Gegen den Strich

27. Apr. 2018

Umgang mit dem Iran

Fünf Thesen auf dem Prüfstand

Im Nahen Osten betreibt der Iran aggressive Großmachtpolitik. Auch im Verhältnis zu den USA stehen die Zeichen auf Sturm. Für Präsident Trump ist das Atomabkommen von 2015 der „schlechteste Deal aller Zeiten“. Aber wie gefährlich ist Teheran wirklich? Die fünf wichtigsten Thesen der Iran-Kritiker auf dem Prüfstand.

Das Atomabkommen ist der „schlechteste Deal aller Zeiten“

Das stimmt natürlich nicht, auch wenn durch das Abkommen vor allem Zeit gewonnen wurde. Wie so oft in der Politik ist die Übereinkunft zwischen den so genannten P5+1 (China, Frankreich, Russland, Großbritannien, USA und Deutschland) und dem Iran Ergebnis eines Kompromisses. Die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten machten zwei große Zugeständnisse: Zum einen akzeptierten sie, dass die iranische nukleare Infrastruktur grundsätzlich intakt bleibt und die Beschränkungen für die Urananreicherung nach zehn beziehungsweise 15 Jahren aufgehoben werden. Zum anderen verzichteten sie darauf, die iranische Raketenrüstung in den Vertrag einzubeziehen. Das „Problem Iran“ ist deswegen nicht gelöst. Man hat lediglich Zeit gewonnen, sodass es auch nicht richtig ist, das Abkommen als vollen Erfolg zu feiern, wie es der damalige deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier tat, als er die Übereinkunft als „historischen Erfolg der Diplomatie“ bezeichnete. Dass die US-Regierung das Ergebnis dennoch akzeptierte, dürfte vor allem darauf zurückzuführen sein, dass der außenpolitisch oft glücklos agierende Präsident Obama hier eine Möglichkeit sah, seine schlechte Bilanz aufzubessern.

Die meist republikanischen Gegner des Iran-Abkommens hatten also von Beginn an gute Gründe für ihre Kritik, und Präsident Donald Trump scheint entschlossen, den Vertrag scheitern zu lassen. Seine Berater dürften ihm allerdings deutlich gemacht haben, dass es für die USA in diesem Fall nur noch einen Weg gibt, die nukleare Bewaffnung des Iran zu verhindern: durch einen militärischen Angriff. Doch auch erfolgreiche Luftschläge werden das iranische Atomprogramm vermutlich nur um höchstens zwei bis drei Jahre zurückwerfen. Dies überzeugte auch viele Kritiker davon, dass das Atomabkommen trotz aller Mängel die bessere Option sei.

Für den Fall, dass Trump die Iran-Sanktionen, die nach dem Abschluss des Atomabkommens 2015 ausgesetzt wurden, im Mai tatsächlich wieder in Kraft setzt, haben iranische Offizielle bereits gedroht, sie könnten binnen Tagen beginnen, erneut Uran anzureichern. Damit wäre schlagartig die Gefahr eines Krieges zurück: zwischen Israel und dem Iran, möglicherweise aber auch zwischen den USA und dem Iran. In dieser Situation werden Deutschland und Europa Position beziehen müssen. Sie sollten dann zu dem Schluss kommen, dass es wichtiger ist, die atomare Bewaffnung des Iran zu verhindern als einen Krieg zu stoppen.

Die iranische Raketenrüstung bedroht die Sicherheit der gesamten Region

Das stimmt schon eher. Der Iran verfügt über das größte und vielfältigste Raketenarsenal des gesamten Nahen Ostens und baut es seit Jahren quantitativ und qualitativ aus. Inzwischen besitzt das Land neben Tausenden ballistischen Raketen mit Reichweiten von bis zu deutlich mehr als 2000 Kilometern auch Marschflugkörper, mit denen es Israel, Saudi-Arabien oder Südosteuropa erreichen kann. Die iranische Raketenrüstung ist Teil einer Militärstrategie, die von der technologischen Überlegenheit der wichtigsten Gegner ausgeht – im Verhältnis zu modernen Kampfflugzeugen sind selbst die ­neuesten ­iranischen Raketen denkbar primitiv. Der Iran setzt deshalb auf asymmetrische Kriegführung. Das wichtigste Instrument sind die iranischen Revolutionsgarden (Pasdaran), die in Konkurrenz zur regulären Armee (Artesh) des Landes stehen, und die bezeichnenderweise auch das Raketenprogramm kontrollieren.

