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01. Mai 2008

Zion, Sushi, Tarantino

Was sie noch nie über Israel wussten, aber eigentlich hätten fragen müssen

Ein paar Medienberichte hier, ein bisschen Think-Tank-Blabla dort: Es ist eine magere Kost, die Europäern und Amerikanern als ernsthafte Auseinandersetzung mit Israel verkauft wird. Dabei braucht das Land nichts dringender als gut informierte, kritische Freunde. Nur so kann aus der Vision eines Friedens in Nahost Wirklichkeit werden.

Ich bin weder Politologin noch Prophetin, nur eine Historikerin. Ganz selten, wenn der Zorn mich übermannt, setze ich mich an meinen Laptop und schreibe Kommentare für israelische und internationale Zeitungen. Gleichzeitig bin ich eine israelische Patriotin und Bewunderin des frühen Zionismus, der in der furchtbarsten Epoche der europäischen Geschichte das Leben meiner Großeltern und die menschliche Würde gerettet hat. Meine Söhne werden eines Tages in der israelischen Armee dienen, aber ich hoffe innig, dass ihrer wunderbaren israelischen Kindheit ein Leben in Frieden folgen möge. Diese Gefühle sind es, deretwegen ich dafür plädiere, so bald als möglich ein stabiles und souveränes Palästina zu schaffen. Außerdem bin ich, wie viele Israelis, säkular und liberal orientiert, komme gut über die Runden und führe ein ausgesprochen globales Leben. Mit anderen Worten: Sie haben vermutlich noch nie von mir gehört.

Schnappschüsse und Pseudo-Analysen

Eines Tages, in ferner Zukunft, werden Medienhistoriker sich fragen, warum die Nachrichtenagenturen so kläglich bei dem Versuch gescheitert sind, komplexe Entwicklungen in der Welt zu verfolgen, zu verstehen und vorauszusagen. Israel wird ein Musterbeispiel sein. Die wirre Mixtur aus mangelhafter Recherche, pixeligen Schnappschüssen und atemlos vorgetragenen Pseudoanalysen, die als ernsthafte Auseinandersetzung mit diesem Land und seiner Gesellschaft durchgeht, ist ein anhaltender Skandal. Sie ist Ausdruck eines allgemeinen Phänomens, das nichts Spezifisches mit Israel zu tun hat: der kindischen Gier nach schneller Information in leicht verdaulichen Häppchen; der Ablehnung des Subtilen, des Profunden, des Vielschichtigen.

Als Historikerin wünschte ich, es gäbe heute Berichterstatter und Kommentatoren vom Schlage eines Edmund Burke, einer Germaine de Staël oder eines George Orwell, Persönlichkeiten, die in der Lage waren, aktuelle Ereignisse so tiefgreifend und originell zu analysieren, dass ihre Schlussfolgerungen über den Tag hinaus Bestand hatten. Ich wünschte auch, wir hätten eine Öffentlichkeit, die für so etwas empfänglich ist. Was ich Ihnen in den folgenden Zeilen anbieten möchte, ist etwas, das ich in der Medienberichterstattung weitgehend vermisse, ein Originalton der zugegebenermaßen ziemlich leisen Stimme des „Israels der Mitte“ (Middle Israel). Lassen Sie mich erklären, was ich meine.

„Middle Israel“ entspricht nicht etwa, sagen wir: „Middle America“, tatsächlich ist es so ziemlich das Gegenteil. Es beschreibt das Zentrum, den Mainstream, das Rückgrat der israelischen Gesellschaft. Seine Protagonisten sind gebildet, zwei- oder mehrsprachig und über alle globalen Entwicklungen jederzeit auf dem Laufenden. Sie arbeiten, und das gut, sie haben entscheidend an der israelischen Hightech-Erfolgsgeschichte der vergangenen Dekade mitgestrickt. Ihre Lebensläufe ähneln sich: Nach dem Dienst in der Armee machen sich die jungen Leute oft mit ihrem Rucksack auf in Richtung Indien oder Peru, bevor sie sich dem Studium zuwenden und Karriere in Wirtschaft, Technologie, Medien oder den Schönen Künsten machen.

