Überraschen Sie uns positiv!
Nach den Enttäuschungen der vergangenen Jahre dürfte es nicht sonderlich schwierig sein, Fortschritte im deutsch-polnischen Verhältnis zu erreichen – mit Respekt, Pragmatismus und echtem Willen zur Partnerschaft.
Liebe künftige Bundesregierung,
machen wir uns nichts vor: Die Zeiten, in denen man große Hoffnungen auf einen Durchbruch in den deutsch-polnischen Beziehungen setzte, sind vorbei. Zu oft führte eine solche Haltung zu Enttäuschungen. In Warschau hat man gelernt, die Erwartungen an Berlin nicht allzu hoch anzusetzen. Das bedeutet aber wiederum, dass es dir, liebe neue Bundesregierung, nicht allzu schwer fallen dürfte, Warschau positiv zu überraschen. Hier findest du einige Tipps, wie das gelingen kann.
Fangen wir mit dem Wichtigsten an – dem Krieg in Europa. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine vor drei Jahren rief Bundeskanzler Olaf Scholz eine Zeitenwende aus. Es wurde viel getan, doch aus polnischer Sicht ist die Zeitenwende irgendwo auf halber Strecke stecken geblieben. Deutschland gehört zwar zu den größten Unterstützern der Ukraine, doch kaum jemand würde mit voller Überzeugung behaupten, dass Berlin Europa in Sicherheitsfragen anführt. Meistens wirkt es so, als würde ein Schritt nach vorne gemacht, nur um dann eine Weile auf der Stelle zu treten – oder sogar einen halben Schritt zurückzugehen, bevor nach langem Drängen und Bitten der Verbündeten der nächste Schritt gewagt wird. In Sachen Führung und Verantwortung gibt es noch Luft nach oben.
Wenn Deutschland aber nicht führen möchte, dann kann es Polen folgen und die Vorschläge Warschaus unterstützen. Angesichts der politischen Lage in den USA und einer potenziell turbulenten zweiten Amtszeit Donald Trumps muss Europa handlungsfähiger in Sachen Verteidigung werden. Grundvoraussetzung dafür ist die Überzeugung, dass die Sicherheit der EU unteilbar ist und dass gemeinsame Investitionen für gemeinsame Sicherheit sorgen. Aus polnischer Perspektive bedeutet das, dass man in Berlin verinnerlicht, dass die Stärkung der östlichen EU-Außengrenzen gegen militärische und hybride Bedrohungen durch Russland und Belarus auch Deutschlands Sicherheit dient. Ein deutscher Beitrag über eine gemeinsame EU-Finanzierung wäre deshalb mehr als willkommen – zumal es dabei auch um die Sicherung der EU-Grenzen gegen illegale Migration geht. Will Deutschland die Migration langfristig unter Kontrolle bringen und den Schengen-Raum schützen, so muss es ebenfalls mehr in die gemeinsame Verantwortung für die Außengrenzen investieren.
Und wenn Deutschland weder führen noch unterstützen möchte, dann sollte es wenigstens nicht dabei stören, wenn andere versuchen, neue Mechanismen der Zusammenarbeit zu entwickeln. Denn so etwas bedeutet keinesfalls eine Abwendung von Deutschland. Ein aktuelles Beispiel: die Annäherung Polens an die nordischen und baltischen Staaten in Sicherheitsfragen. Ein partnerschaftliches und respektvolles Verhalten Deutschlands gegenüber solchen regionalen Initiativen könnte eine Vertrauensbasis für künftige ambitionierte gemeinsame Projekte bilden.
Du kannst auch, liebe künftige Bundesregierung, versuchen, positive Stereotype über Deutschland wiederzubeleben. Denn jahrelang beruhte das Deutschland-Bild in Polen auf dem Glauben an deutsche Effizienz und Pragmatismus. Mit solchen Eigenschaften gewinnt man vielleicht nicht sofort Sympathie, aber doch Respekt. Heute sind diese Eigenschaften in vielen Fällen einer bestürzenden Irrationalität und ideologischen Verbohrtheit gewichen.
Krach um Kernenergie
Das Paradebeispiel dafür ist die deutsche Energiewende. Der Atomausstieg, gepaart mit einem sturen Festhalten an russischen Rohstoffen und mangelnder Diversifizierung, sorgt immer noch für Kopfschütteln bei uns im Land. Aus polnischer Perspektive ist er an Naivität kaum zu überbieten. Während die sicherheits-, energie- und wirtschaftspolitischen Folgen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine ein Umdenken angestoßen und die deutsche Perspektive näher an die polnische gebracht haben, bleibt die Zukunft der Kernenergie in Europa bis heute ein Streitthema.