In den Verhandlungen über das Atomabkommen bemühten sich die USA lange darum, eine Begrenzung des Raketenprogramms zu erreichen. Erst als ein Scheitern der Gespräche drohte, wurde das Thema ausgeklammert. Schon im September 2017 geriet es jedoch wieder auf die Tagesordnung, als der Iran seine neue „Khorramshahr“-Mittelstreckenrakete testete. Nach offiziellen iranischen Angaben hat sie eine Reichweite von 2000 Kilometer, doch handelt es sich bei ihr um ein modifiziertes nordkoreanisches Modell, das vermutlich deutlich weiter fliegen kann. Viele Experten sehen in der „Khorramshahr“-Rakete den Versuch, einen atomwaffenfähigen Flugkörper zu entwickeln. Die USA und Großbritannien werteten den Test als Verstoß gegen die UN-Resolution 2231 von 2015, in der Teheran aufgefordert worden war, keine Raketen zu entwickeln, die Atomsprengköpfe transportieren können.

Fast genauso problematisch ist die Weitergabe von Raketen geringerer Reichweite an iranische Verbündete wie die libanesische Hisbollah und die jemenitischen Huthi-Rebellen. Die Ausstattung der Hisbollah mit iranischen Raketen ist seit langem bekannt. Im Falle eines Konflikts sind alle israelischen Bevölkerungszentren bedroht. Mittlerweile hat der Iran seine früher sehr verhaltene Unterstützung für die Huthis ausgebaut. Nach Beginn der saudi-arabischen Intervention im Jemen im März 2015 beschossen die Huthis vor allem Städte und Gebiete in Grenznähe. Seit Ende 2017 nehmen die jemenitischen Rebellen immer häufiger die saudi-arabische Hauptstadt Riad mit umgebauten iranischen Raketen ins Visier. Dabei haben sie zwar bisher keinen nennenswerten Schaden angerichtet; der Beschuss steht aber sinnbildlich für die Aggressivität der iranischen Regionalstrategie. Es darf Teheran nicht überraschen, dass Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Israel angesichts der Bedrohung durch iranische Raketen enger zusammenrücken. Dass die Trump-Administration vor diesem Hintergrund von den Europäern fordert, sich Sanktionen in Verbindung mit dem Raketenprogramm anzuschließen, ist ebenfalls nachvollziehbar.

Teheran schafft sich einen Staat im Staate im Irak

Allerdings. Die starke Präsenz des Iran im Irak geht auf den amerikanischen Irak-Krieg von 2003 zurück. Fast unbemerkt von der Weltöffentlichkeit fand damals auch eine Invasion von Paramilitärs unter iranischem Befehl statt. Das Badr-Corps, das aus irakischen Exilanten bestand, aber von Revolutionsgarden befehligt wurde, marschierte in die schiitischen Siedlungsgebiete ein. Ziel der iranischen Irak-Politik war es zu verhindern, dass der Irak erneut zu einer Gefahr für die Islamische Republik würde, wie er das während des Iran-Irak-Krieges 1980 bis 1988 war. Später kam der Wunsch der iranischen Militärs hinzu, über den Irak eine Landverbindung zu den Verbündeten in Syrien und im Libanon herzustellen. Nach den Wahlen zu einer Übergangsregierung im Jahr 2005, bei der sich schiitische Islamisten durchsetzten, übernahmen irantreue irakische Politiker die Kontrolle über das Innenministerium und damit über die Polizeikräfte, die rasch von der Badr-Miliz unterwandert wurden. Seit damals kann keine irakische Regierung mehr gegen den erklärten Willen Teherans handeln. Seit 2011, als die Regierung Obama die letzten US-Truppen abzog, hat sich die Situation weiter verschlimmert.

Die Chance, die eigene Position entscheidend auszubauen, bot sich dem Iran im Sommer 2014. Die Terrororganisation „Islamischer Staat“ hatte die Millionenstadt Mossul im Handstreich genommen, und die Regierungstruppen hatten sich im Norden und Westen des Landes fast vollständig aufgelöst. Auf Initiative des Gelehrten Ali Sistani bildete sich ein Bündnis schiitischer Milizen namens „Volksmobilisierung“, das schnell auf rund 100 000 Mann anwuchs und den Kampf gegen den IS aufnahm. Entgegen der Absicht des Klerikers übernahmen irantreue Gruppierungen die Kontrolle. Im Hintergrund zog Qasem Soleimani, der mächtige Kommandeur der Quds-Brigaden der iranischen Revolutionsgarden und der starke Mann der iranischen Nahost-Politik, die Fäden. Schnell wurde deutlich, dass es der Führung in Teheran vor allem darum ging, nach dem Vorbild der libanesischen Hisbollah einen vom Iran kontrollierten Staat im Staate zu schaffen.

