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01. März 2005

Mehr Mut, Deutschland!

Deutschland könnte die Führungsrolle in der Weltwirtschaft übernehmen - wenn es nur wollte

Statt endlos Nabelschau zu betreiben, sollte dieses reiche Land die von den USA nur noch lustlos ausgefüllte Führungsrolle in der Weltwirtschaft übernehmen und aktiv Globalisierung gestalten: Davon würde es selbst am meisten profitieren. Aber der gesamte Globus auch.

Deutschland sollte anfangen, sich wie ein wirtschaftlicher Hegemon zu benehmen. Dies ist notwendig, um die Globalisierung am Leben zu erhalten, von der Deutschland – und die Welt – profitieren. Zwar ist Hegemonie derzeit ein ziemlich strapazierter Begriff, belastet mit Vorwürfen unilateraler Dominanz, aber in der wirtschaftlichen Praxis bedeutet er etwas anderes. Ein Hegemon ist ein Land von ausreichendem ökonomischen Gewicht, dem ein internationales System oder das Gemeinwohl so sehr nützt, dass es sich lohnt, für dieses System zu bezahlen, auch wenn kein anderes Land etwas dazu beisteuert.1 Kurz, der Hegemon ist der nette Kerl, der die Rechnung bezahlt, damit die Party weitergehen kann, und der darüber hinwegsieht, dass dabei andere auf seine Kosten mitfeiern – aber er ist motiviert, zu zahlen, weil ihm die Party selbst genug Spaß macht.

Bis vor kurzem verhielten sich die USA so, aber heute klafft eine Lücke in der internationalen Wirtschaftsordnung. Die USA haben zwar weiterhin ökonomisch ein wenig Führungskraft und Einsatz fürs Gemeinwohl zur Verfügung gestellt, aber viel weniger und viel widerwilliger als vor der zweiten Bush-Amtszeit. Ein Stück weit war das unausweichlich, weil Europa und China ökonomisch relativ aufgestiegen sind, und ein Stück weit wurde dieser Effekt verstärkt durch die zunehmende Abneigung gegen die Globalisierung bei den geringer verdienenden amerikanischen Bevölkerungsschichten. Zum größten Teil ist es jedoch ein Wechsel der politischen Prioritäten – weg von der Wirtschaft und hin zu enger definierten Sicherheitszielen, und von globalem institutionellen hin zu regionalem und bilateralem Ad-hoc-Denken.

Was auch immer die Gründe dafür sind, die Welt braucht ein großes, demokratisches, reiches Land, das diese Lücke füllt und die hegemoniale Rolle übernimmt, das globale Wirtschaftssystem aufrechtzuerhalten. Ohne eine solche Führungsmacht werden wir die wachsende Fragmentierung der globalen Wirtschaftssphäre in miteinander streitende Blöcke erleben, die Hoffnungen der Armen dieser Welt auf Entwicklung werden frustriert werden und für die Bürger der alternden Hochlohn-Gesellschaften des Westens wird die Zukunft unsicherer und entbehrungsreicher sein. Der einzige Kandidat für diese Position ist Deutschland. Die Bundesrepublik hat viel mehr zu fürchten vom Zusammenbruch der Globalisierung, wenn sie keine Führungsrolle übernimmt, als von der Globalisierung selbst.

Die EU kann für sich selbstsorgen, die Welt immer weniger

Wenn das Bereitstellen von Geld und Nachsicht, um ein umfassenderes System aufrechtzuerhalten, den Deutschen bekannt vorkommt, dann sollte es das auch. Denn das ist natürlich die Rolle, die Deutschland in den vergangenen 50 Jahren immer wieder für die Entwicklung der Europäischen Union gespielt hat. Deutschland hat ausreichend hohe Wertschätzung für die europäische Integration gezeigt, hat darin genügend innenpolitische und supranationale Vorzüge gesehen, dass das Land es zugelassen hat, bei verschiedenen Verhandlungen übervorteilt zu werden – etwa bei der relativen Übergewichtung Frankreichs, Großbritanniens und anderer Länder bei den Stimmrechten im Vergleich zur Bevölkerungszahl; bei den Nettozahlungen für den EU-Haushalt und die Gemeinsame Agrarpolitik andererseits; bei der Aufgabe monetärer Souveränität zugunsten der Schaffung des Euro.

