Pi mal Daumen = passt schon
Klonforscher Hwang wurde beim Fälschen erwischt; unüblich war seine Praxis keineswegs
Sie hoben ihn zum Helden empor, druckten Briefmarken mit seinem Antlitz. Hwang Woo Suk war der Popstar der Bio-Forschung. Ein Nobelpreis schien in Griffweite. Die Nation fieberte mit ihm, sah eine große Zukunft, investierte. Kein Land gab mehr Geld für die Stammzellforschung aus.
Jetzt steht der große Menschen-Kloner klein und hässlich da. Südkorea ist in Tränen, die Kollegen sind konsterniert. Der deutsche Stammzellexperte Hans Schöler vom Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin, der Hwang kennt, mochte es zunächst gar nicht glauben. Und musste nun feststellen, dass der große Schmu ziemlich plump daherkam: „Zum Beispiel überlappen sich die Fotos, die zwei verschiedene Stammzellkolonien dokumentieren sollen. Sie müssen also aus derselben Petrischale aufgenommen worden sein und darin kann nur eine Stammzellkolonie gewesen sein.“ Und doch bleibt ein Quäntchen Hoffnung. Vielleicht, meint Schöler, vielleicht sei es Hwang ja „tatsächlich gelungen, menschliche embryonale Stammzellen zu klonen. Vielleicht nur einmal.“
Das große Fachblatt Science, das Hwangs tolle Taten herausposaunte, ist nun kleinlaut. Auch Nature kam auf den Hund – weil es gemeldet hatte, dass Hwang einen solchen geklont habe. Und sich nun fragen muss, wie wahr das wohl war. Jedes Mal, wenn wieder ein Wissenschaftsskandal publik wird, fragt sich die drängende Schar der Schaulustigen: Wie konnte das nur geschehen? Wie zum Beispiel konnte Weltstar Hwang im kritischen Umfeld seiner Top-Kollegen so lange bestehen? Und wie ist das mit unserem wunderbaren Ideal von Wissenschaft in Einklang zu bringen, vom demütigen, fleißigen Forscher, der Tag und Nacht das Röhrchen schüttelt, bis der Geistesblitz zuckt?
Vergessen wir den schönen Traum. Moderne Wissenschaft ist ein mörderisches Business geworden. Es geht um Geld und Geltung, um Patente und Karriere. Forschende Firmen wollen möglichst flott auf ihre Kosten kommen. Und auch die Wissenschaftsmagazine müssen ständig tolle Raketen abfeuern. Mit Themen und Erfolgsmeldungen, die täglich bahnbrechend, überraschend, sexy sind.
Diebstahl, Täuschung und Fälschung sind nicht die Regel, wohl aber an der Tagesordnung. Im letzten Sommer meldete ein großes Wissenschaftsmagazin, dass bei einer anonymisierten Umfrage für die US-amerikanischen National In-stitutes of Health ein Drittel der antwortenden 3247 Forscher angab, mindestens eine der zehn aufgelisteten Sünden schon einmal begangen zu haben. 15,5 Prozent erklärten, an Aufbau, Methode oder Ergebnissen einer Studie manipuliert zu haben. Jeder Zehnte hatte an der Autorenliste gebastelt. Sechs Prozent sagten, sie hätten schon einmal Daten unter den Tisch fallen lassen. Und zwei Prozent räumten veritablen Betrug ein.
Im Notfall lautet die Formel: Pi mal Daumen = passt schon. Hatte nicht schon Claudius Ptolemäus den Sternenkatalog abgeschrieben, Mönch Mendel seine Versuchsreihen zurechtgebogen, Newton das Gravitationsgesetz gemopst? War es nicht Robert Koch gewesen, der berühmte Entdecker des Tuberkuloseerregers, der mit „Tuberkulin“ das große Geschäft machen wollte? Ein hässlicher Fehlschlag. Sein Kollege Wagner-Jauregg, der die Syphilis mit Malariafieber zu heilen suchte, bekam für diese tödliche Therapie tatsächlich den Nobelpreis.
