Barrieren im Wirtschaftsraum
Von der TAFTA zum freien Markt: Neue Handelsinitiativen zwischen EU und USA
Deutschland versucht, während seiner EU-Ratspräsidentschaft die transatlantische Wirtschaftsintegration voranzutreiben. Doch Washington – und einige EU-Länder – reagieren zögerlich. Im Vordergrund steht für sie als Ziel der Abschluss der Doha-Runde. Eine transatlantische Freihandelszone bleibt ein langfristiges Projekt.
Selten gab es so viel Verwirrung um Begriffe wie im Fall der transatlantischen Initiativen, die im Zusammenhang mit der deutschen EU-Ratspräsidentschaft diskutiert werden. War zu-nächst noch von einem transatlantischen Freihandelsabkommen namens TAFTA die Rede, ist das Ziel nunmehr ein barrierefreier Markt zwischen den beiden Handelspartnern. Worum geht es konkret und wie sinnvoll sind die Initiativen?
Bisherige Vereinbarungen
Die neunziger Jahre kennzeichneten zahlreiche transatlantische Initiativen wie etwa die Transatlantische Deklaration (1990), die Neue Transatlantische Agenda (1995) oder die Transatlantische Wirtschaftspartnerschaft (1998). Zuletzt wurde 2005 auf dem EU-USA-Gipfeltreffen in Washington die so genannte EU-US-Wirtschaftsinitiative ins Leben gerufen. In Abstimmung mit der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft sind folgende Kernbereiche für eine engere transatlantische Kooperation vorgesehen:
- regulatorische Zusammenarbeit (Normen und Standards),
- Kapitalmarktintegration,
- Innovation und Technologieentwicklung,
- Schutz geistigen Eigentums,
- Investitionen,
- Wettbewerb,
- öffentliches Auftragswesen und
- Dienstleistungen.
Ziel dieser Initiative soll es sein, in kleinen Schritten die wichtigsten Barrieren im transatlantischen Wirtschaftsraum zu beseitigen.
Im Zentrum stehen die unterschiedlichen Regulierungen, die von beiden Seiten als wichtigstes Handelshemmnis betrachtet werden. Daher wurde ein hochrangig besetztes Forum zwischen den transatlantischen Regulierungsbehörden (Highlevel Regulatory Forum) eingerichtet, mit dem Ziel, bewährte Verfahren auszutauschen und neue Themen für transatlantische Regulierungskooperationen zu benennen. Die Fortschritte sollen einmal jährlich im Rahmen der Gipfeltreffen vorgestellt werden. Auf dem EU-USA-Gipfel 2006 in Wien wurde zusätzlich beschlossen, die Initiative auf weitere Felder auszudehnen.
Wie auch bei den bisherigen Abkommen liegt das Problem bei den auf beiden Seiten des Atlantiks unterschiedlich stark ausgeprägten politischen Interessen, die Integration in schwierigen Feldern voranzutreiben. Beispielsweise sind die USA vor allem an einem stärkeren Schutz geistigen Eigentums interessiert. Hingegen verweisen US-Vertreter bei den Beratungen über Regulierungsfragen gerne darauf, dass die einzelnen US-Bundesstaaten weitreichende Befugnisse besitzen und es in den USA zahlreiche weisungsunabhängige Regulierungsbehörden gebe. Der Mangel an konkreten Ergebnissen in diesem zentralen Bereich ließ indes die Rufe nach visionären Projekten wie der TAFTA oder einem transatlantischen Markt lauter werden.
