Goodbye, liberales Amerika?
Die Außenpolitik der zweiten Präsidentschaft Bush
Die Europäer können sich keinen eigenen amerikanischen Präsidenten backen, und sie können
auch George W. Bush kein politisches Valium verabreichen. Also sollten sich beide Seiten der
Realität stellen, erklärt Christian Hacke, der profilierte Bonner Amerika-Kenner. Viel wird von
den Personalentscheidungen in den nächsten Wochen abhängen, Bush könnte drei verschiedene
außenpolitische Wege einschlagen.
Amerika hat gewählt, George W. Bush hat überraschend klar gewonnen. Den Makel der politischen Illegitimität hat Präsident Bush durch dieses beeindruckende Wahlergebnis getilgt, zumal er sich auch auf eine konservative Mehrheit in beiden Häusern des Kongresses stützen kann. Amerika rückt nach rechts, weil die Amerikaner es so wollen. Daran müssen sich erst viele gewöhnen, nicht nur in den USA. Der Krieg gegen den Terror, nicht der Irak-Krieg, aber auch Religion und die Persönlichkeit von Bush haben die Wahlen entschieden. Sein Bekenntnis zu einem ethisch moralischen Konservatismus hat alle innen- und außenpolitischen Herausforderungen geprägt. Die Mehrheit der Amerikaner ist ihm dabei gefolgt.
Weder die Amerikaner noch der Präsident ließen sich dadurch beeinflussen, dass Amerikas Ansehen in der Welt seit Bushs Amtsantritt an einem historischen Tiefpunkt angelangt ist. Seinen Landsleuten kommt der selbstbewusste Stil des Texaners entgegen. Diese maskuline und zugleich gottesfürchtige Haltung ist mehr als Cowboy-Attitüde in der Südstaatenkultur, sie hat auch das Herzland der USA erobert.
Europäer haben diesen selbstgerechten Aspekt der politischen Kultur der USA, religiös aufgeladen durch den Anspruch als auserwähltes Volk, verdrängt, weil die USA in den vergangenen Jahrzehnten vor allem als sanfter Hegemon geschätzt wurden, als liberale Weltordnungsmacht, die auf Gemeinsamkeit setzte und Verbündete in der Regel konsultierte. Seit dem 11. September 2001 jedoch ist eine Wende eingetreten: Die Amerikaner wurden direkt angegriffen und Präsident Bush führt seitdem einen Krieg gegen die Kräfte des Bösen. Gleichzeitig hat 9/11 Bush erst die Gelegenheit gegeben, seine tief verwurzelten missionarischen Werte und Ziele in die Realität umzusetzen. In diesem Wahlkampf in Zeiten des Krieges wurde die Angst von Bush geschickt instrumentalisiert.
Wenn die benachteiligten Schichten Bush gewählt haben, dann nicht wegen einer großzügigen Sozialpolitik, sondern weil sie für seinen Patriotismus und seinen Appell an Amerikas Überlegenheit und Sendungsbewusstsein anfällig sind. Bush hat das intellektuelle und liberale Amerika zurückgedrängt und die schweigende Mehrheit, wie man in den sechziger Jahren gesagt hätte, also das konservative und gottesfürchtige Amerika gestärkt. Dass er sein Mandat auch als von Gott gegeben versteht, ist dieser Mehrheit mehr als recht, schließlich soll er den USA moralische Führung geben. Vielleicht wird Bush diesen Werten in einer zweiten Amtszeit sogar noch mehr huldigen.
