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01. Febr. 2007

Irakisches Roulette

Der Irak-Krieg und seine Folgen für die amerikanische Innenpolitik

Die von der Regierung Bush angeordnete Truppenverstärkung wird die Lage im Irak nicht grundlegend ändern. Wichtiger ist die Frage, welchen politischen Niederschlag sie in Amerika finden wird. Denn der Irak wird immer mehr zum beherrschenden Thema werden und mit entscheiden, wer der nächste Präsident der USA wird.

Wie alle schlechten Spieler weiß auch George W. Bush nicht, wann der Zeitpunkt zum Aussteigen gekommen ist. Statt seine Verluste im Irak zu begrenzen, hat der Präsident wie ein verschreckter Tourist in Las Vegas gehandelt, der entschlossen ist, seinen hohen Einsatz zurückzugewinnen, um doch noch mit einem Rest von Würde nach Hause fahren zu können. Genau diese Logik trägt zum Reichtum der Spielhöllen in der ganzen Welt bei, denn der Dummkopf wird seine Niederlage fast nie wettmachen, sondern stattdessen in eine Katastrophe verwandeln. Tragischerweise haben die Vereinigten Staaten im Irak genau diesen Kurs eingeschlagen.

Präsident Bushs Methode der Selbstzerstörung ist der Plan einer Truppenverstärkung im Irak, die letzte und größte Anstrengung Amerikas zur Vermeidung einer Katastrophe. Die Vereinigten Staaten hoffen, mit einer Aufstockung ihrer Truppen in Bagdad und der Provinz Al-Anbar um etwas mehr als 20 000 Mann die Regierung des irakischen Ministerpräsidenten Nuri Al-Maliki dabei unterstützen zu können, wenigstens die Warlords in der Hauptstadt unter Kontrolle zu bringen und dafür zu sorgen, dass Al-Anbar nicht zum Rückzugsgebiet der Al-Qaida wird.

Das Problem dabei ist, dass dieser Plan alle Mängel der übrigen Irak-Pläne Bushs in sich vereint. Zunächst lässt er die politischen Probleme, die die Misere im Land ausmachen, nahezu vollständig außer Acht. Ganz allgemein gesprochen: Werden etwa die Sunniten an einem politischen Abkommen zwischen den drei großen Religionsgruppen im Irak beteiligt, so sind bereits mehr als genug Truppen im Irak stationiert, um mit den verschiedenen Aufständen und vor allem der Zerschlagung der Al-Qaida fertig zu werden. Werden die Sunniten aber nicht unter das gemeinsame politische Dach zurückgeholt, wird es nie genug Truppen geben, um das Land zu stabilisieren.

Sich – so wie die Aufstockungspläne dies tun – auf die unverbindlichen Ankündigungen der Regierung Maliki zu verlassen, anders als bei den beiden vorherigen Malen gleichermaßen gegen schiitische Milizen wie gegen deren sunnitische Feinde vorzugehen, ist schon mehr als naiv; zumal Maliki der schiitischen Mahdi-Miliz von Muqtada Al-Sadr seinen politischen Aufstieg verdankt. Nichts Geringeres als kriminelle Dummheit aber ist es, sich darauf zu verlassen – und zwar ohne jegliche Sanktionsandrohung für den Fall des Nichthandelns! –, dass die Regierung Maliki Wahlen in den Provinzen durchführen, den irakischen Ölreichtum gerecht verteilen und die verschiedenen Milizen entwaffnen wird. Wie immer hat die Regierung Bush auch hier ihren Clausewitz genau andersherum verstanden: Es ist eben das Militär, das im Dienst der Politik steht und nicht etwa umgekehrt.

