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01. Mai 2012

Katars neue Syrien-Politik

Ein wichtiger, jedoch kein einfacher Partner für Deutschland

Katar hat im vergangenen Jahr eine außenpolitische Kehrtwende vollzogen: Es ist vom Vermittler zum Partei ergreifenden Akteur in der regionalen Politik geworden. Dabei hat es sich vom Iran entfernt und Saudi-Arabien angenähert. Dies zeigt sich auch im Syrien-Konflikt, in dem das Golf-Emirat die islamistischen Oppositionsgruppen unterstützt.

Lange Zeit unterhielt Katar gute Beziehungen zum Assad-Regime. Doch seit vergangenem Sommer hat sich das grundlegend geändert. Das Golf-Emirat hat sich an die Spitze jener arabischen Staaten gesetzt, die sich für einen Regimewechsel in Damaskus aussprechen. Mitte Januar 2012 forderte der Emir von Katar, Hamad bin Khalifa Al Thani, sogar die Entsendung arabischer Truppen nach Syrien, um „das Morden zu beenden“, so seine deutlichen Worte.

Diese Kehrtwende ist mit großen Risiken behaftet, weil sich Katar damit gegen den Iran, den mächtigen Verbündeten Assads, stellt, zu dem es bisher engen Kontakt gesucht hat. Die Beziehungen zum Iran werden noch durch einen weiteren Konflikt belastet: Die katarische Führung vermutet, ebenso wie die Regierung in Riad, eine iranische Beteiligung an den Protesten der schiitischen Opposition in Bahrain. Um ein Überschwappen solcher Proteste zu verhindern, hat sich Katar auf die Seite der sunnitischen Königshäuser in Bahrain und Saudi-Arabien gestellt.

Ein schwieriger Balanceakt

Katars bisherige Außenpolitik ist das Ergebnis eines schwierigen Balanceakts. Auf der einen Seite beruht sie auf einer engen sicherheits­politischen Bindung an die USA, auf der anderen wurde versucht, auch zum Iran und zu seinen Verbündeten wie Syrien, der Hisbollah und der Hamas gute Beziehungen zu unterhalten. Diese Politik führte in der Vergangenheit zu einer gewissen Distanz zu Saudi-Arabien und brachte das kleine Emirat in eine Vermittlerposition, die es insbesondere im Libanon gut nutzen konnte. Zwar verfolgt Katar diese Politik weiterhin, doch zeigt sich seit 2011 immer deutlicher, dass das Emirat vom Vermittler zum Partei ergreifenden Akteur in der regional­en Politik wird, sich dabei vom Iran entfernt und Saudi-Arabien annähert.

Da das kleine Emirat (zwei Millionen Einwohner, davon rund 250 000 Staatsbürger) sich nicht selbst verteidigen kann, setzt es auf enge sicherheitspolitische Beziehungen zu den USA. Deren zentrales Element ist der Luftwaffenstützpunkt im katarischen Al-Udaid, der seit 2003 besteht und zur wichtigsten US-Basis im Mittleren Osten wurde. Doha hält die amerikanische Militärpräsenz für unabdingbar, um sich vor seinen Nachbarn zu schützen.

Gegenwärtig steht die katarische Führung vor einem Dilemma: Einerseits fürchtet sie, dass der Iran Atomwaffen entwickelt und eine aggressivere Hegemonialpolitik in der Golf-Region verfolgt. Andererseits sorgt sich Doha, dass die USA oder Israel die iranischen Atomanlagen angreifen. Für diesen Fall hat Teheran dem Nachbarn bereits mit Vergeltung gedroht. Katar befürchtet iranische Angriffe auf seine Gasinfrastruktur und baut deshalb mit US-Hilfe die Schutzvorkehrungen aus.

