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01. Apr. 2003

Rechts gegen Globalisierung

Auch die Rechten in Europa und Amerika haben sich der gemeinhin dem „linken“Lager zugeschriebenen Globalisierungskritik angeschlossen. Die Nationalpopulisten und Rechtsextremisten diesseits und jenseits des Atlantiks nutzen die Ängste der Bevölkerung für ihre Zwecke. Dennoch scheinen sie bislang weder in der Lage, die Affekte in direkte Wählerstimmen umzumünzen noch die etablierten Mitte-Rechts-Parteien zu weit reichenden Zugeständnissen ans rechte Lager zu zwingen.

Bei den jüngsten Protesten gegen den Irak-Krieg rief eine Gruppe zum „europaweiten Boykott von US-Waren“ auf, unter anderem mit „Aktionen vor McDonald’s und Burger King“. Auf einem Flugblatt war die Parole zu lesen: „Terror ist ein Meister aus Amerika“, zu sehen war eine Uncle-Sam-Figur mit Horrorfratze. Im Internet wurden lokale Demos, Mahnwachen, Kundgebungen, Infotische, Flugblattverteilen, Plakatieren angekündigt, ferner eine zentrale Protestdemonstration in Berlin gegen die „US-Kriegstreiber“ sowie „alternative Protestformen“, auf die, wie es auf einer Webseite hieß, „hier nicht spezieller eingegangen werden soll“.1 Unbefangene Leser hätten auf die „üblichen Verdächtigen“ getippt, nämlich antiimperialistische Linksradikale, aber vielleicht bei der seltsamen Wortwahl gestutzt: „Die technisch am besten ausgerüstete Armee mit dem miserabelsten Menschenmaterial“. Dann wären wohl Logo und Impressum aufgefallen, das niemanden anderen als die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) als Ausrichter der Proteste auswies.

Sind die Rechtsradikalen Trittbrettfahrer einer ansonsten linksgerichteten Friedensbewegung oder berühren sich hier die Extreme in der Kritik an der amerikanischen Führungsmacht? Beides ist wohl richtig. Unter den Zigtausenden, die sich zu den Aufmärschen und anderen Veranstaltungen der globalisierungskritischen Bewegung einfinden, bilden Neonazis und Rechtsradikale eine verschwindende Minderheit. Aber Kritik am „US-Imperialismus“ und allgemeiner an der amerikanischen Politik und Gesellschaft war nie ein Monopol der Linken; historisch ist beides eher bei Konservativen und Rechtsradikalen verwurzelt.

Ähnlich verhält es sich nun mit der generellen Kritik an der wirtschaftlichen, politischen und kulturellen „Globalisierung“, die man im rechten politischen Spektrum als Freihandelsoffensive, Souveränitätsverlust des Nationalstaats und unerwünschten Multikulturalismus auffasst. Die gemäßigte Rechte gehört, nach der von Charles Meier getroffenen Unterscheidung,2 durchweg in das Lager der „Globalisten“, die das Faktum und Folgen der Entgrenzung und Öffnung der Weltgesellschaft begrüßen. Die extreme und populistische Rechte bleibt eher „territorialistisch“ gesonnen und mobilisiert wirtschaftlichen und kulturellen Protektionismus; der nationale Staat bzw. die ethnisch definierte Volksgemeinschaft sollen Importe und Investitionen, die heimische Arbeitsplätze gefährden, aufhalten, desgleichen die Einwanderung fremder Ideen und fremder Menschen unterbinden. „America first!“ und „La France d’abord“ lauten die entsprechenden Forderungen. Dieser Ethnonationalismus hinderte sie nicht daran, grenzüberschreitende Netzwerke zu bilden; schon der europäische Faschismus hatte durchaus inter- und transnationale Dimensionen, und er formierte sich auch als soziale Bewegung,3 worin eine formale Übereinstimmung zwischen den erwähnten neonationalsozialistischen Gruppen (NPD, Skinheads und ähnliche) und den traditionell und ganz überwiegend links angesiedelten Protestbewegungen liegt.

