IP

01. Nov. 2008

Hüterin des Saatguts

Vandana Shivas friedlicher Feldzug für eine ökologische Landwirtschaft

In Indien wird sie verehrt wie ein Bollywoodstar: Vandana Shiva kämpft gegen Konzerne wie Monsanto, die mit ihrem Monopol die Äcker der Bauern kontrollieren und ihnen gentechnisch verändertes Saatgut aufzwingen wollen. Mit ihrer Umweltorganisation Navdanya hat sie in Indien Saatenbanken aufgebaut, über 1000 Reissorten und etliche Existenzen gerettet.

Mitten in Delhi, auf einem beliebten Kunsthandwerk-Markt, werden kleine Mahlzeiten aus ökologischem Anbau serviert. Für Indien, wo es bisher keine Bioläden gibt, eine kleine Sensation. Dies ist allerdings nur ein Nebenschauplatz für die Umweltorganisation Navdanya, die den Biostand betreibt. Eigentlich engagiert sich die Nichtregierungsorganisation für die große Revolution: Sie kämpft für die Souveränität der Bauen über das, was sie anbauen. Und bietet ihnen Schutz vor der Übermacht internationaler Konzerne. Diesen Kampf hat die Inderin Vandana Shiva Mitte der achtziger Jahre begonnen und zu ihrem Lebensthema gemacht. 1984 hat sie Navdanya gegründet. Der Name bezeichnet sinngemäß „neun Getreidesorten“, die den Grundstock der indischen Nahrungsversorgung ausmachen.

Sie ist eine kräftige, kleine Frau von Mitte 50 im Sari, strotzend vor Energie und mit einem messerscharfen Geist ausgestattet. Ihr Name bedeutet „Verehrung Shivas“ – des mächtigsten indischen Gottes, der in seinem Tanz die Welt zerstört und sie neu erschafft. Ein uraltes, kraftvolles Symbol für Werden und Vergehen, die ewige Wiederkehr des Lebens in der Mannigfaltigkeit seiner Formen.

Längst geht Vandana Shivas Saat auf: Über 1000 verschiedene lokale Reissorten hat die Hilfsorganisation Navdanya in 34 Saatenbanken im ganzen Land vor dem Aussterben bewahrt, darüber hinaus 31 Getreidesorten sowie Hülsenfrüchte, Gemüse und Heilpflanzen. Diese Sorten würden sonst verschwinden, weil internationale Konzerne mit großem Werbeaufwand den Bauern gentechnisch manipulierte Arten verkaufen. Diese sind zumeist unfruchtbar, die Bauern können nicht mehr einen Teil der Ernte für die nächste Aussaat zurücklegen, sondern müssen Saison für Saison neues Saatgut kaufen. „Als Folge der Globalisierung haben Konzerne wie Monsanto eine monopolartige Kontrolle über Saatgut erlangt“, kritisiert Vandana Shiva. „Das Hochpreis-Saatgut hat viele indische Bauern ins Elend gestürzt und Tausende in den Selbstmord getrieben.“ Die Massenselbstmorde bezeichnet sie als „Genozid“.

Verschärfend komme hinzu, dass die Regeln, die die Welthandelsorganisation 1996 zum Schutz des geistigen Eigentums verabschiedet hat, auch die Patentierung von Organismen und Saaten ermöglichen: „Danach hat der Patenthalter das monopolistische Recht, andere daran zu hindern, Saatgut herzustellen, zu benutzen oder zu verkaufen. Die Saatgutgewinnung wird somit von einer ‚heiligen Pflicht‘ des Bauern zum Vergehen des ‚Eigentums‘-Diebstahls. Der entsprechende Passus wurde von Biotechnologie-Unternehmen durchgesetzt, um sich zu den Herren des Lebens zu machen“, kritisiert die Öko-Aktivistin. Die Folge des so genannten TRIPS-Abkommens (Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights): 80 Prozent des eingesetzten gentechnisch veränderten Saatguts sei bereits geistiges Eigentum des US-Konzerns Monsanto.

Vandana Shivas Kritik ist stets gut begründet, scharf formuliert und mit Zahlen und Fakten untermauert – eine Methode, die sie während ihres Physikstudiums gelernt hat und nun im Kampf gegen die Lobbyarbeit der Konzerne einsetzt. „Als ich meinen Eltern nach dem Studium in Kanada sagte, dass ich nicht als Physikerin Karriere machen, sondern mich lieber für die indischen Bauern engagieren will, hat meine Mutter sofort gesagt: Du kannst gern den Kuhstall als Büro benutzen“, erzählt sie. Dort arbeitet sie bis heute – wenn sie ihren Bauernhof am Fuße des Himalayas besucht.

