Schlechtes Timing
Das zwischen der EU und China Ende 2020 geschlossene Investitionsabkommen CAI hat einige gute Seiten; ins Bild transatlantischer Zusammenarbeit passt es nicht so recht.
Kurz vor dem Jahreswechsel und wenige Stunden vor dem Ende der deutschen EU-Ratspräsidentschaft war es so weit: Nach rund sieben Jahren harter Verhandlungen verständigten sich Brüssel und Peking im Grundsatz auf das EU-China Comprehensive Agreement on Investment (CAI). Dazu gab es ein paar vorsichtig-lobende Worte aus der Wirtschaft (BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang sprach von einem „entscheidenden Schritt“), ansonsten erntete das Abkommen viel Kritik: Es sei zu China-freundlich, habe Peking zu einem geopolitischen Sieg verholfen und die neue US-Regierung vor den Kopf gestoßen. Wer hat Recht?
Besser als nichts
Der Startschuss für die Verhandlungen fiel 2014. Zu diesem Zeitpunkt verhandelten auch die USA über ein bilaterales Investitionsabkommen (BIT). Das CAI sollte die 26 bestehenden BITs der EU-Mitgliedstaaten (Ausnahme: Irland) mit China ersetzen. Neben dem Investitionsschutz ging es erstmals auch um Marktzugang, viele hofften zudem auf die Einbeziehung der öffentlichen Auftragsvergabe. Die Europäische Kommission führte 2013 eine Folgenabschätzung und zwischen 2015 und 2018 eine Nachhaltigkeitsprüfung durch, um die möglichen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Auswirkungen des Abkommens zu bewerten. Nach der Grundsatzeinigung vom 30. Dezember 2020 muss nun das Europäische Parlament das Abkommen ratifizieren. Die Parlamente der EU-Mitgliedstaaten haben dagegen keine Mitsprache.
Das CAI muss als Teil der neuen EU-Strategie, dem Streben nach „strategischer Autonomie“, verstanden werden. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will die EU in einem veränderten geoökonomischen Umfeld neu positionieren und die Handelspolitik auch zur Durchsetzung geopolitischer Ziele nutzen. Dazu gehört die Stärkung der Partnerschaft mit den USA – aber eben auch das CAI. Hintergrund ist u.a. die Erkenntnis, dass die europäische Industrie in Schlüsselsektoren hinterherhinkt und die EU somit für ihre Interessen und für gleiche Wettbewerbsbedingungen kämpfen muss.
Große Teile des Vertragstexts sind öffentlich zugänglich, es fehlen allerdings noch detaillierte Anhänge zu den genauen Marktzugangsverpflichtungen. Daher fällt eine abschließende Bewertung nach wie vor schwer. Sicher ist jedoch: Das CAI wird China nicht in ein offenes Investitionsland verwandeln. Auch wird es den meisten europäischen Unternehmen wenig neue Marktzugangsmöglichkeiten öffnen. Es ist lediglich ein erster Schritt, um faire Wettbewerbsbedingungen herzustellen, auch „level playing field“ genannt. Nun kommt es auf Chinas Verhalten an, ob das Abkommen auch mit Leben gefüllt wird. Als WTO-Mitglied hat sich Peking beispielsweise den umfassenden Regeln der Handelsorganisation unterworfen, diese aber immer wieder gebrochen.
Das CAI schreibt den Marktzugang für ausländische Investitionen fest und verhindert so Rückschritte für EU-Unternehmen. Darüber hinaus sieht es die Abschaffung von quantitativen Beschränkungen, Grenzen für Auslandsbeteiligungen oder auch Joint-Venture-Anforderungen in einer Reihe von Sektoren vor.
