IP

01. Jan. 2008

Partner oder Kontrahenten?

EU und USA werden auch künftig eher für sich selbst als miteinander arbeiten

Der Irak-Krieg hat den Dissens über die Behandlung außereuropäischer Konflikte verschärft. Mit Blick auf die Zukunft der transatlantischen Beziehungen stellt sich daher die Frage, welche Ursachen diesen Differenzen zugrunde liegen und ob der Westen in Zukunft wieder in der Lage sein wird, globale Probleme gemeinsam zu lösen. Eine Analyse.

Der Irak-Krieg hat zu einem tiefen Zerwürfnis zwischen Deutschland und Frankreich einerseits und den Vereinigten Staaten andererseits geführt. Die Europäer kritisierten vor allem, dass die Kriegskoalition unter der Führung der USA den Irak im März 2003 ohne ein legitimierendes Mandat des UN-Sicherheitsrats angegriffen habe. Inzwischen ist zwar der Konflikt zwischen den transatlantischen Partnern durch kooperativere Umgangsformen eingehegt worden, aber über die Behandlung von Konflikten außerhalb des atlantischen Raumes bestehen weiterhin große Meinungsverschiedenheiten. Die Divergenzen rühren speziell daher, dass beide Partner aufgrund struktureller Faktoren – insbesondere der zwischen ihnen bestehenden Machtasymmetrien – und aufgrund ihrer spezifischen kulturellen Prägungen unterschiedlich auf die globalen Herausforderungen reagieren.

Da die gegenwärtigen transatlantischen Meinungsverschiedenheiten vor allem strukturelle Ursachen haben, ist nicht zu erwarten, dass sie bei einem Wechsel der Administration in Washington im Januar 2008 völlig verschwinden werden. Sie können zwar durch einen konzilianteren Regierungsstil gemildert werden, aber eine gemeinsame transatlantische Strategie zur Bewältigung der neuen Risiken ist nicht in Sicht. Vorstellbar sind nur taktische Annäherungen und z.B. ein stärkerer Rückgriff auf multilaterale Institutionen.

Freilich sprechen weder Europa noch Amerika mit einer Stimme. Die Europäische Union bemüht sich zwar um eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, aber gerade in Fragen der Verteidigung liegt die letzte Entscheidung weiterhin bei den 27 Mitgliedsstaaten. Außerdem haben West- und Osteuropäer verschiedene Vorstellungen über mögliche Bedrohungen. In den USA vertreten der Präsident, die verschiedenen Zweige der Administration und der Kongress häufig unterschiedliche Positionen; unter dem Eindruck des Irak-Krieges müssen auch die Stimmungen einer zunehmend kritischeren Öffentlichkeit berücksichtigt werden. Im Folgenden dienen daher „europäische“ und „amerikanische“ Positionen nur als Chiffren oder Annäherungen an eine wesentlich komplexere Realität. Außerdem verändern sich politische Positionen über die Zeit; es kann daher nur um Momentaufnahmen außenpolitischen Verhaltens gehen.

Transatlantische Prägungen

Verhalten sich Europa und die USA bei außereuropäischen Krisen als gemeinsamen Werten und Traditionen verpflichtete Partner oder sind sie zu globalen Kontrahenten geworden? Zusammenarbeit verlangt, dass Staaten, deren Ziele und Werte sich nicht in natürlicher Übereinstimmung befinden und die unterschiedliche Interessen verfolgen, ihre Aktionen miteinander koordinieren.1 In den transatlantischen Beziehungen bedeutet dies, dass Europa und Amerika nach gemeinsamen Lösungen suchen müssen. Die auftretenden Probleme haben ihre Ursachen vor allem in den Machtasymmetrien zwischen Europa und Amerika, die nicht mehr durch eine gemeinsame Bedrohung relativiert werden. Sie sind außerdem eine Folge differierender Werte, Überzeugungen und Erfahrungen sowie unterschiedlicher Vorstellungen über die beste Weltordnung; um sie zu verwirklichen und ihre Ziele zu erreichen, benutzen beide Seiten unterschiedliche Strategien und Instrumente.

