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18. Sep 2012

Gefährliche Passivität

Obamas fehlgeleitete Außenpolitik erreicht den US-Wahlkampf

Um sich von seinem Vorgänger abzugrenzen, hat Barack Obama die vergangenen vier Jahre eine Außenpolitik betrieben, die auf Rückzug setzt und gänzlich ohne Ehrgeiz ist. Gerade im Nahen und Mittleren Osten verhielten sich die USA reaktiv, wenn nicht gar passiv. Das rächt sich jetzt.

Seit ihrem Amtsantritt 2009 haben US-Präsident Barack Obama und seine Regierung alles daran gesetzt, sich von ihren politischen Vorgängern abzugrenzen – vor allem in der Außenpolitik. Sah die Bush-Doktrin unter anderem vor, weltweit aktiv Regimewechsel und die Durchsetzung der Demokratie  zu fördern oder direkt herbeizuführen, verringert Obama amerikanischen Einfluss konsequent durch eine vorwiegend reaktive oder sogar passive Politik: Obamas Regierung hat Vorteile, die im Irak-Krieg hart erkämpft wurden, wieder aufgegeben und die an der ISAF beteiligten Alliierten zum Rückzug aus Afghanistan ermuntert; die Beziehungen zu Israel haben sich abgekühlt und die osteuropäischen Verbündeten wie Polen und die tschechische Republik hat man schlicht im Regen stehen lassen, als man das Programm für einen europäischen Raketenschild zurückgefahren hat. Für die Euro-Krise hat die Washington kaum Interesse gezeigt, obwohl sie einige der engsten Bündnispartner betrifft. Auch langjährige Alliierte aus dem pazifischen Raum erhielten kaum Unterstützung in den sich zuspitzenden Territorialkonflikten im Südchinesischen Meer. Wenn Rückzug das erklärte Ziel ist, dann wird die Verpflichtung gegenüber Verbündeten zwangsläufig zum Ballast.

Das tiefsitzende Desinteresse an militärischer Macht könnte auch einen peinlichen Fauxpas während des demokratischen Parteitags erklären. Als der pensionierte Admiral John Nathman die anwesenden Veteranen mit Salut begrüßte, projizierten die Organisatoren ein Bild von Kriegsschiffen auf die Leinwand. Doch dummerweise hatten sie Fotografien alter sowjetischer Kriegsschiffe verwendet. Der Parteivorstand der Demokraten entschuldigte sich zwar, aber der Vorfall hat den allgemeinen Eindruck verfestigt, dass die Partei keinen Bezug zu Veteranen hat und in Sachen Außenpolitik unzuverlässig ist.

Natürlich gehen beide Parteien – ohne Zweifel zu Recht – davon aus, dass sich der Wahlkampf vor allem um Wirtschaftsthemen drehen wird. Trotzdem haben die Ereignisse in Libyen, Ägypten und Jemen gezeigt, dass die Politik der Obama-Regierung im Nahen Osten und während des Arabischen Frühlings erfolglos war. Offenbar war keine der amerikanischen Einrichtungen in Libyen und Ägypten ausreichend geschützt, obwohl Proteste zum Jahrestag der Anschläge vom 11. September abzusehen waren – ein weiteres Zeichen für die Gleichgültigkeit der Regierung bei sicherheitspolitischen Fragen. Dasselbe Desinteresse zeigt sich auch in der Außenpolitik der Demokraten: Als Obama von einem Reporter kürzlich gebeten wurde, das Verhältnis zwischen Washington und Kairo zu beschreiben, antwortete er zögerlich, Ägypten sei weder ein Verbündeter noch ein Feind. Tatsächlich ist Ägypten jedoch offiziell ein Verbündeter der USA – eine Voraussetzung für die beachtlichen Hilfsleistungen, die das Land aus Amerika bezieht. Das Weiße Haus hatte alle Hände voll zu tun, den Ausrutscher des Präsidenten auszubügeln; er tut sich einfach schwer mit spontanen Stellungnahmen.

"Leading from behind" kostet Leben

Dabei geht es um viel mehr als um mangelnde Sicherheitsvorkehrungen in US-Botschaften und verunglückte Äußerungen gegenüber der Presse. Obamas Vorstellung einer Außenpolitik des Rückzugs hat dazu geführt, dass die Regierung im Kontext des Arabischen Frühlings bewusst eine Rolle gewählt hat, in der sie keinerlei politische Ambitionen formuliert. Sie entschied sich dagegen, ihren langjährigen Verbündeten beizustehen – was wohl ein guter Entschluss war, doch hätte es ehrenhaftere Lösungen zur Unterstützung eines demokratischen Übergangs gegeben, als Mubaraks Schicksal in die Hände der Muslimbrüder zu legen. Die Obama-Regierung zog es vor, tatenlos zuzusehen, als sich radikale Kräfte formierten, anstatt im Moment des politischen Umbruchs eine Führungsrolle zu übernehmen. Nichts will diese Regierung außenpolitisch mehr, als nichts zu tun. Die Bekundungen, man unterstütze den demokratischen Wandel, wirken heuchlerisch und tragen nicht zur Glaubwürdigkeit der USA in der arabischen Öffentlichkeit bei. Antiamerikanismus bleibt weit verbreitet. „Aus der zweiten Reihe zu führen“ („leading from behind“), kann ganz offensichtlich einem Botschafter das Leben kosten.

Vielleicht verfolgt die Mannschaft um Obama deshalb eine so profillose Außenpolitik, weil sie glaubt, dass die amerikanische Öffentlichkeit so kriegsmüde ist, dass sie keine außenpolitischen Verstrickungen mehr möchte. Diese Annahme führt zu einer hochgradig zynischen Außenpolitik, die von politischem Opportunismus getrieben ist. Das Erbe der Obama-Jahre wird in einem massiven Machtverlust der USA in der arabischen Welt und anderswo bestehen, mit heute noch nicht abschätzbaren Folgen. Man sollte den tiefgreifenden, isolationistischen Impuls, der in dieser Politik mitschwingt, nicht unterschätzen. Obamas Außenpolitik mag auf Teile der amerikanischen Bevölkerung ansprechend wirken.  Aber eine weitere Verschlechterung der Situation in der arabischen Welt wird sie als ebenso erfolglos entlarven wie seine Wirtschaftspolitik.

RUSSELL A. BERMAN ist Walter A. Haas-Professor der Humanities an der Stanford University und Senior Fellow der Hoover Institution.

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