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01. Juli 2009

Wie Web 2.0. die Politik verändert

Mehr inhaltliche Bürgerbeteiligung

Die politischen Entscheidungsprozesse und damit unsere Demokratie werden sich in den nächsten Jahren durch neue Technologien rasant verändern. Bürger und andere Akteure werden sich viel stärker beteiligen. Die Politik muss sich darauf einstellen und vor allem ihre Außenpolitik wesentlich besser erklären.

Erstmals in der Geschichte moderner Demokratien ermöglichen neue Kommunikationstechnologien eine umfassende Emanzipation der Bürger vom mächtigen „Vater Staat“ und den etablierten Parteimechanismen. In Zukunft wird der Bürger nicht nur alle vier bis fünf Jahre Einfluss via Stimmabgabe ausüben, sondern permanent: durch seine über Internetplattformen strukturierten Politikempfehlungen, Ideen und Mitwirkungsmöglichkeiten wie virtuelle Kampagnen. Demonstrationen mag es auch in Zukunft geben, doch das eigentliche Schwungrad sind politisch ambitionierte und gut organisierte Netzwerke mit professionell gepflegten Datenbanken. Staat und Politik werden sich darauf einstellen müssen, wenn sie ihre Handlungsfähigkeit bewahren wollen. Die zentrale Herausforderung für die Bürgergesellschaft und den vorpolitischen Raum ist es, die neuen Möglichkeiten so zu nutzen, dass die bislang übliche politische Systemlogik gebrochen wird. Schließlich reagiert Politik fast ausschließlich auf organisierten Druck.

Es geht dabei nicht um die Schwächung der repräsentativen Demokratie, sondern um deren Weiterentwicklung und Stärkung. So wie der Nationalstaat im Zeitalter der Globalisierung Macht an supranationale Strukturen wie die EU abtreten musste, um angesichts großer Herausforderungen überlebensfähig zu bleiben und sich innenpolitisch zu legitimieren,1 bietet das Web 2.0 die Instrumente, Politik und Staat durch neuartig organisierte Mitsprache der Bürger zu legitimieren und Politik- und Demokratieverdrossenheit entgegenzuwirken. In gewisser Hinsicht wird es eine Bewegung zurück zur basisdemokratischen Polis geben. Der Bürger wird mehr Mitsprache einfordern und sie bekommen. Er wird Druck auf die politischen Handelnden aufbauen und ihnen gleichzeitig konstruktiv die Hand reichen. Verfügt der Bürger erst einmal über diese Gestaltungsmacht, wird er schwerlich darauf verzichten wollen. Die Bürger werden stärker beteiligt und damit in die Pflicht genommen. Unsere Gemeinwesen werden etwas unabhängiger vom bisherigen Staatsverständnis, das seine Legitimität zu stark aus der Versorgungsfähigkeit, einer falsch verstandenen Definition von sozialer Gerechtigkeit und zu wenig aus dem Freiheitsversprechen bezieht.

Die Politik unter Druck setzen

Doch wie sehen die Prinzipien der neuen Web 2.0-Welt aus und welche konkreten Entwicklungen und Beispiele gibt es bereits? Die Grundannahme lautet, dass Web 2.0-Technologien nicht nur die persönliche Interaktion der Menschen untereinander verändern, sondern auch das Potenzial haben, die Möglichkeiten politischer Partizipation zu revolutionieren. Noch werden Social Communities wie Facebook oder MySpace, das Videoportal YouTube oder die Direktkommunikationsplattform Twitter oft als Spielwiesen der Jugend abgetan. Doch mit vielen Millionen Nutzern sind sie erste Vorboten eines neuen Zeitalters, das nicht ohne Auswirkungen auf die politische Kommunikation bleiben wird. Das Web 2.0 kehrt Prinzipien für Kampagnen um: viele statt einzelne, dezentrale Selbstorganisation und Abgabe von Kontrolle. Es vertraut auf Austausch unter einer großen Masse von Nutzern, die gemeinsam zu neuen Ideen und Lösungen finden. In Zukunft werden immer mehr internetgestützte Sammelbewegungen von gut vernetzen Bürgern mit eigener politischer Agenda zu bestimmten Themen entstehen. So lässt sich gezieltes Agenda-Setting betreiben, das mit Hilfe umfangreicher Verteiler zu professionellen politischen Kampagnen ausgedehnt werden kann.

