Gegen den Strich

27. Okt. 2025

Gegen den Strich: Zukunft der Klimaaußenpolitik

Wären Ausreden und Abwarten wirksame Mittel gegen die Erderwärmung, hätte die Menschheit längst ein Problem weniger. Kaum ein Diskurs ist so stark von Mythen und Missverständnissen geprägt wie der zum Klimawandel. Auch hierzulande hat der Griff in die rhetorische Mottenkiste Konjunktur: Es sei nun mal gerade „kein Geld“ für den Klimaschutz übrig, da „andere Themen Priorität“ hätten und man als einzelnes Land ohnehin „kaum etwas ausrichten“ könne. Eine Entgegnung. 

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Bild: Tote Bäume ragen aus einer von Unwettern zerstörten Landschaft in Bangladesch
Lebensfeindliche Umgebung: In Bangladesch treiben Extremwetterereignisse und der steigende Meeresspiegel immer mehr ­Menschen in die Flucht. Wie eng Klimawandel und Sicherheit miteinander verknüpft sind, wird hier besonders deutlich.
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„Freiheit, Sicherheit und Wohlstand stehen im Zentrum der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik – damit ist das Klima vom Tisch“

Hoffentlich nicht, denn Nachhaltigkeitsbemühungen zahlen auf diese Agenda ein, und ohne Klimaschutz ist kaum einer dieser drei Werte abzusichern. 

Bundeskanzler Friedrich Merz betont wiederholt in seinen außenpolitischen Reden die Priorität von Freiheit, Sicherheit und Wohlstand. Diese nicht ganz neuen Elemente einer effektiven Außenpolitik wurden in verschiedenen Grundsatzreden auch vom deutschen Außenminister Johann Wadephul als Leitmotiv herausgestellt – schon immer war ihr Schutz Zielsetzung der deutschen Außenpolitik.

Doch bedeutet diese Prioritätensetzung eine Abkehr von einer deutschen Klimaaußenpolitik in Zeiten geopolitischer Krisen? Die Rhetorik deutet darauf hin. Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen spielt im außenpolitischen Diskurs nur noch eine untergeordnete Rolle. Dabei sind Wohlstand, Freiheit und Sicherheit in überschwemmten Gebieten, brennenden Wäldern und verseuchten Ozeanen kaum zu erreichen. 

Eine Sicherheitspolitik ohne Klimaschutz ist ineffektiv. Integrierte Sicherheit bedeutet nicht nur eine Verknüpfung der inneren und äußeren Sicherheit. Sie bedarf auch einer Krisenfrüherkennung, die eine veränderte Risikolandschaft rechtzeitig identifiziert und keine Faktoren aus ideologischen Gründen außer Acht lässt. Es ist kurzsichtig, dass sich der neu geschaffene Nationale Sicherheitsrat nicht mit den Themen Artenverlust und Klimafolgen beschäftigen soll. Denn der Entzug der Lebensgrundlagen verschärft bestehende Krisen und schafft neue. Das zeigen auch die Vertreibungs­zahlen der vergangenen Jahre. 

In vielen Ländern, in denen Gewalt und Konflikte Menschen zur Flucht zwingen, sind gleichzeitig auch Stürme und Überflutungen Ursachen für Migration. Die Gründe dafür sind vielfältig: Oft werden Staaten in Konfliktsituationen ihrer Schutzverantwortung gegenüber der Bevölkerung nicht gerecht. Unzureichende Anpassungsmaßnahmen durch schwache Regierungen und fehlende Mittel bedeuten, dass die Menschen vielerorts den immer häufiger und intensiver werdenden Naturgewalten schutzlos ausgesetzt sind. 

Im Jahr 2024 standen weltweit 70 Prozent der Binnenvertreibungen im Zusammenhang mit ­Naturkatastrophen, davon fast alle aufgrund von Extremwetterereignissen. 30 Prozent entfielen auf Konflikte und Gewalt.

Auch die planetare Sicherheit ist in Gefahr. Der im September 2025 vorgelegte „Planetare Gesundheitscheck“ des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) belegt, dass bereits sieben der neun kritischen Belastungsgrenzen des Erdsystems überschritten sind. Zuletzt bewegte sich die ebenfalls durch CO2-Ausstoß angetriebene Ozeanversauerung in den Gefahrenbereich. Die Folgen für das Leben unter der Meeresoberfläche und die Fischerei sind gravierend.

