premier Scharon schuf mit dem zwar unilateralen, aber doch historischen Rückzug aus dem Gaza-Streifen im August 2005 neue Fakten. Welche Folgen das „Ende der Ära Scharon“ und der Ausgang der palästinensischen und israelischen Parlamentswahlen haben werden, muss sich noch zeigen. Eine konkrete Chance für eine verhandelte Regelung des Konflikts ist aufgrund dieser Veränderungen zunächst nicht zu erwarten.

Das sollte Frankreich und Deutschland nicht davon abhalten, über ihre Möglichkeiten der Unterstützung von Friedensgesprächen zu beraten – in Zusammenarbeit mit anderen europäischen Staaten. In der aktuellen Phase der Unsicherheit über die Zukunft der europäischen Institutionen rückt der exemplarische Charakter des deutsch-französischen Tandems wieder in den Vordergrund. Aber für eine umfassende europäische Initiative zur Regelung des israelisch-palästinensischen Konflikts wäre auch die Unterstützung Großbritanniens, Spaniens oder neuer EU-Mitgliedstaaten wie Polen entscheidend.

ISABEL SCHÄFER, geb. 1967, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Arbeitsstelle Politik des Vorderen Orients der Freien Universität Berlin.

DOROTHEE SCHMID, geb. 1969, ist Politologin am Institut d’études politiques (IEP) und am Institut français des relations internationales (IFRI) in Paris.
 

  • 1Martin Koopmann und Hans Stark: Zukunftsfähig? Deutsch-französische Beziehungen und ESVP, DGAP-Analyse, Nr. 27, Januar 2004.
  • 2Martin Ortega (Hrsg.): L’Union européenne et la crise au Moyen-Orient, Sonderausgabe der Cahiers de Chaillot, Juli 2003.
  • 3Martin Kobler: German Foreign Policy in the Middle East, in: Mahdi Abdul Hadi (Hrsg.): Foreign Policies Towards the Middle East and Palestine, Meetings and Lectures 1995–1998. Jerusalem 1999, S. 75. Markus A. Weingardt: Deutsche Israel- und Nahostpolitik. Die Geschichte einer Gratwanderung seit 1949. Frankfurt a.M. 2002.
  • 4Elie Barnavi: La France et Israël. Une affaire passionnelle. Paris 2002. Avi Primor: Le triangle des passions. Paris–Berlin–Jérusalem, Paris 2000.
  • 5Vom Aufruf Ariel Scharons im Juli 2004 an französische Juden, nach Israel auszuwandern, bis hin zu aggressiven Pressekommentaren anlässlich eines Besuchs des damaligen französischen Außenministers Michel Barnier in Israel und den besetzten Gebieten im Oktober 2004.
  • 6Friedemann Büttner: Germany’s Middle East Policy: The Dilemmas of a ‘Policy of Even-Handedness’, in: Haim Goren: Germany and the Middle East. Past, Present and Future. Jerusalem 2003, S. 115–161.
  • 7Ahmed Youssef: L’Orient de Jacques Chirac, la politique arabe de la France, Paris 2003. Elias Sanbar: La France, Israël et les Palestiniens, Le Nouvel Observateur, Nr. 2101, Februar 2005.
  • 8Die Zeit, Nr. 20, 12.5.2005.
  • 9Paul Balta und Claudine Rulleau: La politique arabe de la France. De de Gaulle à Pompidou. Paris 1973. Olivier Roy: Sur la politique arabe de la France, Monde Arabe Maghreb-Machrek, Nr. 132, April–Juni 1991, S. 15–21.
  • 10Vgl. Dorothée Schmid: European Co-operation with the Palestinian Authority. A Test Case for Externally Driven Democratic Designs?, Oktober 2004, www.EuroMeSCo.net.
  • 11 David Allen und Alfred Pijpers (Hrsg.): European Foreign Policy-Making and the Arab-Israeli Conflict, Den Haag 1984.
  • 12Der exakte geographische Ursprung des Produkts (Name der Siedlung oder des palästinensischen Ortes) muss verzeichnet sein. Die Kontrolle der Bezeichnungen ist jedoch schwer umzusetzen.
  • 13Isabel Schäfer: Die EU und der Nahostkonflikt, Aus Politik und Zeitgeschichte, Nr. B 20/04, Mai 2004, S. 46–54.