Diesen politisierten Netzwerken steht durch die neuen Technologien ein starker Hebel zur Verfügung, Politik in ihre eigene Handlungslogik zu zwingen. Das bislang stark selbstreferenzielle politische System mit seiner eigenen Sprach- und Handlungslogik wird aufgebrochen, Transparenz und Innovationsbereitschaft steigen. Es werden Prozesse initiiert, in denen Politiker sich stärker und unmittelbarer mit den Anliegen der Bürger beschäftigen müssen. Wer nicht mitmacht, verliert an Zustimmung, auch in den etablierten Medien. Bereits heute werden indirekte Rankings von Politikern geführt, die sich nachweisbar um die Belange der Bürger kümmern. In Deutschland sind die Webseiten politikerwatch.de und abgeordnetenwatch.de Vorboten dieser Entwicklung, bei der Politiker ganz pragmatisch wie Dienstleister behandelt werden.

Die für unsere Demokratie und politische Kommunikation interessante Frage ist, wer sich von der Entwicklung überrollen lässt und wer sie für sich zu nutzen versteht. Noch ist Politikgestaltung in Europa weitgehend geschlossenen Kreisen vorbehalten, sofern man sich nicht in Parteien engagieren will. Sollten etablierte Politik und Staat jedoch keine Antworten auf die beschriebene Entwicklung finden, können aus den neuen Netzwerken sogar Parteien entstehen. Der überraschende Wahlerfolg der außerordentlich netzaffinen „Piratenpartei“ bei der Europawahl 2009 ist ein erster Vorbote dieser Möglichkeit. Die Parteienlandschaft könnte sich auch in Deutschland durch Wählergemeinschaften deutlich verändern, die sich zunehmend national organisieren. Volksparteien würden sich kaum mehr mit gutem Grund weiter so nennen dürfen, wenn sie diese Entwicklungen nicht erkennen und sich nicht offensiv darauf einstellen. Auch Regierungen könnten gegenüber Nichtregierungsorganisationen oder anderen innovativeren Organisationsformen unter Innovationsdruck geraten.

Ein gutes Beispiel hierfür ist das vom ehemaligen Obama-Unterstützer Jim Gilliam gegründete WhiteHouse2.org-Netzwerk mit über 8600 registrierten Nutzern (Stand Juni 2009). Hier können Bürger politische Forderungen, die von anderen Bürgern eingestellt wurden, unterstützen, ablehnen, bewerten, kommentieren und weiterverbreiten. Die Themen reichen von Steuererleichterungen über Gesundheitsreformen bis Investitionen in erneuerbare Energien. Je mehr elektronische Unterschriften eine Forderung sammeln kann, desto prominenter ihr Platz auf der Homepage der Organisation.

Den Ansatz der Web 2.0-Petition verfolgen auch themenspezifische Internetplattformen wie Al Gores WeCanSolveIt.org oder Politics-360.org, deren Nutzer direkten Druck auf die Politik ausüben können. Auch in Deutschland wird die digitale Gesellschaft langsam als wichtiger Faktor der Meinungsbildung sichtbar. Dies zeigt die e-Petition gegen den von der Bundesregierung geplanten Aufbau einer Infrastruktur zu digitalen Netzsperren – mit mittlerweile weit über 100 000 Unterzeichnern – und die zeitnahe Berichterstattung der etablierten Medienwelt.