Was heißt Nationalpopulismus?

In Deutschland waren Neofaschisten und „Neonazis“ nach 1945 nie ein großes Problem, und sie sind es bei nüchterner Betrachtung auch heute nicht. Weder als parlamentarische Wettbewerber noch als außer- beziehungsweise antiinstitutionelle Fundamentalopposition, weder friedlich noch militant kamen sie voran. Gleichwohl gibt es einen „Druck von rechts“ auf das etablierte politische System, der vor allem durch nationalpopulistische Kräfte ausgeübt wird. Ohne ausdrücklich an Vokabular und Rhetorik des Faschismus anzuschließen und ohne Rückgriff auf dessen Militanz, drängen sie gut bürgerlich in die Parlamente, wo sie in fast ganz Europa, als Sperrminorität oder Koalitionspartner, Situationen der Unregierbarkeit heraufbeschwören.

In so gut wie allen europäischen Parteiensystemen setzt sich die Abkehr von soziologisch wie programmatisch konturierten Blockparteien der linken und rechten Mitte fort; zuvor war dies bereits bei der klassischen Linken und den Nationalkonservativen der Fall gewesen, ebenso bei den konfessionell und agrarisch gebundenen Parteien. Es profitieren davon die von vornherein auf eine „volatile“ Wählerschaft eingestellten populistischen Parteien, die seit ihrer Entstehung Ende des 19. Jahrhunderts (vor allem in den Vereinigten Staaten und Russland) eine „linke“ und eine „rechte“ Variante hervorgebracht haben.4

Auf diesem fruchtbaren Boden gedeiht die neopopulistische Grundkonfiguration, die den angeblichen Willen des „ganzen (oder einfachen) Volkes“ gegen die „politische Klasse“ bündelt und gegen die etablierten Volksvertreter in Stellung bringt. Die Führungsfiguren und selbst ernannten Volkstribune, die in aller Regel selbst begüterten und privilegierten Schichten entstammen, maßen sich an, die wahren Bedürfnisse der „kleinen Leute“ zu verstehen und besser zur Geltung zu bringen als die etablierte Politikelite. Dieser antipolitische Affekt bildet den Kern der populistischen Mobilisierung, wobei sich der Vertretungsanspruch mittlerweile von den „classes populaires“, die nicht an die Arbeiterbewegung gebundenen „kleinen Leute“, und dem von der Modernisierung bedrohten Mittelstand auf alle dem Wohlfahrtsstaat kritisch gegenüberstehenden Kreise ausgeweitet hat. „Das Volk als Ganzes gegen den bürokratischen Parteienstaat“ lautet die Parole der populistischen Bewegungen. Auf der anderen Seite der Barrikade werden nicht nur die „Bonzen“ angesiedelt, deren angeblich überzogene Gehälter und Einkünfte ein unerschöpfliches Thema populistischer Agitation sind, sondern auch ein großer Teil der öffentlich-rechtlichen Medien, linksliberale Intellektuelle und Kulturschaffende – ein Konglomerat, das mit heißer Nadel zur „politischen Klasse“ zusammengestrickt wird. Als Medienprominente (die nicht beliebt sein müssen) können bekannte Populisten auf herkömmliche Parteiapparate völlig verzichten; sie bekämpfen die intermediären Institutionen der repräsentativen Demokratie nicht selten auch mit einer demagogischen Spielart direkter Demokratie und inszenieren das tägliche Plebiszit der sich missachtet fühlenden „kleinen Leute“.