Diese den gesamten Planeten betreffenden Veränderungen weisen darauf hin, dass sich das Erdsystem radikal zu Ungunsten des Menschen verändert. Die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen bedroht unsere Sicherheit fundamental und sollte somit von der Sicherheitspolitik auch in Gegenwart anderer großer Bedrohungen nicht außer Acht gelassen werden. Investitionen in erneuerbare Technologien können Deutschlands ­militärische Resilienz erhöhen.

Auch auf internationaler Ebene muss der Klima-
Sicherheits-Nexus gestärkt werden. Im Falle einer erfolgreichen Bewerbung für einen nichtständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat liegt es an Deutschland, seine Ankündigungen aus der Kandidatur in die Tat umzusetzen und den Fokus auf Klima, Sicherheit und Konfliktprävention zu legen. Nach dem Rückzug der USA aus dem UN-System und aus der internationalen Klimafinanzierung könnte Deutschland – als einer der größten Geber weltweit – gemeinsam mit Partnern Impulse setzen, um institutionelle Veränderungen und die Lösung drängender Menschheitsprobleme voranzutreiben. Der laufende UN-Reformprozess bietet dafür eine besondere Möglichkeit. Unter dem Eindruck der Abwesenheit und Destruktivität der Amerikaner könnte die Bundesregierung ihre Soft Power weiter ausbauen, anstatt das eigene entwicklungspolitische Engagement infrage zu stellen.


„Zuerst muss Deutschland Wohlstand und Freiheit sichern, der Klimaschutz wird später gelingen“

Diese Rechnung geht nicht auf. Ein Wohlstand ohne Transformation stünde auf tönernen Füßen, Freiheit in einer 3 Grad wärmeren Welt ist nicht vorstellbar. In der Kritik an den Kosten des Umbaus der Wirtschaft hin zu mehr Nachhaltigkeit wird oft vernachlässigt, wie teuer Stillstand wäre. Nicht nur würde Deutschland seine Wettbewerbsfähigkeit verlieren, weil Wachstumsmärkte Dinosauriertechnologien weniger nachfragen. Auch die unkontrollierbaren Folgen des Klimawandels würden Industriestandorte und Infrastruktur zerstören. 

Der Weltklimarat beschreibt diesen möglichen Kontrollverlust euphemistisch als „Grenzen der Anpassung“. Über das, was jenseits dieser Grenzen liegt, gibt es keinen wissenschaftlichen Konsens und somit auch nahezu keine öffentliche Debatte. Da das Erdsystem von nichtlinearen Veränderungen geprägt ist, könnten später eingesetzte Maßnahmen bereits ausgelöste Rückkopplungseffekte nicht mehr ungeschehen machen. Genau darin liegt das Risiko sogenannter „Overshoot“-Szenarien, bei denen Temperaturgrenzen zunächst durchbrochen und dann durch die massive Entnahme von Treibhausgasen aus der Atmosphäre – sogenannte negative Emissionen – wieder unterschritten werden. Nicht nur ist die Rückkehr auf ein niedrigeres Temperaturniveau ungewiss. Während der Grenzüberschreitung würden auch große Ökosysteme irreparabel zerstört werden, die heute Lebens- und Wirtschaftsraum von Menschen sind.

Auch die Freiheit würde in einer 3 Grad wärmeren Welt großen Schaden nehmen. Die Folgen der Erderhitzung beschneiden die staatliche Selbstbestimmung, indem zum Beispiel ökonomische Schäden Entscheidungsräume einschränken oder lange als selbstverständlich geltende Lebensgrundlagen zurückgehen. Schon heute wirkt der Klimawandel als strukturelle Gewalt, da er vielen Menschen gesunde Lebensjahre raubt und Ungleichheiten verstärkt. Ein Großteil fossiler Ressourcen liegt zudem in den Händen von Autokratien, die ihre Machtstrukturen durch den profitablen Export zementieren können. Deutschland importiert 95 Prozent seines Gasbedarfs und 98 Prozent seines Erdöls, da es selbst nur geringe Gas- und Erdölvorkommen hat. Jedes zusätzlich gebaute Gaskraftwerk, jede weitere Ölheizung und jeder neue Benziner bedeuten weitere Abhängigkeiten. Überdimensionierte Investitionen in die Gasinfrastruktur kommen somit insbesondere anderen Staaten zugute, darunter auch Autokratien. 

