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01. Juli 2014

Partnerschaft auf dem Prüfstand

Deutschland, Polen und die Zukunft der europäischen Ostpolitik

Zwei große Krisen waren es, die die Zusammenarbeit in Europa zuletzt auf eine Bewährungsprobe stellten. Trug die Euro-Krise eher dazu bei, Deutsche und Polen einander näher zu bringen, so drohen die Verwerfungen in der Ukraine, das polnisch-deutsche Verhältnis nachhaltig zu beschädigen. Vorschläge für eine gemeinsame Ost- und Sicherheitspolitik.

Wenn die Ukraine-Krise eine Art Lackmustest für die Fähigkeit Polens und Deutschlands war, gemeinsam eine funktionierende Ostpolitik zu gestalten, dann fällt die Zwischenbilanz bestenfalls mittelprächtig aus. Natürlich, nach außen ist es ganz gut gelungen, eine gemeinsame Linie zu präsentieren. Doch die Krise offenbarte gravierende Meinungsunterschiede, die durch den Zwang zum gemeinsamen Handeln in den Hintergrund gerieten, die aber eine einvernehmliche Ost- und Sicherheitspolitik Warschaus und Berlins – und damit der EU – schon bald belasten könnten.

Unter einem guten Stern

Dabei stand diese Politik in den vergangenen Jahren im Grunde unter einem ausgesprochen guten Stern. Nicht nur, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel und der polnische Premier Donald Tusk ein durchaus vertrauensvolles Verhältnis pflegten, es gelang auch, in zentralen außenpolitischen Fragen zu einer Annäherung zu gelangen. Unter Tusk arbeitete Polen erfolgreich gegen seinen Ruf an, ein geradezu russophobes Land zu sein. Obwohl die Zeiten dafür nicht günstig waren, bemühte sich die Regierung, eine pragmatische Politik gegenüber Moskau zu betreiben und Möglichkeiten einer Zusammenarbeit auszuloten. Nicht einmal der Konflikt um die Ukraine vermochte die polnische Haltung grundlegend zu ändern.

Noch im Dezember 2013 besuchte der russische Außenminister Sergei Lawrow Polen. Mit seinem Kollegen Radoslaw Sikorski unterzeichnete er das „Programm 2020 für die polnisch-russischen Beziehungen“, das eine Reihe von Prioritäten benannte, da­runter Moskaus Unterstützung für die polnischen Bemühungen um einen nichtständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen.

Polens Wende im Verhältnis zu Russland wurde in Berlin ebenso begrüßt wie umgekehrt der sichtlich nüchternere – man könnte auch sagen: ernüchterte – deutsche Blick auf Putins Russland in Warschau. In ostpolitischen Fragen schienen Warschau und Berlin immer öfter eine gemeinsame Sprache zu finden.

In gewisser Hinsicht gilt dieser Befund auch für andere sicherheitspolitische Fragen: Polen und Deutschland bezogen in den Konflikten um Libyen und Syrien ähnliche oder identische Positionen; Warschau schloss sogar noch entschiedener als Berlin die Beteiligung an einem Syrien-Einsatz aus.

Polens Sicherheitspolitik erfuhr zu dieser Zeit, wichtiger noch, eine Art „Europäisierung“. Schaute man von Warschau aus zuvor eher nach Amerika, so wurde die transatlantische Orientierung nach Obamas Entscheidung, einen Neustart der Beziehungen zu Moskau zu versuchen und auf die vierte Phase bei der Stationierung des europäischen Raketenabwehrsystems in Polen zu verzichten, zugunsten einer europäischen Orientierung korrigiert. Polen war in den vergangenen Jahren möglicherweise der engagierteste Befürworter einer Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) und förderte aktiv Initiativen des Weimarer Dreiecks aus Frankreich, Polen und Deutschland, die eine solche Politik aufwerten sollten.

