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01. Aug. 2005

Vier Fragen an den künftigen Kanzler

Da Globalisierung in den Programmen nicht auftaucht, sollte das Wahlvolk nachhaken

In wirtschaftlichen Krisenzeiten werden Wahlen von innenpolitischen Themen dominiert. Die Manifeste der großen deutschen Parteien zeigen dies überdeutlich. Zwar fehlt darin dankenswerterweise der Hinweis auf die internationalen Kapitalmärkte oder die billigen Ost-Arbeitskräfte als Verursacher der hohen deutschen Arbeitslosigkeit; also könnten wir uns beinahe freuen, dass sie die Globalisierung weitgehend ignorieren, und es dabei belassen.

Die deutschen Wähler verdienen jedoch eine offene Debatte darüber, wie die Kandidaten mit der Globalisierung und ihren Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft umgehen wollen. Zwar ist der entscheidende Faktor für Deutschlands Wirtschaftsleistung – und damit für seine globale Rolle – in der Tat die Bewältigung seiner eigenen Strukturreform; aber Deutschlands Antwort auf die wachsende internationale Wirtschaftsintegration ist ebenso wesentlich. Sogar wenn sich um diese Frage herumgedrückt wird, hat das enorme Konsequenzen.

Vor allem werden die Kandidaten und ihre Parteien die Frage beantworten müssen, ob Deutschland bereit ist, in der Globalisierung mehr als eine diffuse Bedrohung zu sehen. Wie ich kürzlich in dieser Zeitschrift argumentiert habe (IP 1 und 3/2005), hat das Land Möglichkeiten, seine Interessen zu verfolgen, indem es globale wirtschaftliche Führungsaufgaben übernimmt – aber es riskiert ebenso, seinen wirtschaftlichen Niedergang zu beschleunigen, wenn es Europa als Instrument des Protektionismus behandelt. Hier muss eine Wahl getroffen werden. Der Umgang der nächsten Regierung mit der Globalisierung wird auf diesem Gebiet entscheidende politische Weichen stellen.

Deutsche Wähler könnten herausfinden, wie die nächste Regierung mit der Globalisierung umzugehen gedenkt, wenn sie den Parteien folgende Fragen stellen:

1. Welche Rolle spielt es für das Gemeinwohl, wem in Deutschland ansässige Firmen gehören?

2. Wie sollte Deutschland mit ausländischen Arbeitnehmern umgehen?

3. Wie sollten deutsche Mittel für Entwicklungshilfe eingesetzt werden – wenn überhaupt?

4. Ist der wirtschaftliche Aufstieg Chinas Anlass zu Kooperation oder zu Konkurrenz mit den Vereinigten Staaten?

Diese Themen sind ein Scharnier zwischen der einheimischen Wirtschaftsleistung und den globalen Wirtschaftstrends, zwischen Wirtschafts- und Außenpolitik. Sie könnten auch dazu dienen, die Parteien voneinander zu unterscheiden – oder sie zumindest aus ihrer Nabelschauperspektive aufzuscheuchen.

1. Frage: Robert Reich, Bill Clintons Arbeitsminister, nannte dies bekanntlich die „Wer ist wir?“-Frage. Wenn einige in Deutschland beheimatete Firmen Ausländern gehören, aber deutschen Gesetzen gehorchen und deutsche Steuern zahlen, spielt es eine Rolle, welchen Pass ihr Besitzer hat? Von Volkswagen-Abwehrschlachten gegen feindliche Übernahmen, von der staatlichen Rettung maroder Baufirmen bis zur Entscheidung, einer italienischen Bank die Übernahme der Hypo-Vereinsbank zu gestatten, nur um amerikanische Beteiligungsgesellschaften daran zu hindern, wird jede neue deutsche Regierung immer wieder mit dieser Frage konfrontiert sein.

