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01. Sep 2007

Wenn der Iran Nuklearmacht würde …

... wäre die atomare Abschreckung auch gegen Teheran wirksam?

Die nuklearen Ambitionen des Iran bestimmen seit langem die internationale Sicherheitsdebatte. Mit immer neuen Kombinationen von Anreizen und Sanktionen wird versucht, Teheran von seinem gefährlichen Kurs abzubringen. Was wäre, wenn das letztlich doch nicht gelingt und der von Mullahs regierte Gottesstaat Iran zur Nuklearmacht wird?

Auch wenn es zu weiteren Verhandlungen mit der iranischen Führung keine realistische Alternative gibt, so muss – angesichts der Möglichkeit ihres Scheiterns – das Szenario eines nuklearen Iran zumindest hypothetisch betrachtet werden. Welche Konsequenzen hätte es für die Region und für die internationale Politik insgesamt, wenn Teheran seinen Status als Nuklearmacht durch einen Atomtest bewiesen hätte? Welche der möglichen Folgen sind realistisch und welche eher weniger plausibel?

Die für die euroatlantische Gemeinschaft bedeutendste Konsequenz der iranischen Verfügung über Kernwaffen wäre ihr Einsatz gegen Ziele in den USA oder in Europa. Die Folgen wären, je nach Zielort und Stärke der Waffe, in ihrer Dramatik kaum abzuschätzen. Aufgrund der überaus aggressiven Rhetorik der iranischen Staatsführung gegenüber dem „großen Satan“ USA wird ein solches Alptraumszenario in Teilen der amerikanischen „strategic community“ als durchaus möglich angesehen.

Bei genauerer Betrachtung sprechen allerdings eine Reihe von Gründen gegen einen iranischen Nuklearschlag auf amerikanisches oder europäisches Territorium. Zunächst wäre ein solcher Einsatz erst dann möglich, wenn der Iran neben den Sprengköpfen auch die entsprechenden Trägersysteme besitzt. Die 2004 getestete Shahab III-Rakete kann mit ihrer Reichweite von derzeit etwa 2000 Kilometern zwar Athen treffen. Von der Option, interkontinentale Distanzen mit Raketen zu überbrücken, ist der Iran allerdings noch weit entfernt. Selbst wenn Kernwaffen in den kommenden Jahren entwickelt würden, so gehen US-Nachrichtendienste davon aus, dass Teheran nicht vor 2015 über ballistische Interkontinentalraketen (ICBM) verfügt.

Weit wichtiger ist aber die Tatsache, dass das Prinzip der nuklearen Abschreckung auch gegenüber einem nuklearen Iran gelten würde. Grundlage dieses Konzepts ist, den Gegner vom Einsatz seiner Waffen abzuhalten, indem man ihm einen inakzeptablen Schaden durch nukleare Vergeltungsschläge androht. Allerdings muss eine solche Drohung in den Augen dessen, der abgeschreckt werden soll, auch glaubwürdig sein. Atomare Vergeltungseinsätze müssen plausibel erscheinen, und die Entschlossenheit des Abschreckenden, sie im Ernstfall auch auszuführen, muss erkennbar sein.

Eine solche Glaubwürdigkeit wäre im Falle des Iran gegeben. Wann immer der Iran die strategische Nuklearfähigkeit erhält, er müsste im Falle eines Einsatzes seiner Waffen stets mit der Vergeltung durch die Atommächte USA, Frankreich oder Großbritannien rechnen. Angesichts der gewaltigen Kernwaffenbestände in diesen Ländern dürfte die Explosion einer iranischen Atomwaffe in Europa oder Amerika die völlige Vernichtung des Iran nach sich ziehen. Selbst wenn der Iran seine Waffen in einem Nachbarland zünden würde, müsste Teheran mit Vergeltungsschlägen der westlichen Nuklearstaaten rechnen. Es ist kaum vorstellbar, dass die iranische Führung sich einen politischen oder militärischen „Gewinn“ durch einen Kernwaffeneinsatz erhoffen könnte, der das hohe Risiko der eigenen physischen Auslöschung rechtfertigt.

