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01. Febr. 2005

Die nächste transatlantische Krise kommt bestimmt

Krach um die mögliche Aufhebung des China-Waffenembargos ist abzusehen

Der Europa-Besuch von George W. Bush im Februar sollte zu neuen Hoffnungen für die transatlantische Partnerschaft Anlass geben. Beide Seiten bemühen sich um die Vermeidung von Reibungen. In der Auseinandersetzung um die Subventionen für die Flugzeugbauer Airbus und Boeing wurde ein Waffenstillstand geschlossen. Die Aufhebung des Waffenembargos gegen China könnte jedoch neuen Sprengstoff zwischen der EU und den USA bergen. Peking betrachtet das Embargo als Relikt des Kalten Krieges und als Schmach, die an den Pariah-Status der Pekinger Führung nach der Ermordung hunderter friedlicher Demonstranten auf dem Platz des Himmlischen Friedens 1989 erinnert. Für die kommunistische Führung ist das Embargo ein Ärgernis, das nicht zu den blühenden Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zwischen China und der EU passe. Die klaren Absichten der chinesischen Regierung werden dabei in einem Strategiepapier über die Beziehungen zur Europäischen Union vom Oktober 2003 formuliert, in dem eine baldige Aufhebung des Waffenembargos gefordert wird, um „Hindernisse in der Zusammenarbeit in der Verteidigungsindustrie sowie im Technologietransfer“ zu beseitigen. Zudem kündigt Peking in seinem Ende Dezember letzten Jahres erschienenen Verteidigungsweißbuch eine Modernisierung seines Militärs an und betont erneut, dass eine Unabhängigkeit Taiwans die größte Gefahr für Chinas nationale Sicherheit darstelle.

Deutschland und Frankreich schenkten den beiden Papieren wenig Aufmerksamkeit, denn sie messen dem EU-Embargo vor allem symbolische Bedeutung bei. Von einer Aufhebung des Embargos erhoffen sich Berlin und Paris aber positive Auswirkungen auf Handel und Investitionen. Gerhard Schröders Haltung ist dabei realpolitisch. Er kann Peking versprechen, sich für eine Aufhebung einzusetzen, denn er weiß, dass das Embargo nur einstimmig von allen 25 EU-Staaten gestrichen werden kann, sich aber längst nicht alle einig sind. Selbst wenn das Embargo aufgehoben würde, so der Kanzler, greife der „EU Code of Conduct“, eine freiwillige Selbstbeschränkung der Mitgliedsländer. Dieser hat jedoch keine rechtlich bindende Wirkung. Es gibt zwar noch zwei weitere europäische Regelungen zur Einschränkung der Verbreitung von so genannter „Dual Use Technology“ – Techniken, die für zivile und militärische Zwecke eingesetzt werden können – allerdings gibt es unterschiedliche Interpretationen, wie verbindlich diese sind.

Der amerikanischen Regierung sind sie auf jeden Fall zu schwach. Wa-shington verfolgt eine strikte Rüstungsexportkontrolle gegenüber China und befürchtet, dass europäische Dual-Use-Technology zu einer Modernisierung des chinesischen Militärs benutzt würde. Dadurch wären amerikanische Sicherheitsinteressen an mindestens drei Stellen berührt: Washington hat Taiwan eine Sicherheitsgarantie gegeben. Diese ist Teil der amerikanischen Ein-China-Politik, die auf dem Prinzip beruht, Taiwan nicht offiziell anzuerkennen, die Insel aber vor einer möglichen chinesischen Aggression zu schützen. Die Zusammenarbeit zwischen dem amerikanischen und dem taiwanesischen Militär ist entsprechend eng. Japan sind die USA durch eine formelle Sicherheitsallianz verpflichtet. Eine gemeinsame Raketenabwehr wird eifrig vorangetrieben. Diese dient auch dem Schutz vor chinesischen Angriffen, wie die neuen japanischen Verteidigungsrichtlinien klar machen. Schließlich befürchtet Washington, dass Moskau als einer der Hauptlieferanten von Rüstungsgütern an China im Fall einer Aufhebung des EU-Embargos seine wenigen Waffenexport-Restriktionen ganz aufgibt und es zu einem Wettrennen der Rüstungslieferanten in Ostasien kommt. US-Firmen wären davon ausgeschlossen.

Was passiert, wenn die Europäische Union das Embargo einseitig aufhebt? Vermutlich käme ein hässlicher Kreislauf in Gang: Amerikanische Rüstungsfirmen würden nachdrücklich verlangen, auch mit Peking Handel treiben zu dürfen. Präsident Bush würde dies unter jetzigen Bedingungen ablehnen müssen und die europäischen Alliierten der Unverantwortlichkeit bezichtigen. Amerikanische Medien würden sich vermutlich auf den wirtschaftlichen Opportunismus der EU einschießen. Konservative Kommentatoren dürften Europa vorwerfen, es strebe eine multipolare Weltordnung an, wie man schon am Widerstand gegen den Irak-Krieg gemerkt habe. Dieser richte sich gegen Amerika und schrecke nicht einmal davor zurück, einem kommunistischen Regime bei der Modernisierung seiner gegen amerikanische Soldaten gerichteten Waffensysteme zu helfen.

Um dieses Szenario zu verhindern, sollten die Europäer – und hier wäre eine Führungsrolle Deutschlands wünschenswert – direkte Gespräche mit den Ostasien-Experten im Weißen Haus, im Pentagon und US-Außenministerium suchen. Den USA müsste dabei glaubhaft versichert werden, dass es weder auf bilateraler noch auf EU-Ebene zu einem Transfer von Technologie kommen wird, die zur Weiterentwicklung von chinesischen Waffensystemen genutzt werden könnte. Klare Regelungen für Grenzsituationen – etwa bei der Herstellung von Radar- oder Kommunikationsgeräten – sind ebenso notwendig wie eine rechtlich bindende Regelung, die über die bisherige freiwillige Selbstverpflichtung hinausgeht.

Sollten sich die Europäische Union und die Vereinigten Staaten in dieser Frage nicht einigen, könnten die USA als Gegenmaßnahme den Zugang zu ihrer Militärtechnologie für die europäischen Länder einschränken, die Waffen an China liefern. Die NATO würde so noch stärker zu einer technologischen Zweiklassengesellschaft, und China hätte Europa und die USA erfolgreich gegeneinander ausgespielt und die westliche Allianz nachhaltig geschwächt.

Stattdessen müssen beide Seiten eine gemeinsame Strategie entwickeln, wie sie als „Westen“ mit dem kommunistischen chinesischen Giganten umgehen wollen. Dies sollte nicht nur wirtschaftliche, sondern vor allem sicherheitspolitische Aspekte einschließen. Die EU könnte zeigen, ob sie in der Lage ist, geostrategisch auf eine Augenhöhe mit den USA zu kommen. Sollte dies der Fall sein, könnte ein solcher Prozess zu einem Initial für unsere wichtigste außenpolitische Aufgabe werden – eine transatlantische Sicherheitsstrategie für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu entwerfen, die den oft genannten aber selten umgesetzten Prinzipien folgt: gemeinsam analysieren, gemeinsam entscheiden, gemeinsam handeln.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, Februar 2005, S. 100 - 101.

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