Die europäischen Vorstellungen von einer idealen Welt beruhen auf den Lehren von John Locke und seinem Ideal eines „social contract“. Entsprechend streben die Europäer einen internationalen Gesellschaftsvertrag an. Der Maßstab ihres Handelns ist das Völkerrecht, und die bevorzugten Instrumente sind internationale Institutionen, multilaterale Verhandlungen, wirtschaftliche Anreize und Handel. Die Europäer sind zutiefst davon überzeugt, dass Freiheit und Demokratie geschützt und erhalten werden müssen, aber wichtiger als ein Demokratie-export in Versagerstaaten ist für sie die Stabilisierung des betroffenen Landes, da demokratische Institutionen nur in einem gesicherten Umfeld gedeihen können. Sie ziehen den Gebrauch „weicher Macht“ dem Einsatz militärischer Mittel vor. Gewalt ist nur ein letztes Mittel, wenn alle anderen Instrumente versagen. Militärische Interventionen binden sie an ein internationales Mandat, vorzugsweise der Vereinten Nationen, oder an einen breiten, die Intervention legitimierenden internationalen Konsens.

Die meisten Amerikaner halten dagegen eine Sicht der Welt als ein anarchisches System, wie es Thomas Hobbes beschrieben hat, für realistischer als die Lehren von Locke. Am besten entspricht den politischen Zielen der USA ein unipolares globales System, das ihr Handeln nicht einschränkt und ihnen wenige Zwänge auferlegt. Sie verfolgen ihre strategischen Interessen durch den Rückgriff auf eine breite Palette von Instrumenten: Belohnungen und Anreize, Kontrolle und Zurückhaltung, verschiedene Arten von Sanktionen und eine Vielfalt von militärischen Aktionen. Die Bush-Administration ist der Überzeugung, dass ein Containment in vielen Fällen erfolgreicher ist als sich lang hinziehende und oft vergebliche Verhandlungen. Die Kampagne für Freiheit und Demokratie verfolgt sie in der Überzeugung, dass auf diese Weise eine friedlichere Welt realisiert werden kann; um einen Regimewechsel zu erreichen, schließt das auch die Enthauptung eines Landes wie im Irak nicht aus.

Diese Unterschiede in den Strategien belasten die transatlantischen Beziehungen beträchtlich. Ein Überblick über Art und Ausmaß der Kooperation zwischen Europa und Amerika zeigt, dass das Vorgehen beider Seiten in vielen Fällen sehr ähnlich sein kann oder sich gegenseitig ergänzt. Es gibt aber auch Fälle, wo es sich gegenseitig ausschließt. Die Machtasymmetrien zwischen Europa und Amerika sind bei der Suche nach den Ursachen der Differenzen noch entscheidender als die unterschiedlichen Weltordnungskonzepte. In den meisten Fällen können sich die USA als die dominierende Macht gegenüber Europa durchsetzen. Den Europäern fehlt es dafür noch an entscheidenden Fähigkeiten; sie können sich nur dann gegenüber den USA behaupten, wenn diesen die Handlungsoptionen ausgehen. Transatlantische Interaktionsmuster In Bezug auf außereuropäische Konflikte lassen sich fünf Interaktionsmuster beobachten:

1. Offener Konflikt

Zentrale europäische und amerikanische Interessen lassen sich nicht auf einen Nenner bringen. Wegen der politischen Kultur beider Seiten bestehen die größten Differenzen in der Frage des Einsatzes militärischer Gewalt. Außerdem geben die Regierenden innenpolitischen Rücksichten Vorrang vor internationalen Erwägungen. In der Irak-Frage kam es zum offenen Konflikt zwischen den USA und Großbritannien auf der einen und Frankreich und Deutschland auf der anderen Seite. Letztere kritisierten den angelsächsischen Angriff auf den Irak, den diese unternahmen, ohne durch ein UN-Mandat dazu legitimiert worden zu sein. Aus unterschiedlichen Gründen distanzierten sich die Westeuropäer von dem Konflikt; neben innenpolitischen Rücksichtnahmen wollten sie einem einseitigen Vorgehen der USA künftig einen Riegel vorschieben. Das Ergebnis war ein tiefgreifender Dissens in den transatlantischen ebenso wie in den innereuropäischen Beziehungen. Obwohl die Europäer das Recht und die Moral auf ihrer Seite hatten, obsiegten die USA.