Ein ungenügender politischer Rahmen und das ständige Infragestellen bereits geschlossener Kompromisse wie dem Verbrenner-Aus führen dazu, dass Deutschland seine einstige Führungsrolle in der internationalen Klimadiplomatie abgibt. Der Anspruch an andere Länder wächst, während im Inland die eigenen Ambitionen zurückgefahren werden. Die Elektrifizierung und der Ausbau heimischer erneuerbarer Energien, die seit über 30 Jahren diskutiert und schrittweise vorangebracht wurden, können hingegen mittelfristig die deutsche Sou­veränität erhöhen.


„Deutschland ist nur für 1,8 Prozent der globalen Emissionen verantwortlich“

Das stimmt. Und Polen ist nur für 0,8 Prozent der Emissionen weltweit verantwortlich. Und Frankreich nur für 0,7 Prozent. Und die Niederlande nur für 0,3 Prozent. Die Liste ließe sich fortsetzen. 

Mit seinen scheinbar geringen 1,8 Prozent liegt Deutschland auf Platz sechs der weltweit größten Verschmutzer der Atmosphäre. Denn – Überraschung – wenn man 100 Prozent der Emissionen auf 193 Länder aufteilt, kommt jeder Staat nur für einen relativ geringen Anteil auf. Deutschland ist mit Abstand der größte Emittent in Europa. Und die EU liegt, wenn man die Emissionen ihrer Mitgliedstaaten kumuliert, auf Platz vier hinter China, den USA und Indien. Doch lässt sich daraus ableiten, dass Länder mit einem geringen Anteil an den globalen Emissionen die Verantwortung von sich weisen können und keine Gegenmaßnahmen einleiten müssen? Wohl kaum. 

Ähnlich sieht das auch der Internationale Gerichtshof (IGH). In seinem umfangreichen Gutachten vom Juli 2025 zu staatlichen Verpflichtungen in Bezug auf den Klimawandel schreibt er in Artikel 277: „Dies bedeutet nicht, dass individuelles Verhalten, das zu Emissionen führt, nicht die Verpflichtung zur Verhinderung erheblicher grenz­überschreitender Schäden begründen kann, selbst wenn eine solche Aktivität für sich genommen ökologisch unbedeutend ist.“ Das impliziert, dass der eigene Anteil in Kombination mit den Beiträgen anderer Staaten betrachtet werden muss, auch wenn er in Isolation keinen Schaden anrichten würde. Anders formuliert: Die scheinbare Geringfügigkeit entbindet die Staaten nicht von ihrer Verpflichtung, die eigenen Emissionen zu senken.

Auch das von der UN-Generalversammlung mit großer Mehrheit verabschiedete Menschenrecht auf eine saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt weist in diese Richtung. Denn gilt eine saubere Umwelt als Menschenrecht, so ist ihre Zerstörung folglich eine Menschenrechtsverletzung. Die Auswirkungen des Klimawandels verdeutlichen diesen Zusammenhang bereits auf dramatische Weise: Sie richten grenzübergreifende Schäden an, die vor allem jene Menschen treffen, die am wenigsten zu ihrer Entstehung beigetragen haben. 

Schon heute fallen etwa Kinder und Jugendliche weltweit den intensiveren und häufigeren Extremwetterereignissen zum Opfer, werden zu Vertriebenen gemacht oder leiden Hunger. Die Überflutungen in Texas 2025 zeigen, wie selbst in hochentwickelten Ländern Wetterextreme den Katastrophenschutz überfordern und tödlich enden können. Mehr als 135 Menschen fielen den Fluten zum Opfer, darunter auch 20 Mädchen, die an einem Sommercamp teilnahmen. Die Verletzung von Menschenrechten durch den unzureichenden Schutz der Umwelt verdeutlicht, dass das Argument der scheinbaren Geringfügigkeit der Emissionen keinen Bestand hat: Selbst wenn andere Staaten noch gröbere Verstöße gegen Menschenrechte verantworten, sollten auch Staaten mit weniger umfangreichen Menschenrechtsverletzungen Rechenschaft ablegen und zukünftige Schäden abwenden. 

Die Marshall-Inseln, deren gesamtes Staatsgebiet vom steigenden Meeresspiegel überschwemmt werden könnte, sind übrigens nur für 0,01 Prozent der globalen Emissionen verantwortlich.