Die Milizen nahmen an den Kämpfen gegen den IS teil und machten sich zahlreicher Verbrechen gegen die sunnitische Zivilbevölkerung schuldig. Im Norden von Bagdad übernahmen sie die Kontrolle über ein Territorium, das künftig als Teil einer Landverbindung zwischen dem Iran und Syrien dienen sollte. Gleichzeitig übten sie über das von Badr beherrschte Innenministerium starken Einfluss auf die Politik der Zentralregierung aus. Ministerpräsident Haider al-Abadi versuchte zwar, die Milizen in die staatlichen Sicherheitskräfte zu integrieren. Doch sorgte er nur dafür, dass iranisch kontrollierte Truppen nun auch noch vom irakischen Staat finanziert wurden. Die einzig offene Frage ist, wie gut die Vertreter der Milizen auch bei den Parlamentswahlen im Mai abschneiden. Mehr Mandate für die irantreuen Parteien würden Teheran seinem Ziel näherbringen, den Irak möglichst weitgehend zu beherrschen.

Die libanesische Hisbollah bedroht Israel

Das lässt sich nicht leugnen – trotz aller Rückschläge, die die Miliz in den vergangenen Jahren zu verkraften hatte. Im Netz der mit dem Iran verbündeten schiitischen Milizen hat die libanesische Hisbollah eine Sonderstellung, weil sie schon Anfang der 1980er Jahre mit Hilfe der Revolutionsgarden gegründet und zu einem Prototyp der irantreuen Gruppierungen wurde. Im Libanon kommt sie der iranischen Idealvorstellung sehr nahe: Die Hisbollah unterhält nicht nur Milizen, die stärker sind als die Armee, sie ist auch politisch stark vertreten und als soziale Bewegung in den Schiitengebieten aktiv.

Mit Beginn des Bürgerkriegs in Syrien stellte sich die Hisbollah auf die Seite des Assad-Regimes. Gemeinsam mit Militärberatern der Revolutionsgarden und irakischen und afghanischen Milizen bekämpfen sie die Rebellen. Zeitweise waren die Milizen stärker als die unter enormem Personalmangel leidenden Regierungstruppen. Die Hisbollah lernte in Syrien, wie eine reguläre Armee zu agieren und einen Aufstand zu bekämpfen, anstatt sich einem überlegenen Gegner wie Israel in Guerilla-Manier entgegenzustellen. Ausrüstung und Ausbildung der Milizionäre wurden stetig besser; auch die finanzielle Unterstützung aus dem Iran überstieg die früherer Jahre bei weitem. Außerdem gingen die Revolutionsgarden gemeinsam mit ihren Verbündeten dazu über, eine militärische Infrastruktur anzulegen – Stützpunkte, Waffenlager, Waffenfabriken. Ziel war es, nach Ende des Konflikts in Syrien eine neue Front gegen Israel zu eröffnen.

Allerdings erwies sich der Krieg in Syrien als PR-Desaster. Die Hisbollah hatte seit dem Krieg von 2006 auch unter den Sunniten der arabischen Welt an Ansehen gewonnen, weil sie sich den übermächtigen Israelis entgegengestellt und zumindest nicht verloren hatte. Dass sie nun am Krieg des syrischen Diktators gegen das eigene Volk teilnahm, schadete ihrer Reputation enorm. Hinzu kam, dass in Syrien mehr als 2000 Hisbollah-Kämpfer getötet und mehrere Tausend schwer verletzt wurden. Bei einer Gesamtstärke von höchstens 30 000 Mann fällt dies ins Gewicht. Außerdem werden der Hisbollah die in Syrien gemachten Erfahrungen gegen Israel wenig nützen, denn gegen einen so starken Gegner kann sie nur mit asymmetrischen Mitteln vorgehen.

Das wichtigste Instrument der Hisbollah sind ihre Raketen, nach Schätzungen mehr als 100 000. Der Iran hat die vergangenen Jahre genutzt, um das Arse­nal der Hisbollah quantitativ und qualitativ aufzustocken, und israelische Beobachter befürchten, dass die Organisation mittlerweile auch in Syrien Raketen stationiert hat. Zwar hat Israels Luftwaffe immer wieder Konvois und Lagerhäuser in Syrien angegriffen, doch ist anzunehmen, dass einiges von dem Material seine Bestimmungsorte erreicht hat. Ein Krieg zwischen der Hisbollah und Israel erscheint auf Dauer unvermeidlich. Die Schlachtfelder wären der Libanon und Syrien, der Auslöser wahrscheinlich der Versuch der Israelis, Stellungen der Hisbollah und der Revolutionsgarden in diesen Ländern zu zerstören. Noch ist allerdings auf beiden Seiten das Interesse an einer Stabilisierung in Syrien zu groß.