Beide Eltern hatten zuvor ihre Regierungsjobs an den Nagel gehängt, um ebenfalls in der Landwirtschaft zu arbeiten. Ihre Schwester ist Ärztin geworden und engagiert sich im Public Health Sektor, ihr Bruder, ein Offizier, ist ebenfalls Umweltaktivist. Hat sie es je bereut, auf die wissenschaftliche Karriere im Ausland verzichtet zu haben? „Kurzfristigen Opportunismus habe ich immer abgelehnt. Ein Physiker weniger, der der Welt schaden kann!“, sagt sie und lacht schallend. Wie ihr Vorbild Mahatma Gandhi versteht Vandana Shiva ihre Arbeit im Einklang mit dem Gewissen und der Wahrheit. Es ist ihr Lebenselexier: „Ich beziehe meine Energie aus dem Universum.“

Dann zückt sie bereits neue Zahlen: „Wussten Sie, dass 40 Prozent der Treibhausgase, die für die Erwärmung der Erdatmosphäre verantwortlich sind, durch ökologische Landwirtschaft eingespart werden könnten?“ Nach Berechnungen ihrer Organisation trägt nicht nur der Einsatz chemischer Düngemittel in erheblichem Maße zur Anreicherung der Atmosphäre mit dem Treibhausgas CO2 bei, während die Prozesse des biologischen Anbaus umgekehrt CO2 verbrauchen. Auch der durch die industrialisierte Landwirtschaft geförderte weltweite Handel mit Nahrungsmitteln und der damit verbundene Transport rund um den Globus zählen zu den Mitverursachern der Erderwärmung. „Nach einer Studie des dänischen Umweltministeriums führt der Transport von einem Kilogramm Nahrungsmitteln zum Ausstoß von zehn Kilogramm Kohlendioxid“, erklärt die Physikerin den Zusammenhang von Agrarpolitik und Klimakrise. „Leider achtet bei der Debatte um den Klimaschutz kaum jemand auf die Landwirtschaft, alle schauen nur auf die Verbrennung fossiler Energieträger in Kraftwerken und Transportmitteln.“

Es ist die Mischung aus naturwissenschaftlicher Präzision und absolutem Engagement, die Vandana Shiva ausmachen. Die Mission der Mutter von zwei erwachsenen Kindern beschränkt sich längst nicht mehr auf Indien. Sie ist Vorstandsmitglied im World Future Council in Hamburg und hat gerade die Mitarbeiter des nächsten G-8-Gipfels auf die Konferenz im kommenden Jahr auf Sardinien vorbereitet. Auch an der Ausarbeitung des Kyoto-Folgeprotokolls zum Klimaschutz ist sie beteiligt. Ihr neues Buch wird „Soil not Oil“ („Erde nicht Öl“) heißen und erklärt den Zusammenhang zwischen ökologischer Landwirtschaft und Klimaschutz. „Inzwischen kann man sagen: Esst organisch, das hilft dem Klima!“

Shivas Popularität provoziert Kritik. 2002 wurde ihr auf dem Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg von dem indischen Liberty Institute der „Bullshit Award for Sustaining Poverty“ verliehen. Ihre Gegner werfen ihr vor: „Millionen von Menschen leben von knochenharter Arbeit in landwirtschaftlicher Subsistenzwirtschaft. Nicht, weil sie es wollen, sondern weil sie es müssen. Dennoch behauptet Frau Shiva, moderne Agrartechnologie sei zu gefährlich für die Armen. Bauern wählen aber moderne Technologien aus freien Stücken und aus guten Gründen. Und davon profitiert auch die Umwelt.“

Solche Vorwürfe ist Shiva gewohnt und sie beantwortet diese gelassen: „Die Industrie kann gar nicht so viele Jobs schaffen. Derzeit zerstört sie in Indien eher Lebensgrundlagen. Nach unseren Berechnungen würde es 390 Jahre dauern, bis dabei alle Menschen in Lohn und Brot sind. Und dann? Es wird immer vergessen, dass auch jemand Lebensmittel anbauen muss. Was sollen wir denn sonst essen?“

BRITTA PETERSEN arbeitet als Korrespondentin in Neu-Delhi für Weltreporter.net.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 11, November 2008, S. 44 - 47

Teilen

Mehr von den Autoren