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30. Apr. 2011

Smogfrei in die Zukunft

Technologische Innovationen sind nicht nur in Demokratien möglich

Die Transformation des Energiesystems durch neue Technologien ist für Staaten eine komplexe Herausforderung. Das Beispiel China zeigt: Innovationsfähigkeit muss nicht auf demokratische Systeme beschränkt sein, wichtig sind auch sichere langfristige Planungsräume. Das wirkt sich auf das globale Machtgefüge aus.

Dass ein Umbau unserer Energiesysteme dringend notwendig ist – darüber herrscht weitgehend Einigkeit. Nur 0,6 Prozent aller Energieträger stehen prinzipiell unbegrenzt zur Verfügung. Unsere modernen Wirtschaftssysteme beruhen noch immer auf fossiler Energie, besonders auf Öl, Kohle und Gas, wobei vor allem Elektrizitätserzeugung und Transport für die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern verantwortlich sind: Sie verbrennen mehr als ein Viertel der jährlich verbrauchten Menge und setzen Unmengen an Klimagasen frei.

Technologische Innovationen sind der Schlüssel, um die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu verringern. Dem aktuellen IEA-Bericht zufolge haben vor allem Carbon Capture and Storage-Verfahren (CCS), Biomassekraftwerke, Kohlevergasung (auch in Kombination mit Biomasse), Ultra-Supercritical Combustion (USC: effiziente Kohlekraftwerke), Wind-, Photovoltaik-, Geothermie und Atomkraftwerke großes Effizienzpotenzial bei der Stromerzeugung. Um aber ohne Wohlstandseinbußen weniger Energie zu verbrauchen und den CO2-Ausstoß nachhaltig zu verringern, sind auch Innovationen im Transport- und Verkehrswesen nötig – ein energieeffizientes öffentliches Verkehrssystem, Elektrofahrzeuge oder Wasserstofftransformation bzw. Brennstoffzellen.

Oft wird eine dritte Kategorie vernachlässigt, nämlich die Technologie an der Schnittstelle zwischen Angebot und Nachfrage von Elektrizität, so genannte Smart Energy Technologies (SET). Hierzu gehören alle Informations- und Kommunikationstechnologien, die eine intelligente Energieerzeugung, -verteilung und -speicherung über verschiedene Netzwerksysteme ermöglichen. Staaten, die Innovationen erfolgreich vorantreiben, verhindern Turbulenzen in ihrer Versorgungssicherheit und sind zudem in der Lage, das globale Energie- und Klimasystem aktiv mitzugestalten.

Innovation durch Product-push- und Market-pull-Strategien

Die Entwicklung der genannten Technologien erfordert großes Know-how und immense Investitionen. Innovation zahlt sich nur aus, wenn sie von den Märkten und Verbrauchern angenommen wird. Das Innovationssystem lässt sich daher grob in zwei Phasen unterteilen, die sich allerdings teilweise überschneiden und nicht linear, sondern iterativ verlaufen: product push und market pull. Um die Innovationsfähigkeit von Staaten zu vergleichen, muss man zudem den jeweiligen kulturellen und sozioökonomischen Kontext berücksichtigen, in dem Innovationsprozesse ablaufen.

Die Product-push-Phase ist angebotsgetrieben. Sie umfasst Grundlagenforschung, Forschung und Entwicklung und Ausführung. Den Input für diese Innovationsphase liefern Universitäten, Forschungszentren und privatwirtschaftliche Unternehmen. Diese Forschungsprogramme werden sowohl staatlich gefördert als auch von Unternehmen finanziert. Der Staat greift unter Umständen mit marktbasierten Instrumenten wie Subventionen oder Steuervergünstigungen regulativ ein. Die weltweite Vernetzung von Produktion und Forschung, ausländische Direktinvestitionen und internationale Bildungsinstitutionen ermöglichen Technologietransfer, den Austausch von Know-how und eine effiziente Arbeitsteilung und machen diese Innovationsphase zu einem effektiven und beschleunigten Prozess – zumindest theoretisch.