TAFTA
Ein solches visionär klingendes Schlagwort, das in den politischen Diskussionen und in der Presse bis heute immer wieder auftaucht, ist TAFTA (Transatlantic Free Trade Area). Diese Idee ist nicht neu. Bereits 1995 hatte der damalige Außenminister Klaus Kinkel ein transatlantisches Freihandelsabkommen vorgeschlagen. 1998 wurde die Initiative erneut vom damaligen EU-Handelskommissar Sir Leon Brittan aufgegriffen. In beiden Fällen scheiterte sie - jedoch an mangelndem politischen Interesse, vor allem an der Zurückhaltung der USA und Frankreichs. In jüngster Zeit wurde die TAFTA vor allem von dem Bundestagsabgeordneten Matthias Wissmann sowie den Europaparlamentariern Elmar Brok und Erika Mann auf die Agenda gesetzt. Es gehe darum, den transatlantischen Handels- und Investitionsbeziehungen eine „neue Vision“ und ein tragbares Fundament zu geben. Gemeinsame Werte sollen durch die TAFTA gefestigt werden und einen vertraglichen Überbau erhalten. Und nicht selten verweisen Befürworter auf die zunehmende Dominanz asiatischer Staaten (vor allem Chinas und Indiens). Das wirtschaftliche Argument für TAFTA lautet, dass die EU und die USA bereits zahlreiche Freihandelsabkommen mit anderen Staaten geschlossen, ihren jeweils wichtigsten Handelspartner bislang jedoch außer Acht gelassen hätten.
Nach der klassischen Definition beinhalten Freihandelsabkommen die Abschaffung von Zollbarrieren und gelten als niedrigste Stufe einer möglichen Wirtschaftsintegration. Mit Ausnahme einiger Hochzollbereiche wie Landwirtschaft und Textilien sind die Zollschranken im transatlantischen Handel allerdings mittlerweile mit durchschnittlich vier Prozent ohnehin sehr gering. Die eigentlichen Hemmnisse liegen im Bereich der Regulierungen und Standards. So sind denn auch die Befürworter einer TAFTA – anders als der Name vermuten lässt – nicht an einer reinen Freihandelszone interessiert, sondern an einem umfassenden Abkommen, das neben dem Abbau von Zöllen auch Themen wie technische Standards, Integration der Finanz- und Kapitalmärkte, Börsenaufsicht, Kartellrechtsfragen, Investitionen, Umwelt- und Energiepolitik etc. umfasst.
Zur Umsetzung dieser Vorhaben sind lange und komplizierte Verhandlungen nötig. Dabei stellt sich die Frage, warum es in den schwierigen Bereichen Landwirtschaft und Dienstleistungen nun auf bilateraler Ebene zu Fortschritten kommen sollte, wenn dies sogar unter dem Druck der Doha-Runde der WTO bislang nicht gelungen ist. Eine reale Gefahr besteht, dass der Zusammenschluss der beiden größten Handelspartner zu einer umfassenden Freihandelszone von Drittstaaten in Asien und Lateinamerika negativ bewertet und als Abkehr von der Doha-Runde aufgefasst werden könnte. Staatssekretär Bernd Pfaffenbach hat die Initiative deshalb als „Todesstoß“ für die Doha-Runde bezeichnet, der unbedingt vermieden werde müsse. Auch EU-Handelskommissar Peter Mandelson zeigte sich ablehnend. Er betonte, dass die TAFTA ein schlechtes Signal an den Rest der Welt senden würde, und mahnte, dass kein anderes EU-Land diese Idee unterstützen würde. Später relativierte Mandelson sein hartes Urteil und erklärte, dass die bestehende EU-US-Wirtschaftsinitiative die Grundlage für die langfristige Idee einer Freihandelszone bilden könnte, wenn beide Seiten dies in Zukunft verfolgen wollten.