Die Logik der Abschreckung funktioniert allerdings nur, wenn dem abzuschreckenden Regime ein rationales Kosten-Nutzen-Kalkül unterstellt werden kann. Nun kann man darüber streiten, ob etwa ein Regime wie Nordkorea mit einem offenbar pathologischen Staatschef als „rational“ und damit als abschreckbar gelten kann. Die iranische Führung hat hingegen bislang keine Irrationalität oder Unberechenbarkeit gezeigt. Sie hat stets den eigenen Vorteil gesucht und dabei offenbar Kosten und Nutzen gegeneinander abgewogen. Auch hat Teheran nach den Anschlägen des 11. September die Anti-Taliban-Koalition in Afghanistan mit wichtigen Geheimdienstinformationen gestützt.

Letztlich spricht gerade der in den USA und Europa häufig zu hörende Vorwurf, das Mullah-Regime sei korrupt, gegen einen irrationalen Umgang mit Abschreckungsdrohungen: Ein Regime, das korrupt ist, will seine Pfründe behalten und ist in der Regel nicht selbstmörderisch.

Wie bedroht ist Israel?

Grundsätzlich gilt das Prinzip der Abschreckung auch aus israelischer Sicht. Israel ist derzeit die einzige Nuklearmacht in der Region, mit einem geschätzten Arsenal von bis zu 200 Atomsprengköpfen. Zudem verfügt Israel über drei U-Boote, die prinzipiell auch nukleare Marschflugkörper verschießen können, und besitzt damit eine gesicherte Zweitschlagsfähigkeit. Ein iranischer Kernwaffeneinsatz gegen Israel würde also eine vernichtende Antwort nach sich ziehen. Hinzu kommt, dass die USA einen iranischen Atomschlag gegen Israel kaum tatenlos hinnehmen würden. Selbst wenn Israel zu einem Vergeltungsschlag nicht mehr in der Lage sein sollte, wäre die amerikanische Reaktion so, dass der Iran auch in diesem Fall aufhören würde zu existieren.

Ungeachtet geltender Abschreckungslogik ist aber die israelische Bedrohungswahrnehmung eine grundsätzlich andere. Während eine Kernwaffenexplosion in Europa oder Amerika zwar eine nationale Katastrophe, nicht aber das Ende des betroffenen Staatswesens bedeuten würde, fehlt es Israel an der geographischen Größe, eine solche Tragödie zu überstehen. Bereits zwei oder drei Kernexplosionen könnten Israel völlig verwüsten und damit physisch auslöschen. Nimmt man die mehrfach belegten Ankündigungen des iranischen Präsidenten hinzu, Israel von der Landkarte tilgen zu wollen, so wird die israelische Sensibilität gegenüber dem iranischen Nuklearprogramm verständlich. Zwar sieht auch Israel, dass die Wahrscheinlichkeit eines iranischen Nuklearangriffs äußerst gering ist. Sollte aber die Abschreckung einmal versagen, so wären die Folgen für Israel im Vergleich zu den meisten übrigen Staaten unvergleichlich schlimmer. Israelische Strategen verweisen stets auf dieses Dilemma, wenn sie verdeutlichen wollen, dass ein nuklearer Iran völlig unakzeptabel sei.

Dieses Dilemma ist grundsätzlich nicht lösbar, da Abschreckung keine absolute Sicherheit bieten kann und immer die Gefahr des Scheiterns beinhaltet. Kerneinsätze können als Resultat von Missverständnissen oder Fehlkalkulationen stattfinden, obwohl die Vergeltungsgefahr offensichtlich ist. Allerdings wäre Israel nicht das erste Land, das einer solchen Mischung von äußerst geringer Eintrittswahrscheinlichkeit bei extremen Konsequenzen im Eintrittsfall ausgesetzt wäre – Deutschland war auf der Höhe des Kalten Krieges in einer ähnlichen Situation. Im Jahr 1971 waren bis zu 7300 nukleare Gefechtsfeldwaffen der NATO in Europa stationiert – die meisten in der Bundesrepublik (gleiches galt für den Warschauer Pakt und die DDR). Aufgrund der geringen Reichweiten wäre ein großer Teil dieser Kernwaffen auf deutschem Boden detoniert. Gleichzeitig sah die NATO-Strategie explizit vor, Kernwaffen frühzeitig einzusetzen (First Use) – Manöver und Planungsübungen simulierten regelmäßig den Einsatz einiger hundert Kernwaffen auf west- und ostdeutschem Boden. Wäre es zu einem Angriff des Warschauer Paktes und einer nuklearen Eskalation gekommen, so wären Deutschland und große Teile Mitteleuropas völlig von der Landkarte getilgt worden.