Im Automobilsektor erklärte sich China bereit, Joint-Venture-Anforderungen abzuschaffen und Marktzugang zu gewähren. Bei Elektroautos hat sich die chinesische Seite allerdings nur bei Neuinvestitionen in Höhe von über einer Milliarde Dollar zu einem unbegrenzten Marktzugang verpflichtet. Im Gesundheitssektor sollen Joint-Venture-Anforderungen für private Krankenhäuser wegfallen. Auch in anderen Sektoren, darunter Forschung und Entwicklung (biologische Ressourcen), Telekommunikation/Cloud-Dienste, Computerdienste und internationaler Seeverkehr, soll es Erleichterungen geben. Das CAI bestätigt dabei fast ausschließlich frühere Öffnungen durch Peking, das in der Vergangenheit immer wieder sektoral einzelne Zugeständnisse gemacht hat. Trotzdem ist die vertragliche Bindung dieser Konzessionen ein Fortschritt. Die EU musste hingegen kaum Zugeständnisse machen, da der europäische Markt schon jetzt deutlich offener ist als der chinesische. Wer jedoch darauf hoffte, dass China im Zuge des CAI auch seinen öffentlichen Vergabemarkt liberalisiert, wurde enttäuscht. Allerdings gehörte dies auch nicht zum Verhandlungsmandat der EU.
Ein fairerer Wettbewerb?
Darüber hinaus soll das CAI die Wettbewerbsbedingungen für EU-Unternehmen verbessern. Und tatsächlich: Erzwungener Technologietransfer an einen Joint-Venture-Partner und Eingriffe in die Vertragsfreiheit bei der Lizenzierung von Technologie werden nun verboten. Chinesische Staatsunternehmen sollen nach Marktkriterien handeln und dürfen beim Kauf und Verkauf von Waren oder Dienstleistungen nicht diskriminieren. China verpflichtet sich, auf Anfrage spezifische Informationen zur Verfügung zu stellen, damit beurteilt werden kann, ob das Verhalten eines bestimmten Unternehmens den CAI-Verpflichtungen entspricht. Zudem sollen vertrauliche Geschäftsinformationen zukünftig besser gewahrt werden. Bleibt ein Streitfall ungelöst, kann auf die im CAI verankerte Streitbeilegung zurückgegriffen werden.
Auch das Thema Subventionen wird angegangen: Hier geht es um neue Transparenzverpflichtungen im Dienstleistungssektor, vor allem durch die Ausweitung der geltenden WTO-Transparenzrichtlinien für Industriegüter auf den Dienstleistungssektor. Zudem verpflichtet sich China zum Austausch von Informationen über bestimmte Subventionen, die sich negativ auf die Investitionsinteressen der EU auswirken könnten. In der WTO wollen die EU und China die im Übereinkommen über Subventionen und Ausgleichsmaßnahmen (ASCM) enthaltenen Disziplinen für Industriegüter aktualisieren.
Die Erfahrungen in der WTO haben allerdings gezeigt, dass China die Transparenzanforderungen oftmals nicht erfüllt. Dem CAI könnte leicht dasselbe Schicksal ereilen. Zudem wird ein gravierendes Problem des ASCM nicht angegangen: die vagen und begrenzten Definitionen von Subventionen. Der EU scheint es nicht gelungen zu sein, hier die Vorschläge der Trilateralen Initiative (USA–EU–Japan) auf das Abkommen zu übertragen.
Chinesische Behörden handeln auf verschiedenen Regierungsebenen oft uneinheitlich. Regulierungen werden in den einzelnen Provinzen häufig unterschiedlich ausgelegt oder umgesetzt – für Unternehmen ein erhebliches Marktzugangshemmnis. Der Vertragstext macht daher klar, dass er sich auf alle Ebenen des Regierungshandelns bezieht. In puncto Diskriminierungsverbot haben sich die EU und China auf Inländerbehandlung (ausländische und inländische Anbieter müssen grundsätzlich gleichbehandelt werden) und Meistbegünstigung verständigt. Zum Schutz vor kompensationsloser Enteignung oder auch ungerechter Behandlung findet sich allerdings nichts in den bisher veröffentlichten Vertragstexten.