Polnische Ängste

Eine der entscheidenden Auswirkungen der Ukraine-Krise auf Polens Gesellschaft war psychologischer Natur: Das Gefühl, in Sicherheit zu leben – ein Gefühl, das in den 25 Jahren zuvor kontinuierlich angestiegen war – wurde durch die Ereignisse in der Nachbarschaft nachhaltig erschüttert. Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts CBOS ist der Anteil der Polen, die eine Bedrohung für die Unabhängigkeit des Landes sehen, mit 47 Prozent heute am höchsten seit 1991, also seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Und zum ersten Mal ist dieser Anteil größer als der Prozentsatz derer, die sich sicher fühlen.

Dabei ist es weniger eine unmittelbare Bedrohung, die diesen Stimmungsumschwung verursacht hat. Es ist eher ein diffuses Gefühl, dass die ukrainische Krise kein geopolitischer „Arbeitsunfall“ und auch kein regionaler Konflikt mit beschränkter Reichweite ist, sondern ein fundamentaler Anschlag auf die internationale Ordnung, der die zuvor verbindlichen Spielregeln geändert hat. Hinzu kommt die Ungewissheit über die weiteren Pläne der russischen Führung und die beklemmende Erkenntnis, dass die Post-1989-Ära der Stabilität und des Friedens zu Ende geht.

In Polen sind sich die Experten weitgehend einig, dass das Vorgehen Putins innenpolitisch motiviert ist: Da der Versuch einer westlich orientierten Modernisierung gescheitert ist, setzt Moskau darauf, der russischen Gesellschaft ein nationalistisches, antiwestliches und revisionistisches Projekt anzubieten – mit Erfolg.

Die Chancen auf eine Verständigung mit Moskau, die auf einer rationalen Kosten-Nutzen-Rechnung basiert, werden dementsprechend als gering eingeschätzt. „Wir müssen uns auf eine dauerhafte Instabilität im Osten einstellen und als Konsequenz auf mögliche Störungen bei Öl- und Gaslieferungen nach Europa“, erklärte Außenminister Sikorski im Mai vor dem Sejm.

Unentbehrlicher Partner

Die deutsch-polnische Zusammenarbeit in der Ukraine-Krise beschränkte sich keineswegs auf die deutsch-polnisch-französische Vermittlungsaktion zur Beendigung der Gewalt auf dem Maidan Ende Februar. Angesichts der dramatischen Entwicklungen in der Ukraine und der russischen Aggression legten Berlin und Warschau (und mit ihnen die ganze EU) ein geradezu bemerkenswertes Maß an Nüchternheit und Konsens­orientierung an der Tag.

Zwar zeigte Deutschland sich wesentlich zuversichtlicher, eine einvernehmliche Lösung des Konflikts zu erreichen als Polen, das sich einen härteren Umgang mit dem Putin-Regime wünschte. Dennoch war Warschau bereit, die konsensfähige Linie mitzutragen, die auf drei Pfeilern beruhte: erstens, begrenzte Sanktionen gegen Russland; zweitens, finanzielle und politische Unterstützung für die neue ukrainische Führung; drittens, das Offenhalten der diplomatischen Kanäle zu Russland.

Mehr noch: Ungeachtet der Kritik von Seiten der nationalkonservativen Opposition ließ sich die Regierung Tusk nicht davon abbringen, ihren Ukraine-Kurs eng mit Berlin abzusprechen. Hintergrund war die Überzeugung, dass nur ein gemeinsames Auftreten der EU Früchte tragen könne – selbst wenn dadurch nicht alle polnischen Ansprüche berücksichtigt werden sollten.

Zwar ist man sich auf polnischer Seite im Klaren darüber, dass zwischen Warschau und Berlin nach wie vor erhebliche Meinungsverschiedenheiten in der Frage bestehen, wie man seine Ostpolitik gestalten möchte. Doch in Polen weiß man auch, dass Deutschland die Schlüsselfigur für die Beziehungen zum Osten ist und dass Berlin der einzige starke Partner ist, der zumindest bereit ist, sich die polnische Argumentation anzuhören. Auch wenn die ukrainische Krise die wichtige Rolle Polens bei der Gestaltung einer europäischen Außenpolitik bestätigt hat, hat sie doch gleichzeitig gezeigt, dass Warschau nicht ohne Weiteres mit der bedingungslosen Unterstützung seiner Partner rechnen kann. Außer den baltischen Ländern scheint kein EU-Land das Gefühl der Bedrohung, die von Russland ausgeht, in gleichem Maße zu teilen wie Polen.