Für Katar ist der Iran eine ernste Bedrohung. Das Emirat teilt sich mit der Islamischen Republik das größte Gasfeld der Erde, sodass beide Länder langfristig auf Zusammenarbeit angewiesen sind, wenn sie maximalen Nutzen aus den Gasvorkommen ziehen wollen. Teheran ist unzufrieden mit Katars Energie­politik, denn das Golf-Emirat fördert aufgrund seines technologischen Vorsprungs viel mehr Gas aus dem gemeinsamen Feld. Katar ist mittlerweile der weltweit zweitgrößte Gasproduzent, während der Iran aufgrund seiner chronischen Finanzprobleme die für die Gasproduktion hohen Anfangsinvestitionen nur selten aufbringen kann. Deshalb versucht Doha, die iranische Führung nicht unnötig zu provozieren und im Dialog mit ihr zu bleiben.

Die katarische Syrien-Politik wurde bis 2011 durch die Beziehungen zum Iran bestimmt, denn Syrien ist Teherans wichtigster Verbündeter in der arabischen Welt. Dohas Botschaft an die iranische Führung lautete deshalb: Katar ist kein Feind des Iran. Mit dieser Politik ging Doha auf Distanz zu Saudi-Arabien, das lange Zeit eine Führungsrolle gegenüber Katar beanspruchte. Diese Haltung wurde bis Anfang der neunziger Jahre akzeptiert; eigenen außenpolitischen Gestaltungswillen zeigte Doha kaum.

Als der heutige Emir im Jahr 1995 die Macht übernahm, bemühte er sich, Distanz zum großen Nachbarn zu schaffen, und in der Folge nahmen die Spannungen zwischen beiden Ländern zu. Emir Hamads wichtigstes Instrument wurde der 1996 mit staatlicher Finanzierung gegründete Fernsehsender Al-Dschasira, der sich schnell als populärstes Medium der arabischen Welt etablierte. Mit hoher journalistischer Professionalität und seiner verhältnismäßig freien Berichterstattung, die vielen oppositionellen Stimmen ein Forum bot, wurde das bis dahin weithin unbekannte Doha zu einer wichtigen Adresse. Es gibt kaum ein Regime in der arabischen Welt, das nicht versucht hat, die Berichterstattung durch diplomatische Proteste, Schließungen von Büros des Senders und Schikanen gegen seine Journalisten vor Ort zumindest zeitweilig zu verhindern. Insbesondere Saudi-Arabien zeigte sich immer wieder äußerst verstimmt über die Auftritte saudischer Dissidenten.

Doha verwies zunächst auf die vorgebliche Unabhängigkeit von Al-Dschasira. Doch ab 2008, als sich die Führung in Doha um bessere Beziehungen zum Königreich bemühte, hatten es auf einmal Stimmen, die Saudi-Arabien kritisierten, deutlich schwerer, sich auf Al-Dschasira zu äußern. Mit dem arabischen Frühling wurde das Ausmaß staatlicher Kon­trolle nochmal deutlicher. In der Berichterstattung zu Bahrain und Syrien folgte der Sender den Grundlinien der katarischen Regierungspolitik und reagierte sofort auf Veränderungen.

Unterstützung für Islamisten

Mit dem Beginn des arabischen Frühlings zeigte sich, dass die katarische Führung in ihrem Umgang mit Islamisten außerordentlich weitsichtig gewesen war. Seit den neunziger Jahren hatte sie Islamisten aus aller Herren Länder Zuflucht und mit Al-Dschasira ein regionsübergreifendes Forum gewährt. Dreh- und Angelpunkt dieser Politik ist der 1926 geborene ägyptische Gelehrte Yusuf al-Qaradawi, der der Muslimbruderschaft entstammt und sich im Exil in Doha dank Al-Dschasira zum weltweit bekanntesten und einflussreichsten islamischen Religionsgelehrten entwickeln konnte; von dort wurde seine wöchentliche Sendung „Die Scharia und das Leben“ ausgestrahlt. Im Umfeld des berühmten Ägypters entstand eine Gemeinschaft exilierter Muslimbrüder, von denen einige im Verlauf des arabischen Frühlings wichtige Rollen als Anführer, Finanziers, religiöse Autoritäten und Politiker übernahmen.