Ähnlich wie früher die Grünen fordern populistische Parteien dabei die Überwindung des klassischen Rechts-Links-Gegensatzes zugunsten angeblich neuer Konfliktlinien. Damit holen sie Stimmen bei allen großen Volksparteien. Zuwachs verzeichneten Rechtspopulisten zuletzt vor allem bei traditionell der Sozialdemokratie zuneigenden Wählern und bei Nichtwählern, die sich nur noch gelegentlich zu einem Protestvotum an die Wahlurnen locken lassen. Damit ist aber weder die gewohnte Rechts-Links-Kodierung des politischen Systems überholt, noch ist es unmöglich, die rechte Spielart des Populismus zu identifizieren, der deshalb treffend, auch in Abgrenzung zur vorherrschenden Rechtsextremismusforschung, als Nationalpopulismus charakterisiert wird.

Der Nationalpopulismus ist kein europäisches, sondern ein globales Phänomen. „America first“ lautet ein alter Slogan der amerikanischen Populisten, den der republikanische Außenseiter Pat Buchanan während der neunziger Jahre wieder aufleben ließ, und dieser radikale Abtreibungsgegner verkörpert im Übrigen die fundamentalistische Variante des Nationalpopulismus, die im durch und durch säkularisierten Europa nur randständig ausgebildet ist.5 Erfolgreicher als Buchanan lehrte der Milliardär Ross Perot bei den Präsidentschaftswahlen 1992 und 1996 das Establishment in Washington das Fürchten, indem er gegen den angeblichen wirtschaftlichen Ausverkauf Amerikas zu Felde zog. Hier besteht eine gewisse Übereinstimmung mit den „Steuerrebellen“, die vor allem in den nordeuropäischen Wohlfahrtsstaaten reüssierten. Fixpunkt ist jeweils die Frontstellung gegen den bürokratischen Staat, dem auch ehemals loyale Gruppen das Vertrauen entziehen und von dem vor allem Jüngere keine Segnungen und Posten mehr erwarten. Die Anhänger dieses „autoritären Liberalismus“ sind von ihren alten Milieus und Tabus entbundene Individualisten, die in der heutigen Weltrisikogesellschaft die Flucht nach vorn suchen. Dabei rekrutieren sie sich aus den Kreisen, die sozial am stärksten isoliert sind und am pessimistischsten in ihre eigene Zukunft und die ihres Landes blicken.

Einen Überblick über Prämissen, Dimensionen und Motive des Nationalpopulismus bietet Schaubild 1, das zwei Dimensionen berücksichtigt: die Links-Rechts-Achse des politischen Systems und die oben eingeführte Unterscheidung nach Territorialisten und Globalisten. Als allgemeine Voraussetzung der populistischen Mobilisierung kann man ausgeprägte politische Unzufriedenheit mit „denen da oben“ und eine fortgeschrittene Entfremdung von den etablierten Parteien konstatieren. Angezogen werden am ehesten Personen männlichen Geschlechts und jüngeren Alters mit autoritären Weltbildern und antidemokratischen Einstellungen. Der Widerstand gegen kulturellen Pluralismus und Einwanderung behält einen prominenten Platz; wo er in akute Fremdenfeindlichkeit umschlägt, bestehen auch enge Berührungspunkte zum herkömmlichen Rechtsradikalismus. Nicht zufällig sympathisieren nationalpopulistische Führungsfiguren und Anhänger mit dem „Geschichtsrevisionismus“, der nicht die NS-Verbrechen leugnet, aber einen Schlussstrich unter die „Vergangenheitsbewältigung“ zu ziehen sucht und damit auch einen sekundären Antisemitismus kultiviert.