Bleiben Europäer und Deutsche bei ihrer Einschätzung von Bushs politischem und moralischem Auftrag, dann werden sie in den kommenden Jahren die Dynamik dieses Missionsgedankens und seine Auswirkungen auf Bushs Außenpolitik erneut unterschätzen: „Wir sind jetzt ein Imperium, und wenn wir handeln, schaffen wir unsere eigene Realität. Während sie (die Europäer) klug und verständig diese Realität studieren, schaffen wir längst neue Realitäten, die sie dann ebenfalls studieren können. Wir sind die Akteure der Geschichte“, so ein Berater von Präsident Bush gegenüber dem Reporter Ron Suskind. Die Bush-Administration wird Amerikas Führungsanspruch bekräftigen. Was wird das bedeuten? Die Welt kann sich auf drei Entwicklungen in der amerikanischen Außenpolitik einstellen:
Bushs Dreifaltigkeit
- Präsident Bush macht „business as usual“, also weiter wie bisher, vor allem mit Blick auf die Antiterrorstrategie, aber auch mit Blick auf die klassische Imperialstrategie des „divide et impera“ gegenüber den Verbündeten. Wer seine Politik gegen den Terror unterstützt, inklusive Irak-Politik, wird hofiert. Diese Koalition der Willigen soll vorrangig nicht Menschenrechte und Demokratie fördern, sondern amerikanische Interessen regional und global voll unterstützen.
- Präsident Bush wird in Wort und Tat arroganter und fordert verschärft die Anpassung der Welt an seine außenpolitischen Vorgaben, Interessen und Wertvorstellungen. Die Folge wäre eine Zuspitzung des manichäischen Weltbilds, also die Aufteilung der Welt in Gut und Böse. Wenn sich ein Staat oder eine Institution außerhalb dieses Feldes zu positionieren versucht, wird dies in Washington als feindlicher Akt interpretiert. Erste Äußerungen von Vizepräsident Dick Cheney könnten als Beleg gelten, dass der Einfluss der Neokonservativen und der gottesfürchtigen Evangelikalen in der Außenpolitik noch steigt. Nicht nur eine neoimperiale Attitüde, sondern auch der Ausbau des imperialen Projekts und die Transformation von Partnern und Freunden in Abhängige würden zur zentralen Zielsetzung. Geostrategisch würde Bushs Außenpolitik noch mehr darauf abzielen, ausgewählte Staaten und Regionen zu dominieren sowie neue Staaten und Regionen in den amerikanischen Orbit zu ziehen und vor allem militärisch und ökonomisch das Aufkommen von Rivalen zu verzögern oder gar zu verhindern. Eindämmung und Zurückdrängen, diese historischen Strategien aus dem Kalten Krieg, würden mit Blick auf den Terror weiter ausgebaut, wobei die Bush-Doktrin vor allem in ihrem militärischen Kern fortentwickelt würde. Dabei würden weitere Schurkenstaaten wie Iran, Nord-Korea und Kuba ins Visier rücken. Freiheit, Demokratie und Gottesglaube würden den liberalen Missionsgedanken transformieren zu einer Fortsetzung der Außenpolitik von Woodrow Wilson mit „Schwert und Kruzifix“. Hierbei könnte die Gefahr entstehen, dass die innere Polarisierung Amerikas sich auf die ganze Welt überträgt.
- Doch es gibt auch Hoffnung, dass Bush in seiner zweiten Amtszeit nach Vorbild Ronald Reagans eine nüchterne Variante von Außenpolitik einschlägt und auf die realpolitischen Pragmatiker in seiner Partei stärker zurückgreift. Die realpolitisch geprägten Republikaner, Kern der amerikanischen außenpolitischen Elite seit den Zwanzigern, hatten in der ersten Amtsperiode von Präsident Bush Federn lassen müssen. Ihre Empfehlungen, ihr Rat, vor allem ihre Kritik an einem Irak-Abenteuer, lange vor Kriegsbeginn, waren von Bush und seinen Beratern negiert worden. Angesichts der steigenden Kosten in Irak braucht Bush die Hilfe von Verbündeten mehr denn je, auch die der Vereinten Nationen. Es fragt sich nur, ob er sich aus taktischen Überlegungen oder aus Überzeugung anpassen würde. Zumindest könnte sich darum sein Stil gegenüber den Verbündeten ändern. Auch könnte er angesichts weiterer drohender Konflikte, wie mit Iran oder Nord-Korea, die Hilfe von Verbündeten oder Nachbarstaaten verstärkt in Anspruch nehmen.