Diese Modelle der zivilgesellschaftlichen Selbstorganisation entfalten besonders in Schwellen- und Entwicklungsländern eine beeindruckende Wirkung, in denen die Presse- und Meinungsfreiheit nicht stark ausgeprägt sind oder Repressionen unterliegen. Hier nutzen eine große Anzahl von Bürgern, Aktivisten, Nonprofits und Hilfsorganisationen Web 2.0-Technologien, um sich direkt auszutauschen, Kampagnen zu organisieren und die Bevölkerung zu mobilisieren. Faszinierendes Beispiel für diese Graswurzeldemokratie ist die Organisation von weltweiten Protesten gegen die marxistischen FARC-Rebellen in 160 Städten, organisiert über die Facebook-Gruppe „One million voices against the FARC“ im Februar 2008 oder die erfolgreiche Unterstützungskampagne der 2006 von Esra’a Al Shafei gegründeten Dialog- und Diskussionsplattform Mideastyouth.com für den ägyptischen Blogger Kareem Amer, der wegen seiner kritischen Texte zu vier Jahren Gefängnis verurteilt wurde.

Auch das aktuelle Beispiel Iran zeigt, dass die Bedürfnisse junger Menschen zunehmend politische Relevanz entfalten. Geschätzte 70 000 bis 200 000 Blogs bilden dort einen Kommunikationskanal, der nicht umfassend kontrolliert werden kann. Bereits während des Wahlkampfs nutzte die etwa 40 000 Unterstützer zählende Facebook-Gruppe Hossein Mussavis – des Hauptherausforderers von Präsident Machmud Achmadinedschad – diese Plattform, aber auch Twitter und SMS-Nachrichten zur Mobilisierung der Wähler. Nachdem erste Vorwürfe des Wahlbetrugs laut wurden, reagierten die Sicherheitskräfte umgehend mit einer Blockade des SMS-Verkehrs und zahlreicher Internetportale. Gänzlich konnte die Kommunikation jedoch nicht unterbrochen werden. Die vielen Demonstrationen wurden zum großen Teil elektronisch organisiert.

Selbst einem der größten Despoten unserer Zeit, Robert Mugabe, schlägt aus dem Netz Widerstand entgegen. Der Kubatana Trust of Zimbabwe und das Network Alliance Project betreiben seit 2001 mit Kubatana.net ein elektronisches Netzwerk von über 250 Nichtregierungsorganisationen mit dem Ziel, die elektronische Vernetzung und Informationsmöglichkeiten für die demokratischen Kräfte Simbabwes zu stärken. In einem Land, in dem die traditionellen Medien unter staatlicher Kontrolle stehen, greift Kubatana auf Email- und Mobilfunktechnologie für den Versand von Newslettern zurück und ermöglicht den Zugriff auf Audiofiles per Mobiltelefon, Festnetz und VoIP. Das Portal Sokwanele.com bildet den Kern einer Bewegung, die prodemokratische Organisationen und Parteien in Simbabwe unterstützt. Sokwanele hat vor allem durch eine hochprofessionelle und öffentlichkeitswirksame Überwachung der Wahlen 2005 und 2008 sowie die Dokumentation der Wahlverstöße und Übergriffe durch Mugabes ZANU-PF Aufsehen erregt. Nutzer können per Web oder Mobiltelefon Vorfälle melden, die auf einer navigierbaren, auf Google Maps basierenden „Map of political violence“ detailliert dokumentiert werden, z.B. über die Flickr-Fotoslideshows und direkte Links zu Artikeln und Blogeinträgen.

Neue Ideen und Lösungen für die Politik

Das Web 2.0 eignet sich jedoch nicht nur für Forderungen und Protest gegen die Politik, sondern kann auch genutzt werden, um gute Ideen der Bürger – und Wähler – direkt an die Politik heranzutragen. Es erleichtert qualifizierten, politisch denkenden Bürgern, die bislang noch abgeschreckt vom klassischen Parteibetrieb sind, künftig eine sehr viel stärkere Einbindung in den politischen Prozess. Statt des klassischen Leserbriefs oder Schreibens an den Abgeordneten erhalten Bürger die Möglichkeit zur direkten Mitsprache – oft themenfokussiert, ad hoc organisiert und zeitlich begrenzt. Das Ziel: aus kollektiver Bürgerintelligenz Politikempfehlungen generieren. Wie kann das funktionieren?

