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01. Juli 2005

Schwarzmalers Albtraum

Afrikas Wirtschaft wächst. Aber es braucht den Freihandel mit den Industrieländern

Zunächst ein Filmtipp: „Darwins Albtraum“, ein mehrfach preisgekrönter Dokumentarfilm des Österreichers Hubert Sauper. Im afrikanischen Viktoriasee sind vor nicht allzu langer Zeit Barsche angesiedelt worden, die als Speisefisch nach Europa und Japan exportiert werden. Die damit einhergehende Industrie hat zwar kurzfristig Arbeitsplätze geschaffen und Devisen eingebracht, zerstört aber langfristig das ökologische Gleichgewicht des Binnengewässers sowie alte soziale Strukturen. Der Film zeigt diese Konsequenzen mit schonungsloser Offenheit und beschreibt differenziert die komplizierten Zusammenhänge zwischen so unterschiedlichen Dingen wie dem Fischfang, der Immunschwäche AIDS und internationalen Waffenschiebereien. Dabei entsteht ein Bild von erschreckender Düsternis.

Und nun zum Buchtipp, damit der Film den eh’ schon zu verbreiteten Afrika-Pessimismus nicht noch weiter vertieft: der jüngst erschienene African Economic Outlook, der gemeinsam vom OECD-Entwicklungszentrum und der Afrikanischen Entwicklungsbank herausgegeben wird. Was Afrika betrifft, haben die Schwarzmaler Dauerkonjunktur, zuletzt genährt durch die humanitäre Krise in der Darfur-Region im Sudan, manipulierte Wahlen in Simbabwe und Unruhen an der Elfenbeinküste. Ja, auch Heuschreckenplagen gab es wieder, … in der Sahelzone!

Dennoch wuchs die Wirtschaft des schwarzen Kontinents um fünf Prozent im Jahr 2004, eine Rate, die seit acht Jahren nicht erzielt wurde. Die Gründe dafür verdeutlicht die Lektüre des African Economic Outlook, der die Wirtschaftsaktivität von 29 afrikanischen Nationen und damit 90 Prozent der Wirtschaftskraft des Kontinents prognostiziert und analysiert. Der Bericht nennt höhere Preise für Erdöl und Rohstoffe, vermehrte Entwicklungshilfe und stabilere Rahmenbedingungen als die wichtigsten Ursachen der Wachstumsbeschleunigung. Trotz höherer Rohstoffpreise fielen die Inflationsraten im Jahr 2004 auf historische Tiefs, sei es dank der Anbindung an den Euro in Westafrika, sei es dank vorsichtiger Geldmengenausweitung und Dollarschwäche in den Ländern mit flexiblen Wechselkurssystemen.

Das Fünf-Prozent-Wachstum maskiert freilich große Differenzen von Land zu Land. Es profitierte, wer Öl und Metalle schürft (dank Chinas Nachfrage), besonders dort, wo neue Quellen erschlossen wurden: Zweistellig legten die Einkommen in Zentralafrika zu. Westafrika litt dagegen unter tiefen Notierungen für Baumwolle und Kakao. Dass diese Region an den sich verteuernden Euro gebunden ist, belastete zusätzlich. Bei den Geber-Darlings – derzeit sind das etwa Äthiopien, Mosambik, Tansania und Uganda – stimulierte nicht nur die als „gut“ qualifizierte Wirtschaftspolitik, sondern auch die deswegen vermehrte Hilfe. In Ostafrika kam die Landwirtschaft nach der Dürre des Vorjahres wieder auf die Beine.

Der Afrika-Bericht rechnet für die kommenden zwei Jahre mit weiterhin erfreulichem Wachstum. Diese Prognose ruht auch auf der Hoffnung, dass sich Westafrika nach den Unruhen in Nigeria und der Elfenbeinküste wieder fängt. Wie schnell solche Hoffnungen Makulatur sein können, zeigen die derzeitigen Unruhen in Togo nach den gezinkten Wahlen dort. Denn Afrikas Wirtschaft bleibt schockanfällig, in globaler, regionaler und lokaler Hinsicht:

  • Auf globaler Ebene belasten die sich abschwächenden Impulse aus den Turbo-wirtschaften USA und China, während die Geldmarktzinsen steigen. Das wird die Rohstoffpreise drücken, die Kapitalkosten heben, also die Gewinne schmälern. Zudem wird die Aufhebung des weltweiten Multifiberabkommens die Textilproduzenten Afrikas mit verstärktem Wettbewerb aus China und Indien konfrontieren.
  • Auf regionaler Ebene sind es die Grenzkonflikte und Unruhen, welche die jungen Demokratien, die Menschenrechte, die Wirtschaft und den Armutsabbau bedrohen. Nachbarländer werden da leicht mit hineingerissen, nicht zuletzt wegen großer Flüchtlingsströme.
  • Unwetter, Dürren und Parasiten können rasch ganze Ernten vernichten; in der Folge implodieren Exporte, Steuereinnahmen und die ländliche Einkommensbasis.

Besonders schockanfällige Ökonomien sollten besonders schockresistente Strukturen und Institutionen aufweisen. Das Gegenteil ist der Fall: Monostrukturen, Korruption, Staatslastigkeit und Seuchen mindern die Widerstandskraft Afrikas. Insbesondere die vom derzeitigen Rohstoffboom profitierenden Länder haben es aber in der Hand, durch Rücklagenbildung und verstärkte mittelfristige Finanzplanung ihre staatliche Haushaltspolitik von der bisherigen prozyklischen auf eine konjunkturglättende Ausrichtung umzuschwenken. Durch Förderung der Privatinitiative könnte im Grunde die Wirtschaft stärker diversifiziert werden, aber politische Unsicherheiten, schlechte Infrastrukturen, begrenzte Fremdfinanzierungen und vor allem eine stets überbordende Bürokratie sind hier die großen Gegner. Ein große – noch unbestätigte – Hoffnung liegt auf NEPAD, der Neuen Partnerschaft für Afrikanische Entwicklung, da sie die Regierungen einer Selbstkontrolle unterwirft und vielleicht so den Reformeifer durch eine größere Eigenverantwortlichkeit fördert.

Auf Dauer kann Afrika nur durch Handel aus seiner Armut herauswachsen. Die Doha-Runde der Welthandelsorganisation, ein 2001 vereinbartes Paket mit Betonung der Interessen armer Länder, kann Afrika besonders helfen: durch Abbau des Agrarprotektionismus der Industrieländer, der eine wesentliche Barriere etwa für nordafrikanische Agrarexporte nach Europa darstellt; und durch Streichung der Subventionen in der Baumwollproduktion, wodurch die Lieferanten in Benin, Burkina Faso, Tschad und Mali in den Genuss höherer Preise kämen. Die Industrieländer sollten sich hier endlich auf einen konkreten Liberalisierungsfahrplan festlegen. Umso mehr, als die Vorzugsbehandlung Afrikas für amerikanische und europäische Textileinfuhren seit der Eliminierung der Textilquoten im Rahmen des ausgelaufenen Multifiberabkommen an Wert verloren hat. Sonst behalten die Schwarzmaler am Ende doch wieder Recht.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 7, Juli 2005, S. 74 - 75

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