Problem Nuklearterrorismus

Eine häufig vorgebrachte Konsequenz eines nuklear bewaffneten Iran ist die steigende Gefahr des nuklearen Terrorismus. Selbst wenn das Regime in Teheran vor einem Einsatz der eigenen Kernwaffen zurückschrecken würde, so könnte es diese oder kritische Komponenten an Terrororganisationen weitergeben. Die könnten im Sinne Teherans weltweit Anschläge mit katastrophalen Folgen verüben, ohne dass der Iran zur Verantwortung gezogen werden könnte. Gerade dem Iran wird ja immer wieder vorgeworfen, zu den wesentlichen Sponsoren des internationalen Terrorismus zu gehören.

So verbreitet die Kooperation zwischen Terrorgruppen und extremistischen Staaten im Bereich konventioneller Waffen auch sein mag, so ist sie im Nuklearbereich eher unwahrscheinlich. Bislang haben alle Staaten, die über Kernwaffen verfügen, der Sicherheit ihrer atomaren Arsenale und dem Schutz vor deren Missbrauch höchste Priorität beigemessen. Selbst unter engsten Verbündeten – etwa in der NATO – war das Verhältnis von nuklearen und nichtnuklearen Mitgliedern von großer Vorsicht gekennzeichnet, sobald es um Kernwaffen ging. Es ist nur schwer vorstellbar, dass ein Staat, der unter gewaltigem Aufwand eigene Nuklearwaffen produziert hat, diese an Dritte – noch dazu an potenziell unzuverlässige Terroristen – weitergibt. Er riskiert dabei nicht nur, dass die Organisation diese Waffen entgegen den Abmachungen gebraucht. Es besteht sogar die Gefahr, dass die Terroristen ihre neu gewonnene nukleare Stärke gegen den Sponsorstaat richten.

Selbst wenn ein Nuklearstaat eine terroristische Organisation mit Kernwaffen oder Bauteilen ausstatten sollte, wird der Hauptnutzen für den Sponsor – Anschläge verüben zu lassen, ohne selbst verantwortlich gemacht werden zu können – künftig immer fragwürdiger. Während Terrorgruppen, die konventionelle Anschläge verüben, nach wie vor anonym agieren können, lassen sich nukleare Substanzen mittlerweile auf das Ursprungsland oder den Produktionsort zurückverfolgen. Die Möglichkeit einer eindeutigen Identifizierung eines nuklearen Sprengsatzes auch nach seiner Detonation ist heute mit den Mitteln der „nuklearen Forensik“ gegeben. Durch die Auswertung des radioaktiven Niederschlags (Fallout) einer Kernexplosion kann ein „nuklearer Fingerabdruck“ ermittelt werden, der präzise Indizien zur Zusammensetzung des Spaltmaterials liefert. Da die USA und andere Nuklearstaaten seit den fünfziger Jahren Daten über weltweit produzierte Spaltstoffe und Kernwaffen sammeln, können die Herkunft der Substanzen oder sogar Hersteller des Sprengsatzes ermittelt werden. Seit 2005 unterhält das amerikanische Verteidigungsministerium eine Expertengruppe, die diese Techniken verfeinert und auf die besonderen Gefahren des Nuklearterrorismus ausgerichtet ist. Daher müsste auch der Iran mit massiven Konsequenzen rechnen, wenn er Kernwaffen an Terrorgruppen weitergäbe.

Viel bedeutsamer ist hingegen die Gefahr der so genannten „Dirty Bombs“. Radioaktives Material würde mit konventionellen Sprengstoffen gemischt und zur Explosion gebracht. Es käme nicht zu einer nuklearen Kettenreaktion, sondern lediglich zu einer lokalen Verstrahlung. Die Folge wäre nicht die große Verwüstung eines Kernwaffeneinsatzes, sondern vor allem Chaos und anhaltende Panik am Einsatzort. Der Iran könnte durchaus Terroristen mit solchen „radiologischen Waffen“ ausstatten. Hierfür bedarf es allerdings keines Atomwaffenprogramms, denn der Iran verfügt, wie viele andere Länder auch, bereits jetzt über radioaktives Material aus medizinischen Einrichtungen oder Forschungsanlagen. Die Gefahr von Anschlägen mit Dirty Bombs besteht also ohnehin, ob der Iran eigene Kernwaffen besitzt oder nicht.