Die Market-pull-Phase ist nachfragegetrieben. Unternehmen tauchen auch hier als Akteure auf, da sie meist nicht nur Anbieter von Technologien sind, sondern fast auch immer Konsumenten. In dieser Phase des Innovationsprozesses nehmen die Verbraucher – private Haushalte und Unternehmen, aber auch  Staaten – Innovationen an oder lehnen sie ab. Staaten können in den Innovationsprozess mit direkter Förderung eingreifen, mit der Anwendung von Marktinstrumenten oder indem sie Standards setzen.

Mobilität, Energieeffizienz – Innovation

Nun könnte der Eindruck entstehen, dass liberaldemokratische Staaten mit starker Wirtschaft bei der Technologieinnovation im Vorteil wären – insbesondere gegenüber autokratischen Systemen wie dem chinesischen. Doch dieser Eindruck täuscht, denn es geht um strategische Innovationen. China arbeitet angesichts seines stetig wachsenden Energieverbrauchs mit Hochdruck an der Entwicklung innovativer Technologien. Im Elften Fünfjahresplan heißt es, die Energieaufwendung pro BIP-Einheit solle bis Ende 2010 um 20 Prozent reduziert werden (die Ergebnisse stehen noch aus). Bis zum Jahr 2020 solle die Wirtschaftsleistung im Vergleich zum Jahr 2000 vervierfacht, der Energieverbrauch aber nur verdoppelt werden. Bis 2020 sollen erneuerbare Energien 15 Prozent des Primärenergiebedarfs decken; viele Experten plädieren sogar für eine Anhebung auf 30 Prozent bis 2030. Die Technologieinnovationen in den Bereichen Transport und Elektrizitätserzeugung orientieren sich an diesen Zielvorgaben der Staats- und Parteiführung, hier vor allem vertreten durch die National Development and Reform Commission (NDRC).

Vor allem im Elektrizitätssektor kommt chinesischen Staatsunternehmen eine Schlüsselrolle zu, etwa den beiden Betreibern des chinesischen Stromnetzes: Der größere ist mit 85 Prozent Marktanteil die State Grid Corporation of China; sie belegte 2009 mit einem Umsatz von 164 Milliarden Dollar Platz 15 der Forbes Fortune 500. Ebenso einflussreich sind die Energieproduzenten Datang, Huadian, Guodian, Huaneng und die China Power Investment Corporation. Sie erzeugten 2007 einen Großteil der Elektrizität in China.

Im Verkehrssektor hingegen sind Privatunternehmen etwas einflussreicher. Zwar spielen dort die lokalen und regionalen Verkehrsbetriebe eine wichtige Rolle. Jedoch sind in diesem Zusammenhang die Automobilhersteller die bedeutenderen Akteure. Es gibt einige Privatunternehmen in China, welche die Schwelle vom Batterie- zum Automobilhersteller überschritten haben. Sie sind neben Staatsunternehmen wie der Shanghai Automotive Industries Corporation oder Chery vergleichsweise neue Marktteilnehmer. Genau das aber könnte sich auch auf dem globalen Automobilmarkt als Vorteil herausstellen: Im Bereich der konventionellen Antriebstechnologien hätten sie ihre Wettbewerber ohnehin nicht einholen können. Deshalb setzten sie von Beginn an auf alternative Antriebstechnologien – ein Wettbewerbsvorteil, der in Zukunft weiter auszubauen wäre. Dies könnte insbesondere für die so genannten New Energy Vehicles (NEV) zutreffen, die nicht ausschließlich über die Verbrennung fossiler Energieträger wie Benzin und Gas betrieben werden. Das Spektrum reicht hier von Full Hybrid Electric Vehicles (FHEV) über Plug-in Hybrid Electric Vehicles (PHEV) bis hin zu Battery Electric Vehicles (BEV).