Aus der Perspektive Warschaus war man vor allem von der Zusammenarbeit in der Visegrád-Gruppe – Polen, Slowakei, Tschechien, Ungarn – enttäuscht. Diese Gruppe, die in den vergangenen Jahren zu den wichtigen Instrumenten der polnischen Europapolitik gehörte, konnte sich nicht auf eine gemeinsame Position zur Ukraine-Frage einigen.

In dieser Situation erwies sich Deutschland als unentbehrlicher Partner, auch wenn die Zweifel an der deutschen Haltung in Warschau nie ganz verstummen wollten. Das betrifft nicht nur die ausführlich zitierten und kommentierten prorussischen Aussagen deutscher Publizisten und (Ex-)Politiker, sondern vielmehr die Sorge davor, dass Deutschland sich weigern könnte, Warschau in den für das Land langfristig strategisch wichtigen Fragen zu unterstützen. Ein Problem, das vermutlich für die gesamte EU gilt. Denn während die Ukraine-Krise ein gemeinsames Handeln zu erzwingen vermochte, gibt es viele Anzeichen dafür, dass das wesentlich schwerer wird, wenn sich die Lage wieder entspannt hat und Schlussfolgerungen für die künftige Politik der EU – nach innen wie nach außen – zu ziehen sind.

Deutsch-polnische Dissonanzen

All das gewinnt an Brisanz vor dem Hintergrund, dass es eine ganze Reihe von deutsch-polnischen Themen gibt, die besonders krisenanfällig sind. In Konfliktsituationen wie der in der Ukraine treten die unterschiedlichen Positionen mit besonderer Kraft zutage – aller diplomatischen Kunst zum Trotz.

Da ist etwa der Artikel 5 des Nordatlantikpakts, der den Bündnisfall definiert. Ende der neunziger Jahre hatte man beschlossen, dass auf dem Territorium der östlichen NATO-Mitglieder keine militärischen Anlagen und Einheiten des Bündnisses stationiert werden sollten – eine Formel, mit der man den Einwänden Russlands entgegentreten wollte.

Angesichts der neuen Sicherheitslage und den in Polen verbreiteten Ängsten fordert Warschau die volle Einlösung des Artikels 5, womit auch die politische und militärische Mitgliedschaft zweiter Klasse im Bündnis beseitigt würde. Der deutliche Einspruch Deutschlands, der sehr früh von Außenminister Frank-Walter Steinmeier dagegen hervorgebracht wurde, wird in Warschau als mangelndes Verständnis von Seiten des wichtigsten EU-Partners für die Bedrohungssituation interpretiert, in der sich Polen – zumindest nach subjektivem Gefühl – befindet.

Zudem wünscht Warschau sich, dass die NATO mehr unternimmt, um der Ukraine zu helfen, etwa, indem sie die bestehenden Möglichkeiten einer militärischen Unterstützung und Aufrüstung der ukrainischen Armee ausschöpft. Auch in dieser Frage scheint Berlin grundsätzlich anderer Meinung zu sein. Kommt noch hinzu, dass Angela Merkel Verständnis für den französischen Mistral-Deal mit Russland geäußert hat – nicht gerade die Art von Stellungnahme, die dazu angetan ist, Deutschlands Glaubwürdigkeit in Polen zu stärken.

In dieser Situation gewinnt die „atlantische Option“ – die Zusammenarbeit mit den USA – in der polnischen Sicherheitspolitik wieder an Bedeutung. Die Vereinigten Staaten, die sich relativ spät für eine Lösung der ukrainischen Krise engagierten, waren bereit, auf das polnische Sicherheitsbedürfnis zu reagieren. Gleich nach dem Referendum auf der Krim schickte Washington zwölf Kampfflugzeuge und einige Hundert Soldaten nach Polen.