Und zu allem Überfluss fehlt Bushs Plan eine regionale politische Komponente. Die Regierung hat nämlich den wichtigsten Grundsatz der Diplomatie vergessen: Ziemlich oft muss man mit Leuten reden, denen man nicht in allem beipflichtet. Kein Abkommen zum Thema Irak wird sich als dauerhaft erweisen, wenn es nicht auf einem breiten Konsens der größeren Staaten der Region beruht: Saudi-Arabiens, der Türkei und des Iran. Dabei müsste die Vermeidung eines großflächigen irakischen Bürgerkriegs durchaus im Interesse dieser Regierungen liegen. Die Regierung in Saudi-Arabien fürchtet die aufmüpfigen Schiiten im eigenen Land (die buchstäblich auf einem Großteil des saudischen Erdöls sitzen) und wünscht sich keinen unabhängigen schiitisch-irakischen Staat in ihrem Rücken, der dem Separatismus an ihrer eigenen Grenze Auftrieb verleihen könnte. Vergleichbares gilt für die türkischen Generäle: Ein unabhängiges Kurdistan im Irak könnte sich als leuchtendes Vorbild für die eigene aufsässige kurdische Bevölkerung in Südost-Anatolien erweisen. Die Iraner, die dank der Torheit der Bush-Regierung zur beherrschenden Macht am Persischen Golf aufgestiegen sind, dürften gleichfalls wenig geneigt sein, das Risiko einzugehen, einen mehr oder weniger stabilen, mehr oder weniger abhängigen Klientelstaat an ihrer Grenze zu verlieren und stattdessen in einen weiteren Krieg mit den irakischen Sunniten hingezogen zu werden.

In jedem Fall haben die wichtigsten Akteure in der Region aus eigenem Interesse genug Gründe, sich mit Amerikanern und Irakern zu einigen und das Land als lose geknüpften, aber einheitlichen Staat zu erhalten. Statt sich jedoch auf diesen Handel einzulassen – letztlich die einzige Chance für Amerika, den Irak einigermaßen erhobenen Hauptes zu verlassen –, und statt mit den Iranern (und den Syrern) zu sprechen, wie es die von Bush selbst eingesetzte Baker-Hamilton-Kommission vernünftigerweise empfohlen hat, beharrt das Weiße Haus störrisch darauf, nicht mit Staaten reden zu müssen, die es nicht mag. Es wäre lächerlich, wenn es nicht so tragisch wäre.

Wenn auch wenig Zweifel daran bestehen, dass die Truppenverstärkung die Lage im Irak nicht grundlegend ändern wird, so ist es doch weitaus schwieriger – und in mancher Hinsicht sehr viel wichtiger – vorherzusagen, welchen politischen Niederschlag dies in Amerika finden wird. Mit der verhängnisvollen Entscheidung von Präsident Bush wird das Thema Irak im kommenden Jahr ohne Zweifel zur beherrschenden Frage in den USA werden und großen Einfluss darauf haben, wer der nächste Präsident wird. Eines nämlich hat Bush mit Sicherheit erreicht: Für beide politische Parteien und die wichtigen Aspiranten für das Amt hat er ein Zeichen gesetzt. Sie müssen in dieser Frage eindeutig Stellung beziehen - so oder so.

Aufwallende Grabenkämpfe

Die Baker-Hamilton-Kommission, ein aus Vertretern beider Parteien zusammengesetzter Ausschuss zur Erarbeitung einer alternativen Irak-Politik, hätte die aufwallenden Grabenkämpfe in der Republikanischen Partei eigentlich eindämmen sollen. Außenpolitisch realistisch denkende Republikaner aus dem Umfeld von George Bush sen. wie der frühere Sicherheitsberater Brent Scowcroft und Ex-Außenminister James Baker nahmen im Hinblick auf diesen Krieg, in dem sie eher einen selbst gewählten als einen tatsächlich erforderlichen Waffengang sahen, eine unbeugsame Haltung ein. Angesichts weltweiter Herausforderungen wie dem Aufstieg Chinas, den Problemherden Iran und Nordkorea oder dem radikalen Islam, für den der Krieg ein Glücksfall zur Rekrutierung neuer Anhänger war, hielten es diese Realisten für an der Zeit, sich mit der Niederlage im Irak zu befassen. Es gelte nun, so ihre Meinung, die Iraker auszubilden, mit den Iranern zu reden, Amerikas Verluste zu begrenzen, Amerikas angeschlagenes Image in der Welt aufzubessern (was, wie sie einräumen, Jahrzehnte dauern könnte) und sich auf den Hauptgegner Al-Qaida zu konzentrieren.