Es gibt bereits einige PHEV-Modelle von chinesischen Automobilherstellern, die deren Angaben zufolge sehr gute Leistungen im Bereich Reichweite und Kraftstoffverbrauch erbringen, aufgrund ihres hohen Preises aber bislang nicht wettbewerbsfähig sind. Ein nachfragegetriebener „market pull“ und der Abschluss eines Innovationszyklus finden nicht statt. Dort setzt jedoch die massive Förderung der chinesischen Regierung an: Deren Förderprogramm mit dem sperrigen Namen „Circular on Carrying out Energy Conservation and New Energy Vehicle Demonstration and Popularizing Pilot Program“ soll bis 2012 den Kauf von 60 000 NEV subventionieren. Bis 2015, so die Planungszahlen der staatlichen Unternehmen und Regierung, sollen eine Million NEV produziert werden. Da China keine traditionelle Automobilgesellschaft mit eingefahrenen Konsum- und Mobilitätsmustern ist, wäre eine schnellere Durchsetzung von NEV denkbar.

Diese regulative Führerschaft lässt sich schon heute am Beispiel des Ausbaus von Ladeinfrastrukturen für Elektrofahrzeuge erkennen. Zwar handelt es sich bisher nur um Pilotprojekte. Die Regierung und einige staatliche Stromkonzerne investieren jedoch hohe Summen, um elektrische Mobilität mit der entsprechenden Infrastruktur marktfähig zu machen. Hier zeigt sich die Verbindung zwischen Automobil- und Elektrizitätsmarkt über die Politik: Seit Anfang 2009 verfolgt State Grid den Plan, in 27 Provinzen über 6000 Ladestationen und 75 öffentliche Elektrotankstellen zu errichten, obwohl unklar ist, ob und wann sich diese 300-Millionen-Dollar-Investition rechnet, und trotz 80-prozentiger Gewinneinbußen dieses staatlichen Unternehmens im Jahr 2008. Die erste öffentliche Elektrotankstelle wurde im Januar 2010 in Shanghai eröffnet, nachdem bereits 2009 mit dem Bau einer Tankstation in Shenzhen begonnen wurde. Dieses Bauvorhaben ist Teil eines Förderprogramms des Wissenschafts- und Technologieministeriums, des Finanzministeriums, des Industrie- und Informationstechnologieministeriums und der NDRC. Bis 2012 sollen in Shenzhen 24 000 NEV auf den Straßen fahren, im Jahr 2015 bereits 100 000.

Dieses Innovationskonzept wird nicht durch Fragen der Rechtsstaatlichkeit oder der geistigen Eigentumsrechte beeinflusst, da Politik und Staatsunternehmen den Planungsraum, der 20 Jahre und mehr in der Zukunft liegt, auch ohne diese Rechte leicht zum Handlungsraum machen können. Was nicht bedeutet, dass hier eine Festschreibung zukünftiger Entwicklungen stattfindet. Es geht ausschließlich um die vorläufige und auf Kernpunkte begrenzte Definition eines Erwartungsraums für die relevanten Akteure. Ähnliches zeigt sich im Bereich der Elektrizitätserzeugung. Auf Betreiben des chinesischen Staatsrats wurde Anfang 2010 die Nationale Energiekommission gegründet, der Vertreter verschiedener Ministerien, der NDRC und wichtiger Staatsunternehmen wie State Grid unter dem Vorsitz von Ministerpräsident Wen Jiabao angehören. Das Thema Energie besitzt für Peking also höchste Priorität.

Wie die staatlichen Energiespar- und Effizienzprogramme mithilfe von technischen Neuerungen zukünftig den Anteil der Erneuerbaren erhöhen wollen, lässt sich am Beispiel von State Grid und des Energieproduzenten Huaneng nachvollziehen. China kann seiner Abhängigkeit von Kohle nicht von heute auf morgen entkommen. Aus diesem Grund hat das Land in den vergangenen Jahren vor allem in die Entwicklung hocheffizienter Kohlekraftwerke investiert, die im Gegensatz zu Standardkraftwerken einen Wirkungsgrad von über 45 Prozent erreichen. Ein Großteil der chinesischen Kohlekraftwerke erreicht gerade einmal Wirkungsgrade zwischen 27 und 36 Prozent. Der Druck, für Effizienzsteigerungen zu sorgen, ist hoch. Die staatlichen Stromversorger haben bereits begonnen, die ineffizientesten Kraftwerke vom Netz zu nehmen. Der massive Anpassungsdruck und die hohen Investitionen brachten den Chinesen nach Meinung einiger Experten bereits 2009 die Stellung des Weltmarktführers ein. Denn die neuen Technologien sorgen nicht nur für ein günstigeres Verhältnis von Kohle und Energie, sondern auch für eine bessere CO2-Bilanz. Carbon Capture and Storage (CCS) soll einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung emissionsfreier Kohlekraftwerke leisten.