Globalisierungskritik von rechts

Die ethnonationale Rechte kann man durchweg als „Antiglobalisierungspartei“ bezeichnen, die Schutz vor fremden Waren, Menschen und Ideen sucht und auf dieser Linie auch gegen die supranationale Europäische Union votiert. Doch hat mittlerweile auch die äußerste Rechte ideologischen Ballast abgeworfen und sich zu einer bedingten Befürwortung der wirtschaftlichen Globalisierung samt ihrer Folgen durchgerungen. Neoliberale Programmelemente finden sich jetzt bei fast allen Parteien, stets mit einem vermeintlich bürgerfreundlichen Autoritarismus gekreuzt, und zugleich stellen sich populistische Volkstribune schützend vor die so genannten Globalisierungsverlierer. Dass diese Kombination nicht sonderlich konsistent ist, stellt für ihre Wählerschaft offenbar kein Problem dar. Denn als „Minivolksparteien“ sprechen die Nationalpopulisten Verlierer genau wie Gewinner der Globalisierung an; ein fröhlicher Eklektizismus bezieht viele kulturelle Milieus und politische Lager ein und lässt sich in inhaltsleerer Fernsehberichterstattung auch problemlos verkaufen.

Damit kommt man zu der Frage, wo die Nationalpopulisten in Bezug auf die aktuelle Globalisierungskritik anzusiedeln sind. Gegnerschaft zur Globalisierung ist per se weder links noch rechts beheimatet. Perot war ein Beispiel dafür, dass es auch auf der Kapitalseite stets „territorialistische“ Gegner der „globalistischen“ Generaltendenz gab, die der kapitalistischen Weltgesellschaft eigen ist. Zum Wirtschaftsprotektionismus trat ein Kulturprotektionismus, das Aufflammen ethnischer Vorurteile und religiöser Bürgerkriege. Die Entgrenzung der Welt wird auf vielen Ebenen durch eine Renationalisierung konterkariert, auch wenn diese letztlich an der Beharrungskraft der globalen Abhängigkeiten scheitern muss. Wenn nicht der Nationalstaat, so gewinnt aber jedenfalls der Nationalismus an Boden.

Die Erfolge der amerikanischen Präsidentschaftsbewerber Buchanan und Perot sind nur so zu erklären, dass die libertäre Rhetorik und Praxis des Grenzenlegens, auf die sich Republikaner wie Demokraten eingelassen und (mit der von beiden Parteien gestützten Handelsvollmacht für den Präsidenten in der Außenhandelsgesetzgebung im Jahr 2002) geeinigt haben, in der Bevölkerung auf breiten Widerstand gestoßen ist. Diese Strömungen haben die Proteste in Seattle 1999, dem medialen „coming out“ der „Globalisierungsgegner“, nicht unerheblich beeinflusst. Die beiden telegenen Außenseiter legten ihre Finger in offene Wunden der Freihandelsideologie; sie mobilisierten amerikanische Arbeiter, die wegen der Verlagerung von amerikanischen Firmen ins Ausland und auf Grund der Billigimporte aus aller Welt ihre Jobs verloren hatten, oft unter Verödung einst blühender Industrielandschaften. Solche Energien nähren sich aus einem altamerikanischen Populismus, der traditionell gegen den Ausverkauf nationaler Interessen an ausländische Mächte und das Überhandnehmen wirtschaftlicher und politischer Macht in den USA kämpft.

Populismus kam in der ersten Globalisierungswelle Ende des 19. Jahrhunderts auf, erneuerte sich dann in der isolationistischen Abwehr des Kriegseintritts gegen Deutschland. Buchanan wandte sich auf dieser Linie gegen die Irak-Politik sowohl von George Bush sr. wie die seines Sohnes. Sein Buch „Der große Betrug. Wie amerikanische Souveränität und soziale Gerechtigkeit den Göttern der globalen Wirtschaft geopfert werden“ (1999) breitet das (typischerweise konspirationistische) Programm des heutigen Rechtspopulismus schon im Titel aus.

Ähnliche Argumentationsmuster benutzen Nationalpopulisten in Europa. Sie treten oft das Erbe wirtschafts- und sozialliberaler Parteien an, die – ähnlich wie in der Krisenphase zwischen den Weltkriegen – heutige „Globalisierungsverlierer“ mit fremdenfeindlichen, antisemitischen und protektionistischen Parolen ansprechen, wobei ihnen die übertriebene Globalisierungsrhetorik der neunziger Jahre unfreiwillig Nahrung verschaffte. Während Buchanan die Welthandelsorganisation als „namenlose, gesichtslose, vaterlandslose Bürokratie“ brandmarkt, rufen europäische Nationalisten ein bewährtes Gespenst mit Namen „Brüssel“ auf und machen Stimmung gegen die Osterweiterung der EU.