Erste Vorboten des nächsten Krieges im Nahen Osten zeigten sich aber schon im Februar 2018, als eine iranische Drohne in israelischen Luftraum eindrang. Israel griff daraufhin das iranische Kommandozentrum auf dem Militärflughafen Tiyas in Zentralsyrien an, das den Flugkörper entsandt hatte. Auf dem Rückflug von dort wurde ein israelischer Jet abgeschossen. Die israelische Luftwaffe flog daraufhin Angriffe auf syrische und iranische Ziele in Syrien.

Eine „schiitische Internationale“ fordert die Golf-Staaten heraus

In der Tat. Allerdings haben Saudi-Arabien und die VAE maßgeblich dazu beigetragen, dass diese Gefahr real wurde. Die „schiitische Internationale“ ist ein Netzwerk von militanten Gruppen, die mehr oder weniger stark von den iranischen Revolutionsgarden abhängig sind und untereinander enge Beziehungen pflegen. Die verstärkte Zusammenarbeit begann nach 2003, als die Hisbollah in iranischem Auftrag irakische Kämpfer ausbildete, die anschließend die US- Truppen im Irak bekämpften. Seitdem ist die libanesische Organisation zum wichtigsten Bindeglied zwischen den Garden und ihren arabischen Verbündeten geworden. Die Bedeutung dieser schiitischen Gruppierungen ist gewachsen, seit der regionale kalte Krieg zwischen Iran und Saudi-Arabien eskaliert.

Aus Sicht der militanten Schiiten unterstützen die USA, Israel und Saudi-Arabien islamistische Terroristen, um die syrische Regierung zu Fall zu bringen, die Hisbollah zu isolieren und letzten Endes die Islamische Republik zu stürzen. Für die Schiiten ist es daher folgerichtig, nicht nur gegen Israel zu kämpfen, sondern auch gegen Saudi-Arabien und die anderen mit den USA verbündeten Golf-Staaten. Deshalb haben sie seit 2011 ihren Kampf im Jemen und in Bahrain verstärkt. Im Jemen unterstützen die Iraner und die Hisbollah die Huthi-Rebellen. Diese sind zwar Zaiditen und gehören damit einer anderen Glaubensrichtung an als die im Nahen Osten dominierenden Zwölferschiiten, doch haben sich die Beziehungen seit 2011 vertieft. Nicht nur halfen Hisbollah-Ausbilder dabei, aus den Huthis eine noch schlagkräftigere Truppe zu formen. Der Iran lieferte auch immer mehr Raketen, mit denen die Rebellen Saudi-Arabien beschießen.

In Bahrain haben iranisch unterstützte militante Gruppen den bewaffneten Kampf aufgenommen. Das kleine Inselkönigreich wird von einer schiitischen Mehrheit bewohnt, die 2011 Proteste gegen die sunnitische Herrscherfamilie anführte. Als die Demonstrationen zu eskalieren drohten, schickten die Golf-Staaten unter Führung Saudi-Arabiens Truppen, die es den bahrainischen Sicherheitskräften ermöglichten, die Proteste gewaltsam niederzuschlagen. Seitdem schwelt ein Konflikt, der vor allem in den schiitischen Dörfern rund um die Hauptstadt Manama ausgetragen wird, wo Jugendliche seit Jahren gewaltsam demonstrieren. Der Iran nutzte die sich bietende Gelegenheit auch hier, junge Männer in den Lagern der schiitischen Internationale im Iran, im Irak und im Libanon auszubilden und nach Bahrain zurückzuschicken. Seit 2013 verüben kleinere Gruppen Anschläge auf Sicherheitskräfte, sodass sich die Sicherheitslage zusehends verschlechtert hat.

Die iranischen Aktivitäten im Jemen und Bahrain haben entscheidend dazu beigetragen, dass Saudi-Arabien und die VAE nach Wegen suchen, die Iraner zu stoppen. Vor allem im Jemen mag dies mit den falschen Mitteln geschehen. Doch ist die Expansion des Iran eine Gefahr für den Nahen Osten mit Auswirkungen auf die Sicherheit Europas. Deutschland sollte deshalb keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass es auf der Seite der Iran-Gegner steht und ihr Ziel einer Eindämmung des Iran teilt. Saudi-Arabien und die VAE sind prowestliche Staaten und ebenso enge wie verlässliche Verbündete der USA, die bei allen Differenzen in Einzelfragen unsere prinzipielle Unterstützung verdienen.

Dr. Guido Steinberg arbeitet bei der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in der Forschungsgruppe ­Naher / Mittlerer Osten.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 3, Mai-Juni 2018, S. 64 - 69

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