Geopolitik am Meeresboden
Im Pazifik liegen in Tausenden Metern Tiefe große Vorkommen von Nickel, Kobalt und Seltenen Erden. Wo Rohstoffhunger auf unerforschte Natur trifft, wäre ein globales, verbindliches Schutzregime notwendig – doch eine Einigung ist nicht in Sicht.
Im globalen Wettlauf um kritische Rohstoffe rückt eine bislang kaum beachtete Region in den Fokus: die Tiefsee. Hier schlummern gigantische Vorkommen an Mineralien. Eine unregulierte Ausbeutung könnte jedoch nicht nur die weltweite Rohstoffkrise verschärfen, sondern auch Tiefsee-Ökosysteme in nicht abschätzbarem Ausmaß schädigen und sich auf den Kohlenstoffzyklus und damit auf das Klima auswirken.
Jüngste Entwicklungen zeigen, wie der Tiefseebergbau grundlegende Prinzipien der globalen Meeresgovernance infrage stellt: Im April 2025 erließ US-Präsident Donald Trump eine Executive Order, die den Tiefseebergbau in internationalen Gewässern genehmigt – ein Schritt, der seine Kompetenzen übersteigt und mit internationalen Normen bricht. Nur wenige Tage später beantragte die US-Tochter des kanadischen Bergbauunternehmens The Metals Company (TMC) eine Explorationslizenz.
Dieser Alleingang bedeutet einen weiteren Rückschlag für das ohnehin fragile multilaterale System der Meeresgovernance. In den 1970er Jahren formulierten die Vereinten Nationen für die Tiefsee das Prinzip des „gemeinsamen Erbes der Menschheit“. Es soll den Meeresboden und seine Mineralien jenseits nationaler Hoheitsgewalt als globales Gemeingut schützen und den Zugang sowie die Nutzung für Binnen- und Küstenstaaten gerecht und nachhaltig regeln.
1982 wurde dieses Prinzip im UN-Seerechtsübereinkommen (UNCLOS) völkerrechtlich verankert, das inzwischen von mehr als 160 Staaten unterzeichnet wurde – die USA gehören nicht dazu. Das Abkommen führte zur Gründung der Internationalen Meeresbodenbehörde (ISA). Ihre Aufgabe ist es, die Erforschung, Exploration und den kommerziellen Abbau von Mineralien zu regulieren, die Meeresumwelt zu schützen und sicherzustellen, dass alle Staaten von den Ressourcen profitieren.
Zu Forschungszwecken hat die ISA bis heute 31 Explorationsverträge vergeben, die rund 1,5 Millionen Quadratkilometer des internationalen Meeresbodens abdecken. Dennoch ist die Tiefsee das am wenigsten erforschte Ökosystem der Welt: Von gerade einmal 0,001 Prozent des Meeresgrunds gibt es bildliche Beobachtungsdaten. Die Regulierung des kommerziellen Abbaus steht noch aus – auch weil zahlreiche Länder die Nutzung gänzlich ablehnen. 2021 löste der Inselstaat Nauru jedoch die sogenannte „Zwei-Jahres-Regel“ aus, die die ISA verpflichtet, innerhalb von zwei Jahren verbindliche Regeln für den Abbau zu verabschieden. Doch bis heute gibt es keinen abschließenden Regulierungsrahmen; über 30 zentrale Streitpunkte bleiben ungelöst.
Ökologische Risiken und Kritik
Befürworter des Tiefseebergbaus begründen die Rohstoffgewinnung damit, dass Seltene Erden für erneuerbare Energien und digitale Technologien benötigt werden. Besonders die Clarion-
Clipperton-Zone im Pazifik – mit rund neun Millionen Quadratkilometern etwa so groß wie Europa – gilt als Schatzkammer: In Tausenden Metern Tiefe liegen hier große Vorkommen von Nickel, Kobalt und Seltenen Erden in Form von kartoffelgroßen Manganknollen.
Allerdings wächst eine Knolle extrem langsam. Aufgrund der Dunkelheit am Meeresboden fehlt die Voraussetzung für Fotosynthese. Für einen Zuwachs von wenigen Millimetern vergeht etwa eine Million Jahre; viele Knollen sind zehn Millionen Jahre oder älter. Experimente haben gezeigt, dass sich Veränderungen der Lebensräume durch externe Eingriffe langfristig auswirken – auch auf die Funktion des Tiefseebodens als Kohlenstoffsenke. Polymetallische Knollen und der Tiefseeboden dienen vielen (Mikro-)Organismen als Lebensraum. Durch die Störung dieser Organismen kann deren Fähigkeit, Kohlenstoff zu speichern, negativ beeinflusst werden. Somit würde der Abbau von Knollen zwar die Versorgung mit Rohstoffen für erneuerbare Energien unterstützen, gleichzeitig aber die globalen Klimaschutzziele gefährden.