Den deutlichsten Affekt gegen die Globalisierung nähren neonationalsozialistische Strömungen; in Deutschland inszenieren sich NPD und rechtsradikale Skinheads als soziale Protestbewegung und gehen mittlerweile auch „für den Frieden“ auf die Straße. Ihre ausdrücklich antikapitalistische Rhetorik „gegen Sozialabbau und Globalisierung“ soll die Tradition des völkischen Sozialismus zum Leben erwecken („Arbeit für Millionen statt Profite für Millionäre“ und „Heimat statt Standort Deutschland“). Die politische Alternative ist für sie der ethnisch und politisch homogene Nationalstaat, in dem Werte der Volksgemeinschaft nicht mehr den „Götzen des Profits“ und „substanzlosen Menschenrechten“ geopfert werden sollen. Jüngste empirische Untersuchungen6 zeigen, dass bei den Anhängern des Nationalpopulismus und Rechtsradikalismus heute eine starke Korrelation mit rassistischen, antikapitalistischen und auch sexistischen Einstellungen vorliegt, wobei das Kapital in diesem Fall wegen seiner „internationalen“ und plutokratischen (alias jüdischen und/oder amerikanischen) Qualität abgelehnt wird.

Der oft als „Antizionismus“ maskierte Antisemitismus ist ein wichtiger Baustein der rechten und rechtsradikalen Globalisierungskritik, von der auch ideologische Trittbrettfahrer Gebrauch machen. Die dabei angewandte Strategie des kalkulierten Tabubruchs kann man als Kernaspekt einer Globalisierungskritik von rechts bestimmen, zu der in der Regel ein ins Globale extrapolierter „antizionistischer“ Affekt, also ein „aus dem Bauch“ kommender Antiamerikanismus, gehört.

Spektrum der Globalisierungsgegner

Globalisierungskritik allgemein umfasst heute ein breites Spektrum von Opposition, darunter kirchliche Gruppen, sozialistische und antiimperialistische Protestbewegungen, eine große Palette von Nichtregierungsorganisationen und nicht zuletzt Insiderkritik nach dem Muster von Joseph E. Stiglitz, George Soros u.a., die aus dem Inneren der kapitalistischen Finanzwirtschaft bzw. der transnationalen Regime deren entschiedene Reform im gesamtkapitalistischen Interesse verlangen.7 Dieses breite und pluralistische Spektrum ist in Schaubild 2 nach der bei Hirschman entlehnten Verhaltenstypologie von Abwanderung, Loyalität und Widerspruch systematisiert worden. Darin wird deutlich, dass man es bei rechten Globalisierungsgegnern mit echten sowie erklärten zu tun hat, die Aktionsmuster des Widerspruchs (Voice) mit Zielen der Abwanderung (Exit, im Sinne eines Rückbaus oder „Devolution“ der Weltgesellschaft) kombinieren.8 Dabei haben die europäischen Rechtsradikalen bereits ein transnationales Netzwerk aufgebaut, das vor allem über den Atlantik reicht, und die „Militia“-Bewegung in den USA kann wegen ihrer konspirativen Grundhaltung und auf Grund der aggressiven Aversion gegen „Weltregierungen“ aller Art als Musterbeispiel rechtspopulistischer Globalisierungskritik gelten.