Die Wähler sollten sich nicht damit abfinden, dass die Rhetorik des „Stakeholder gegen Shareholder“-Kapitalismus die Lage vernebelt. Es geht darum, ob die Regierung ganz nüchterne Überlegungen anstellt. Sollten die Kriterien für eine Einmischung der Regierung davon abhängen, wer der Käufer ist (z.B. Europäer oder nicht)? Ob das entsprechende Land deutsche Käufe einheimischer Firmen zulässt? Wie groß die Firma ist, und um wie viele Arbeitsplätze es geht? Ob Zugang zu sensitiven Technologien damit verbunden ist, oder ob es nur um Anti-Trust-Politik geht, unabhängig davon, wer die Eigentümer sind?

2. Frage: Der Zuwanderungsdruck aus ärmeren Ländern wird zunehmen: weil Transportnetzwerke sich verbessern, weil ethnische Gruppen hier Fuß fassen, weil die Gehälter eines reichen Landes höher sind als heimische Löhne. Auch die deutsche Nachfrage nach Arbeitsimmigranten, ob eingestanden oder nicht, wird wachsen, da die Gesellschaft altert und der Dienstleistungssektor der Wirtschaft wächst. Wird die Regierung solche Entwicklungen ignorieren und die Zuwanderung klammheimlich tolerieren? Wird sie auf europäischer Ebene intervenieren, indem sie weiter Mindestlöhne auf deutschem Niveau fordert und die Bolkestein-Dienstleistungsdirektive bekämpft? Oder wird sie stattdessen versuchen, in Kooperation mit den Ursprungsländern (wie Polen und der Türkei) ein aktiveres Zuwanderungsmanagement einzuführen? Sollen Unterschiede bei der Befähigung gemacht werden, indem man gut Ausgebildete oder knappe technische Berufe herauspickt und die schlechter Ausgebildeten aussortiert?

3. Frage: Der G-8-Gipfel in Gleneagles hat zusätzliche Hilfe für Afrika und Schuldenerlass versprochen – mit der Unterschrift Deutschlands. Über die Notwendigkeit von Armutsreduzierung und Bekämpfung wirtschaftlicher Instabilität ist man sich einig. Doch die Zweifel wachsen, ob diese Art der Hilfe tatsächlich hilft. Sollten Regierungen von Entwicklungsländern weiterhin Finanzhilfen bekommen, anstatt Hilfsgüter (wie Wasser oder Moskitonetze) direkt zu verteilen? Wäre statt Hilfe nicht der Marktzugang für arme Länder bei Textil- und Agrarprodukten und die Abschaffung europäischer Subventionen in diesen Sektoren wichtiger?

4. Frage: Auf mindestens drei Gebieten muss die neue Regierung sich entscheiden, welche Haltung sie zur Integration Chinas in die Weltwirtschaft einnehmen will: Wie will sie deutsche Investitionen in China und Regierungskontrakte unterstützen? Welche Standards – seien es Arbeitnehmerrechte oder Copyrightfragen – will sie bei der chinesischen Regierung durchsetzen? Und drittens, was wird Deutschland tun, um China ins Weltwirtschaftssystem zu integrieren? Was chinesische Investitionen und Exportchancen angeht, könnte sich ein Wettlauf zwischen den USA und Deutschland entwickeln – oder man könnte sich darauf verständigen, diesen Wettbewerb zu begrenzen. In Sachen Standards ist es schwer vorstellbar, dass sie ohne transatlantische Kooperation durchgesetzt werden können; und Chinas Integration ins Weltwirtschaftssystem wird ebenso enge Abstimmung zwischen den USA und Deutschland/Europa erfordern.

Man könnte aus Wirtschaftssicht die „richtigen“ Antworten auf die meisten Aspekte dieser vier Fragen geben. Im Moment wäre es wichtiger, dass die Wählerschaft die Antworten der Kandidaten hört und die Politiker daran erinnert, dass die Globalisierung nicht ignoriert werden kann – selbst in Krisenzeiten nicht.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 8, August 2005, S. 82 - 83

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