Die außenpolitische Gretchenfrage lautet also: Passt sich Bush mehr den Bedürfnissen, Interessen und Herausforderungen der Weltpolitik an, vielleicht auch, weil er die Unterstützung der Alliierten für amerikanische Zielsetzungen braucht? Findet er also Gefallen an einer stärker multilateralen und multinationalen Variante von Außenpolitik? Oder fordert Bush ohne Wenn und Aber, dass sich die Welt den USA als Imperialmacht letztlich anzupassen hat? Diese neoimperiale bzw. neokonservative Perspektive findet zwar in der Welt kaum Zustimmung, aber im eigenen Land. Mit den Mehrheiten in beiden Häusern des Kongresses besitzt Bush auch innenpolitischen und institutionellen Rückhalt. Seit 25 Jahren hat kein Präsident derart umfassende machtpolitische Voraussetzungen besessen, um die außenpolitischen Ziele auch innenpolitisch durchzusetzen. In den kommenden Monaten wird sich zeigen, ob Präsident Bush der einen oder der anderen Richtung zuneigt.
Wie bei der Wiederbesetzung der freiwerdenden Richterstellen im Obersten Gerichtshof wird auch seine außenpolitische Personalpolitik in den in den nächsten Wochen Aufschluss über die künftige Entwicklung geben. Wird Bush Außenminister Colin Powell durch einen neokonservativen Politiker ersetzen? Oder wird er umgekehrt Verteidigungsminister Donald Rumsfeld durch einen gemäßigten Republikaner ersetzen? Letzteres wäre ein Zeichen für außenpolitischen Pragmatismus. Und wenn Präsident Bush gar einen Demokraten ins Kabinett holen sollte, würde sich seine Bereitschaft zur überparteilichen Zusammenarbeit auch in der Außenpolitik andeuten.
Bush hat nicht nur außenpolitische Optionen, vielmehr ist er mit vielen Dilemmata konfrontiert, wie vor allem in Irak. Aber auch Iran und Nord-Korea verheißen nichts Gutes. Da er in allen drei Fällen die Hilfe anderer braucht und in anderen Krisen ebenfalls Zusammenarbeit notwendig wäre, würde es nicht überraschen, wenn er etwas einlenken und den Argumenten der Verbündeten mehr Aufmerksamkeit schenken würde.
Aber es ist nicht auszuschließen, dass Präsident Bush die drei außenpolitischen Varianten simultan verfolgt. So könnte er „business as usual“ gegenüber Russland und der VR China praktizieren, verschärft konfrontativ gegenüber weiteren möglichen Schurkenstaaten vorgehen und drittens größere außenpolitische Aufgeschlossenheit gegenüber den UN und den Verbündeten praktizieren. Hier bieten sich vielerlei Alternativen und Kombinationen an.
Europas Einfalt
Was sollten Amerikaner und Europäer also tun? Die Europäer sollten untereinander zusammenrücken und sich auf die atlantische Dimension ihrer Politik zurückbesinnen, während umgekehrt in Washington mehr europapolitische Geschmeidigkeit gefordert ist. Bleibt man auf beiden Seiten des Atlantiks bei den alten Rechtfertigungsstrategien, dann könnten in den USA die Tendenz zu Unilateralismus und imperialer Gebärde weiter ansteigen. In Amerika würde die Arroganz der Macht nicht abnehmen, folglich in Europa zumeist aus Frustration und innerer Zerrissenheit die Arroganz der Ohnmacht zunehmen. In dieser Konstellation würden die Europäer das bleiben, was sie bisher für Bush gewesen sind: Bestenfalls nützliche Hilfstruppen, schlimmstenfalls lästige Störenfriede. Die Auswirkungen wären fatal, nicht nur für die USA und nicht nur für Europa, sondern für die größere, gemeinsame Idee der atlantischen Zivilisation. Die Gräben würden tiefer und vor allem würde sich das jahrzehntelange Zentrum der Weltpolitik, die atlantische Zivilisation, weiter auflösen.