All diese Investitionen beenden jedoch weder die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern noch verringern sie die hohe CO2-Belastung. Darum setzen die Stromversorger auf einen zweiten Innovationspfad: Bei den Investitionen in erneuerbare Energie hat China die USA und Deutschland bereits eingeholt, sowohl nominal als auch im Verhältnis zur Wirtschaftskraft. Für die Unabhängigkeit von fossiler Energie sind Smart Energy Technologies viel wichtiger als Angebotstechnologien (Wind- und Wasserturbinen, Solarthermie etc.), denn sie sind die notwendige Bedingung für eine Umgestaltung des Energiesystems, so Xiao Live, Experte für Smart Energy Technologies von der chinesischen Akademie der Wissenschaften. Bis 2020 sollen ein intelligentes Stromnetz (Smart Grid) für das gesamte Staatsgebiet entwickelt und in Betrieb genommen und die Energiespeicherung mittels Batterien vorangetrieben werden.

Um sicherzustellen, dass die neue und intelligente Netzstruktur auch die Verbreitung von erneuerbaren Energien (und nicht nur den effizienteren Einsatz fossiler Energien) befördert, hat sich die NDRC bereits bei den Netzanbietern über die Möglichkeit einer bevorzugten Behandlung von erneuerbaren Energien bei der Netzeinspeisung „erkundigt“. Zwar lässt die Einführung von Feed-in-Tariffs, mit denen die Einspeisung erneuerbarer Energien gegenüber Kohlestrom kostengünstiger würde, bislang trotz ehrfacher Ankündigung auf sich warten. Trotzdem werden diese Tarife von internationalen Großinvestoren bereits fest in gegenwärtige Investitionsentscheidungen eingeplant. Das zeigt etwa der Bau des weltweit größten Solarenergiekraftwerks von First Solar.

Auch hier zeigt sich die chinesische Fähigkeit, technologische Innovationen in extremen Größenordnungen voranzutreiben, indem unsichere Planungs- und Investitionshorizonte politisch eingehegt werden – selbst dann, wenn dies für Staatsunternehmen mit mittelfristigen Gewinneinbußen einhergeht.

Ist kritische Wissenschaft nur in Demokratien möglich?

Welche sind also die optimalen Bedingungen, um Innovationen strategisch voranzutreiben? Gerade mit Blick auf China wird häufig die Auffassung vertreten, dass kritische, diskursive und kreative Wissenschaft nur in Demokratien möglich sei. Die derzeit zu beobachtende Liberalisierung der chinesischen Wissenschaft zeigt aber deutlich, dass die Koexistenz von Einparteienherrschaft und Spitzenforschung gelingen kann. Chinesische Hochschulen werden zwar in absehbarer Zeit nicht an den amerikanischen Ivy-League-Universitäten vorbeiziehen. Doch an einer Verbesserung der Quelle innovativen Know-hows wird bereits gearbeitet.