Die Kluft wurde überbrückt, als Deutschland und Frankreich sahen, dass sie mit ihrer Haltung andere vitale Interessen – z.B. die Kohäsion der NATO – gefährdeten. Außerdem erkannten sie, dass ein Chaos im Irak keineswegs in ihrem Interesse lag. Ihre anfängliche Schadenfreude über die Verwicklung der USA im Irak-Konflikt ist heute einem Gefühl der Hilflosigkeit und der Sorge darüber gewichen, wie der Mittlere Osten langfristig stabilisiert werden könne. Obwohl die Europäer weiterhin eine militärische Unterstützung ablehnen, sind sie bereit, den Wiederaufbau durch finanzielle und Ausbildungshilfe zu unterstützen.

2. Amerikanische Dominanz

Die USA sehen ihre zentralen oder andere wichtige Interessen in Gefahr und wollen diese verteidigen. Je mehr sie dabei unilateral vorgehen, desto weniger schätzen sie gute Ratschläge der Partner. Zu Beginn der amerikanischen Intervention in Afghanistan erklärte Washington den Verbündeten: „Wir rufen euch, wenn wir euch brauchen“, obwohl die NATO zum ersten Mal seit ihrem Bestehen die Beistandsklausel des Art. 5 aktiviert hatte. Stattdessen bildeten die USA eine „Koalition der Willigen“. Zusammen mit der Nordallianz konnte diese Koalition die Taliban aus Kabul und großen Teilen Afghanistans vertreiben. Der Übergang von einem nationalen zu einem multilateralen Vorgehen erfolgte, als Washington erkannte, dass die Stabilisierung Afghanistans wesentlich von der Hilfe der Verbündeten profitieren würde.

Ein vergleichbares Verhalten sehen wir im arabisch-israelischen Konflikt. Obwohl die transatlantischen Partner mit der vom Nahost-Quartett (USA, EU, Russland und UN) entwickelten „Road Map“ über eine gemeinsame Grundlage für Verhandlungen verfügen, bestimmen die USA deren Ablauf. Nach ihrem Amtsantritt stellte die Bush-Administration die Lösung dieses Konflikts erst einmal zurück; Ende November 2007 hat sie mit der Einberufung der Nahost-Konferenz in Annapolis den fast aussichtslosen Versuch unternommen, vor ihrem Amtsende doch noch eine Lösung herbeizuführen.

3. Transatlantische Lasten- und Risikoteilung

Europäer und Amerikaner haben ähnliche Interessen, verfolgen aber verschiedene Prioritäten. Washington hat die Führung; die Kooperation ist jedoch nur erfolgreich, wenn beide Seiten die jeweils wichtigsten Belange des Partners berücksichtigen. Während der zweiten Phase des Afghanistan-Einsatzes fand eine ausgeglichenere Verteilung der Verantwortung statt. Einer von der NATO geführten internationalen Stabilisierungstruppe (ISAF) oblag die politische und wirtschaftliche Stabilisierung des Landes, während die US--geführten Spezialkräfte im Rahmen der „Operation Enduring Freedom“ (OEF) Al-Qaida und Taliban bekämpften. Diese Risikoteilung kam den Interessen der Europäer entgegen, da sie auf innenpolitische Bedenken Rücksicht nehmen mussten und besorgt waren, dass die Stabilisierungsfunktion der ISAF durch eine zu große Nähe zu den Kampfeinsätzen der OEF beschädigt werden könnte.