Diese Auffassung wurde sowohl von enttäuschten Anhängern des früheren Außenministers Colin Powell unterstützt als auch von hoch geachteten Außenpolitikern im Senat wie Richard Lugar und vor allem Chuck Hagel. Das schaffte zusammen mit Bushs Ablehnung vieler wichtiger Empfehlungen der Kommission die Voraussetzungen für einen regelrechten Bürgerkrieg innerhalb der Republikanischen Partei.

Die politische Szenerie Amerikas wird in den nächsten beiden Jahren von bitteren parteiinternen Auseinandersetzungen geprägt werden, die wohl erst nach der Aufstellung eines neuen Präsidentschaftskandidaten ein Ende finden werden. Neokonservative werden den Ärger der Realisten über eine Eskalation des Krieges als unmoralische Schwarzmalerei in Verruf bringen, die lediglich zu einer weltweiten Herabsetzung der Vereinigten Staaten führe. Die Realisten wiederum werden ähnlich empört auf sechs Jahre neokonservativer Auswüchse verweisen: ein katastrophales Haushaltsdefizit, ein enormer Machtzuwachs der Regierung, die Einschränkung bürgerlicher Freiheiten und ein weltweiter Prestigeverlust der Vereinigten Staaten. Mit anderen Worten: nicht gerade die Art von Meinungsverschiedenheiten, die man mal so eben aus der Welt schafft.

Die entscheidende Schlacht jedoch wird um die Nominierung des nächsten Präsidentschaftskandidaten ausgetragen werden. Es wird fraglos die außenpolitisch folgenreichste Wahl seit 1952 sein, als General Dwight D. Eisenhower über den zum rechten Parteiflügel zählenden Robert Taft triumphierte. Mit Eisenhowers Nominierung war sichergestellt, dass die Außenpolitik des Demokraten Harry Truman von beiden Parteien getragen wurde. Gelänge es nun den Neokonservativen trotz Irak, Baker--Hamilton-Kommission und den Ergebnissen der Kongresswahlen, die -Nominierung des nächsten republikanischen Präsidentschaftskandidaten zu beeinflussen, dann könnte man ihnen kaum absprechen, in der  „Grand Old Party“ die neue herrschende Meinung in außenpolitischen Fragen zu verkörpern.

Das führt uns direkt zum Problem John McCain. Der eigenwillige Senator aus Arizona, ein verdienter, bei unabhängigen Wählern hoch angesehener Kriegsheld, könnte die Erfüllung aller Träume sein für eine Partei, die nach dem Verhängnis in Irak ein bisschen kleinlaut ist. Wäre da nur nicht ein Haken: McCain hat es tatsächlich geschafft, sich in Sachen Irak und Iran noch rechts von Präsident Bush zu positionieren. McCain ist ein vehementer Befürworter der Truppenaufstockung und hat – trotz der Unbeliebtheit des Planes auch bei republikanischen Wählern – erklärt, dass er lieber eine solche Politik unterstütze als selbst Präsident zu werden.

Angesichts der engen Beziehungen McCains zu Bill Kristol, einem verstockten Neokonservativen, hoffen die Realisten innerhalb der republikanischen Partei nun, McCain beim Wort nehmen und ihm die Nominierung verweigern zu können – eine Nominierung, die für sie den Abstieg aus der ersten Reihe der Partei bedeuten würde. Die Realisten müssen ihre Hoffnungen auf die beiden anderen Kandidaten setzen, die vielleicht genug Geld aufbringen, um McCain herausfordern zu können – den früheren Bürgermeister von New York Rudolph Giuliani und den ehemaligen Gouverneur von Massachusetts, Mitt Romney. Da sich noch keiner von beiden außenpolitisch einen Namen gemacht hat, steht den Realisten die eigentliche Arbeit erst noch bevor.