Das kreative Potenzial der „Weisheit der Massen“ ist schon länger von Unternehmen wie Dell, IBM oder auch Starbucks erkannt worden, die eigene Webseiten mit Community-Funktionen aufgebaut haben. Deren Ziel war nicht nur Werbung und Kundenbindung, sondern die Verbesserung der eigenen Dienstleistungen und Produkte. Kunden und Mitarbeiter wurden aufgefordert, auf der Website Kritik an der Firma zu üben und Verbesserungsvorschläge zu machen. Der Erfolg war verblüffend: Es gingen mehrere zehntausend Einträge mit zum Teil sehr durchdachten Vorschlägen zu technischen Neuerungen ein. Für die Unternehmen war der Gewinn enorm. Sie bekamen kostenlos wertvollen Input, der ihnen half, ihre Marke und Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Die Kunden wirkten wie eine große Gruppe von externen Beratern und Kreativen, die den Unternehmen freiwillig und unter Arbeitsaufwand Ideen schenkten.2

Offensichtlich existiert eine große Bereitschaft der Bürger, sich stärker zu beteiligen. Und wenn es einer Kaffeehauskette gelingt, bei ihren Kunden kreatives Potenzial abzuschöpfen, dann sollte die Politik, die den Einzelnen ja viel tiefgreifender berührt, doch noch viel stärker von der „Weisheit der Bürger“ profitieren können. Wer jedoch eine solche Bottom-up-Strategie erfolgreich umsetzen will, benötigt mehr als einen Webmaster und eine hübsche Homepage. Erforderlich sind Sinn für politische Kommunikation und Agenda-Setting, professionell organisierte Netzwerke und Datenbanken, erstklassiges Marketing, ein Gespür für die Zielgruppe und nicht zuletzt eine solide Finanzierung.

Sind diese Bedingungen gegeben, lassen sich mit Hilfe von themenspezifischen Web 2.0-Communities, Wikis, Videokonferenzen und strukturierten Diskussionen Ideen und Argumente von Bürgern sammeln. Um sie für die Politik nutzen zu können, müssen diese Informationen aufbereitet und verdichtet werden. Dies erfordert eine intensive Betreuung. Schließlich braucht Politik – vor allem die ausführende Arbeits- und Beamtenebene – keine der zahlreichen Online-Foren, die unstrukturiert jeden über alles schreiben lassen, sondern lesbare, präzise Handlungsvorschläge und Empfehlungen von Bürgern, die im Idealfall mit Expertenwissen angereichert werden. Entscheidend ist die systematische und transparente Einspeisung der Bürgervorschläge in den politischen Prozess. Will die Politik diese Chance des Wissensinput für sich nutzen, muss sie die Anregungen und Ideen der Bürger allerdings auch ernst nehmen, sich nach Möglichkeit verpflichten, diese regelmäßig aufzunehmen und im Idealfall umzusetzen. Nur dann hat externer Input eine Chance, zur politischen Vorlage zu werden. Welche Möglichkeiten stünden der Politik oder beispielsweise der Bundeskanzlerin zur Verfügung? Sie könnte neben ihrer wöchentlichen Videoansprache eine Webseite schaffen, auf der sie die Bürger um inhaltlich strukturierten Input zu ihrer Politik bittet, diesen dann von Mitarbeitern oder dem Bundespresseamt bearbeiten lässt und monatlich diskutiert. Es ließe sich auch an ein online Town Hall Meeting denken, das per Video auf Facebook oder YouTube übertragen wird und in dem Bürger per Twitter live Fragen an die Bundeskanzlerin oder einen anderen Spitzenpolitiker stellen können.

Eines ist klar: Regierungen, Parteien, Minister und andere Politiker, die die Kommunikationsrevolution nicht ernst nehmen, werden es in Zukunft schwer haben, sich medial Gehör zu verschaffen. Wenn Politiker die Emanzipation der Bürger allerdings als Chance begreifen, können sie die neuen Technologien als einen hervorragenden Seismographen nutzen um zu erfahren, was Bürger tatsächlich bewegt und wie kraftvoll Politik ist, die den Bürger stärker einbezieht. Wir stehen erst ganz am Anfang dieser Entwicklung. Web 2.0 wird es allen Akteuren im politischen Raum ermöglichen, effizient wechselseitiges Feedback einzuholen. Politik könnte intelligenter und wirkungsvoller werden.