Dies zeigte sich besonders deutlich in Libyen, wo Doha in Abstimmung mit den USA, Großbritannien und Frankreich die Rebellen mit Waffen ausstattete und das katarische Militär libysche Kämpfer ausbildete. Problematisch war, dass Katar seine Unterstützung vor allem islamistischen Rebellen zukommen ließ und nur ein kleiner Teil der Waffen und des Geldes an den Nationalen Übergangsrat ging. In Bengasi wurden vor allem Milizen aus dem Umfeld der Muslimbruderschaft beliefert, während in den westlichen Bergen die Einheiten des ehemaligen Dschihadisten und späteren Militärkommandeurs von Tripolis, Abdalhakim Belhaj, versorgt wurden.

Auch dort, wo der arabische Frühling nicht in kriegerische Konflikte mündete, unterstützte Katar die Islamisten: in Tunesien, Ägypten, im Jemen. In den palästinensischen Gebieten unterhält Katar bereits seit den neunziger Jahren sehr enge Beziehungen zur Hamas. Dies zeigte sich erneut, als deren Exilführung Damaskus verlassen musste, weil sie die brutale Unterdrückung der Proteste durch die syrischen Sicherheitskräfte kritisiert hatte. Hamas-Führer Khalid Mishal verlegte seinen Wohnsitz nach Katar, während es anderen Mitgliedern des Politbüros dank katarischer Vermittlung gestattet wurde, sich in Jordanien niederzulassen.

Die katarische Haltung gegenüber den Islamisten verbindet pragmatische und ideologische Motive. Die Führung in Doha hat die Islamisten als die künftigen politischen Kräfte in der Region identifiziert und sucht deshalb ihre Nähe. Hinzu kommt, dass die katarische Herrscherfamilie nie Sympathien für die Diktatoren in den benachbarten Republiken hegte und davon überzeugt ist, dass die Muslimbruderschaft und viele Salafisten eine Islaminterpretation vertreten, die mit dem in Katar vorherrschenden Wahhabismus eher kompatibel ist.

In einem Interview mit Al-Dschasira vom September 2011 sagte Emir Hamad in Bezug auf die Situation in Libyen: „Aus welchen Gründen werden Menschen zu Extremisten? Der Extremismus ist das Ergebnis von tyrannischen, diktatorischen Regierungen oder Führern, die ihren Bürgern keine Gerechtigkeit zuteil werden lassen, die ihnen keine Sicherheit gewähren. Das führt zum Extremismus. Wenn das Volk aber politisch partizipieren darf, dann wird man sehen, dass dieser Extremismus sich zu einem zivilen Leben, zu einer zivilisierten Gesellschaft verwandeln wird.“ Auffällig war an dem Interview, dass der Emir nicht nur von der Muslimbruderschaft sprach, die auch von vielen westlichen Beobachtern als „moderat“ eingestuft wird, sondern auch Salafisten und Al-Kaida ausdrücklich mit einschloss. Hier unterschätzt Emir Hamad die Gefahren, die von diesen Strömungen und Gruppierungen auch für die Sicherheit Katars ausgehen könnten.

Antisyrische Neuausrichtung

Die katarische Reaktion auf den Beginn der Proteste in Syrien war sehr zögerlich; deutliche Stellungnahmen blieben aus. Besonders auffällig war, dass Al-Dschasira zunächst nur sehr zurückhaltend über die Ereignisse in Syrien berichtete. Der wichtigste Grund dürfte die Furcht gewesen sein, dass eine Assad-kritische Stellungnahme Katars Beziehungen zum Iran gefährden könnte. Hinzu kam, dass Doha seine bis dahin guten Verbindungen zu Damaskus nicht leichtfertig aufgeben wollte.

Doha hatte maßgeblich dazu beigetragen, dass Syrien nach dem ihm zugeschriebenen Mord an dem libanesischen Ministerpräsidenten Rafiq al-Hariri im Februar 2005 seine Isolierung in der arabischen Welt überwinden konnte. Dies war vor allem eine Folge der katarischen Vermittlung im Libanon, wo sich nach dem Sommerkrieg 2006 zwischen Israel und der Hisbollah zwei feindliche Lager gegenüberstanden – von denen eines von Syrien und das andere von Saudi-Arabien unterstützt wurde. Im Verlauf der Krise akzeptierten beide Seiten die katarische Vermittlerrolle, die im Mai 2008 schließlich zu einem Abkommen führte, in dem die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit im Libanon vereinbart wurde. Gleichzeitig hatte Katar Milliardensummen in die syrische Wirtschaft (vor allem in den Immobiliensektor) investiert, die das Emirat nicht verlieren wollte.