Das Arrangement europäisch-amerikanischer Lasten- und Risikoteilung bestand aber nur so lange, wie eine klare Abgrenzung der Aufgaben möglich war. Dies war nicht mehr der Fall, als ISAF- und OEF-Missionen unter einem Dach vereint und NATO-Einheiten auch in den Süden und Osten des Landes verlegt wurden, wo sie rasch in Kämpfe mit den Taliban verwickelt wurden. Die Verschlechterung der Situation in Afghanistan führte zum Streit unter den Partnern über das gemeinsame Ziel und den Weg dorthin. Die Amerikaner legen weiterhin Wert auf einen militärischen Sieg über die Aufständischen, während die Europäer am liebsten nur noch Aufbauarbeit leisten würden (und dabei verkennen, dass diese eines gesicherten Umfelds bedarf). Die USA propagieren den Aufbau eines wahrhaft demokratischen Landes, während die Europäer schon mit einer stabilen Situation zufrieden wären, bei der Afghanistan keine Gefahr mehr für seine Nachbarn darstellte. Nach europäischer Auffassung verspricht auch eine isolierte politische Regelung wenig Erfolg, wenn es nicht gelingt, die Nachbarn Afghanistans – Russland, Iran, Indien, Pakistan und die zentralasiatischen Staaten – für eine gemeinsame Lösung zu gewinnen. Die Initiative dazu sollte aber von Kabul ausgehen.

4. Verlässliche Kooperation und Partnerschaft

Voraussetzung sind gemeinsame Interessen und gegenseitiges Vertrauen; außerdem müssen die USA bereit sein, die Europäer als ebenbürtige Partner zu akzeptieren und mit ihnen auf gleicher Augenhöhe zu kooperieren. Die EU muss ihrerseits darauf verzichten, ein Gegengewicht zu den USA bilden zu wollen.

Ein Beispiel für eine derartige verlässliche Kooperation war das gemeinsame Vorgehen in der Iran-Frage. Nachdem beide Seiten lange unterschiedliche Methoden praktiziert hatten – die Europäer lockten mit Zuckerbrot, die Amerikaner schwangen die Peitsche – den USA aber dann die Optionen ausgingen, unterstützten sie die Vorgehensweise der EU-3 (Deutschland, Frankreich und Großbritannien). Es gelang ihnen, Russland und China für eine gemeinsame UN-Resolution zu gewinnen und Sanktionen gegen den Iran zu verhängen, die Teheran jedoch nicht zum Einlenken veranlassten. Nun verfügen auch die EU-3 – ebenso wie die USA – über keine glaubwürdigen Optionen mehr. In Washington mehren sich die Stimmen, die für einen militärischen Angriff auf die iranischen Nuklearanlagen plädieren, während die Europäer diesen unter allen Umständen verhindern wollen und nur zu weitergehenden Sanktionen bereit sind.

5. Nachsichtiges Wegsehen

Weder die USA noch die Europäer sehen in einer Frage ihre zentralen Interessen involviert und ignorieren daher die Aktionen des Partners – vorausgesetzt, weder die nationalen Interessen noch besondere Empfindlichkeiten des Partners werden verletzt. Im Afrika konnten die Europäer das marginale amerikanische Engagement weitgehend vernachlässigen, solange Washington sich nicht in einer früheren europäischen Kolonie engagierte, in der die ehemalige Kolonialmacht weiter präsent war. Die USA unterstützen die europäischen Bemühungen um eine Stabilisierung der Demokratischen Republik Kongo, da sie nie vorhatten, sich dort selbst zu engagieren. Allerdings hätten sie es vorgezogen, wenn die EUFOR unter einem „Berlin-Plus“-Arrangement operiert und sie über die NATO ein Mitspracherecht gehabt hätten.

In ihrer China-Politik haben die Europäer lange die amerikanischen Sicherheitsbedenken ignoriert. Als Washington jedoch fürchtete, durch die Aufhebung des 1989 verhängten Waffenembargos könnte China in den Besitz sensitiver Technologien gelangen und das Kräftegleichgewicht in Südostasien zu Ungunsten der USA verändern, versuchten sie, die Europäer nachdrücklich von diesem Schritt abzuhalten.