Deutschland braucht heute Mut, um seine hegemoniale Weitsicht auf die Weltbühne auszudehnen und die Europäische Union allein, ohne die deutsche Freigebigkeit zurechtkommen zu lassen. Auf der einen Seite wäre dies die intensiv diskutierte Wiederherstellung des deutschen Status eines „normalen“ Landes, das sich allein in der Welt behaupten kann, anstatt alles nur durch seine Beziehungen mit Frankreich und den Vereinigten Staaten zu machen. Auf der anderen Seite wäre dies die Tat eines stolzen Elternteils, das seinen heranwachsenden Jugendlichen, hier die EU,  Selbständigkeit demonstrieren lässt. Wenn Deutschland nicht mutig genug ist, die EU für sich selbst sorgen zu lassen, dann wird die EU sich nie entwickeln, wie sie sollte. Es würde zudem Deutschlands Kraft und seine Kapazitäten für andere Ziele unterminieren, wie seine Nettozahlermüdigkeit zeigt.

Hier geht es darum, Realitäten wahrzunehmen. Die erste Realität ist, dass die EU heute wunderbar überleben kann mit einem Deutschland, das sich wie ein normales Land verhält. Nicht nur ist Krieg zwischen den Mitgliedsstaaten undenkbar, zehn neue Staaten durchlaufen gerade erfolgreich den Prozess der ökonomischen und politischen Integration, die europäische Währung steht und die Verfassung ist auf dem Weg; auch der Gemeinsame Europäische Markt wird als Selbstverständlichkeit betrachtet.

Zweitens ist das globale System auf eine Weise verletzlich, wie die EU es nicht ist. Es ist leicht, der Warnungen über das schwache Engagement vieler Länder für die internationale wirtschaftliche Verflechtung, den mehr oder weniger freien Markt, die Anerkennung von Eigentumsrechten etc. überdrüssig zu werden. Aber wie der Reifeprozess der EU unter einer heftigen Dosis deutscher Anleitung bewiesen hat, braucht es ein großes Maß an politischem Einsatz und Bereitschaft zur Konvergenz, um Frieden und Wohlstand als Früchte nachhaltiger Integration zu ernten.2 Die Tatsache, dass die Globalisierung trotz der jüngsten transatlantischen und nord-südlichen Spannungen nicht zusammengebrochen ist, ist eine gute Nachricht, aber niemand sollte das als Selbstverständlichkeit betrachten.

Drittens wird ein Handeln durch die EU das globale System nicht retten. Ein wirtschaftlicher Hegemon zu sein, erfordert Macht und Willenskraft, keine Nabelschau. Wie im Folgenden dargelegt, gibt es eine Reihe von spezifischen Anliegen, wo Deutschland die Globalisierung unterstützen kann, indem es die EU in die eine oder andere Richtung schubst, oder indem es vorsieht, eine wirtschaftliche Führungsposition an die EU zu übergeben, sobald die EU bereit ist, eine solche Rolle zu übernehmen. In den kommenden Jahren wird jedoch der EU-Verfassungsprozess und die Tendenz der Union, ihre eigene Identität durch Aufmüpfigkeit gegen die USA zu definieren, ihre Effizienz als konstruktiver wirtschaftlicher Hegemon beeinträchtigen. Deutschland kann seine liberalen Werte verwirklichen, indem es opponiert oder wenn nötig den Platz der USA einnimmt, aber sein Gewinn wird direkt aus der so hergestellten wirtschaftlichen Stabilität kommen, nicht aus der Opposition zu den USA.

Die letzte Realität ist die, dass wirtschaftliche Führerschaft ziemlich wenig kostet. Derzeitige Sorgen um die wirtschaftlichen Schwierigkeiten Deutschlands, obwohl beträchtlich, sind kein Hinderungsgrund für die Fähigkeit des Landes, sich für das globale Gemeinwohl einzusetzen. Mit weniger als den Summen, die Deutschland heute für seine neuen Bundesländer und die EU-Nettozahlungen aufbringt wäre eine Vielzahl neuer Initiativen denkbar. Dass die Bundesrepublik derzeit defensiv für deutsche Firmen und privilegierte Arbeitnehmer in sterbenden Industriezweigen ficht, wird ihre wirtschaftlichen und arbeitsmarkttechnischen Zukunftschancen nur verschlechtern und den Staatsschuldenberg vergrößern. Solche Industriepolitik und protektionistischen Anstrengungen beschädigen Deutschlands eigene innenpolitische Ziele – und gleichzeitig gefährden sie, da die ökonomische Führung der USA fehlt, die Globalisierung.

Was tun als Wirtschaftshegemon?