Staatliche Denkfabriken wie die „Chinese Academy of Social Sciences“ und Ausbildungsinstitutionen für Führungseliten der Kommunistischen Partei wie die „Central Party School“ (CPS) sind maßgeblich für die Gestaltung politischer Rahmenprogramme verantwortlich. Auch Führungskräfte von staatlichen und Privatunternehmen können an Schulungen der CPS teilnehmen, was von der Partei- und Staatsführung gefördert wird und zur Bildung informeller Netzwerke zwischen Politik und Wirtschaft beiträgt. Es ist schwer zu beurteilen, ob im Umfeld der staatlichen Denkfabriken ein kritischer Diskurs stattfindet, der in Zukunft als Grundlage für die Entwicklung kreativer Lösungen dienen könnte. Fest steht jedoch: Wird er geführt, so unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Noch 1995 beliefen sich die Investitionen der Chinesen in Forschung und Entwicklung auf etwa 0,6 Prozent des Bruttinlandsprodukts (BIP), zehn Jahre später waren es bereits 1,3 Prozent; für 2020 hat die Staats- und Parteiführung 2,5 Prozent des BIP angesetzt. Zwar haben die USA diesen von Peking angestrebten Prozentsatz bereits 2005 ausgegeben, doch die chinesischen Investitionen in Forschung und Entwicklung (sowohl staatliche Fördermittel als auch Unternehmensinvestitionen) wuchsen im Jahresdurchschnitt um 19 Prozent – die amerikanischen dagegen nur um 14 Prozent. Der Beitrag der chinesischen Wirtschaft hat sich von weniger als 40 Prozent (1995) auf über 68 Prozent (2005) erhöht, wobei zwischen 25 und 33 Prozent auf ausländische Firmen entfallen. Auch (und gerade) durch Wissenstransfer über ausländische Direktinvestitionen ist China ein bemerkenswerter Sprung gelungen, wenn dies auch noch nicht für die chinesische Innovationsfähigkeit spricht. Noch heute gibt es hohe Direktinvestitionen von europäischen Automobilherstellern in China. Im Stromsektor wendet sich dieser Trend, da sich vor allem Hersteller von Technologien für erneuerbare Energien aus Angst vor erzwungenem Technologietransfer aus Joint Ventures zurückziehen.

Zu den Innovationsbedingungen gehört auch die Verquickung des politischen mit dem Wirtschaftssystem. Tauschbeziehungen zwischen Politik und Wirtschaft ermöglichen zweierlei: erstens den Informationsfluss von außen in das politische System (zur Zielbestimmung) und zweitens informelle politische Kontrolle über die Wirtschaftsakteure und ihr Handeln. Diese informellen Kanäle sind in der Energiepolitik besonders wichtig, nicht nur im staatlichen Sektor, sondern auch in hohem Maße in der Privatwirtschaft. Problematisch ist dabei, dass sie sich schnell zu Korruption auswachsen und zulasten der Gesellschaft gehen. So kann die chinesische Regierung Land für Windfarmen konfiszieren oder ganze Städte umsiedeln, ohne sich von lokalen Protesten beeindrucken zu lassen – in demokratischen Systemen wäre das undenkbar. Zum Glück, denn solche Methoden beschneiden nicht nur die Freiheit, sondern verschließen auch Möglichkeitsräume für angepasste Planung.

Das Bild, das das chinesische Innovationssystem bietet, ist also höchst uneinheitlich und lässt normative Bedenken aufkommen. Es zeigt jedoch auch, worauf es bei strategischer Technologieinnovation ankommt: auf die Überbrückung eines unsicheren Handlungsraums durch die Schaffung eines langfristigen Planungsraums. Genau hier tut sich ein weiter Graben zwischen liberalen Innovationsansätzen in westlichen Gesellschaften und der Fähigkeit zur strategischen Technologieinnovation in autokratischen Staaten auf. Der zu unsichere Handlungsraum lässt sich durch Marktmechanismen allein nicht zum Planungsraum umgestalten. Märkte funktionieren theoretisch unter der Bedingung vollständiger Information und bei rationalem kollektiven Handeln am besten. Doch natürlich handelt es sich hier um Modellbedingungen. Planung ist ein rekursiver, permanenter Anpassungsprozess, der Probleme kontinuierlich verarbeitet. Ein zu eng gefasster langfristiger Planungsraum würde die Optionen für zukünftige Innovationen massiv einschränken und auf diese Weise dem demokratischen Anliegen widersprechen, dass die jetzige Generation durch ihr Tun den nachfolgenden Generationen genügend Raum für eigene Innovationsansätze lässt.

China als Innovationsführer im Globalsystem?