Diese ausgehandelten Anforderungen in Sachen „fairer Wettbewerb“ gehen zumeist über bestehende WTO-Verpflichtungen hinaus. Sie ähneln auch den Zugeständnissen, die die USA im Rahmen des „Phase-One“-Handelsabkommens erhalten haben.
Besonders umstritten waren und sind die Bestimmungen beim Arbeits- und Umweltschutz. China verpflichtet sich, die bestehenden Arbeits- und Umweltstandards nicht abzusenken, um Investitionen anzuziehen, sowie seine internationalen Verpflichtungen in den entsprechenden Verträgen – den Verpflichtungen aus dem Pariser Abkommen und der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) – einzuhalten. Dabei will es „nachhaltige und kontinuierliche Anstrengungen“ unternehmen, um die ILO-Konventionen zur Zwangsarbeit zu ratifizieren. China ist somit im Rahmen des CAI neue internationale Verpflichtungen eingegangen, doch ist der Vertrag gespickt mit Kann-Bestimmungen und vagen Absichtserklärungen.
Umgesetzt werden soll das Abkommen durch einen Überwachungsmechanismus und eine neue Gremienstruktur. Dazu gehören der hochrangig besetzte Investitionsausschuss, Arbeitsgruppen zu Investitionen und nachhaltiger Entwicklung sowie ein zivilgesellschaftliches Beratungsgremium. Zudem wird ein Streitschlichtungsmechanismus auf der zwischenstaatlichen Ebene geschaffen, wie er auch in anderen Handelsabkommen der EU zu finden ist. Dieser bezieht sich allerdings nicht auf das Kapitel zur Nachhaltigkeit. Wie in EU-Handelsabkommen üblich, setzt die Europäische Union hier auf einen strukturierten Dialogprozess, nicht auf harte Sanktionsmechanismen.
Transatlantischer Spielraum
In den vergangenen vier Jahren haben die USA immer wieder die zu laxe China-Politik der EU kritisiert. Dabei ging es unter anderem um Investitions- und Exportkontrollen, aber auch um die Verurteilung von Menschenrechtsverletzungen. Washington begrüßte den Brüsseler Vorstoß für eine stärker europäisierte China-Politik ebenso wie die strengeren Investitionskontrollen Deutschlands.
Eine engere Zusammenarbeit zwischen der EU und den USA zu China war jedoch allein deswegen nicht möglich, weil US-Präsident Donald Trump mit seinem Zollkrieg den nationalen Alleingang wählte. Anfang 2020 verständigten sich die USA und China auf einen „Phase One“- Deal; an einem „Phase Two“-Abkommen zu strukturellen Fragen wurde bisher ohne Erfolg weitergearbeitet. Aufgrund der Blockadehaltung der Trump-Regierung gegenüber der WTO war zudem ein gemeinsames Vorgehen gegen China über den Streitbeilegungsmechanismus der Handelsorganisation nicht möglich.
Mit der Wahl von Joe Biden zum US-Präsidenten verbindet sich nun die Hoffnung auf einen Neustart der transatlantischen Beziehungen. Biden hatte angekündigt, enger mit der EU zusammenarbeiten zu wollen, gerade auch in Sachen China. Er dürfte den Konfrontationskurs seines Vorgängers fortsetzen – und kann sich dabei der Unterstützung des Kongresses und der Bevölkerung sicher sein. Anders als bei Trump gilt dies allerdings nicht nur für die Handelspolitik, sondern auch für Menschenrechtsfragen. So wird sich der Druck auf Peking in Sachen Hongkong, Taiwan, Xinjiang und das Südchinesische Meer erhöhen. Biden wird konsequent die Umsetzung des „Phase One“-Deals einfordern. Die hohen Zölle haben zunächst weiter Bestand.