Irans politischer Machtgewinn

Fragt man nach den Gründen, warum Staaten nach Kernwaffen streben, so ergeben sich – schematisch dargestellt – drei Motive.

  • Erstens: die Vergrößerung der eigenen Machtbasis in der Region und damit die Verbesserung der eigenen Sicherheitslage. Dies dürfte beispielsweise ein wesentlicher Antrieb für Israel in den sechziger Jahren gewesen sein, ein nationales Atomarsenal zu entwickeln.
  • Zweitens: der Wunsch, den eigenen Status in der internationalen Politik aufzuwerten. Die Tatsache, als Nuklearmacht international weit ernster genommen zu werden, wird gerade von Vertretern Indiens und Pakistans als Begründung für die eigenen Kernwaffen genannt.
  • Entscheidend ist aber der dritte Grund: der politische Gewinn, der sich aus dem Nuklearbesitz ableitet. Eine Nuklearmacht ist nämlich de facto kaum noch militärisch zu sanktionieren, und sie muss auch bei eigenem Fehlverhalten keine gewaltsame Intervention befürchten. Wäre Serbien Kernwaffenstaat gewesen, hätte es 1999 wohl keinen Militäreinsatz der NATO zur Befreiung des Kosovo gegeben. Auch hätte Saddam nach dem Überfall auf Kuwait kaum einen Angriff durch eine amerikanisch geführte Allianz befürchten müssen, hätte er 1990 über Kernwaffen verfügt.

Überträgt man das dritte Motiv auf die Situation im Iran, so werden die außerordentlichen Konsequenzen eines nuklearen Iran offensichtlich. Die politischen Optionen des Iran würden sich erheblich erweitern. Die Führung könnte in der Region deutlich aggressiver auftreten und in Krisen die eigenen Interessen auch gegenüber weitaus größeren Mächten viel rücksichtsloser durchsetzen. Selbst die Invasion in ein Nachbarland – etwa zur Kontrolle von Energiequellen – würde risikoärmer. Spiegelbildlich dazu würde sich der Handlungsspielraum der internationalen Gemeinschaft gegenüber dem Iran verkleinern. Gerade das amerikanische Engagement im Nahen und Mittleren Osten wäre mit höheren Risiken belastet. Man wäre im Extremfall mit einem feindlichen Regime konfrontiert, das in einer der wichtigsten und gleichzeitig labilsten Regionen der Welt weitgehend ungehindert politisch oder gar militärisch agieren könnte, ohne mit einer Bestrafung rechnen zu müssen. Dadurch würde sich nicht nur die Machtbalance in der Region beträchtlich verändern, sondern sich auch das internationale Gewicht des Iran ganz wesentlich erhöhen – die Folgen wären kaum absehbar.

Zunahme der Nuklearstaaten

Eng mit der Veränderung der regionalen Machtbalance ist eine weitere Konsequenz iranischen Kernwaffenbesitzes verbunden: die Zunahme der Nuklearstaaten in der Region. Nachbarländer des Iran würden früher oder später ebenfalls Atomwaffen besitzen wollen – entweder weil reale Bedrohungsvorstellungen existieren oder um das politische Gewicht des Iran einzuhegen. Die Zahl potenzieller Kandidaten ist beträchtlich. Ägyptische Regierungsvertreter haben immer wieder Meldungen lanciert, man sei „virtuelle Nuklearmacht“ – verfüge also weder über Kernwaffen noch über militärische Nuklearprogramme, sei aber technisch in der Lage, Atomwaffen zu bauen. Die reichen Ölstaaten wie Saudi-Arabien oder die Vereinigten Arabischen Emirate haben zwar keine Kernkraftwerke, aber die finanziellen Mittel, Nuklearprogramme in Angriff zu nehmen. Auch in Problemstaaten wie Syrien ist langfristig der Bau von Kernwaffen nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Selbst das NATO-Mitglied Türkei könnte sich als direkter Nachbar des Iran veranlasst sehen, den eigenen Nuklearverzicht zu überdenken.