„Aber China macht zu wenig beim Klimaschutz“

Das ist nur die halbe Wahrheit. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass fünf Staaten mehr Emissionen ausstoßen als Deutschland – allen voran China und die USA. In absoluten Zahlen steht China an der Spitze: Mit rund einem Drittel der globalen Emissionen ist das Land der schlimmste Klimasünder. Die USA folgen mit einem Anteil von etwas weniger als 14 Prozent. Das relativiert sich jedoch, wenn man in Betracht zieht, dass in China 1,4 Milliarden Menschen leben – also gut vier Mal so viel wie in den USA. Somit sind die Pro-Kopf-Emissionen der Chinesen deutlich geringer als die der Amerikaner – und nur leicht über dem, was die Deutschen ausstoßen. 

Auch die Anrechnung von Emissionen spielt bei der Beurteilung des eigenen Hebels eine Rolle. Emissionen werden den Staaten zugeordnet, in denen sie verursacht, also ausgestoßen werden. Das klingt erstmal nachvollziehbar; doch sollte nicht unterschlagen werden, dass viele Güter, die ein Land wie China produziert, in anderen Ländern konsumiert werden. So kann durch den Welthandel auch ein Teil der eigenen Emissionen ausgelagert werden; Deutschland etwa „exportiert“ rund 24 Prozent seiner Emissionen. Weil Deutschland Industriestandort ist, liegt dies noch knapp unter dem europäischen Mittelwert – viele europäische Länder exportieren noch höhere Anteile ihrer Emissionen, weil sie selbst emissionsintensive Güter nicht herstellen, aber konsumieren. 

Wie man es dreht und wendet: Die Emissionen müssen rasch gesenkt werden, insbesondere in den G20-Staaten, die für 80 Prozent der Gesamt­emissionen verantwortlich sind. Die Bundesrepublik hat allerdings nur begrenzt Möglichkeiten, auf die Emissionen Chinas einzuwirken. Zu den ­Instrumenten, die transnational wirken, gehören etwa die internationalen Klimaschutzverhandlungen, das Vertragswerk von Paris, die Etablierung von Normen durch die Europäische Union sowie der europäische CO2-Grenzausgleich (Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM).

Blickt man auf Chinas Klima- und Energiepolitik, ergibt sich auch hier ein zweigeteiltes Bild. Peking macht wenig und viel zugleich: Es investiert massiv in erneuerbare Technologien und läuft damit allen anderen Staaten den Rang ab. Gleichzeitig steigt es nicht konsequent aus den fossilen Energien aus, um seine Emissionen rasch zu senken. China hat die EU bereits vor mehr als einem Jahrzehnt überholt, wenn es um Investitionen in erneuerbare Energien geht – das Land baut inzwischen ungefähr doppelt so viel Gigawatt Leistung auf wie alle anderen Länder zusammen. Was klimapolitisch sensationell ist, wirft geopolitische Sorgen auf, denn andere Länder verlieren immer mehr den technologischen Anschluss, geraten tiefer in Abhängigkeiten. Auch viele der Seltenen Erden, die es für die erneuerbaren Technologien braucht, sind unter Kontrolle der Volksrepublik. In den vergangenen fünf Jahren hat China darüber hinaus im Automobilsektor den Verkaufsvorsprung von seinen Elektrofahrzeugen massiv ausgebaut – günstige Preise und moderne Unterhaltungssysteme ziehen Käufer an. Jedes zweite Elektroauto weltweit fährt in China. 

Trotz dieses rasanten Ausbaus von Energiewende-Technologien ist das chinesische CO2-Problem noch nicht unter Kontrolle, denn das Land steigt bisher nicht aus den fossilen Energien aus. Im Windschatten des amerikanischen Versagens positioniert sich China rhetorisch als Anführer im globalen Klimaschutz. Und das, obwohl es weiterhin in Kohleenergie investiert. Zumindest scheint jedoch ein Scheitelpunkt in der chinesischen Emissionskurve erreicht, der Ausstoß geht graduell zurück. Auf der UN-Klimawoche in New York im September 2025 stellte Staatschef Xi Jinping Chinas neues Emissionsminderungsziel bis 2035 vor, das erstmals eine absolute Reduktion der Treibhausgasemissionen um 7 bis 10 Prozent vorsieht. Es bleibt weniger ambitioniert als die Pläne der EU, was sogleich kritisiert wurde. Allerdings konnte die EU zu diesem Zeitpunkt im Gegensatz zur Volksrepublik noch kein aktualisiertes Minderungsziel vorlegen, das eigentlich schon im Februar fällig gewesen wäre. 