Die deutsch-amerikanischen Beziehungen stehen nach den Wahlen vor den Möglichkeiten eines Neuanfangs. Die Welt hat sich zwar nicht verändert, auch hat sich die Sichtweise in Washington und in Berlin nicht völlig verändert. Grundlegendes Misstrauen wird fortbestehen. Aber Bushs überwältigender Wahlsieg zeigt, dass er kein einsamer Radikaler ist. Berlin muss sich damit abfinden, dass Bush im eigenen Land klaren Rückhalt genießt. Nicht Wunschdenken sollte die Europäer durchdringen, sondern mehr Realismus, aber auch Verständnis für die amerikanischen Belange. Weder können wir den amerikanischen Präsidenten nach unserem Geschmack backen, noch können wir ihm politisches Valium verabreichen, wir müssen ihn nehmen wie er ist. Es gibt keinen Weg zurück in die transatlantische Vertrautheit vor dem 11. September. Das gilt auch für die NATO. Die Europäer müssen endlich begreifen, dass sie mehr tun müssen als bisher, damit das Bündnis nicht weiter verkommt und zu einer Versammlung von Staaten degeneriert, aus der sich die USA für ihre Mission die jeweils willigen Koalitionspartner zusammenstellen kann.
Mit Blick auf eine gemeinsame europäische Außenpolitik müssen die Europäer erkennen, dass jede Alternative zum atlantischen Europa ins politische Niemandsland führt. Briten, Italiener, Polen, Niederländer oder Dänen wünschen keine EU als Gegenmacht zu den Vereinigten Staaten, sondern das transatlantische Bündnis. Wird dies der Mehrheitswille in Europa, dann lässt sich auch Bushs Europa-Politik positiv beeinflussen. Je kreativer, geschlossener und glaubwürdiger die Europäer außenpolitisch handeln, desto mehr Zusammenarbeit wird mit der Regierung Bush möglich werden. Auch die USA brauchen Verbündete, denn die Invasion in Irak hat das Land an militärische und finanzielle Grenzen geführt.
Selbstgerecht oder angemessen?
Als Fazit lässt sich festhalten: Die Angst vor dem Terror und die Sehnsucht nach einer starken Führung waren in den Vereinigten Staaten bei der Präsidentschaftswahl stärker ausgeprägt als der Wunsch nach einem Wandel. Die Mehrheit der Amerikaner wünscht einfache Antworten auf komplexe Fragen. Die Welt hingegen wünscht eine differenzierte Analyse des Terrors, seiner Hintergründe und seiner gesellschaftspolitischen sowie regionalen und nationalen Ursachen.
Eine bescheidene Außenpolitik hatte Bush während des Präsidentschaftswahlkampfs 2000 versprochen. „Wenn wir arrogant sind, werden sie uns hassen“, erklärte er. Vier Jahre später ist seine Prognose Wirklichkeit geworden, aber nicht weil sich die USA militärisch engagieren, sondern weil sie eine zu selbstgerechte neoimperiale Politik betreiben. Der 11.9. hat vieles verändert; aber nicht alles war im Zeichen der Terrorismusbekämpfung nötig. Irgendwo zwischen Kabul und Bagdad hat Bush die Orientierung verloren. Die Außenpolitik der zweiten Regierung Bush wird sich in der Mischung folgender Faktoren zeigen: Seinen persönlichen Ambitionen, dem Mandat der Wähler, der Art und Weise, wie er mit dem außenpolitischen Erbe seiner Vorgänger umgeht, den Mehrheitsverhältnissen im Kongress und nicht zuletzt den unvorhersehbaren außenpolitischen Herausforderungen, auf die es angemessen und klug zu reagieren gilt.
Die kommenden vier Jahre bergen damit genügend Überraschungen in sich. Aber die Welt und insbesondere Europa werden hoffentlich genügend Lernfähigkeit entwickeln, nicht nur mit Präsident Bush zu leben, sondern auch mit ihm konstruktiv zusammenzuarbeiten. Nur so kann auch auf Washington Einfluss genommen werden. Denn die USA bleiben als Weltordnungsmacht unverzichtbar. Ohne Amerika oder gar gegen Amerika und die Regierung Bush lässt sich keine Weltordnungspolitik verwirklichen. Das gilt auch für Europa.
Internationale Politik 11-12, November/Dezember 2004, S. 5‑9
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