Die asiatischen Giganten und Afrika
Afrika profitiert vom Superzyklus – jetzt muss in Zukunftsindustrien investiert werden
Die Integration des enormen Arbeitspools Chinas – und zunehmend Indiens – in die Weltwirtschaft verschärft den internationalen Wettbewerb bei arbeitsintensiven Gütern und Diensten; in der Folge fallen deren Preise. Der Aufstieg der asiatischen Giganten hat, gestützt auf niedrige Zinsen in Japan und anderen OECD-Ländern, andererseits einen Superzyklus geschaffen. Darunter versteht sich der jahrzehntelange Anstieg der realen Rohstoffpreise, besonders der Industriemetalle, als Folge der Industrialisierung und Urbanisierung einer bevölkerungsreichen Nation. Superzyklen ereigneten sich um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert als Folge des Aufstiegs der USA und Ende der vierziger bis Anfang der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts als Folge des Wiederaufbaus Europas und Japans.
Mit dem Aufstieg Chinas ist die langjährige Verschlechterung der Austauschraten für die rohstofflastigen Länder nicht nur zum Stillstand gebracht, sondern markant gedreht worden. Das ist nicht nur die Konsequenz der vermehrten Nachfrage nach Rohstoffen. China und Indien haben durch ihre Handelsintegration das Preisniveau arbeitsintensiver Produkte und damit weltweit die Nominallöhne gedeckelt; mit geringerer Preis- und Lohninflation und durch die Investition ihrer Exportüberschüsse in US-Staatsanleihen trugen sie auch dazu bei, das globale Zinsniveau niedrig zu halten. Niedrige Zinsen stimulieren das Weltwirtschaftswachstum, senken die Lagerhaltungskosten und stärken so die Rohstoffpreise.
In der Tat gibt es keinen Zweifel daran, dass Afrika, bislang hauptsächlich Rohstoffexporteur, vom Superzyklus profitiert. Ein weiterer positiver Aspekt der Nachfrage durch die asiatischen Giganten ist für Afrika die Streuung ihrer Exportkunden, weg aus der einseitigen Abhängigkeit von den Märkten der entwickelten Länder. Gleichzeitig sind Direktinvestitionen und Projektkredite aus Asien nach Afrika geströmt, meist in den Rohstoffabbau und die Transportwege.
Anders als bei anderen Regionen ist die direkte Billiglohnkonkurrenz zwischen Afrika und Asien auf einige wenige Branchen und Länder beschränkt. Das liegt daran, dass Afrika bislang nur wenig arbeitsintensive Industriegüter herstellt. Allenfalls die afrikanischen Bekleidungshersteller im Norden und Süden des Kontinents sind durch die Beendigung des Multifiberabkommens getroffen worden, wobei selbst hier räumliche Monopole und bilaterale Präferenzabkommen einen gewissen Handelsschutz bieten. Dagegen haben die städtischen Verbraucher von der höheren Kaufkraft ihrer Einkommen profitiert, die mit arbeitsintensiven Billigimporten aus Asien steigt.
Blumig wird es, wenn sich das offizielle China zu Afrika äußert: „Mit unserer Allwetterfreundschaft, echten Zusammenarbeit und brüderlichen Zuneigung sind China und Afrika gute Freunde, echte Partner und liebevolle Brüder“, so tönte es neulich bei einer China-Afrika-Konferenz in Peking. Dazu passt das Jubellied eines afrikanischen Exfinanzministers in einem Bericht für das OECD-Entwicklungszentrum: „Insgesamt bedeutet China für Afrika eine andere Art, Geschäfte zu machen: das heißt, mehr Rücksicht auf die Afrikaner im Geiste gegenseitigen Respekts, mehr Achtung der Kulturunterschiede und keine Forderungen im Stil ‚good governance‘. China vergibt Kredite ohne Konditionen.“
Es gibt jedoch keinen Grund für grenzenlosen Optimismus, sondern Anlass zur Sorge. Etliche Schmalspurökonomen feiern die Tatsache, dass Afrika in der Rohstoffecke seinen komparativen Vorteilsplatz hat und dort nun der warme Geldregen niedergeht. Sie ignorieren die Fragilität afrikanischer Institutionen, die schwache Diversifikation ihrer Volkswirtschaften und ihre Verletzlichkeit im Hinblick auf Preisschwankungen und Wetterschäden:
• Die Abhängigkeit von Öl und anderen Rohstoffen vertieft meist Einkommensungleichgewichte, nährt eine Korruptionsunkultur, verbaut die Option industriellen Lernens und schädigt die Umwelt in den betroffenen Ländern. Diese Abhängigkeit wird durch hohe Preise verfestigt.