Dass eine solche Dynamik in einer Region mit einem neuen Nuklearstaat einsetzt, hat das Beispiel Nordkoreas gezeigt. Am 9. Oktober 2006 zündete Nordkorea nach eigenen Angaben einen Atomwaffentest. Wenn auch die genauen Umstände der Explosion mysteriös bleiben, so wird allgemein davon ausgegangen, dass Nordkorea die militärische Nutzung der Kernenergie zumindest im Prinzip beherrscht und in absehbarer Zeit funktionsfähige Kernwaffen bauen kann. Bereits kurz nach dem nordkoreanischen Waffentest setzte in Japan eine Debatte ein, ob man nicht langfristig ebenfalls Kernwaffen besitzen müsse. Das ist besonders bemerkenswert, da Japan als bisher einziges Opfer von Kernwaffeneinsätzen immer besonders nuklearkritisch war.

Die mit der Zunahme der Kernwaffenstaaten in der Golf-Region oder im Nahen Osten verbundenen Gefahren liegen auf der Hand. Regionale Krisen könnten eskalieren und zu Kernwaffeneinsätzen führen. Selbst wenn diese auf die Region beschränkt blieben, so wären die weltpolitischen Folgen katastrophal. Eines der am längsten bestehenden Tabus in der internationalen Politik wäre gebrochen worden: der Nichteinsatz von Kernwaffen seit mehr als 60 Jahren. Obwohl Zehntausende von Kernwaffen in Ost und West entwickelt, produziert und stationiert wurden, sind die Nuklearstaaten auch in Zeiten heftigster Spannungen vor dem Gebrauch dieser Waffen zurückgeschreckt. Der erste Atomwaffeneinsatz seit Hiroshima und Nagasaki – ob unbeabsichtigt oder willentlich – dürfte die internationale Politik noch grundlegender verändern als die Katastrophe des 11. September.

Gegen eine Zunahme der Nuklearstaaten lässt sich einwenden, dass die USA den eigenen Atomschirm über verbündete Staaten in der Region ausdehnen könnten, um deren Drang nach Kernwaffen zu mildern. Ein nukleares Sicherheitsversprechen – ähnlich wie es die nichtnuklearen NATO-Partner im Ost-West-Konflikt bekommen haben – könnte Saudi-Arabien oder Ägypten von eigenen Kernwaffenplänen abhalten. Allerdings hätte eine solche amerikanische Zusage ein zweifaches Glaubwürdigkeitsproblem. Zum einen wurde die amerikanische Sicherheitsgarantie im Kalten Krieg durch die Stationierung amerikanischer Streitkräfte in Europa untermauert. Diese hatte nicht zuletzt eine Geiselfunktion – sie wären im Kriegsfall Opfer geworden und hätten ein amerikanisches Eingreifen in den -Konflikt wahrscheinlicher gemacht. Eine solche Truppenstationierung ist in der Nahost-Region kaum vorstellbar. Zum anderen müsste ein amerikanisches Sicherheitsversprechen – soll es wirklich die nuklearen Ambitionen in der Region dämpfen – auch im Falle eines zumindest denkbaren Angriffs durch Israel gelten. Weder Saudi-Arabien noch Ägypten dürften aber davon zu überzeugen sein, dass Amerika jemals bereit wäre, in einer potenziellen Krise Kernwaffen gegen Israel einzusetzen, um eine zum Zweck der Nichtverbreitung gegebene nukleare Sicherheitszusage zu erfüllen. Die Idee amerikanischer Sicherheitsgarantien, die manchem sogar als eine Möglichkeit erscheint, den Iran selbst von seinen nuklearen Ambitionen abzubringen, kann den Realitätstest kaum bestehen.

Ende des NVV-Regimes?

Ein nuklearer Iran würde – so ein populäres Argument – den Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag (NVV) endgültig ad absurdum führen. Seit 1970 in Kraft, sollte dieses internationale Vertragsregime die Zahl der damals fünf Kernwaffenstaaten USA, Sowjetunion, China, Frankreich und Großbritannien festschreiben und die übrigen Unterzeichner (mittlerweile 184 Staaten) auf den Kernwaffenverzicht dauerhaft verpflichten. Als Gegenleistung sollten die Nuklearmächte den „nuklearen Habenichtsen“ ihr technisches Know-how bei der zivilen Nutzung der Atomkraft zur Verfügung stellen. Kontrollen durch die Internationale Atomenergieagentur (IAEA) sollten die Einhaltung des Regelwerks gewährleisten.

