IP

01. Apr. 2008

Steuerflucht als soziale Entantwortung

Der Fall Zumwinkel et.al.: Wie die neuen Eliten den Staat untergraben

Dass reiche Menschen, ob sie nun Manager, Unternehmer oder nur Erbschaftsvermögende sind, Steuern hinterziehen, ist keine vordringlich moralische, sondern eine rechtliche Frage. Sie verstoßen schlicht gegen geltendes Recht. In der derzeit geführten Debatte darüber erstaunt vor allem, dass es erstaunt, dass der Staat angemessen reagiert. Denn der Staat holt sich, was ihm zusteht.

Steuerflucht ist ein seltsames Verhalten: Ein Bürger, der im Schutze des Rechtsstaats Einkommen zu Vermögen machen konnte, entscheidet privat, dem Staat nicht zu geben, was diesem rechtlich gehört. Das wird dann gern legitimiert mit Meinungen wie „der Staat ist ein Raubritter“ oder „die hohen Steuern sind Ausbeutung der Leistungsträger“ und so fort. Doch selbst wenn das zuträfe, wäre dies in einer Demokratie eine politische Frage, keine private.

Wenn man sich anmaßt, privat zu entscheiden, was Recht ist, stellt man sich de facto außerhalb der Demokratie: Man geht in die Rolle einer außerparlamentarischen Opposition, die anarchistische Züge trägt. Der vermeintliche Schutz des Eigentums (vor dem Staat) wird zu einem privaten Schutz, der faktisch als Staatsumgehung fungiert (mit der paradoxen Folge, dass man in allen anderen Fällen selbstverständlich das Recht weiterhin für sich in Anspruch nimmt; man entscheidet privat, welches Recht man jeweils für sich als gültig ansieht).

Dass man Ausmaß wie Art der öffentlichen Güter für verfehlt hält, ist aber eine Frage, die politisch zu klären ist. Der Versuch, sie privat zu klären, führt zu einer illegitimen Privatrechtsinstitution zweiter Ordnung innerhalb der Gesellschaft; diese schafft rechtsfreie Räume, die mit dem Hinweis auf „schlechte Politik“ begründet werden. Damit entzieht man sich aber dem Recht wie der Politik: eine Form der Privatisierung, die auf eine Enteignung des Gewaltmonopols des Staates hinausläuft. Es ist folgerichtig, dass der Staat hier hart reagiert; es geht schließlich um seine Legitimation. Pervertierte Formen von Public Private Partnership sind nicht vorgesehen.

aktisch verabschieden sich Steuerflüchtige von ihrer Staatsbürgerschaft; man müsste ihnen folglich, als Konsequenz ihrer eigenen Entscheidung, den Pass entziehen. Natürlich ist jedem die Freiheit der Kapitalanlage unbenommen, ebenso wie Unternehmen frei darüber entscheiden können, ihren Leistungsträgern überdimensionierte Gehälter zu zahlen. Steuern zu zahlen oder nicht zu zahlen ist jedoch keine Privatsache. Hier mischen sich unglücklicherweise Diskurse, die wenig miteinander zu tun haben. Ob Manager und Unternehmer exorbitant hohe Einkommen haben, ist eine Frage der Wertschöpfung, der Anreize und Gehaltsverträge. Ob diese Einkommen immer ökonomisch sinnvoll sind, ist eine andere Frage. Dass aber die Bezieher selbst höchster Einkommen sich an Recht und Gesetz zu halten haben, bleibt davon unberührt. Auch das Argument, die Steuergesetzgebung sei so kompliziert, dass man legal immer Schlupflöcher finde, um seine Steuerlast so klein wie möglich zu halten, begünstigt keine straffälligen Handlungen. Das Verlangen nach einem einfachen Steuersystem wird an den Interessendivergenzen in einer komplexen Demokratie scheitern; natürlich wären hier Initiativen hilfreich, aber sie sind prozessual kaum durchsetzbar.

Ebenso reicht es nicht zu verlangen, der Staat solle hart durchgreifen, da das Strafmaß den Steuerbetrug so lange nicht dämpfe, wie die Erwartung, nicht erwischt zu werden, hoch bleibe. Steuerumgehung, das zeigt der Fall Zumwinkel/Liechtenstein, ist offenbar schon so verbreitet, dass die Kommunikation untereinander, die oft gemachte Erfahrung, nicht belangt zu werden, die Unschädlichkeit der Steuerflucht zu bestätigen und zu verstärken scheint. Dass so viele wohlhabende deutsche Staatsbürger, offenbar über lange Zeiträume, ihr Vermögen auf Liechtensteiner Konten vor dem deutschen Fiskus verstecken konnten, wird wiederum zahlreichen ehrlichen deutschen Steuerzahlern als Beleg dafür dienen, dass sich staatsbürgerschaftliche Kooperation nicht lohnt.

Die meisten Bürger zahlen Steuern; sie halten sich an Regeln, die sie normativ verinnerlicht haben. Wenn aber zunehmend Einzelne die Steuer umgehen, fragen sich die Regelbefolger, warum sie eigentlich „die Dummen“ sein sollen. Folge: Die soziale Ordnung, eine Regelordnung, erodiert. Der Staat kann gar nicht anders, als das Einhalten der Regeln zu erzwingen. Nur wenn wir uns kooperativ verhalten, verhalten sich alle anderen auch kooperativ.

Und nur wenn wir uns kooperativ verhalten, verhalten wir uns sozial verantwortlich. Exponierte Leistungsträger werden besonders daraufhin beobachtet. Es wäre leichtfertig von ihnen, sich auf diesem Gebiet rein privat zu verhalten: Denn sie sind sui generis ein Modell öffentlichen Verhaltens. Deshalb ist es fahrlässig und naiv, als „public person“ zu glauben, die Steuerumgehung zum Schutz des privaten Eigentums quasi von seinem öffentlichen Verhalten abspalten zu können. Die selbsternannten Privatiers werden selbstverständlich auch als Staatsbürger beobachtet. Wenn diese prominenten Bürger Steuern hinterziehen – obwohl das Zahlen von Steuern politisch kollektiv vereinbart ist, als Regel und Gesetz –, entziehen sie sich ihrer sozialen Verantwortung. Gleichzeitig jedoch wollen und werden sie die Vorteile aus dem Konsum öffentlicher Güter natürlich weiterhin in Anspruch nehmen. Damit bewegen sie sich in einer exklusiven Norm des Clubs der Entantworteten.

Dessen Clubideologie ist sozial brisant: Denn seine Mitglieder haben entschieden, dass sie ihr Leben nicht mehr mit der Gesellschaft teilen (wollen). Hier bildet sich eine neue Elite außerhalb der Gesellschaft, die Eigentum als Privatsache versteht. Wie soll die Gesellschaft mit dieser Elite umgehen? Es wäre wiederum maßlos, auf das Phänomen mit Erhöhungen der Steuersätze durch den Staat zu reagieren, wie Gewerkschaftsvertreter es sofort forderten. Was wir vielmehr brauchen, ist ein gesellschaftlicher Diskurs über die sozialen Folgen nichtkooperativen Verhaltens.

Prof. Dr. BIRGER P. PRIDDAT, geb. 1950, ist Präsident der Privatuniversität Witten/Herdecke und hat einen Lehrstuhl für Politische Ökonomie inne.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 4, April 2008, S. 82 - 83

Teilen

Mehr von den Autoren