Zwischen Baum und Borke

Die Demokraten sehen sich derweil mit noch drängenderen politischen Problemen konfrontiert. Von ihnen, den Nutznießern des Wählerunmuts über die Irak-Politik der Regierung, werden jetzt ernsthafte Anstrengungen erwartet, deren Auswüchse zu zügeln. Zu ihrem Pech legt die Verfassung aber eindeutig fest, dass der Präsident zumindest in der Außenpolitik in der Regierung als Erster unter Gleichen gilt. Zwar kann (und sollte) der Kongress Anhörungen durchführen, bei denen die katastrophalen Entscheidungen des Weißen Hauses im Nachhinein hinterfragt werden, doch stellt die Verweigerung von Haushaltsgeldern für das Abenteuer Truppenaufstockung für die Demokraten den einzigen echten Hebel dar, um etwas zu bewirken. Das führt sie in gefährliches Fahrwasser, war doch seinerzeit die Weigerung der Demokraten, den ausgehenden Vietnam-Krieg weiter zu finanzieren, für die Republikaner ein gefundenes Fressen, um ihnen mangelnde Verteidigungsbereitschaft vorzuwerfen. Dieser Stempel haftete der Partei bis zum Ende des Kalten Krieges an. Die neue Führung wird nicht gerade erpicht darauf sein, diesen politischen Fehler zu wiederholen.

Wenn die Sperrung der Mittel also kein gangbarer Weg ist – wird der neue Kongress sich dann brav dem Haushaltsdiktat des Präsidenten zur Finanzierung seines Aufstockungs-abenteuers beugen? Das wiederum würde die Parteiaktivisten auf dem linken Flügel erzür-nen. Zu sehen, wie die von ihnen gewähl-ten Männer und Frauen dem Weißen Haus dabei helfen, seine Torheiten zu finanzieren, würde den allgemeinen Konsens unter den Demokraten darüber zerbrechen lassen, dass der Krieg falsch geführt wurde und beendet werden muss. Es scheint, als ob die gerade noch triumphierenden Demokraten in jedem Fall am politischen Pranger stehen werden – was auch immer sie in Sachen Irak unternehmen.

Licht am Ende des Tunnels

Und doch: Es gibt Licht am Ende des Tunnels. Geht man von den letzten Wahlergebnissen aus und von der hohen Wahrscheinlichkeit eines fortgesetzten Scheiterns im Irak, dann wird die öffentliche Meinung wohl kaum in Richtung der Neokonservativen schwenken. Damit eröffnet sich dem rechten Flügel der Demokratischen Partei (den Erben Trumans) oder dem linken Flügel der Republikanischen Partei (den Kindern Eisen-howers) die Möglichkeit, dem herrschenden Konsens politisch etwas Neues entgegenzusetzen. So oder so wird es Mut erfordern, eine solche überparteiliche Koalition wiederzubeleben und eine ethisch-realistische Alternative zu der verheerenden Politik aufzuzeigen, die der amtierende Präsident betreibt. Dem politischen System in Amerika ist es schon immer eindrucksvoll gelungen, seine schlimmsten Auswüchse zu korrigieren. In der kommenden Zeit wird diese Fähigkeit auf den Prüfstand gestellt werden wie nie zuvor.

Dr. JOHN C. HULSMAN,  geb. 1967, ist Alfred von Oppenheim Scholar in der DGAP. Sein jüngstes Buch (zusammen mit Anatol Lieven): „Ethical Realism.  A Vision for America’s Role in the World“ (2006).
 

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, Februar 2007, S. 92 - 97.

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