Ob Deutschland seine alten Meiler wieder hochfährt oder gar neue baut, dürfte Polen egal sein. Doch Warschau, das einen Atomeinstieg vorantreibt, würde sich mit Sicherheit freuen, wenn Berlin sich den Vorschlägen für eine EU-Finanzierung von Nuklearenergie nicht widersetzen würde. Auf der anderen Seite gibt es ein großes Potenzial für eine Zusammenarbeit beim Bau von Offshore-Windanlagen in der Ostsee. So könnten Deutschland und Polen gemeinsam für mehr Energiesicherheit und Klimaschutz sorgen.
Eine weitere Anregung, liebe Bundesregierung, wirst du bei der nächsten gemeinsamen Regierungskonsultation wahrscheinlich nicht hören, denn auch in Warschau wird Haushaltsdisziplin großgeschrieben. Doch immer mehr polnische Ökonomen weisen darauf hin, dass das Festhalten am Dogma der Schuldenbremse nicht nur ein Risikofaktor für Deutschland ist, sondern auch der Wirtschaft Europas schadet. Polen ist nicht daran interessiert, dass sein größter Handelspartner zum kranken Mann Europas wird. Um Europa zukunftsfähig bei Energie, E-Mobilität oder Künstlicher Intelligenz zu machen, sind massive Investitionen nötig. Dazu muss Geld in die Hand genommen werden – sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene. Zu glauben, dass dies ohne eine Lockerung der bestehenden Haushaltsregeln möglich ist, ist schlichtweg illusorisch.
Zum Schluss muss, liebe Bundesregierung, das Thema Geschichte angesprochen werden. Denn die Erinnerung an deutsche Verbrechen im Zweiten Weltkrieg und die deutsch-russische Zusammenarbeit, die den Weg zum deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939 ebnete, nimmt im historischen Gedächtnis der Polen eine zentrale Rolle ein und ist auch ein wichtiger Bezugspunkt für aktuelle politische Debatten. So darfst du dich nicht wundern, dass das deutsch-russische Gaspipelineprojekt Nord Stream Assoziationen an den Hitler-Stalin-Pakt weckte. Ähnlich wird es mit jedem weiteren Annäherungsversuch zwischen Berlin und Moskau sein.
In Polen nimmt man auch sehr wohl wahr, dass westlich der Oder der deutschen Besatzung Polens und den damit verbundenen unzähligen Verbrechen nie eine ansatzweise vergleichbare Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Während Deutschland gerne das Selbstbild eines Weltmeisters der Vergangenheitsbewältigung pflegt, bleibt die deutsche Besatzung Polens bis heute eine Leerstelle der deutschen Erinnerungskultur. Und die Weigerung, polnische Opfer der NS-Verbrechen angemessen zu entschädigen, ist weiterhin eine offene Wunde. Vor diesem Hintergrund darf sich niemand in Berlin wundern, wenn deutsche Politiker in Polen irritierte Reaktionen hervorrufen, wenn sie behaupten, die Bundesrepublik sei sich ihrer historischen Verantwortung sehr wohl bewusst, oder wenn sie von Versöhnung sprechen. Denn den Worten folgen keine Taten.
Du hast zwei Möglichkeiten, mit dieser Sache umzugehen, liebe Bundesregierung. Du kannst ein „Weiter so“ betreiben, musst dir dann aber bewusst sein, dass die beschriebene Asymmetrie das bilaterale Verhältnis belastet und dem Ansehen Deutschlands in Polen schadet, unabhängig davon, wer dort an der Regierung ist. Oder du nimmst die polnische Befindlichkeit und deine historische Verantwortung endlich ernst. Die Regierung Donald Tusks wird, anders als ihre Vorgänger, nicht lautstark Reparationen fordern. Doch von symbolischen Gesten wird sie sich nicht beeindrucken lassen, wie Olaf Scholz bereits erfahren musste.
Und wenn du wirklich an die polnischen Opfer der NS-Zeit erinnern möchtest, dann mach es richtig und nicht halbherzig. Der Versuch, den Anstoß zur Errichtung eines Denkmals in Berlin zu verwässern und in eine weitere deutsch-polnische Begegnungsstätte umzuwandeln, wird in Warschau mit wachsender Irritation und Ungeduld wahrgenommen. Polen gedenkt seiner Opfer bereits – es muss das nicht in Berlin tun. Diese Last muss Deutschland allein tragen.
Es bleibt, dir, liebe Bundesregierung, alles Gute zu wünschen. Deutschland und Polen teilen viele Herausforderungen. Wenn es gelingt, diese mit Pragmatismus, Respekt, echtem Willen zur Partnerschaft und realistischem Blick auf Europa und die Welt anzugehen, könnte das nicht nur den bilateralen Beziehungen, sondern auch der gemeinsamen Zukunft in Europa neuen Schwung verleihen. Es liegt in deiner Hand, ob alte Muster der Enttäuschung überwunden und neue Wege der Zusammenarbeit beschritten werden können. Es ist Zeit für einen mutigen und nachhaltigen Ansatz – denn eine stabile und kooperative Partnerschaft zwischen Polen und Deutschland ist ein unverzichtbarer Bestandteil eines starken Europas.
Internationale Politik 2, März/April 2025, S. 52-54