Die Begrenzung der Zahl der Nuklearstaaten währte nicht lange. Vermutlich gelang es Israel mit französischer und amerikanischer Unterstützung schon Ende der sechziger Jahre, eigene Atomwaffen zu entwickeln. Seither ist Israel unerklärte Atommacht mit einem signifikanten Waffenarsenal. Indien und Pakistan wurden nach ihren Kernwaffentests im Jahr 1998 zu Nummer sieben und acht im Nuklearen Club, während Nordkorea sich im Oktober 2006 zur Nummer neun erklärte. Käme mit Iran ein weiterer Staat hinzu, der zudem im Unterschied zu Israel, Indien oder Pakistan den NVV unterzeichnet hat, so würde das -Scheitern des Vertrags immer offensichtlicher. Das gilt umso mehr, als andere Länder dem Beispiel Nordkoreas oder Irans folgen würden. Der NVV würde zu einer Hülle, die formal bestehen bliebe, ihre ordnungspolitische Kraft als Bollwerk gegen das Anwachsen des Nuklearclubs aber weitgehend verloren hätte.

Allerdings ist der schrittweise Niedergang der vertraglich gestützten nuklearen Nichtverbreitung nicht allein die Folge des indischen, pakistanischen, nordkoreanischen oder eines denkbaren iranischen Kernwaffentests, sondern ist in prinzipiellen Unzulänglichkeiten des Vertrags selbst begründet.1 Die militärische Dimension von Kernenergie begrenzen zu wollen, ihren zivilen Nutzen aber zu fördern, erweist sich gerade in der Iran-Krise als Schimäre: Beherrscht der Iran einmal den vollen Brennstoffkreislauf (Anreicherung, Energieproduktion, Wiederaufbereitung), so ist der Weg zur Entwicklung einer Kernwaffe nicht mehr weit. Auch hat sich das Inspektionssystem des Nichtverbreitungsvertrags immer wieder als löchrig erwiesen. Dem Irak gelang es bis 1991 trotz der Kontrollen der IAEA, ein fortgeschrittenes Kernwaffenprogramm zu entwickeln, und der von Pakistan aus gesteuerte und von China unterstützte internationale Nuklearschmuggel ist lange Jahre verborgen geblieben. Zudem sind Sanktionen von Vertragsbrechern im NVV nicht vorgesehen.

Sollte der Iran mit einem Test seinen Kernwaffenstatus belegen, würde der NVV nicht aufhören zu existieren. Trotz seiner immer offensichtlicher werdenden Schwächen bliebe er der einzig vorhandene Rahmen, um ein Fehlverhalten einzelner Staaten zumindest publik zu machen. Auch sind die Inspektionen der IAEA bei allen Schwächen ein Wert an sich, auf den niemand verzichten will. Eine Garantie für die Nichtverbreitung bietet der Vertrag aber schon lange nicht mehr.

Sicherung iranischer Atomwaffen

Wenn der Iran über eine Anzahl von einsetzbaren Kernwaffen verfügt, stellt sich unverzüglich die Frage nach der Sicherung dieses Arsenals gegen Diebstahl, Missbrauch oder unbeabsichtigte Detonation. Wie in allen anderen Kernwaffenstaaten auch muss aus iranischer Sicht gewährleistet sein, dass Kernwaffen nur nach ausdrücklicher Autorisierung durch die Staatsführung eingesetzt werden können. Auch dürfen die Waffen im Falle einer inneren Krise nicht in fremde Hände fallen, wäre der Iran doch auch im Falle eines von der Regierung nicht gebilligten Waffeneinsatzes von nuklearer Vergeltung bedroht.

Seit Beginn des Nuklearzeitalters haben Kernwaffenstaaten diese Sicherheit durch eine Reihe von Maßnahmen zu erreichen versucht. Waffenlabors oder Lagerstätten werden geheim gehalten und besonders bewacht. Atomwaffen und Trägersysteme werden getrennt voneinander aufbewahrt und unterstehen unterschiedlichen Kommandos. Sprengköpfe sind demontiert und werden erst bei Bedarf von Experten zusammengesetzt. Wirklichen Schutz bieten aber nur moderne elektronische Sperrvorrichtungen, die bei den westlichen Atommächten seit den sechziger Jahren unter der Bezeichnung „Permissive Action Links“ (PAL) verwendet werden. Heute sind alle amerikanischen, britischen oder französischen Kernwaffen mit solchen hochkomplexen Mechanismen ausgestattet: Ein Sprengkopf kann nur durch die Eingabe von langen Zahlencodes, über die nur der jeweilige Präsident oder Staatschef verfügt, freigeschaltet werden. Bei Fehleingaben wird der interne Zündmechanismus blockiert und die Waffe unbrauchbar. Sie ist deshalb auch für Terroristen nicht nutzbar, selbst wenn sie ihnen fertig montiert in die Hände fallen sollte.