Selbst Einstein soll Messwerte unterschlagen haben, weil sie gerade nicht zur Hypothese passten. Vor 100 Jahren machte der französische Physiker René Blondlot Furore, der kurz nach Kollege Röntgen ebenfalls neue Strahlen entdeckt haben wollte: die N-Strahlen. Ein paar Jahre später war klar: alles ein Fake.
Fälle über Fälle. Letzte Gewissheiten sind eben auch in den vermeintlich exakten Naturwissenschaften rar. Was soll so ein armer Archäologe, der seit Jahren nichts gefunden hat, auch machen? Also vergräbt man eben, wie im Fall Shinichi Fujimura, das Steinzeitwerkzeug, um es anschließend zu entdecken; erfindet einen Archaeoraptor, den angeblichen Urvogel, oder lässt sich umgeschnitzte Kuhhörner in Südostasien als neues Säugetier aufschwatzen und nennt es pseudonovibos spiralis.
Auch die Physiker sind nicht gefeit. In Erinnerung ist etwa der Festkörperphysiker Jan Hendrik Schön, ein Star der Branche, der um die Jahrtausendwende mit hochkarätigen Werken zur Nanotechnologie Aufsehen erregte. Schön wurde vielfach preisgekrönt, sollte ein Max-Planck-Institut leiten. Dann stellte sich heraus, dass sein Werk frisiert, teilweise gar ganz frei erdichtet war.
Die Motive sind so vielfältig wie die menschlichen Schwächen. Manchmal ist es einfach nur Geldgier. Und die Industrie zahlt, um missliebige Ergebnisse zu unterdrücken. Oft ist wirre Selbstüberschätzung im Spiel, ein tiefer Glaube an die eigene These. Oder man schubst ein wenig, um erster an den Fördertöpfen zu sein. Zuweilen liefert einer nur das lang ersehnte Ergebnis, das sich alle Kollegen so sehnlich wünschen.
Hinzu kommen die Zwänge des Wissenschaftsbetriebs: publish or perish! Die Publikationsliste muss viel hermachen. Notfalls hilft das Internet, ein wenig cut and paste – übersetzen, umschreiben, aufblasen. Wer wollte ernstlich prüfen, was genau in den 60 000 Fachblättern steht. Da kann man per Mausklick promovieren. Die ganze Welt ein Textbaustein.
Dort, wo die großen Hoffnungen sind und das große Geld wartet, scheint der Betrug in Serie zu gehen. In der Krebsforschung etwa oder bei der Gentherapie. Gerade in der Medizin wird ja gerne gleich mal gehandelt. Schließlich warten die Patienten schon. Dabei waren schon die allerersten Bluttransfusionen mit Schafblut gar nicht gesund. Der Genforscher Luk Van Parijs wurde im letzten Herbst vom Massachusetts Institute of Technology gefeuert. Auch hier hat Deutschland ein Paradestück im Archiv, das Duo Friedhelm Herrmann/Marion Brach. Einst waren sie Hoffnungsträger der deutschen Krebsforschung. Bis sich herausstellte, dass sie mehr als 90 Studien manipuliert hatten, um Geld und Ruhm zu erlangen. Bis dahin hatte der deutsche Wissenschaftsdünkel geglaubt, Betrug sei eher etwas für Angelsachsen.
Wissenschaft braucht Ehrlichkeit. Nach all den Skandalen gibt es nun viele Ehrenkodizes und allerlei neue Kontrollinstanzen im Wissenschaftsbetrieb, die Schutz bieten sollen. Etwa das Ombudsman-Gremium der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Und Südkorea findet Trost in der Tatsache, dass es die eigenen Kollegen waren, die den Hwang-Ballon platzen ließen. Aber der Zweifel lauert weiter überall: Haben nicht doch die Chinesen Amerika entdeckt? Und wo genau kommt eigentlich dieser Text her?
TOM SCHIMMECK, geb. 1959, schreibt als Journalist über politische und Wissenschaftsthemen für DIE ZEIT, die Süddeutsche Zeitung, das österreichische Magazin Profil und die schweizerische Zeitschrift Facts.
Internationale Politik 2, Februar 2006, S. 108 - 109