Nehmen wir an, Deutschland entscheidet sich, im kommenden Jahrzehnt (oder zumindest bis die USA wieder bei Verstand sind oder die EU gereift ist) der von der Welt benötigte wohlwollende wirtschaftliche Hegemon zu sein. Wie müsste sich seine Wirtschafts- und Außenpolitik ändern? Was sollten seine Prioritäten sein? In welcher Beziehung würden diese Initiativen zu den internationalen Institutionen und der EU stehen, die Deutschland unterstützen will? Hier zwei Vorschläge, an welchen globalen politischen Schlüsselstellen Deutschland etwas tun sollte, und wie es das tun sollte. Diese Dinge werden Deutschland wesentlich weniger kosten, als sie ihm nützen, und natürlich werden viel mehr Länder davon profitieren als Deutschland allein. Je mehr andere europäische Länder, Japan, oder am Ende sogar die USA, Deutschland dabei unterstützen, desto besser wird sich das Kosten-Nutzen-Verhältnis gestalten.

Die Weltwirtschaft befindet sich in einer großen Anpassungsphase. Jahrzehntelanges schnelleres Wachstum der USA, Chinas und der Antipoden im Vergleich zu Europa und Japan, kombiniert mit der jüngsten amerikanischen fiskalischen Verschwendungssucht und der asiatischen Wechselkursmanipulation, haben das gigantische derzeitige Haushaltsdefizit der Vereinigten Staaten produziert. Die USA müssen einen kleineren Anteil der globalen Ersparnisse und Exporte absorbieren, und jeder Teil der Welt muss dabei eine Rolle spielen. Deutschland und Europa müssen entweder schneller wachsen oder mehr importieren oder eine Kombination aus beidem. In den vergangenen drei Jahren hat die Eurozone im Vergleich zu Asien einen überproportionalen Anteil an den Wechselkursanpassungen zum Dollar getragen, aber bis heute hat das wenig Einfluss auf Europas Exporte und sein Wachstum gehabt. Dementsprechend hat sich die heutige US-Bilanz wenig verändert, und die langfristigen Zinsen sind nicht gestiegen. Daher werden die Veränderungen der Produktion, die gemacht werden müssen, erst noch kommen – vor allem wenn China und das aufstrebende Asien sich weiterhin weigern, ihre Währungen aufzuwerten.

Deutschland als wirtschaftlicher Hegemon muss während dieser Anpassungsphase die Stimme der ökonomischen Vernunft und ein Vorbild an Selbstbeherrschung sein. Wenn andere nach Protektionismus, nach einseitiger Wechselkursintervention oder nach wirtschaftlichem Nationalismus rufen, sollte Deutschland Kurs halten. Wenn es das tut, wird es nicht nur verhindern, dass andere reiche Länder vom Weg abkommen oder die Waren von Allierten und ärmeren Ländern abblocken – Deutschland wird auch die teuren Fehler vermeiden, nationale Champions zu protegieren oder Gewinner mit Hilfe seiner Industriepolitik zu produzieren. Egal wie oft selbstsüchtige Firmenbosse an den nationalen Geist oder die technologische Wettbewerbsfähigkeit appellieren, das sind nur phantasievolle Wege zur Verschwendung von Steuergeldern. Man lasse andere Nationen diesen Weg gehen – in ein paar Jahren werden sie ärmer und weniger wettbewerbfähig sein.

Wechselkurse sind ein spezielles Gebiet für deutsche Führungskunst. Als Exportweltmeister am oberen Ende des industriellen Spektrums weiß Deutschland nur zu genau, was einigen Handelsgüterindustrien passieren kann, wenn es rapide Abwertungen von Wechselkursen ihrer Handelspartner gibt. Deutschland weiß aus seiner eigenen monetären Vergangenheit und der seiner Nachbarn, dass Wettbewerb auf der Basis einer Serie von Abwertungen nur eine Methode ist, um den Wert der Arbeitskraft eines Landes zu verbilligen und seine Kaufkraft zu erodieren. So hat Großbritannien seinen Lebensstandard in den ersten vier Jahrzehnten der Nachkriegszeit weggeworfen, während die deutschen Löhne und der Wert seiner Währung im Durchschnitt stiegen. Jetzt schauen wir auf eine Periode nachhaltiger Dollarschwäche, und Deutschland muss dem verständlichen Trieb widerstehen, mehr zu tun als das Anpassungstempo zu managen. Es ist der Nachteil der Vereinigten Staaten, eine schwächelnde Währung zu haben, aber wenn der Wechselkurstrend zu einem Wechselkurskonflikt wird, wird dieser Nachteil durch die Unterbrechung von Handelsströmen und die Ausweitung wirtschaftlicher Racheakte auf Europa überschwappen.