• Die hohe Wettbewerbsfähigkeit der asiatischen Giganten verringert Afrikas Optionen, sich durch den Aufbau arbeitsintensiver Industrien zu diversifizieren und somit die Schockanfälligkeit einzudämmen.
• Die Verbreiterung der Exportziele bietet keine Streuung der Markt- und Wetterrisiken für die afrikanischen Ausfuhren, da die asiatischen Giganten denselben Produktmix nachfragen wie vormals die OECD-Länder: vorab Rohstoffe.
Um aus der schockanfälligen und kapitalintensiven Rohstofflastigkeit auszubrechen, sollten die afrikanischen Regierungen den Rohstoffboom sorgfältig managen. Sonst würden die Zukunftsaussichten für arbeitseinbindende Industrien und Dienstleistungen kompromittiert. Die Geldpolitik muss sich bemühen, die reale Aufwertung der afrikanischen Währungen in Schach zu halten, im Blick auf die lokale Importkonkurrenz und den Ausfuhrsektor außerhalb des Rohstoffbereichs. Zum angesagten „fiscal policy mix“ gehört auch eine Haushaltspolitik, die den öffentlichen Verbrauch begrenzt, um die Dienstleistungspreise stabil zu halten. Die gegenwärtigen Überschüsse im Ausland investieren hilft, die lokale Wirtschaft vor Aufwertungseffekten zu schützen; darüber hinaus würden auch Verschwendung und Korruption eingedämmt. Denn Kasse macht sinnlich.
In der Folge der zunehmenden Präsenz Chinas und Indiens wird sich auch die Geberpolitik umstellen müssen. Das Motto muss heißen: weg von armutsorientierten Industrialisierungskonzepten, die auf den Aufbau arbeitsintensiver Leichtindustrien abstellen. Im Licht des intensivierten Wettbewerbs gerade in diesen Bereichen, die zudem noch unter tendenziell fallenden Preisen leiden werden, muss die Suche nach afrikanischen „Zukunftsindustrien“ umorientiert werden. Diese werden dort zu finden sein, wo sie Komplementaritäten zum wachsenden Wohlstand in Asien bieten.
Das Wachstum Chinas und Indiens verlagert sich von Bauwesen und Exportindustrie tendenziell zur Binnennachfrage: Anstatt der Industriemetalle wie Kupfer oder Eisenerz werden die „weichen“ Rohstoffe verstärkt nachgefragt werden: Obst, Gemüse, tropische Säfte, auch Mais und Soja für die steigende Tierhaltung in Asien. Somit muss die Technische Zusammenarbeit den Kapazitätsaufbau in Landwirtschaft, Verarbeitung von Agrarprodukten und ländliche Entwicklung auf der Prioritätenliste nach oben setzen. Dabei muss dafür gesorgt werden, dass die afrikanischen Kleinbauern vom kommenden Agrarexport nach Asien profitieren. Auch die Verarbeitungstiefe im Nahrungs- und Futtermittelbereich sollte gefördert werden, um den Wertschöpfungsanteil für Afrika zu erhöhen.
Prof. Dr. HELMUT REISEN, geb. 1950, arbeitet als Counsellor am Entwicklungszentrum der OECD in Paris und ist Titularprofessor an der Universität Basel. Er publiziert vor allem zu Fragen der Entwicklungs- und Währungspolitik sowie zur Globalisierung.
Internationale Politik 4, April 2006, S. 64 - 65