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01. Mai 2007

Rechner für alle Welt

Technologie

Die Menschheit goes online: Der 100-Dollar-Laptop soll den Globus verändern

Der erste Computer war ein Ungetüm. Konrad Zuses Z3, gebaut 1941, war so groß wie ein Zimmer und wog etwa eine Tonne. Kaum mehr vorstellbar, wenn man die kleinen Notebooks betrachtet, die wir uns unter den Arm klemmen. Auch können sie vieltausendmal mehr. Es gibt sie millionenfach. In den reichen Ländern hat bald jeder Zugang zu so einem Ding. Es steht außer Zweifel, dass diese Maschinen unser Leben kolossal verändert haben. Zum Guten.

Wäre schön, wenn jeder einen hätte. Kinder zumal, weil sie damit lernen, die Welt ertasten und Fertigkeiten erwerben können, die ihnen eine bessere Zukunft eröffnen. Just dieses ist das Ziel der Initiative OLPC – Abkürzung für: One Laptop per Child, ein Geschöpf von Nicholas Negroponte; in den Achtzigern Gründer des Media Lab am Massachusetts Institute of Technology und somit ein Hohepriester der digitalen Welt. Negroponte, ein smarter Selbstvermarkter, hat den langen Weg vom Spinner zum weltweit gefragten Guru hinter sich gebracht. Als ich ihn vor Jahren fragte, welches Stadium er bevorzuge, sprach er: „Es hat viel mehr Spaß gemacht, für verrückt gehalten zu werden. Nun denken alle, ich habe recht, und es wird irgendwie langweilig.“

Um die Ödnis seiner Prominenz ein wenig zu lindern, hat sich Negroponte vorgenommen, alle Kinder auf Mutter Erde mit einem Laptop auszustatten. Er will die Menschheit einloggen. Und er ist nicht allein. Die UN stehen hinter ihm, dazu Sponsoren wie Google, der Chiphersteller AMD und Rupert Murdoch. Die Idee:  Fangen wir bei den Kindern an. Schaffen wir einen modernen, kindgerechten Computer, vollgepackt mit moderner, robuster Technik, der dank enormer Stückzahlen billig wird. „Jedes Problem auf dieser Welt lässt sich auf die eine oder andere Art durch Bildung lösen“, glaubt Negroponte. Das Gerät soll en gros an die Regierungen von Entwicklungsländern verkauft und von diesen an Schulkinder verteilt werden. Noch für dieses Jahr ist der Beginn der Massenproduktion geplant, in einer chinesischen Fabrik der taiwanesischen Firma Quanta, die etwa 30 Prozent aller Notebooks weltweit herstellt. Sobald fünf bis zehn Millionen Stück geordert und bezahlt sind. Startländer sind Argentinien, Brasilien, Uruguay, Libyen, Nigeria, Ruanda und Thailand. Einen Prototyp gibt es bereits – den XO, ein grünes, nur anderthalb Kilo schweres Wunderding, robust, staub- und wasserfest, mit Gummitastatur und ausklappbaren Hasenohren. Die Ohren fungieren als Antennen. Die Computer verbinden sich unkompliziert miteinander und, sofern ein Zugang vorhanden ist, auch drahtlos mit dem Internet. Das Betriebsystem heißt „Sugar“ – ein abgewandeltes Linux-System. Microsoft ist darüber wenig erfreut. Derzeit, sagen die Organisatoren, koste das Gerät etwa 150 Dollar. Doch der Preis werde bald weiter fallen.

Die Konstrukteure haben sich über die Lebensverhältnisse in der Dritten Welt fraglos Gedanken gemacht. Das Ding hat ein Spezialdisplay, das auch bei hellem Sonnenlicht zu lesen ist. Störanfällige Festplatten und CD-Laufwerke gibt es nicht, nur Flashspeicher und USB-Verbindungen. Der Energieverbrauch ist mit sieben Watt minimal. Wird das Gerät zum Lesen als E-Buch verwendet, verbraucht es angeblich nur 300 Milliwatt. Zudem kann der Energiespeicher per Zugseil oder Kurbel wieder aufgeladen werden. Und es gibt viele clevere Ideen für andere Energiequellen – von kleinen, schon verfügbaren Solarpanels bis zu neuen Batterien, die sich beim Laufen im Schuh aufladen.

Doch kann der XO zur Wunderwaffe im Kampf gegen die „digitale Kluft“ zwischen reichen und armen Ländern werden? Jeder, der (wie der Autor) in der falschen Ecke Deutschlands wohnt, in jenen Winkeln, die die Telekom für unprofitabel erachtet und deshalb nur mit antiker Technologie versorgt, hat eine Ahnung davon, was es bedeutet, abgehängt zu sein. (Abgehängter übrigens als in vielen Metropolen Afrikas.) Keine Frage: Computer erleichtern das Lernen und bieten kreatives Potenzial, sie erweitern, entsprechende Vernetzung vorausgesetzt, den Horizont, ermöglichen weltweiten Austausch und schaffen so auch neue Bildungs- und Businessmöglichkeiten.

Und doch gab es schon zu Negropontes Media-Lab-Zeiten Zweifel an seiner von vielen Firmen finanzierten Technologie-Vergötterung. Als typisch amerikanisch empfinden Kritiker die Methode, die Welt von oben herab mit neuer Technik retten zu wollen. Zudem sind auch 100 bis 150 Dollar für wirklich bedürftige Länder ein hoher Preis. Vor allem für bevölkerungsreiche Staaten wie Nigeria. Etwa 45 Millionen Kinder von 6 bis 18 Jahren leben hier. Nur die Erstklässler mit den grünen Maschinchen auszustatten, würde fast 15 Prozent des nigerianischen Staatshaushalts verschlingen. Indien (200 Millionen Schulkinder) ist im letzten Sommer offiziell abgesprungen. Das Erziehungsministerium hatte pädagogische Bauchschmerzen. Es gebe da eine Technologie namens Schule, ergänzte ein indischer Kritiker, „mit einem Klassenraum, einem Lehrer, einer Tafel und, jawohl, einer Toilette. Ein unglaublich hoher Anteil unserer Kinder hat keinen Zugang zu dieser essenziellen Technologie. Das sollte unsere Priorität sein.“ Nicholas Negroponte hat das nicht gerne gehört. Er wittert eine „orchestrierte Kampagne“.

Den neuesten Stand findet man unter olpcnews.com.

TOM SCHIMMECK, geb. 1959, schreibt als freier Journalist über Politik und Wissenschaft für Zeitungen, Magazine und fürs Radio.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 5, Mai 2007, S. 122 - 123.

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