Das Muster gegenseitigen Hinwegsehens ist wenig stabil, da jederzeit Ereignisse eintreten können, durch die sich die Interessenlagen verschieben und es zum Konflikt kommt. Es hängt dann von der Bedeutung der Veränderungen ab, ob sich die Divergenzen auf verbale Streitigkeiten beschränken, wie in Afrika südlich der Sahara, oder ob sie sich zum offenen Konflikt ausweiten, wie es bei der Absicht der Europäer, das China-Embargo aufzuheben, der Fall war.

Bedingungen von Kooperation und Partnerschaft

Verlässliche Kooperation und Partnerschaft setzen Berechenbarkeit voraus. Im transatlantischen Verhältnis sind sie nur möglich, wenn die Europäer in der Lage sind, gemeinsam zu handeln und die dafür notwendigen Fähigkeiten besitzen, oder wenn sich die USA erhebliche Vorteile von der Kooperation mit den Partnern versprechen. Zur Überwindung transatlantischer Differenzen nutzen die Europäer vor allem internationale Organisationen, die institutionelle Verfahren bieten und ihre gleichberechtigte Mitwirkung mit den USA an gemeinsamen Entscheidungen erlauben. Schwache Staaten erhalten so die Möglichkeit, ihre Interessen zu artikulieren, sich mit anderen zusammenzutun und ein Gegengewicht zu mächtigeren Staaten zu bilden. Als Gegenleistung für einen größeren Einfluss akzeptieren die Europäer Einschränkungen in ihrer Autonomie, obwohl sie bemüht sind, unverhältnismäßige Souveränitätseinbußen zu vermeiden.

Obwohl die USA vor einem halben Jahrhundert der Architekt zahlreicher internationaler Bündnisse und Organisationen waren, betrachten sie Institutionen heute unter dem Aspekt ihres nationalen Interesses. Nach ihrem Amtsantritt hat die Bush-Administration die aktive Mitarbeit in einer Reihe von Institutionen beendet, die nach ihrer Einschätzung für sie keinen Nutzen mehr haben. Vor allem will sie ihre außenpolitische Handlungsfreiheit vor der Einschränkung durch internationale Entscheidungsprozesse schützen. Washington praktiziert eine Art von unilateralem Multilateralismus, benutzt jedoch weiterhin ein partnerschaftliches Vokabular. Dieses verunsichert die Europäer, aber sie können dem wenig entgegensetzen, ehe sie nicht über eine eigene, gemeinsame Handlungsmacht verfügen. Sowohl das einseitige Vorgehen Washingtons als auch die rhetorischen Kraftakte der Europäer belasten das Vertrauen zwischen Europa und Amerika und verhindern, dass Differenzen rasch und geräuschlos überwunden werden.

Geeignete Foren für Koordination und Kooperation

Erfolgreiche Kooperation setzt geeignete Foren voraus, in denen politische Koordinierung erfolgen kann. Obwohl die UN-Charta Ähnlichkeiten mit einem globalen Gesellschaftsvertrag hat, ist sie zu wenig verbindlich, und die Zusammensetzung der UN-Gremien ist zu groß und heterogen, um eine vertrauensvolle politische Abstimmung zu erlauben. Andere internationale Organisationen dienen entweder einem konkreten Zweck oder sind auf eine bestimmte Region bezogen. Während des Ost-West-Konflikts war die Atlantische Allianz das zentrale transatlantische Abstimmungsgremium. Gegenwärtig hat sich die NATO aber politisch und kräftemäßig noch nicht voll an eine veränderte Weltsituation angepasst, in der ihr die Rolle eines globalen Krisenmanagers zukommt. Der Afghanistan-Einsatz wird daher auch als ein zentraler Prüfstein für die Fähigkeit der NATO gesehen, außereuropäische Krisen erfolgreich zu meistern. Was passiert aber, wenn er scheitert?