Deutschland sollte auf einen Nichtangriffspakt im Bereich Währungsintervention zwischen Euro, Yen und Dollar hinarbeiten. Wie ich andernorts argumentiert habe, gibt es keinen Grund für eine unilaterale Wechselkursintervention zwischen diesen drei Hauptwährungen – solche Aktionen sind weder effektiv noch erreichen sie nachhaltige Änderungen der Wechselkursraten, und schon gar nicht stabilisieren sie Märkte und Erwartungen.3 Ein zweigleisiges System, in dem kein Mitglied der G-3 ohne die Einwilligung mindestens eines der beiden anderen Mitglieder gegen die Währung eines Mitglieds intervenieren kann, würde den Informationsaustausch und die Koordinierung fördern; zudem würde es bewegliche Grenzen für akzeptable Margen von Wechselkursschwankungen etablieren. Vor allem würde es in dieser kritischen Zeit globaler Anpassungen an Ungleichgewichte ausschließen, dass es einen Währungskrieg zwischen den USA und Europa gibt, und es würde eine vereinigte Front der Eurozone, Japans und der USA schaffen, die eine faire Beteiligung der Währungen Chinas und des aufstrebenden Asiens bei den Anpassungslasten verlangen könnte.

Umweltpolitik allein voranbringen

Deutschland hat seine Führungsfähigkeit schon auf den Gebieten Umwelt und nachhaltige Energienutzung unter Beweis gestellt, und zwar sowohl intellektuell als auch praktisch in seiner eigenen Innenpolitik. Angesichts der Weigerung der Bush-Regierung, die Dringlichkeit dieser Anliegen trotz wissenschaftlicher Beweise auch nur in Betracht zu ziehen, und der zugegebenermaßen weit niedrigeren Priorität, welche die Amerikaner selbst während Clintons Amtszeit diesen Themen zumaßen, ist es verständlich, dass es jenseits des Atlantiks Ressentiments gibt. Ressentiments aber nützen weder der Umwelt noch verringern sie den Energieverbrauch. Die Unterschrift Russlands unter das Kyoto-Protokoll, die es jetzt in Kraft treten ließ, wird einigen Nutzen bringen, aber keineswegs so viel, wie erreichbar wäre, wenn man die USA zu größerer Zügelung ihres Energieverbrauchs bewegen könnte.

Für Deutschland ist entscheidend, dass es den ungleichen Fortschritt beim Energiesparen und der Entwicklung alternativer Energiequellen akzeptiert, wobei der Beitrag der USA unterproportional sein wird, und dass es gleichzeitig positive Programme initiiert, welche die USA und hoffentlich China mit einbeziehen.

Zwei positive Vorschläge, die amerikanische und vielleicht sogar chinesische Mitwirkung anlocken könnten, würden Deutschland sehr wenig an aktuellen Investitionen kosten, aber einen gewaltigen Nutzen für den Globus produzieren:

1. Ein internationales Forschungs- und Entwicklungsprojekt für die nächste Generation im Automobil- und Brennstoffsektor. Hier könnte Deutschland seine industriellen Stärken ausspielen, Amerika seine Neigung zu privatwirtschaftlichen „Lösungen“ und Asien (wie auch Frankreich/Italien) seinen Wunsch ausleben, an der technologischen Front ebenfalls zu brillieren. Wenn man sich verpflichten würde, die Infrastruktur für, sagen wir, Wasserstoffautos zu subventionieren oder die Regierungen dazu zu bringen, für ihre Wagenflotte auf umweltfreundlichere Autos umzusteigen, könnte dies in allen Ländern und jenseits des Atlantiks in einer Weise „verkauft“ werden, wie es Regeln und Regulierungen niemals könnten.

2. Eine Steuer für fossile Brennstoffe anpeilen. Deutschland sollte ein Modell einkommensneutraler Steuerverlagerung vorschlagen, in dem die heutigen Steuersätze ersetzt werden durch Steuern auf fossile Brennstoffe und ihren Einsatz. Man könnte z.B. Gewerbesteuern von Emissionen und Energieverbrauch abhängig machen und dafür die allgemeinen Unternehmenssteuern senken. Deutschland könnte sich dann an andere Länder wenden, die ihre Steuern senken müssen (die meisten europäischen Staaten) oder wollen (USA) und sie ermutigen, ähnliche Schritte einzuleiten. Der Effizienzgewinn für die deutsche Wirtschaft, wenn es marginale Steuern reduziert und gleichzeitig unelastische Energienachfrage bestraft, wäre enorm und offensichtlich, was andere dazu inspirieren würde, diesem Beispiel zu folgen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Da es langfristig immer schwieriger wird, mobiles Kapital zu besteuern, könnte dies die Basis für eine Länderzusammenarbeit auf dem Steuersektor sein.