Zudem versicherte die US-Regierung, dass man keineswegs vorhabe, die Pläne des Baus eines Raketenabwehrschilds in Polen aufzugeben; die polnische Komponente des Vorhabens werde planmäßig bis 2018 eingerichtet. Im April 2014 unterzeichneten die Verteidigungsminister Tomasz Siemoniak und Chuck Hagel in Washington das „Programm für Solidarität und Partnerschaft“, das eine Reihe gemeinsamer Vorhaben umfasst, darunter die Ankündigung, in Polen langfristig amerikanische Einheiten zu stationieren.

Die neuen Töne in der sicherheitspolitischen Debatte in Polen dürften auch Einfluss auf die bevorstehenden Entscheidungen in Sachen Rüstungseinkäufe haben. Polen wird in den kommenden zehn Jahren 34 Milliarden Euro für die Modernisierung der Armee ausgeben – das ist das größte Rüstungsprogramm in der EU. Die polnische Regierung hat angekündigt, dass sie auch angesichts der Situation in der Ukraine die Entscheidungen über die wichtigsten Verträge beschleunigen und schon im Herbst 2014 fällen möchte.

Bei den Verhandlungen über die Errichtung des Raketenabwehrschilds oder den Erwerb moderner Hubschrauber konkurrieren europäische Anbieter wie Thales mit amerikanischen wie Raytheon.
Aus Sicht der Befürworter einer starken europäischen Rüstungsindustrie spräche fraglos Einiges für eine Wahl europäischer Anbieter. Und immerhin erwägt Polen den Beitritt zur europäischen Airbus Group. Allerdings hat Außenminister Sikorski erst im Mai vor dem Sejm von der Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten geschwärmt, die „unserem Militär den Zugang zu modernstem Gerät gewähren sollte“.

Träge und technokratisch

Auch über die Ursachen des Scheiterns des Vilnius-Gipfels der Östlichen Partnerschaft im November 2013 gehen die Meinungen zwischen Deutschland und Polen stark auseinander. In Polen konzentriert sich die Diskussion, die im Grunde eine Debatte über die EU-Ostpolitik insgesamt ist, auf die mangelnde Entschlossenheit der EU, auf ihre Trägheit und das Fehlen einer scharfen Reaktion auf das russische Vorgehen. Die Europäische Union habe die Attraktivität ihres Modells überschätzt. Sie habe geglaubt, dass sie mit ihrer Soft Power und ihrer wirtschaftlichen Stärke in der Lage sei, alle Hindernisse zu überwinden, wie es Außenminister Sikorski kürzlich bei einem Treffen von Carnegie Europe in Brüssel formulierte.

Die EU sei das Unternehmen Partnerschaft zu technokratisch angegangen, heißt es in Polen, ohne die politische Dynamik in den Ländern der Östlichen Partnerschaft zu berücksichtigen und zusätzliche Anreize für diese Länder zu schaffen. Zudem sei man nicht imstande gewesen, eine angemessene Antwort auf die Handelsrestriktionen Moskaus und die Instrumentalisierung der ukrainischen Gasabhängigkeit zu geben.

Viele Aspekte dieser Selbstkritik werden auch von deutschen Diplomaten, Politikern und Experten geteilt. Doch insgesamt setzt man die Schwerpunkte anders. Den Hauptfehler der EU sieht man in Deutschland darin, das grundsätzlich richtige Angebot der Assoziierung der Ukraine nicht ausreichend gegenüber Moskau kommuniziert zu haben.

Diese Bewertung geht von der Grundannahme aus, dass man den Assoziierungsprozess der Ukraine mit der EU so hätte gestalten können, dass er die wirtschaftlichen Interessen Russlands (und der Ukraine selbst) nicht berührt hätte und von Moskau nicht als gegen Russland gerichteter Schritt hätte aufgefasst werden können.

Diese Betrachtungsweise bedeutet weder, dass man die europäischen Ambitionen der Ukraine gering schätzte, noch, dass man einer Verständigung mit Russland über die Köpfe der Ukrainer hinweg das Wort redete. Aber anders als im polnischen Narrativ steht hier die Überzeugung im Vordergrund, dass es notwendig gewesen wäre, einen Modus Vivendi mit Russland zur EU-Integration der Ukraine zu finden.