In dieser Situation kam das CAI überraschend, auch für die USA. Kritiker warnen, dass das Abkommen den Spielraum der EU einschränken werde, mit den USA zusammenzuarbeiten. Befürworter argumentieren, dass die EU mit diesem Abkommen nun ein Partner auf Augenhöhe für die USA sei. Wer Recht hat, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht beurteilen. Sicher ist, dass ein gemeinsames US-EU-China-Abkommen illusorisch gewesen wäre. Denn bei Marktzugangsfragen geht es auch immer um Wettbewerb. Selbst wenn die USA und die EU wichtige Partner füreinander sind, sind sie doch Wettbewerber, wenn es darum geht, neue Märkte zu erschließen. Zudem haben beide unterschiedliche Marktzugangsinteressen. Für die EU ist das Thema verarbeitendes Gewerbe besonders wichtig; die USA haben hingegen einen Wettbewerbsvorteil bei Dienstleistungen, insbesondere Finanzdienstleistungen.
Sicher ist aber auch, dass es weiterhin viel Raum für transatlantische Kooperation gibt. Dazu gehört der Umgang mit China in der WTO, der bereits seit 2017 Thema der Trilateralen Initiative ist. Auf bilateraler Ebene wäre vor allem eine Zusammenarbeit beim Thema Handel und Sicherheit sinnvoll. Dazu gehören die Überprüfung sensibler ausländischer Investitionen (Investitions-Screening) sowie Exportkontrollen. Auch bei der gemeinsamen Bekämpfung von Cyber-Attacken und Cyber-Diebstahl bietet sich ein transatlantisches Vorgehen gegenüber China an.
Aber es gibt noch weitere Ansätze. Im November 2019 gründeten die USA, Japan und Australien das Blue Dot Network als Alternative zur chinesischen Belt and Road Initiative. Dabei sollen Infrastrukturprojekte bewertet und zertifiziert werden, die hohe Standards in Sachen Transparenz, Nachhaltigkeit und wirtschaftliche Entwicklung erfüllen. Private Investoren sollen mobilisiert werden, in ausländische Infrastrukturprojekte einzusteigen. Bisher sind noch keine anderen Länder beigetreten, aber es werden bereits Gespräche mit der Europäischen Union geführt. Insgesamt wird Biden von der EU in der China-Politik mehr Engagement und eine klarere geopolitische Positionierung einfordern. Dies wird auch wichtige Einzelthemen wie die Frage einer Beteiligung chinesischer Firmen am Aufbau von 5G-Netzen betreffen.
Kein Keil
Der europäische CAI-Schnellschuss passt da nicht richtig ins Bild. Der Abschluss der Verhandlungen kurz vor Jahresende hat den Eindruck erweckt, eine China-freundliche Bundesregierung habe ein zu China-freundliches Abkommen durchgeboxt, um es als Erfolg ihrer Ratspräsidentschaft verbuchen zu können. Wirtschaftliche Interessen wahren auf Kosten von Menschenrechten, Arbeits- und Umweltschutz: Auch wenn das nicht die Intention war – dieser entstandene Eindruck wird sich auf die Ratifizierung des Abkommens auswirken.
Es wäre besser gewesen, die Amtsübernahme durch Joe Biden abzuwarten und die USA über die Ziele und Inhalte des Abkommens zu informieren. China hatte sich in den Wochen zuvor bei zahlreichen Verhandlungspunkten bewegt. Aus Sicht der EU-Kommission eröffnete dies ein Fenster für den Abschluss des Abkommens, das sich möglicherweise bald wieder geschlossen hätte. Möglicherweise aber auch nicht. So konnte China das CAI als strategischen Erfolg für sich verbuchen.
Ob das Abkommen aber tatsächlich einen Keil zwischen die EU und USA treiben wird, bleibt abzuwarten. Denn es ist damit zu rechnen, dass es noch Nachverhandlungen geben wird. Wichtig ist, dass die EU nun so bald wie möglich den Austausch mit der Biden-Regierung sucht und sich auf gemeinsame Themen im Umgang mit China verständigt.
Dr. Stormy-Annika Mildner ist Direktorin des Aspen Institute Germany und Adjunct Lecturer an der Hertie School in Berlin.
Dr. Claudia Schmucker leitet das Programm Geoökonomie bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).
Internationale Politik 2, März/April 2021, S. 87-91