Was also stünde zu erwarten, wenn zukünftig China oder andere nichtdemokratische Staaten und nicht die USA, Japan und die EU die größte Fähigkeit zur Technologieinnovation aufbrächten und eine energie- und klimafreundliche Stromerzeugung nicht nur entwickelten, sondern auch wirtschaftlich effizient einsetzten und kulturell verankerten? Diese Veränderungen des globalen Wettbewerbs um strategische Innovationen würden weitreichende politische Verschiebungen nach sich ziehen. China könnte etwa seine Abhängigkeit von Ölimporten aus dem Iran, Sudan und aus Angola verringern und seine Verhandlungsmacht im Bereich der Energie- und Klimagovernance steigern. Es könnte so zum Agenda-Setter in den entsprechenden Institutionen werden.

Die nachdrücklichste Veränderung aber wäre: Träte ein Land wie China den Beweis seiner Innovationsfähigkeit an, könnte es zum Vorbild für andere Staaten werden. Die Kommunistische Partei könnte angesichts solcher strategischen Erfolge ihre politische Legitimation nicht nur halten, sondern weiter ausbauen. Für die chinesische Gesellschaft würde sich ein Gefühl der Rückkehr zu globaler Größe einstellen, das nationalistische Tendenzen verstärken könnte. Je nachdem, wie sich die Gewichte im globalen System verschöben, wäre es durchaus möglich, dass in ein paar Jahrzehnten nicht mehr nur vom „amerikanischen Traum“ gesprochen wird. Ein derart gestärktes China könnte seine Interessen in multilateralen Institutionen wie dem UN-Sicherheitsrat aktiv und nach dem Prinzip der Nichteinmischung in innenpolitische Angelegenheiten wahrnehmen. Das würde vor allem den USA in sicherheitspolitischen Fragen eine hohe Hürde bei unilateralen Alleingängen zur Durchsetzung ihrer Sicherheits- und Entwicklungsinteressen auferlegen. Die Zivilmacht EU sähe sich politischen Organisationsformen gegenüber, die fundamental von ihrem eigenen Konzept abweichen und auf die sie dementsprechend wenig Einfluss nehmen kann: ein informeller Regionalverbund unter chinesischer Führung zum Beispiel oder eine von Russland und China angeführte regionale Kooperation mit ihren eigenen Widersprüchlichkeiten und divergierenden Interessen.

Zwei wichtige Implikationen lassen sich zusammenfassen: Es geht in China in den aufgeführten Bereichen der Technologieinnovation nicht um eine Klimaproblematik. Sehr ähnliche Innovationsbemühungen anderer Staaten sind hingegen auf dieses Ziel ausgerichtet. Folglich existiert keine geteilte Problemsituation für globales Regieren in Bezug auf Klima- und Energiefragen. Im Bereich der Elektrizitätserzeugung und Elektromobilität wiederum liegen in der Fähigkeit zur Technologieinnovation erhebliche Veränderungspotenziale verborgen, die auf das Globalsystem wirken. Ohne einen Vergleich zwischen China, Russland, den USA und der EU anstellen zu wollen: Aber die oben beschriebenen Entwicklungen zeigen die Möglichkeit auf, dass keine gesellschaftliche, wirtschaftliche oder politische Organisationsform das Monopol auf diese Potenziale hat. Vielleicht besitzen autoritäre Staaten aufgrund ihres Anpassungsdrucks, ihres Gestaltungswillens und ihrer -fähigkeit sogar einen kleinen Vorteil.

Den liberalen Demokratien stehen zur Unterstützung langfristiger Transformationsstrategien zwar keine Staatsunternehmen zur Verfügung, dafür jedoch rechtlich abgesicherte Märkte, die es in langfristige, offene Planungsräume umzuwandeln gilt. Wenn demokratische Politik mehr strategischen Gestaltungswillen zeigen und eine offene Debatte darüber führen könnte, wäre vielleicht schon einiges gewonnen.

JOHANNES GABRIEL ist Doktorand am Lehrstuhl für Internationale Beziehungen und Außenpolitik der Universität Trier.

Dr. EWALD BÖHLKE ist Mitarbeiter der Society and Technology Research Group der Daimler AG.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 3, April 2011, S. 44-52

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