Viele von ihnen studieren im Ausland. Es gibt regelmäßig ein heftiges Gerangel um jeden freien Lehrposten an einer der fünf Universitäten oder einem der paar Dutzend Colleges des Landes. Dieses Israel der Mitte ist größtenteils säkular, obwohl es auch die gemäßigt Religiösen einschließt. Es ist liberal und verachtet jede Art von Fanatismus, sei er orthodox oder nationalistisch. Es fußt auf einem starken, rechtlich verwurzelten (wenngleich niemals vollkommenen) Ethos der Gleichheit zwischen Mann und Frau, das den Zionismus von Beginn an geprägt hat. Das Israel der Mitte ist schwulenfreundlich und entschieden nicht xenophob. Es ist vorwiegend jüdisch geprägt, wenngleich derzeit eine neue Klasse arabischer „Young Professionals“ die Universitäten verlässt und sich auf den Weg in die Mitte der Zivilgesellschaft macht, Rückschläge nicht ausgeschlossen. Und, bevor wir es vergessen: Das Israel der Mitte verdient den -Unterhalt und bezahlt die Steuern für ein Heer von Traditionalisten, Fundamentalisten, Chauvinisten und anderen Extremisten, jüdischer und muslimischer Provenienz, von Gaza über Jerusalem bis zur Westbank.

Diese schweigende Mehrheit ist in der Knesset unterrepräsentiert, weil ihre Protagonisten politische Laufbahnen meiden. Die Gruppe ist deutlich zu groß, als dass man sie als Elite bezeichnen könnte. Sie ist nicht ausschließlich städtisch geprägt und vereint Menschen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen. Sie verfügt über eine starke gemeinsame Identität, gemeinsame Erinnerungen, eine reiche Kultur. Und doch ist sie nicht selbstbezogen oder rückwärtsgewandt. Sie liebt die amerikanische, europäische, japanische Kultur. Ihre Sprache, das moderne Hebräisch, ist eine Erfindung des 20. Jahrhunderts von epochalem Erfolg und stark genug, Begriffe aus anderen Sprachen aufzunehmen, ohne dass man in die französische Marotte einer Angst vor kulturellem Imperialismus verfiele. Im Gegenteil, das Israel der Mitte hat Spaß daran, alle neuen und aufregenden Dinge auszuprobieren, von Sushi bis Facebook und von Rowling bis Tarantino. Statt sie als etwas zu empfinden, das fremd ist oder gar kolonisierend wirken könnte, werden diese globalen Phänomene aufgenommen, übersetzt und neu geformt, um sich dadurch zu inspirieren.

Natürlich, ich spreche von Tel Aviv, der Stadt, der Legende, der Metapher. Aber Vorsicht: Was hier Israel der Mitte genannt wird, ist weit größer als Tel Aviv, und sein Spektrum reicht vom hedonistischen Eilat bis zum hart arbeitenden Kibbutz oder sogar bis zum ständig unter Raketenbeschuss stehenden Sderot. Hier trifft man das pragmatische, das nicht fanatische, das lebenslustige Israel. Es ist genau dieses Israel, das die Extremisten auf palästinensischer Seite zerstören wollen. „Die Juden lieben ihr Leben mehr als alles andere“, hat ein Hamas-Führer bekanntlich einmal erklärt, „das ist ihr schwacher Punkt.“ Andere Palästinenser dagegen hoffen, dass ihre Gesellschaft eines Tages ein Pendant zum Israel der Mitte sein wird. Auch sie sähen es gern, wenn Lebensfreude, Pragmatismus, Kreativität oder sogar Spaß wieder die Oberhand gewönnen. Auch sie wollen, dass Mäßigung und Modernität, wenn vielleicht auch nicht volle Säkularisierung dominieren. Diese Palästinenser sind unsere natürlichen Verbündeten.