Netze knüpfen, Außenpolitik erklären

Systematische Aktivierung und Aufklärung der Bürger werden zukünftig auch in der internationalen Politik eine große Rolle spielen. Dabei gilt es zwischen zwei Dimensionen der Außenpolitik zu unterscheiden: die innenpolitische Legitimation für außenpolitische Handlungsfähigkeit und die ins Ausland gerichtete Public Diplomacy, z.B. in Krisenregionen. Für letzteren Bereich sind eine Aktivierung und Einbindung der relevanten Kräfte vor Ort besonders wichtig. Deshalb sollten Außenministerien das Web 2.0 als Werkzeug für die Dialog- und Prozessgestaltung nutzen, um Zivilgesellschaften mit ihrem konstruktiven Potenzial zu stärken.

US-Präsident Barack Obama wendet sich direkt an Bevölkerungen und weniger an Nationalstaaten. Warum sollte es durch neue Technologien, Vernetzungen und Kommunikationswege nicht gelingen vor allem die konstruktiv interessierten Bürger besser einzubinden? Heute stehen in großen Teilen der Welt alle relevanten Informationen sehr vielen Menschen zur Verfügung. Obama ist es im amerikanischen Wahlkampf mit Hilfe des Internets gelungen, aus Menschen, die sich als passive Objekte der Politik empfanden, aktive Akteure zu machen. Warum sollten sich diese Ansätze nicht auch auf die eigentlich Betroffenen in Krisenregionen übertragen lassen? Sie könnten durchaus gute Politikempfehlungen geben. Und mit Hilfe neuer Kommunikationsinstrumente und konkreter Angebote könnte man ihnen Mut machen. Dabei kommt es wie immer auf die richtige Verknüpfung von Online- und Offline-Aktivitäten an.

Doch auch etablierte Demokratien können sich von ihren kundigen Bürgern beraten lassen. Innovative Ansätze für eine stärkere Nutzung der Web 2.0-Potenziale in der Außenpolitik finden sich beim US State Department. Nach der Amtsübernahme durch Hillary Clinton wurde die Strategie der e-Diplomacy eingeführt, um die Reichweite der Website zu steigern und den Fokus auf politische Fragestellungen zu schärfen. Durch ein „Dip-Note“-Blog mit Artikeln hochrangiger Diplomaten, interaktive Karten und eine Aufforderung zum Dialog in einem Frage-und-Antwort-Bereich konnten die täglichen Zugriffe und RSS-Abonnenten verdoppelt werden. Ein Webcast zum Thema Klimawandel wurde zum Beispiel über zehn Millionen Mal abgerufen und führte zu 50 000 Kommentaren und 7000 Fragen. Selbstverständlich kommuniziert das State Department – ebenso wie das Weiße Haus – mit den amerikanischen Wählern und Nutzern weltweit über Facebook, Youtube, Flickr, Twitter und andere Web 2.0-Plattformen.

Auch die NATO setzt inzwischen auf offene Kommunikation im Netz. Stefanie Babst, Deputy Assistant Secretary General for Public Diplomacy Strategy, hat die Grundlagen für eine erfolgreiche „neue“ Public Diplomacy Strategie Ende Januar 2009 auf dem Partnership for Peace Symposium erläutert.3 Um erfolgreich überzeugen und Einfluss nehmen zu können, müssten Politiker zwangsläufig die Motivationen der Menschen und gemeinsame Interessen identifizieren und Netzwerke in ihre Planungen einbeziehen. Public Diplomacy, so Babst, müsse vor allem zuhören, glaubhaft sein und sich den Herausforderungen des Web 2.0 stellen.