Während einige Akteure den Tiefseebergbau schnellstmöglich vorantreiben wollen, wächst auf der Gegenseite der Widerstand – von zivilgesellschaftlichen Organisationen über wissenschaftliche Institutionen bis hin zu politischen Entscheidungsträgern. Bis September 2025 haben sich bereits 38 Länder, darunter Deutschland, für ein Moratorium oder eine vorsorgliche Pause ausgesprochen. Im Rahmen der UN-Ozeankonferenz in Nizza im Juni 2025 warnten Wissenschaftler und Umweltorganisationen eindringlich vor einem radikalen Eingriff in Tiefsee-Ökosysteme. Auch die Intransparenz der Entscheidungsprozesse innerhalb der ISA wurde kritisiert.
Riskantes Sponsoring
Die pazifischen Inselstaaten sind in der Frage des Tiefseebergbaus gespalten. Einige lehnen die Nutzung aufgrund der vielen lokalen und globalen Risiken ab. Andere – darunter auch bereits stark vom Klimawandel betroffene Inselstaaten – sehen in den Knollen eine der wenigen Möglichkeiten für wirtschaftliche Entwicklung. So agieren etwa Nauru, Kiribati und Tonga bereits als Sponsorstaaten für Explorationsverträge in internationalen Gewässern. Für wirtschaftlich schwächere UNCLOS-Mitglieder ist dieses Sponsoring jedoch mit enormen Risiken verbunden: Sie haften für ihre privatwirtschaftlichen Vertragspartner, falls diese gegen UNCLOS-Bestimmungen verstoßen. Im Schadensfall könnten Forderungen entstehen, die die Zahlungsfähigkeit einzelner Sponsorstaaten weit übersteigen.
Die ISA übernimmt eine doppelte Funktion: Einerseits soll sie den Tiefseebergbau fördern, andererseits die Meeresumwelt schützen – ein Umstand, den Abbaugegner wie der Inselstaat Tuvalu als inhärenten Interessenkonflikt kritisieren. Es bestehen Bedenken, dass die finanziellen Vorteile des Tiefseebergbaus für ärmere Nationen bestenfalls bescheiden ausfallen und sich die Profite stattdessen auf Industrieländer konzentrieren würden. Zudem unterliegen viele der Rohstoffe erheblichen Preisschwankungen, was sich zusätzlich auf die Kosten-Nutzen-Rechnung des Abbaus auswirken dürfte.
The Metals Company
Eine zentrale Rolle in der aktuellen Debatte spielt das kanadische Unternehmen The Metals Company (TMC). Während es anfangs noch betonte, der Tiefseebergbau könne der grünen Transformation dienen, rücken immer mehr die Sicherung von Lieferketten und eine mögliche Rohstoffdiversifizierung als Argumente für den Abbau in den Vordergrund.
Nach Nauru und Tonga wollte Kiribati als dritter Inselstaat mit TMC ein Abkommen zum Tiefseebergbau schließen. Allerdings wurde die Zusammenarbeit Anfang 2025 durch TMC beendet, da das Kiribati zugewiesene Meeresgebiet relativ arm an Mineralvorkommen ist und sich der teure Abbau nicht gelohnt hätte. Auch Investoren interessieren sich verstärkt für TMC. So hat das südkoreanische Unternehmen Korea Zinc im Juni 2025 rund 85,2 Millionen US-Dollar in TMC investiert, um die Abhängigkeit von China zu reduzieren.
Vor diesem Hintergrund steht die ISA mehr denn je unter Zugzwang. Zwar betont sie regelmäßig, dass Tiefseebergbau erst nach Verabschiedung eines verbindlichen Regelwerks beginnen könne, doch auch während der Generalversammlung im Juli 2025 in Jamaika gelang es ihr nicht, ein solches Regelwerk zu verabschieden. Stattdessen kündigte die ISA an, eine offizielle Untersuchung gegen TMC einzuleiten. Der Vorwurf: Das Unternehmen versuche, die UNCLOS-Bestimmungen mithilfe von Trumps präsidialen Dekreten zu umgehen.
Der Tiefseebergbau bewegt sich in einem Spannungsfeld zwischen wirtschaftlicher Nutzung und ökologischer Verantwortung. China drängt auf eine schnelle Verabschiedung der Regeln, während Deutschland ein Moratorium fordert. Gleichzeitig stellt der amerikanische Alleingang multilaterale Normen infrage und testet die Stabilität der internationalen Meeresgovernance – und damit auch die Legitimität und Zukunft der ISA.
All dies verschärft nicht nur den globalen Wettkampf um Rohstoffe, sondern birgt auch das Risiko irreversibler ökologischer Schäden. Es bleibt die Hoffnung, dass die Staatengemeinschaft einen verantwortungsvollen Umgang mit der bislang weitgehend unerforschten Tiefsee findet – allen geopolitischen Konflikten zum Trotz.
Dieser Beitrag ist im Anschluss an das durch die Okeanos Stiftung unterstützte „Junge DGAP – Waves of Action Oceancamp 2025“ entstanden, bei dem sich junge Mitglieder der DGAP zu Themen der internationalen Meeresgovernance weitergebildet und ausgetauscht haben.
Internationale Politik 6, November/Dezember 2025, S. 12-14