Phantom Post-Zionismus

Es ist schon eine magere Kost, die meine europäischen und amerikanischen Freunde da vorgesetzt bekommen: ein paar Medienberichte hier, ein bisschen oberflächliches Think-Tank-Blabla dort. Kein Wunder, dass sie mich oft fragen, warum unsere Universitäten voller Post-Zionisten sind, die sich selbst und Israel hassen. Nun ja, das sind sie natürlich nicht. Schauen wir uns das doch einmal genauer an. „Post-Zionismus“ ist in Wirklichkeit ein Phantom, um das ein ziemlicher Hype veranstaltet wird. Der Begriff kam in den achtziger Jahren auf und erlebte Mitte der neunziger Jahre eine Blüte, als es für einen Augenblick möglich schien, dass die Verantwortlichen auf israelischer und palästinensischer Seite mit Unterstützung der internationalen Gemeinschaft einen Friedensprozess gestalten könnten. Die Israelis entwickelten ihre eigene Version vom „Ende der Geschichte“. Diese besagte, dass der Zionismus bald der Vergangenheit angehören würde, in erster Linie, weil man nicht länger einer Ideologie – bekanntlich ein Produkt des 19. Jahrhunderts – bedürfe, um das zu schaffen, was ein ganz normaler moderner Staat sein würde, der im Einklang mit seinen Nachbarn und den Traumata der Vergangenheit lebt.

Innerhalb der kurzzeitig entspannten Atmosphäre gewannen die Thesen einiger extremer Kritiker des Zionismus und der von Israel in der Vergangenheit betriebenen Politik an Boden. Historiker und Soziologen stürzten sich mit Verve auf die „Sünden“ des Zionismus. Viele ihrer Thesen waren äußerst bedenkenswert und lösten wichtige Debatten aus. Etwa die, wonach die in Israel lebenden Araber bis heute nicht die Bürgerrechte genießen, die in der Unabhängigkeitserklärung versprochen wurden. Andere Erkenntnisse waren nicht so furchtbar neu, obgleich sie auf neuen Recherchen beruhten. So die Feststellung, dass die israelische Armee ihren Anteil am historischen Sündenregister in Sachen Kriegsverbrechen hat. Schon 1948 und 1949 setzten sich Israels neuer Oberster Gerichtshof und einige der herausragenden Schriftsteller – juristisch oder dichterisch – mit Verbrechen auseinander, die im Zuge unseres zur Selbstverteidigung geführten Unabhängigkeitskriegs an Palästinensern begangen wurden.

Als Israel sich in den neunziger Jahren mit einer Flut von kritischen wissenschaftlichen Studien konfrontiert sah, waren viele Menschen, besonders die Älteren, die sich noch gut an die glorreichen Gründerzeiten erinnerten, entsetzt. Andere hingegen schauten der Wahrheit ins Auge. Wir konnten es uns leisten. Wir konnten mit den Sünden der Vergangenheit umgehen. Diejenigen von uns, die keine Post-Zionisten waren, sondern liberale Zionisten, waren sogar stolz auf die Art und Weise, wie unsere Gesellschaft in einer Phase der Selbstbefragung und der Selbstkritik angekommen war. Viele westliche Nationen stehen noch vor der Aufgabe, ihre eigenen „Post-Zionisten“ hervorzubringen.

Nichtsdestotrotz wurde manches, was diese Forschung hervorgebracht hatte, auf wissenschaftlichem Terrain erfolgreich in Frage gestellt und in der öffentlichen Debatte überzeugend zurückgewiesen. Denn oft ging es schlicht und ergreifend zu weit. Nur ein Beispiel: Eine bestimmte Gruppe von Soziologen behauptete, dass die israelische Gesellschaft auseinanderzubrechen drohe, weil die Beziehung zwischen Aschkenasen und Sepharden auf „Unterdrückung“ basiere. Im politisch korrekten Jargon der amerikanischen Universitäten versuchten sie, aus den Israelis nahöstlichen Ursprungs „unsere“ Schwarzen zu machen und ihnen eine radikal neue Identität als „arabische Juden“ zu verpassen. Ich habe diesen Begriff auch schon von Deutschen gehört. Das ist, Entschuldigung, kompletter Blödsinn. Es ist die Erfindung (und oft die Selbstbeschreibung) einer Handvoll begabter junger Intellektueller. Wenn Sie dieses Konzept irgendeinem der Millionen von Juden vorstellen, deren Vorfahren aus dem Nahen Osten stammen, dann wird er Sie auslachen. Wenn Sie ihm erzählen, dass aschkenasische und sephardische Israelis in einen Klassenkampf und in einen Kulturkonflikt miteinander verstrickt sind, dann wird er wohl ziemlich erstaunt gucken. Mein reizender Neffe und meine entzückende Nichte, deren Großeltern aus Berlin und Teheran stammen, sind die typischen Israelis ihrer Generation; und weder ihre Chromosomen noch ihre kulturelle Identität befinden sich, soweit mir bekannt, in einem nennenswerten inneren Aufruhr.