Gewiss: Es ist einfacher, das Verhalten anderer zu kritisieren, als das eigene zu ändern. Doch wenn es um den globalen Klimaschutz geht, hat Deutschland die größte Wirkmacht über die Reduktion der eigenen Emissionen, nicht über jene der anderen Länder. Die Bundesregierung sollte deshalb fleißig vor der eigenen Haustür den Besen schwingen und zusätzlich in den internationalen Klima-
schutz investieren.


„Ohne den Beitrag der USA ist der deutsche Klimaschutz sinnlos“ 

Nicht so schnell. Der erneute Austritt der USA aus dem Pariser Klimaabkommen und die damit einhergehende Politik der Zerstörung sind zweifelsohne ein Problem für das Weltklima. Doch noch gibt es keine Nachahmer, die diesen Weg mitgehen. Wie schon beim ersten Austritt der USA ist ihnen kein anderer Staat gefolgt. Nicht einmal Trump-Ver­ehrer Javier Milei hat es bisher gewagt, Argentinien aus dem Abkommen herauszuführen. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass es aus klimawissenschaftlicher Sicht dringend geboten wäre, dass die USA schnellstmöglich ihre Emissionen senken. Denn das verbleibende Emissionsbudget, um zumindest die 2-Grad-Grenze des Pariser Klimaabkommens einzuhalten, schrumpft rasant. 

Die Investitionen in erneuerbare Energien sind in den USA im ersten Halbjahr 2025 im Vergleich zum zweiten Halbjahr 2024 um 36 Prozent zurückgegangen. Der von der Biden-Regierung eingeführte „Inflation Reduction Act“, der massive staatliche Subventionen für erneuerbare Technologien vorsah, wurde zusammengestrichen. Mehr noch: Großprojekte wie der Bau von Offshore-Windkraftanlagen vor Long Island, New York, wurden angehalten, obwohl die Genehmigung bereits vor Jahren erteilt wurde. Gerade im Windenergiebereich sind Lizenzen und Genehmigungen von Regierungsbehörden erforderlich. Damit kann die MAGA-Maschinerie ihre gesamte Gewalt ausüben und Projekte kurzerhand stoppen, was für die Unternehmen möglicherweise den Ruin bedeutet und zukünftige Investitionen infrage stellt.

Diese Rückschritte haben allerdings nur begrenzt globale Auswirkungen. Denn selbst ohne eine Einpreisung der Schäden, die durch fossile Energien entstehen, sind erneuerbare Energien im Wettbewerb kostengünstiger. So stiegen die globalen Investitionen in erneuerbare Energien im ersten Halbjahr 2025 um 10 Prozent im Vergleich zu 2024; neue Investitionen in erneuerbare Technologien sind global etwa doppelt so hoch wie Investitionen in fossile Energien.

Darüber hinaus gilt es festzuhalten, dass mehr als 86 Prozent der globalen Emissionen außerhalb der USA verursacht werden. Das Handlungspotenzial für andere Staaten ist also weiterhin enorm. Zugleich ist nicht auszuschließen, dass der amerikanische Präsident die US-Wirtschaft durch seine protektionistische Handels- und restriktive Migrationspolitik sowie durch die ideologisch getriebene Ablehnung grüner Technologien nachhaltig schwächt – und damit sogar zu einer Emissionssenkung beiträgt. Dennoch: Eine durch ökonomische Schäden herbeigeführte Emissionsreduktion dürfte immer noch unter dem liegen, was im Zuge einer ambitionierten „Green Growth“-Strategie – wie sie von der Biden-Regierung eingeleitet wurde – möglich gewesen wäre. 

Die Leugnung des Klimawandels in den USA bringt die Bundesregierung in große außenpolitische Schwierigkeiten, die über ökologische und planetare Schäden hinausgehen. Während die demokratisch gewählte Trump-Regierung wissenschaftliche Erkenntnisse ignoriert, handelt das autokratische China in vielen Bereichen evidenzbasiert und übernimmt so nicht nur bei Energie­wende-Technologien die Weltmarktführung. Dies stellt Mittelmächte wie Deutschland, die versuchen, im Systemwettbewerb der Großmächte für eine regelbasierte internationale Ordnung einzustehen, vor große Herausforderungen. Das Versagen demokratischer Staaten, das Klima zu schützen, ist somit Symptom ihrer inneren Zerrissenheit und zugleich Treiber der Gefahren, die ihre Existenz bedrohen.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 6, November/Dezember 2025, S. 108-113

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Dr. Kira Vinke ist die Leiterin des Zentrums für Klima und Außenpolitik der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).