Was die innenpolitische Dimension der Public Diplomacy betrifft, so sind internationale Beziehungen in Deutschland bis heute ein Elitenthema, das oft unbemerkt von weiten Bevölkerungskreisen vollzogen wird. Im Informationszeitalter mit globaler Reichweite ist dies kein nachhaltiges Vorgehen. Die Diskussion um Out-of-area-Einsätze der Bundeswehr ist ein typisches Beispiel: Deutsche Regierungen betreiben diese bis heute oft verschämt, vermeiden es von Kampfeinsätzen oder gar Gefallenen zu sprechen und scheuen offensive Überzeugungsarbeit gegenüber einer im Kern noch pazifistischen Bevölkerung. Sie fürchten, vom Wähler abgestraft zu werden. Doch dieses Wegducken ist für ein so großes Land in der Mitte Europas mit seiner besonderen historischen Verantwortung auf Dauer nicht tragbar. Schließlich geht es um unsere nationale Sicherheit, Bündnisfähigkeit, Glaubwürdigkeit und damit um unseren Einfluss auf der internationalen Bühne.

Die Bundesregierung ist daher dringend auf Verbündete im Innern, aus der organisierten Bürgergesellschaft, angewiesen, die sie konstruktiv begleitet und sich öffentlich Gehör verschafft. Es sollte daher zahlreiche Initiativen und Organisationen geben, die sich mit außenpolitischen Fragestellungen beschäftigen und die Relevanz für das Leben jedes einzelnen Bundesbürgers deutlich machen. Die Erkenntnis, dass Außenpolitik auch Innenpolitik ist, ist mittlerweile weiten Bevölkerungskreisen vermittelbar. Doch nur selten gelingt es den Entscheidungsträgern, dies so klar zu kommunizieren wie dem ehemaligen Verteidigungsminister Peter Struck mit seinem prägenden Satz von Deutschlands Sicherheit, die auch am Hindukusch verteidigt wird.

Warum aber gibt es bis heute keine professionelle Kommunikationskampagne, die erklärt, was die Bundeswehr in Afghanistan alles leistet? Jede Initiative für Energiesparlampen wird weitläufig von der Regierung plakatiert. Ebenso muss sie aktiv für unsere Außenpolitik werben. Sonst fragt sich der Bürger gerade in Zeiten knapper werdender öffentlicher Kassen, warum wir Schulen in Afghanistan bauen, aber kein Geld für mehr Lehrer in der Schule seiner Kinder vorhanden ist. Für die Analyse und Kommunikation komplexer internationaler Fragestellungen sind Web 2.0-Communities besonders geeignet. Auf ihnen können Bürger, Experten aus Think-Tanks und Politiker Länder übergreifend diskutieren und neue Ideen einbringen.

Durch die Einbeziehung von Schülern, Studenten und jedes informierten Zeitungslesers kann das Motto „Außenpolitik für alle“ verwirklicht werden. Zugleich werden wichtige Teile der Gesellschaft – ob Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur oder Medien – untereinander sprechfähig. In Deutschland schließlich kann eine professionell betriebene Web 2.0-Plattform auch dazu beitragen, der seit langem beschworenen Strategic Community eine zentrale Anlaufstelle zu bieten. Eine innenpolitisch aktive Bürgergesellschaft und eine erfolgreiche Plattform für eine Strategic Community – wenn das keine positiven Aussichten sind!

Dr. JOHANNES BOHNEN und JANFRIEDRICH KALLMORGEN leiten die Public Affairs Beratung Bohnen Kallmorgen & Partner in Berlin und haben 2004 den Think-Tank Atlantische Initiative gegründet. Ihr wichtigstes Projekt ist der weltweit erste Internet-Think-Tank für Außenpolitik: atlantic-community.org.

  • 1Vgl. Alan Milward: The European Rescue of the Nation State, University of California Press, Berkeley 1993.
  • 2Für eine ausführliche Analyse der Web 2.0-Strategien von Unternehmen vgl. Jeff Jarvis: What Would Google Do, New York 2009.
  • 3Vgl. Stefanie Babst: NATO’s New Public Diplomacy: The Art of Engaging and Influencing, http://www.atlantic-community.org/index/articles/view/NATO%27s_New_Publ….
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 7/8, Juli/August 2009, S. 18 - 25.

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