Zusätzlich wären noch weitere Initiativen denkbar: Etwa könnte man größere Volkswirtschaften dazu bringen, „exklusive“ Verträge mit speziellen Energielieferanten/Regionen, welche die Energie zu billig machen und Wettbewerb zur übermäßig intensiven Ausbeutung von Lagerstätten stimulieren, aufzugeben; man könnte das Prinzip des Aufkaufens von Regenwaldflächen am Amazonas ausdehnen auf den Aufkauf von Fischereiflotten und kleinen Seen, um die Fischerei und Frischwasserquellen zu schützen; ebenso könnte man ärmeren Ländern technische Hilfe und Mittel zur Sanierung von Umweltschäden anbieten. Das sind alles Dinge, wo man mit geringem Mittel-einsatz – und, noch wichtiger, dem Setzen von Standards durch die deutsche Regierung – die Umweltqualität und/oder die Energienutzung global direkt verbessern könnte. Und es könnte sein, dass die größeren Volkswirtschaften einschließlich der USA sich verlocken ließen, mitzumachen, weil sie nicht mit aufdringlicher Regulierung behelligt würden.

Dieses sind machbare praktische Vorschläge zur raschen Umsetzung – und Schnelligkeit ist in der Tat nötig angesichts der rasch wachsenden Bedrohungen für die Globalisierung und der globalen Klimaerwärmung – aber sie sind auch als Beispiele gedacht für Dinge, die Deutschland heute als wirtschaftlicher Hegemon durchsetzen könnte. Andere öffentliche Errungenschaften, die unter Deutschlands ökonomischer Führung angestrebt werden könnten, wären: finanzielle Anreize zur Begrenzung nuklearer Proliferation; Bereitstellung von Wasser, Bildung für Frauen, Impfstoffe und Verhütungsmittel für Afrika und Südasien; die Handelsliberalisierung im Agrarsektor.

Deutschlands derzeitige eigene Wirtschaftskrise muss solche Initiativen nicht behindern; in der Tat könnte sie sogar durch den psychologischen und Effizienzschub solcher Maßnahmen gemildert werden. Deutschland sollte mit der Erkenntnis beginnen, dass sein eng definiertes ökonomisches Wohlergehen, ganz zu schweigen von seinem Sozialsystem und seinem Friedenswunsch, mehr zu fürchten hat von den Gefahren für die globale wirtschaftliche Integration als vom globalen Wettbewerb. Am wichtigsten ist, dass die deutsche Öffentlichkeit sich nicht mit der viel beschworenen Rückkehr zu einer eigenen Außenpolitik und den nationalen Interessen eines „normalen“ Staates  zufrieden gibt. Die Welt braucht nicht noch einen normalen Staat. Die Welt braucht einen wirtschaftlichen Hegemon, der die Pflege der Globalisierung dort aufnimmt, wo die verringerte Führungskraft der USA Lücken gelassen hat – und Deutschland kann diese Rolle ausfüllen. Alles, was es braucht, ist der Mut zu glauben, dass es davon profitieren kann, Güter bereitzustellen, von denen andere ebenfalls profitieren, egal ob sie auch dazu beitragen oder nicht. Solche Überzeugungen waren ausreichend für Deutschland, um die Europäische Union zusammenzubringen, und jetzt braucht Deutschland die Courage, um diese Rolle auf der Weltbühne zu wiederholen.

1 Dieses Konzept stammt von Charles Kindleberger und Mancur Olson. Vgl. Charles P. Kindleberger: Dominance and Leadership in the International Economy: Exploitation, Public Goods, and Free Rides, International Studies Quarterly, 24/1981, S. 242–254, und International Public Goods without International Government, in: American Economic Review, 76/1986, S. 1–13. Sowie Mancur Olson, Jr.: The Logic of Collective Action: Public Goods and the Theory of Groups. (2nd edition), Cambridge 1971.

2 Siehe auch Harold James: The End of Globalization: Lessons from the Great Depression, Cambridge 2001.

3 Adam Posen: Avoiding a Currency War, The International Economy, Sommer 2004, S. 10–14.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 3, März 2005, S. 26 - 31.

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