Aufgrund des katarischen Zögerns kam es erst im Frühsommer 2011 zum Bruch mit dem Assad-Regime. Den Anlass lieferten Predigten von Yusuf al-Qaradawi, der sich mehrfach sehr kritisch mit dem Vorgehen des Assad-Regimes auseinandersetzte. Die syrische Regierung scheint von Emir Hamad verlangt zu haben, den Gelehrten zur Zurückhaltung aufzufordern. Als der Herrscher sich offenbar weigerte, verschärften die Syrer die öffentliche Auseinandersetzung. Die syrischen Staatsmedien griffen die katarische Führung an und machten auch vor persönlichen Angriffen auf den Emir und seine prominente Ehefrau Mauza nicht halt. Parallel baute Al-Dschasira seine Berichterstattung zu den Ereignissen in Syrien zu einer regelrechten Propagandakampagne aus. Nach Angriffen syrischer Pro-Regime-­Demonstranten schloss Katar im Juli 2011 als erster Golf-Staat seine Botschaft in Damaskus.

Gemeinsam mit Saudi-Arabien

Dieser Konflikt spiegelte über die persön­liche Auseinandersetzung hinaus die Entscheidung wider, gemeinsam mit Saudi-Arabien aggressiver gegen die Verbündeten des Iran vorzugehen und die Opposition in Syrien zu unterstützen. Ein wichtiger Grund dürften die Unruhen in Bahrain gewesen sein. Dort protestierten schiitische Islamisten gegen das sunnitische Herrscherhaus der Al Khalifa, worauf sich Katar und die anderen Staaten des Golf-Kooperationsrats geschlossen auf die Seite der Regierung in Manama stellten. Auch Doha eilte dem Regime von König Hamad bin Isa Al Khalifa zu Hilfe und entsandte ein symbolisches Kontingent.

Der Grund für die entschlossene Parteinahme war die Sorge vor einer Machtübernahme durch die schiitische Bevölkerungsmehrheit im Nachbarland. Die katarische Führung ist der Ansicht, dass die bahrainischen Schiiten als fünfte Kolonne des Iran handeln und ein Regimewechsel in Bahrain den Weg für die Schaffung eines iranischen Brückenkopfs auf der arabischen Seite des Golfes freimachen würde.

So kam es zur katarisch-saudischen Zusammenarbeit im Syrien-Konflikt. Ihr Forum wurde die Arabische Liga, wo Katar bis März 2012 die jährlich rotierende Präsidentschaft kommissarisch innehatte und seit Sommer 2011 zur treibenden antisyrischen Kraft wurde. In einem Aufsehen erregenden Schritt suspendierte die Liga im November 2011 die Mitgliedschaft Syriens und kündigte kurz danach die Verhängung von Wirtschaftssanktionen an.

Doch Katar und seine Verbündeten – in erster Linie Saudi-Arabien und Ägypten – zögerten immer noch, den Sturz Assads mit letzter Konsequenz herbeizuführen. Hierbei dürfte in erster Linie die Sorge vor der Reaktion des Iran eine Rolle gespielt haben. Auch die Furcht vor einem Bürgerkrieg in Syrien und seinen Auswirkungen auf die Nachbarländer könnte zum Zögern beigetragen haben. Dies zeigte sich allzu deutlich, nachdem die Arabische Liga im vergangenen November einen Friedensplan vorgelegt hatte, der ein Ende der Gewalt, einen Rückzug der Armee aus den Städten, einen Dialog zwischen Regime und Opposition und die Entsendung einer Beobachtermission vorsah.