In mancherlei Hinsicht ist Israel eine äußerst erfolgreiche Einwanderer-gesellschaft. Sie ist ethnisch gemischt, sozial beweglich, und ihre Eliten befinden sich im ständigen Wettbewerb mit neuen Aufsteigern. Davon ausgenommen sind häufig die arabischen Einwohner des Landes, die derzeit lauter als zuvor bürgerliche Gleichheit einfordern. Ein Tipp: Behalten Sie die Rechtsfakultäten, die medizinischen Berufe, die Medien und die Schönen Künste im Auge. Wenn wir es schaffen, eine erneute Explosion der Gewalt unter der arabischen Bevölkerung Israels zu verhindern, werden die klugen jungen Araber in wachsender Zahl ihren Weg auf diesen Gebieten machen und ihre Ansprüche auf Gleichberechtigung auf eine neue Basis stellen. Behalten

Sie insbesondere die jungen Frauen im Auge. Ihre Generation, so wage ich vorauszusagen, wird ein Beispiel geben, dessen Widerhall im gesamten Nahen Osten zu hören ist. Das ist aber nicht das Ende des Zionismus. Es könnte schlicht und ergreifend den Triumph einer Lesart bedeuten, wie sie der gemäßigte Zionismus vertritt: dass der jüdische Staat zuallererst eine Demokratie ist, die alle ihre Bürger gleich behandelt, „ohne Ansehen von Rasse, Religion und Geschlecht“. Worte, die aus der israelischen Unabhängigkeitserklärung stammen. Es könnte nichts schaden, sich dieses Dokument wieder einmal vor Augen zu führen und zu Herzen zu nehmen.

Europas moralischer Zeigefinger

Das bei weitem schwerwiegendste, realste und schrecklichste Problem ist die Lage der Palästinenser in der besetzten Westbank und im Gaza-Streifen, wo die Situation völlig festgefahren ist. Lassen Sie mich aussprechen, was viele Israelis jederzeit und bereitwillig einräumen würden. Unsere Politiker, von Levy Eshkol (und in noch stärkerem Maße Golda Meir) bis hin zu Yitzhak Schamir, haben einen gewaltigen Fehler begangen, als sie nicht die erste sich bietende Gelegenheit ergriffen, eine territoriale Abtrennung und eine Perspektive auf Souveränität für die Post-1967-Palästinenser zu schaffen. Ein gewaltiger Fehler war es auch, den jüdischen Siedlern zu gestatten, sich auf den Weg zu den biblischen Berggipfeln zu machen, als das Israel der Mitte gerade nicht aufpasste. Und schließlich war es ein gewaltiger Fehler – das wird oft vergessen –, die palästinensische Mittelschicht zu entmutigen und nicht zu verhindern, dass wohlhabende und gemäßigte Palästinenser, Christen und Muslime, das Land verließen, und statt ihrer eine Generation junger, ignoranter, hungriger und wütender Krieger heranzuziehen.

Warum also nicken die gemäßigten Israelis nicht eifrig mit dem Kopf, wenn Europa den moralischen Zeigefinger erhebt? Weil sie mit Recht davon ausgehen, dass diese Kritiker einseitig und ignorant sind und sich nicht wirklich um die Fakten oder die Juden scheren. Ich spreche jetzt nicht von vernünftiger und gut begründeter Kritik der Art, wie ich sie oben beschrieben habe:

Diese Kritik kann man auch in Israel selbst oft hören. Aber lassen Sie es mich ganz deutlich machen: Die schärfsten Kritiker in Europa, besonders die Prediger von der europäischen Linken und noch stärker die unerträglich selbstgerechte deutsche Linke, sind selbst mit den grundlegenden historischen Fakten des Konflikts nicht vertraut. Seien es die unverzeihlichen Fehler der arabischen und palästinensischen Politiker, von der Pro-Nazi-Haltung 1936 bis zur pauschalen Zurückweisung des UN-Beschlusses zur Teilung des Landes 1947, sei es der Vernichtungskrieg gegen die Juden 1948 oder das entsprechende Vorhaben 1967: All das ist ihrer Erinnerung entschwunden. Ebenso, in jüngerer Vergangenheit, Yitzhak Rabins Versuch und

Ehud Baraks (nicht ganz unumstrittener) Vorstoß, zu einem Frieden mit einem gerissenen und widerwilligen Yasser Arafat zu gelangen. Wenn ein britischer Fernsehsender statt des geplanten Interviews mit der Mutter eines getöteten israelischen Kindes ein Gespräch mit der Mutter des Selbstmordattentäters bringt, der es ermordet hat, dann werden gemäßigte Israelis ein bisschen zynisch. Wenn europäische Intellektuelle auf der Existenz des Massakers-das-niemals-stattgefunden-hat in Jenin bestehen, aber über das Massaker-das-wirklich-stattgefunden-hat in einem Hotel in Netanya nichts zu sagen haben, vergessen brave Israelis ihre gute Erziehung. Wenn Auschwitz mit den palästinensischen Flüchtlingscamps verglichen wird, packt meine Freunde aus dem Israel der Mitte die kalte Wut.

Wissen Sie, wir wollen einfach nicht, dass Auschwitz irgendeine Rolle im aktuellen Diskurs spielt. Ich habe einmal geschrieben, und viele Israelis, die ähnlich denken, würden mir zustimmen, dass unsere Politiker damit aufhören müssen, Holocaust-Rhetorik zu verwenden, um Mitleid und Erbarmen in aller Welt zu erzwingen. Wir brauchen demokratische Verbündete, nicht Mitleid und Erbarmen. Wir müssen uns alleine durchschlagen, unsere Rechnungen bezahlen, uns mit unseren Fehlern auseinandersetzen und ehrlich gemeinte Kritik akzeptieren. Natürlich, Israel kann ohne seine Freunde nicht überleben, und die wichtigsten von ihnen sind Deutschland und die USA. Natürlich, Israelis und Deutsche werden noch für Generationen in eine „besondere Beziehung“ zueinander verstrickt sein. Aber Israel sollte nicht länger damit fortfahren, die jüdische Vergangenheit als einen emotionalen Trittstein für aktuelle politische Angelegenheiten zu benutzen. Der Genozid der Nazis an den Juden muss aus der politischen Rhetorik des heutigen Nahen Ostens herausgehalten werden. Meine Freunde und ich versuchen, Auschwitz vom politischen Jerusalem fernzuhalten. Gleichzeitig möchte ich unsere europäischen Kritiker doch herzlich bitten, es von Jenin fernzuhalten.

Die Sorte von propalästinensischer Attitüde, die nichts lieber tut, als die gesamte zionistische und israelische Geschichte in den dunkelsten Farben zu zeichnen, ist ein klassisches Eigentor. Bislang hat sie den Palästinensern nicht geholfen, stattdessen aber viele friedensliebende Israelis abgestoßen. Nicht weniger kontraproduktiv ist eine unreflektierte proisraelische Haltung, wie sie bestimmte Gruppen innerhalb der jüdischen und der christlichen amerikanischen Rechten an den Tag legen. Sie treten für eine Reihe von „israelischen Interessen“ ein, die viele Israelis gar nicht als erstrebenswert erachten würden. Unsere Freunde von der Rechten wollen, dass wir an der Westbank festhalten und den Traum einer palästinensischen Unabhängigkeit ausradieren. Das ist nicht das, was die gemäßigte israelische Mitte, die Linke oder sogar vormalige Vertreter des rechten Flügels wie Ehud Olmert oder Tzipi Livni als die eigentlichen Interessen Israels betrachten. Kommt noch hinzu, dass in letzter Zeit in Europa zunehmend Stimmen laut werden, die eine antimuslimische mit einer proisraelischen Haltung verbinden. Beim ängstlichen Blick auf die neuen europäischen Muslime beginnt mancher Beobachter plötzlich, die Juden zu vermissen. Das ist es nicht, was Israel nach Ansicht des Israels der Mitte braucht. Was wir brauchen könnten, wären aktivere gemäßigte Freunde und vernünftige Kritiker. Wenn sich die beiden Gruppen überschneiden, umso besser. Mit ein bisschen Glück könnte sich die EU mit dem nächsten US-Präsidenten, oder der nächsten Präsidentin, zusammentun, um die viel versprechenden Gespräche voranzutreiben, die Olmert und Abu Mazen in diesen Tagen führen. Mit ein bisschen Glück werden die europäischen Länder vielleicht noch mehr Friedenstruppen schicken müssen, um eine neue internationale Grenze zwischen Israel und Palästina zu sichern. Deutsche Friedenshüter sind dabei nicht unwillkommen, wie das Beispiel Südlibanon gezeigt hat.