Das „neue“ Ziel: ein barrierefreier transatlantischer Markt
Aufgrund der befürchteten Konkurrenz zur Doha-Runde ist das Wort TAFTA unter Experten bereits zu einem Unwort geworden. Alternativ sprechen daher vormalige Befürworter von einem barrierefreien transatlantischen Markt. Der Bundestagsabgeordnete Wissmann will einen solchen Markt bis 2010 in Teilbereichen und bis 2015 insgesamt abschließen. Dieses Projekt wird auch von Bundeskanzlerin Angela Merkel unterstützt. Bereits zu Beginn der deutschen EU-Ratspräsidentschaft reiste Merkel nach Washington, um ihre Idee vorzustellen. In einer Rede vor dem Europäischen Parlament über die Ziele der deutschen Ratspräsidentschaft erklärte sie Mitte Januar 2007: „Wir wollen auf dem Gipfel zwischen der Europäischen Union und den USA eine Vertiefung der transatlantischen Wirtschaftspartnerschaft beraten. … Im Interesse unserer weltweiten Wettbewerbsfähigkeit müssen wir Handelsbarrieren etwa beim Patentrecht, bei Industriestandards oder beim Börsengang weiter abbauen. Ein gemeinsamer transatlantischer Markt liegt nach meiner festen Überzeugung zutiefst im europäischen Interesse.“1
Was beinhaltet diese Idee? Neben dem allgemeinen Ziel eines barrierefreien transatlantischen Marktes gibt es bislang wenige konkrete Informationen über den Inhalt des Projekts. Bundeskanzlerin Merkel betonte in ihrer diesjährigen Rede vor dem Weltwirtschaftsforum in Davos lediglich, dass der Schwerpunkt auf nichttarifären Handelshemmnissen wie Industriestandards, Finanzmarktregelungen, Schutz geistigen Eigentums, Energie und Umweltfragen liegen solle.2 Ziel seien binnenmarktähnliche Strukturen. Der transatlantische Markt soll also ausschließlich so genannte „WTO-plus“ -Themen umfassen, die nicht im Rahmen der Doha-Runde behandelt werden. Eine Konkurrenz zur WTO soll so ausgeschlossen werden.
Aus wirtschaftspolitischer Sicht sind diese Ziele zu begrüßen. Der Zeitpunkt ist allerdings schlecht gewählt. So stellt sich – wie auch bei der TAFTA – die Frage, warum die USA zum jetzigen Zeitpunkt mehr Interesse an der Verwirklichung eines transatlantischen Marktes haben sollten als bei der bisherigen Wirtschaftsinitiative, die ähnliche Themen behandelt. Zurzeit wird der Vorschlag in Washington jedenfalls mit höflicher Zurückhaltung aufgenommen. Für die Bush-Regierung steht zunächst die Doha-Runde im Vordergrund, so dass zusätzliche Initiativen als störend empfunden werden. Aber auch andere europäische Staaten, insbesondere Frankreich, zeigen sich weiterhin ablehnend. Ohne tatkräftige politische Unterstützung auf beiden Seiten des Atlantiks ist ein so umfassendes Projekt nicht umsetzbar.
Was tun?
Deutschland versucht im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft, die transatlantische Wirtschaftsintegration weiter voranzutreiben. Dieses Vorhaben ist sinnvoll, es sollte indes langfristig angelegt werden. Entscheidend ist, dass hüben wie drüben das politische Interesse zu erkennen ist, Handels- und Investitionsbarrieren tatsächlich abzubauen. Dies ist zurzeit nicht der Fall. Im Rahmen der deutschen Präsidentschaft und mit Blick auf das Ende April 2007 anstehende Gipfeltreffen mit den USA muss es zunächst darum gehen, die bestehende bilaterale Wirtschaftsinitiative wieder zu reaktivieren und Fortschritte in den zentralen Bereichen (Stichwort: Regulierungen) vorzubereiten.
Eine Möglichkeit wäre es, dem bilateralen Highlevel-Forum die Aufgabe zu erteilen, ein Rahmenabkommen zur transatlantischen regulatorischen Kooperation zu entwickeln, wie es bereits von Repräsentanten der Wirtschaft vorgeschlagen wurde. Langfristig kann somit über kleine Fortschritte im Rahmen der Wirtschaftsinitiative das Fernziel eines barrierefreien transatlantischen Marktes erreicht werden. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft kann dazu eine langfristige Perspektive mit den erforderlichen Wegmarken weisen.
1 Die Rede ist in der Dokumentation der Februar-Ausgabe von IP enthalten und zu finden unter www.internationalepolitik.de. 2 Die Rede ist in der Dokumentation dieser Ausgabe enthalten, www.internationalepolitik.de.
Internationale Politik 3, März 2007, S. 100 - 103.