Alles andere als einig

Schließlich erfährt Polen ausgerechnet für sein zentrales europapolitisches Anliegen – die Energieunion – nur eine bestenfalls laue Unterstützung von Seiten seines wichtigsten Partners. Und das, wo es sich um ein Projekt handelt, das die Abhängigkeit der EU von russischen Energieimporten reduzieren und die Verhandlungsposition der EU gegenüber externen Lieferanten generell stärken würde. Der im April vorgestellte Plan der polnischen Regierung sieht vor, eine Agentur ins Leben zu rufen, die im Namen der EU Gas- und Ölimportverträge aushandelt.

Ein Gelingen dieses Projekts wäre umso wichtiger, als ja einer der wichtigsten russischen Kanäle der politischen Einflussnahme und Spaltung der EU die Differenzierung der Gaspreise und Energiezusammenarbeit je nach dem Stand der bilateralen Beziehungen und politischen Präferenzen ist. Heute noch zahlen die mittel- und osteuropäischen Länder wesentlich mehr für ihr Gas als etwa Deutschland. Ein einheitlicher Preis, der durch eine gemeinsame EU-Institu­tion ausgehandelt würde, könnte dem einen Riegel vorschieben.

Bei diesem polnischen Herzens­projekt wäre die Unterstützung Deutschlands, dem wichtigsten Partner Russlands im Gasgeschäft, naturgemäß von entscheidender Bedeutung. Doch obwohl Berlin immer wieder seine grundsätzliche Unterstützung für die Energieunion erklärt, ist nicht zu übersehen, dass man sich in zahlreichen Fragen alles andere als einig ist. Gerade mit dem zentralen Punkt, der Einkaufsagentur, kann die deutsche Seite überhaupt nichts anfangen. So erklärte Außenminister Steinmeier in seiner Rede beim Second Energy Security Summit der Münchner Sicherheitskonferenz Ende Mai, man dürfe die Energieunion „nicht missverstehen als Rückweg in die Energiestaatswirtschaft mit der Schaffung von Einkaufskartellen“.

Am Wendepunkt?

Es wird nicht unbedingt, oder doch nicht in erster Linie die (Sanktions-)Politik gegenüber Russland sein, an der sich die Zukunft der deutsch-polnischen Ostpolitik entscheidet. Denn auch Polen hat ja aus wirtschaftlichen Gründen kein Interesse an einer offenen Konfrontation mit Moskau. Aus Warschauer Sicht wird das deutsch-polnische Verhältnis seinem wichtigsten Test in der NATO- und EU-Politik unterzogen werden.

Die entscheidende Lehre, die Warschau aus der Ukraine-Krise gezogen hat, besteht darin, dass Solidarität und Zusammenarbeit im transatlantischen und europäischen Rahmen unabdingbar sind, um den neuen Bedrohungen entgegenzutreten. Inwieweit Deutschland bereit ist, sein wirtschaftliches und politisches Gewicht dafür einzusetzen, erscheint aus polnischer Sicht als die Schlüsselfrage. Nicht minder wichtig wird die finanzielle und politische Unterstützung für die Stabilisierung und Transformation der Ukraine. Ist Deutschland bereit, sie langfristig anzulegen, und wird Berlin imstande sein, der Versuchung zu widerstehen, einen faulen Kompromiss mit Russland (z.B. um den Preis einer russlandkonformen föderalen Reform der Ukraine) einzugehen?

Polen und Deutschland bleiben unentbehrliche Partner für eine erfolgreiche EU-Ostpolitik. Nach der Phase des Schulterschlusses angesichts der dramatischen Ereignisse wird – hoffentlich früher als später – eine Phase kommen, in der konkrete Schlussfolgerungen für die weitere Strategie gezogen werden. Die Diskussion darüber wird wegen der genannten Differenzen nicht ganz einfach werden. Somit wird die Aufgabe, eine neue Politik gegenüber Russland und anderen östlichen Partnern zu formulieren, die Tragfähigkeit der bisher erfolgreichen deutsch-polnischen Partnerschaft in der EU auf den Prüfstand stellen.

Piotr Buras ist Leiter des Warschauer Büros des European Council on Foreign Relations. Daneben arbeitet der Politikwissenschaftler als Kommentator für mehrere Zeitungen.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 4, Juli/August 2014, S. 41-47

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