Obwohl die NPD nur eine Splitterpartei ist und wenige Sympathisanten auf die Straße bringt, sahen sich linke Globalisierungskritiker in Deutschland schon des Öfteren veranlasst, auf Distanz zu gehen und ihren Antikapitalismus explizit zu begründen, nämlich nicht in antisemitischer Perspektive als Kritik am „raffenden Kapital“, sondern in universalistischer Kritik des global agierenden Finanzkapitals. Verschärft hat sich die Abgrenzungsproblematik noch einmal durch die Beteiligung rechtspopulistischer und rechtsradikaler Gruppen an den Antikriegsprotesten. NPD und andere bewegen sich hier in den Fußstapfen eines „Tiersmondisme“, der sich schützend vor von den USA angegriffene Nationen wie Irak stellt und hier wieder eine ethnopluralistische Ideologie verfolgt, die die Völker der Welt in ihrer jeweiligen Heimat fixiert und ihnen ein unbedingtes Selbstbestimmungsrecht gegen ausländische Investitionen und kulturelle Diffusion („McDonaldisierung“) einräumt.

Zwar pflegen auch amerikanische Neokonservative und europäische Neoliberale bisweilen eine sentimentale Heimatrhetorik, aber im Zweifel sind und bleiben sie „Globalisten“. Die in vielen europäischen Ländern regierenden Mitte-Rechts-Koalitionen huldigen höchstens einer Schwundform der nationalistischen Globalisierungskritik, indem sie – wie beispielhaft Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi – links-internationalistische Globalisierungskritik zum Feindbild aufbauschen und ihr die Fratze einer neokommunistischen Verschwörung aufsetzen. Die Anschläge auf das World Trade Center und das Pentagon am 11. September 2001 haben darüber hinaus weltweit antiislamische und antiarabische Reflexe ausgelöst, wie man etwa an dem Aufsehen erregenden Pamphlet der italienischen Journalistin Oriana Fallaci (2002) sehen kann. Solche Strömungen spielen weder im breiten Spektrum der Globalisierungskritik, also im „Volk von Seattle“, noch beim Weltsozialforum, mittlerweile in zahlreiche Regionalforen ausdifferenziert, eine bedeutende Rolle. Die beiden Strömungen in „antiextremistischer“ Perspektive zu vermengen, ist also gänzlich unangebracht. Ebenso wenig können sie die moderate, liberal-konservative Rechte beeindrucken und beeinflussen. Ironischerweise könnte aber der „Kampf gegen der Terror“ mit protektionistischen Maßnahmen die nationalpopulistische Rhetorik aufgreifen und ein Stück weit in die Tat umsetzen.

Anmerkungen

1  Vgl. Der Tagesspiegel, 20.3.2003.

2  Vgl. Charles Meier, Territorialisten und Globalisten. Die beiden neuen „Parteien“ in den heutigen Demokratien, in: Transit, Nr.14, 1997, S. 5–14.

3  Vgl. Leggewie, Rechtsextremismus – eine soziale Bewegung?, in: Wolfgang Kowalsky/Wolfgang Schröder (Hrsg.), Rechtsextremismus. Einführung und Forschungsbilanz, Opladen 1994, S. 325–338.

4  Hans-Jürgen Puhle,Was ist Populismus?, in: Helmut Dubiel (Hrsg.), Populismus und Aufklärung, Frankfurt a. M. 1986, S. 12–33.

5  Vgl. Michael Minkenberg, Die neue radikale Rechte im Vergleich. USA, Frankreich, Deutschland, Opladen 1998.

6  Vgl. dazu die Beiträge von Richard Stöss und Armin Pfahl-Traughber für ein Symposium des Bundesamts für Verfassungsschutz vom Juni 2002, die übrigens zeigen, dass der wesentliche Unterschied zwischen den Anhängern der äußersten Rechten und dem Mainstream der Gesellschaft bei männlich-chauvinistischen Haltungen deutlicher erkennbar wird als bei fremdenfeindlichen und antidemokratischen.

7  Vgl. Leggewie, Die Globalisierung und ihre Gegner, München 2003, S. 50 ff.

8  Vgl. Albert O. Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, Tübingen 1974.