Allerdings müsste sich nicht nur die Führung in Teheran um die Kontrolle der Kernwaffen sorgen. Auch die USA wären an der Sicherheit des iranischen Arsenals höchst interessiert. Da der Iran nicht über moderne PAL-Technologie verfügt, müsste Washington diese schon aus eigenem Interesse zur Verfügung stellen.

Eine solche Kooperation zwischen dem „großen Satan“ und einem Mitglied der „Achse des Bösen“ erscheint widersprüchlich, ist aber nicht unüblich. Schon in den sechziger Jahren – mitten im Kalten Krieg – waren die USA über den Zustand des gewaltigen sowjetischen Atomwaffenarsenals derart besorgt, dass sie Moskau über geheime Kanäle technische Unterstützung für die Verbesserung der Kernwaffensicherheit anboten. Der Kreml lehnte mit dem Hinweis ab, man würde sich selbst um das Problem kümmern. Im Falle Pakistans ging Washington noch weiter. Im Jahr 2000 bat Präsident Muscharraf die USA um technische Hilfe bei der Sicherung seiner Kernwaffen. Obwohl die Clinton-Regierung den wachsenden Einfluss von Islamisten in Pakistan erkannte, wies sie die Bitte des Präsidenten zunächst zurück, um den pakistanischen Nuklearstatus nicht offiziell anerkennen zu müssen. Diese Einschätzung änderte sich schlagartig nach den Anschlägen vom 11. September. Die gewünschte „technical assistance“ – eine andere Beschreibung für PAL-Technologie – wurde geliefert, und es gibt Hinweise, dass Washington nicht nur die Sicherheit der pakistanischen Kernwaffen erhöht, sondern sich selbst einen technischen Zugang gewährt hat, der im Notfall ein Unbrauchbarmachen der Sprengköpfe erlaubt. Auch im Falle eines nuklearen Iran müssten Washington und Teheran alle politischen Vorbehalte zurückstellen und zumindest auf dem Gebiet der Kernwaffensicherheit eng zusammenarbeiten.

Sollte also der Iran die eigene Kernwaffenfähigkeit durch einen Nukleartest belegen, so wären die regionalen und internationalen Konsequenzen erheblich. Ein Einsatz iranischer Atomwaffen in einem Konflikt wäre eher unwahrscheinlich – ebenso wie eine Weitergabe von Kernwaffen an Terroristen. Hauptgefahr eines nuklearen Iran wäre, dass ein (aus heutiger Sicht) feindliches Regime in einer der instabilsten Regionen rücksichtslos die eigenen Interessen vertreten könnte, ohne externe (militärische) Interventionen befürchten zu müssen. Auch wenn ein iranischer Kernwaffeneinsatz unwahrscheinlich ist, so ist die Gefahr unbeabsichtigter Nukleardetonationen (etwa in Folge einen Umsturzes) real. Eine iranisch-amerikanische Kooperation im Bereich der Atomwaffensicherheit und ein Bereitstellen amerikanischer -Technologien in diesem Sektor wären deshalb zwingend. Dies würde aber ein Abgehen beider Seiten von politisch verhärteten Positionen erfordern.

Selbst wenn es derzeit zu den politischen Versuchen, den Iran von seinen Atomplänen abzubringen, keine Alternative gibt, ist eine realistische Einschätzung der Konsequenzen eines nuklearen Iran eine strategische Notwendigkeit, um für den „worst case“ eines iranischen Kernwaffentests konzeptionell gerüstet zu sein.

Dr. KARL-HEINZ KAMP, geb. 1957, ist der sicherheitspolitische Koordinator der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin.

  • 1Michael Rühle: Zerfällt das nukleare Nichtverbreitungsregime?, Politische Studien, März/April 2007, S. 61–66.
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 9, September 2007, S. 104 - 113.

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