Voraussichtlich wird es auf beiden Seiten des Atlantiks zu unterschiedlichen Reaktionen kommen. Die Amerikaner werden sich in ihrer ursprünglichen Skepsis über den Nutzen multilateraler Organisationen für den Kampf gegen den internationalen Terrorismus bestätigt fühlen; sie werden die NATO zurückstellen und wieder verstärkt einseitig vorgehen. Die EU hat der Afghanistan-Mission der NATO eine etwas geringere Bedeutung zugemessen; sie wird sich im Gegensatz zu den USA vielmehr darum bemühen, die Allianz als Forum transatlantischer Politikkoordinierung zu erhalten. Wie relevant ist aber ein Bündnis, an dem Washington das Interesse verloren hat?

Können EU und ESVP einige der bisherigen Bündnisaufgaben übernehmen, und welchen Beitrag können sie zur Regelung außereuropäischer Konflikte leisten? Obwohl die EU ihre Fähigkeiten für gemeinsame politische und militärische Aktionen – wie z.B. für die Aktivitäten der EU-3 oder die EUFOR-Missionen im Kongo – gestärkt hat, fehlt es ihr weiterhin an politischem Willen und geeigneten Streitkräften, um im globalen Maßstab wirklich handlungsfähig zu sein. Da die Union aus 27 Einzelstaaten besteht, die von unterschiedlichen historischen Erfahrungen geprägt sind und je spezifische Interessen verfolgen, sind gemeinsame Beschlüsse dann besonders schwer zu erreichen, wenn keine zentralen gemeinsamen Interessen betroffen sind.

Die europäisch-amerikanischen Gipfel haben ebenfalls kein Format, das mehr als einen unverbindlichen Meinungsaustausch erlaubt. Dagegen sind einige funktionale Institutionen – wie die G-8 zu Afghanistan, das Quartett zum arabisch-israelischen Konflikt und die EU-3 bzw. die P-5+1 zu Iran – in der Lage, zu einer Annäherung der Standpunkte beizutragen. Die Zukunft wird daher den flexiblen Strukturen eines „Multilateralismus à la carte“ gehören.

Ein Blick in die Zukunft

Wie wird es in 20 oder 30 Jahren um die transatlantische Zusammenarbeit stehen? Es ist anzunehmen, dass strukturelle Faktoren eine Kooperation weiter erschweren werden. Die Welt der Zukunft wird sowohl stärker verflochten als auch fragmentierter sein.2 Die Vereinigten Staaten werden ihre Dominanz eingebüßt haben. Sie werden mit China – und/oder Indien, möglicherweise auch mit Europa – um die Vorherrschaft konkurrieren. Mit dem Verschwinden der Pax Americana wird es in der Welt keine überwölbende Struktur mehr geben, welche die globale Agenda strukturiert und Regeln für die Konfliktlösung bereithält. Angesichts der strukturellen Asymmetrien zwischen Europa und Amerika ist es auch wenig wahrscheinlich, dass sich beide gemeinsam um die Bewältigung der neuen Herausforderungen bemühen werden. Da sie von den Veränderungen unterschiedlich betroffen sind, werden sie diese stattdessen in Übereinstimmung mit ihren eigenen Bedürfnissen zu bewältigen suchen. Die USA werden ihre Macht so weit wie möglich erhalten wollen, und die Europäer werden sich bemühen, ihre nationalen Eigenheiten zu überwinden, um auf der globalen Bühne als ein einheitlicher und dynamischer Akteur agieren zu können.3

Prof. Dr. HELGA HAFTENDORN, geb. 1933, hat bis zu ihrer Emeritierung die Arbeitsstelle Transatlantische Außen- und Sicherheitspolitik der Freien Universität Berlin geleitet.

  • 1Vgl. Robert O. Keohane: After Hegemony. Cooperation and Discord in the World Political Economy, Princeton, NJ 1984, S. 51.
  • 2Vgl. The New Global Puzzle: What World for the EU in 2025? Directed by Nicole Gnesetto and Giovanni Grevi, European Union Institute for Security Studies, Paris 2006, S. 206.
  • 3Diesem Beitrag liegt eine Studie zugrunde, welche die Verfasserin für das norwegische Nobelinstitut angefertigt hat; sie soll 2008 unter dem Titel „How well can Europe and the United States Cooperate on Non-European Issues“ in einem von Geir Lundestad herausgegebenen Sammelband veröffentlicht werden.