Und damit kommen wir endlich zu den guten Nachrichten: Es gibt eine Lösung für den israelisch-palästinensischen Konflikt. Die Lösung ist geografischer Natur. Sie hat mit der Teilung von Land zu tun und der Abtrennung von Heimstätten. Sie sieht schmerzliche, aber denkbare Kompromisse für beide Seiten vor: Jerusalem wird geteilt, die palästinensischen Flüchtlinge werden nicht in die Heimstätten ihrer Vorfahren zurückkehren, und die jüdischen Siedlungen in der Westbank werden wie ihre Pendants im Gaza-Streifen aufgegeben oder (wenig wahrscheinlich) gezwungen, für sich selbst zu sorgen. Eins steht für diese Lösung jetzt schon fest: Die Extremisten werden sie hassen. Die Gemäßigten hingegen werden sie akzeptieren, wenn auch zähneknirschend. Wenn die Gemäßigten gewinnen, dann wird endlich ein „Palästina der Mitte“ Bedeutung erlangen. Es wird in manchem vergleichbar mit dem Israel der Mitte sein, auch wenn man sich vielleicht nicht gleich sympathisch ist. Diese Art von Palästina wird die beste Neuigkeit sein, die der Nahe Osten seit ewigen Zeiten zu bieten hatte.

Die Israelis sind ein redelustiges Volk, und sie können geradezu irrwitzig selbstkritisch sein. Sie glauben mir nicht? Schauen Sie sich nur einmal unsere blühende Kommentarkultur auf Webseiten an, die sich mit dem Zeitgeschehen beschäftigen. Mit seinen 60 Jahren wird Israel täglich fast zu Tode gepeitscht, und das durch die scharfen Zungen seiner eigenen Bürger. Täuschen Sie sich nicht: Dieses Land ist erstaunlich jung. Es ist gesund und munter, brutal ehrlich und immens kreativ. Die Forderungen nach einer vordergründigen „Einheit“, sei sie nationalistischer oder religiöser Natur, wollen nicht so recht zu Tel Aviv passen. Yehuda Bauer drückt das sehr treffend so aus: „Getrennt schaffen wir es, vereint scheitern wir.“ In einer Frage allerdings ist man sich zunehmend einig: Wir können so nicht weitermachen, wir müssen unsere eigenen Extremisten in die Schranken weisen und den gemäßigten Palästinensern die Hand hinstrecken, damit sie sich durchsetzen.

Eines Tages, so hoffe ich, werden Israelis und Palästinenser den selben öffentlichen Raum teilen und verbal aufeinander einschlagen, über eine von beiden Seiten anerkannte internationale Grenze hinweg. Bücher und Filme, Musik und Kunst, Ideen und Technologie werden über diese Grenze hinweg problemlos und zum Nutzen aller den Besitzer wechseln. Was werden Sie, meine lieben Leser, dann sagen? Ein Vorschlag: „Ich habe in all diesen Jahren Fernsehen geschaut, und doch habe ich das nicht kommen gesehen.“

Prof. Dr. FANIA OZ-SALZBERGER,  geb. 1960, lehrt Geschichte an der Universität Haifa. Sie hat zahlreiche Bücher zur Geschichte des politischen Denkens verfasst. Auf Deutsch ist von ihr zuletzt erschienen „Israelis in Berlin“(2001).

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 5, May 2008, S. 8 - 15

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