Mitte Dezember 2011 stimmte die syrische Regierung der Entsendung von Beobachtern zu, ignorierte aber die anderen Teile der Vereinbarung. Obwohl die Gewalt in Syrien im ersten Monat der Mission noch zunahm, konnte sich die Arabische Liga nicht zu einem Abzug ihrer Beobachter durchringen. Allerdings zogen die Golf-Staaten unter Führung Saudi-Arabiens ihre Beobachter ab. Katar ging noch einen Schritt weiter, indem es Mitte Januar 2012 eine Militärak­tion arabischer Staaten und eine Überweisung an den UN-Sicherheitsrat ­forderte.
Da der Widerstand von Russland und China eine Verurteilung Syriens im Sicherheitsrat oder gar weitergehende Maßnahmen verhinderte, die USA und die Europäer nicht zu einem Eingreifen bereit waren und die arabischen Staaten nicht über geeignete Streitkräfte verfügen, dürften Katar und Saudi-Arabien bereits begonnen haben, die syrischen Aufständischen nicht mehr nur mit Geld, sondern auch mit Waffen zu unterstützen. Damit wächst sowohl die Gefahr eines lang anhaltenden Bürgerkriegs als auch die einer Machtübernahme durch Islamisten. Denn wenn Katar seiner bisherigen Linie treu bleibt, wird es die in der Opposition ohnehin starken Muslimbrüder und die vor Ort operierenden salafistischen Gruppierungen bevorzugt behandeln. Sollte dies eintreten, wird es für die Opposition noch schwerer werden, zumindest Teile der religiösen und ethnischen Minderheiten in Syrien auf ihre Seite zu ziehen. Die Gefahr von ethnisch-konfessionellen Auseinandersetzungen zwischen den Aufständischen einerseits und den Alewiten, Christen und Kurden andererseits wird zunehmen.
Ein problematischer Partner
Katar bleibt ein wichtiger Verbündeter für jeden, der Politik im Nahen und Mittleren Osten gestalten will. Doch war die Zusammenarbeit sehr viel unproblematischer, als es noch eine Vermittlerrolle zwischen dem pro- und dem antiiranischen Lager in der Region einnahm. Wer heute mit Katar zusammenarbeitet, muss sich bewusst sein, dass es zielstrebig Organisationen und Personen fördert, die keine Demokraten sind.

Zwar ist nicht ausgeschlossen, dass sich die Muslimbrüder in Tune­sien, Libyen und Ägypten in demokratische politische Systeme integrieren lassen; doch dies ist ein gefährliches Experiment. In den genannten Fällen wurden bereits Fakten geschaffen, sodass sich die Europäer hier mit den Islamisten arrangieren müssen. Darüber hinaus gibt es für westliche Politik jedoch keinen Grund, angeblich „moderate“ Islamisten in ihrem Kampf um die Macht in Syrien oder im Jemen zu unterstützen. Unsere Verbündeten sind diejenigen jungen Demokraten, liberalen Intellektuellen und modernen Frauen, die den Anstoß zum arabischen Frühling gegeben haben, dessen Früchte jetzt von den Islamisten geerntet werden. Dies zeigt sich selbst dort, wo tatsächlich moderatere Islamisten wie die tunesische Nahda-Partei an die Macht kommen und sie beginnen, das öffentliche Leben einer strengeren Kontrolle durch Moral- und Sittenwächter zu unterwerfen.

Auch die neue antiiranische Ausrichtung Katars ist problematisch. Die Idee, mit dem Assad-Regime einen wichtigen iranischen Verbündeten zu stürzen, mag verlockend sein. Doch handelt es sich bei Syrien nur um einen Nebenschauplatz der großen regionalen Auseinandersetzung mit dem Iran. Syrien darf nicht in einen Bürgerkrieg getrieben werden, nur weil Katar und Saudi-Arabien ihrem Konkurrenten am Persischen Golf schaden wollen, aber zu schwach sind, dies auf direktem Wege zu tun. Hier dürfen sich deutsche und europäische Politik nicht mitschuldig machen, solange die syrische Opposition keine über die sunnitischen Araber weit hinausgehende soziale Basis, die Alewiten, Christen und Kurden umfasst, geschaffen hat. Jegliche politische Zusammenarbeit mit Katar muss in den kommenden Jahren ebenso genau geprüft werden wie die mit seinem noch problematischeren Nachbarn Saudi-Arabien.

Dr. GUIDO STEINBERG arbeitet in der Forschungsgruppe Naher/Mittlerer Osten und Afrika in der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 3, Mai/Juni 2012, S. 82-88

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