Frieden durch Kapitalismus
Eine Ergänzung und Alternative zum demokratischen Frieden
Wirtschaftliche Freiheit trägt zum Wohlstand bei, Wohlstand zur Demokratisierung. Unter demokratischen Staaten und bei Freihandel ist die Kriegsgefahr gering.
Die Hypothese, dass Demokratie zum Frieden beitrage, hat eine ehrwürdige Herkunft, die mindestens bis zu Kants Schrift „Zum Ewigen Frieden“ (1795) zurückreicht. Wegen der kantianischen Unterscheidung zwischen Republiken, die durch Gewaltenteilung, und Demokratien, die durch despotische Versuchungen gekennzeichnet sind, ist die Berufung der Befürworter des demokratischen Friedens auf Kant nicht ganz unproblematisch. Doch kann sie gerechtfertigt werden, wenn man bedenkt, dass unser zeitgenössisches Demokratieverständnis die Gewaltenteilung und die daraus resultierende Begrenzung politischer Macht einbezieht.
Aber die Abstammung einer Theorie oder Hypothese kann ohnehin nicht deren Wahrheit garantieren – noch nicht einmal dann, wenn Kant der Urheber und die Theorie richtig verstanden sein sollte. Jedenfalls ist seit Kant immer wieder die Hoffnung entstanden, dass mit zunehmender Verbreitung der Demokratie der Krieg immer seltener werde. Seit dem 20. Jahrhundert wird diese Hoffnung nicht nur von machtlosen Gelehrten, sondern auch von manchen Staatsmännern westlicher Demokratien vertreten – nicht nur im Frieden, sondern auch in Vorkriegs-, Kriegs- und Nachkriegszeiten. Ein Krieg erscheint dann moralisch akzeptabler und entschuldbarer als sonst, wenn er zum Sturz eines Despoten und der darauf vielleicht folgenden Demokratisierung eines Landes führt und damit auf lange Sicht auch zur Kriegverhütung beitragen kann. Jedenfalls dann, wenn man in der Ethik dem Konsequenzialismus eine gewisse Berechtigung zugesteht, stellen sich empirische Fragen über den kausalen Zusammenhang von Demokratie und Kriegsverhütung.1
Bei der Beschäftigung mit derartigen Fragen und generell mit sozialwissenschaftlichen Problemen – ob es sich um Kriminalität, Wirtschaftswachstum oder Krieg handelt – muss man sich für ein nomothetisches oder für ein ideographisches Wissenschafts-ideal entscheiden, wobei die Entscheidung für das nomothetische Ideal die Naturwissenschaften zum Leitbild macht. Innerhalb der Sozialwissenschaften ist am ehesten noch der experimentellen Psychologie und den Wirtschaftswissenschaften eine Annäherung an das Ideal gelungen. Beim ideographischen Wissenschaftsideal wird stattdessen die methodologische Selbständigkeit der Geisteswissenschaften betont und oft die Geschichtswissenschaft zum Leitbild erkoren. Die nomothetische Forschung befasst sich mit möglichst allgemeinen, explizit formulierten und falsifizierbaren Hypothesen und Theorien, die ideographische mit der Erklärung konkreter Ereignisse und Ereignisketten. In der nomothetischen Forschung ist Verallgemeinerung oder möglichst große Allgemeinheit der Aussagen das Ziel. Viele Geisteswissenschaftler halten dieses Ziel für kaum erreichbar.
Mit Hilfe großer quantitativer Datensätze über das Auftreten von Konflikten und deren mutmaßlichen Determinanten und manchmal recht komplizierten statistischen Methoden haben vorwiegend amerikanische, aber auch europäische Sozialwissenschaftler dazu eine Vielzahl von Studien erstellt. Bei allen technischen Unterschieden zwischen den einzelnen Studien kann man dennoch so etwas wie typische Untersuchungspläne erkennen. Dabei geht es um Paare von Staaten, die Dyaden genannt werden. Das sind die Untersuchungseinheiten. Bei 100 Staaten gäbe es schon 4950 Dyaden, in denen es innerhalb eines Beobachtungszeitraums Konflikte geben kann oder auch nicht. Fast immer gibt es in den meisten Dyaden keinen Krieg und nur eine kleine Minderheit – vielleicht nur ein Prozent aller Dyaden – wird von Konflikten betroffen.
Nun kann man die Frage aufwerfen, warum es in wenigen Dyaden Konflikte gibt, in den meisten Dyaden aber nicht. Auf diese Frage ist eine hypothetische Antwort möglich, wobei diese Antworten in der Forschungspraxis probabilistisch sind, sich damit auf relative Häufigkeiten und deren Vergleich beziehen, aber durchaus Ausnahmen zulassen. Beispielsweise kann man postulieren, dass die Kriegsgefahr in demokratischen Dyaden bzw. unter Demokratien niedriger als anderswo ist. Oder, dass Kriegsgefahr nur dort entsteht, wo die Streitkräfte beider Seiten nah genug beieinander stehen, um zum Krieg in der Lage zu sein. Unter Nachbarn sollte die Kriegsgefahr wesentlich größer sein als zwischen anderen Staaten. Diese beiden Beispiele deuten schon die Notwendigkeit an, mehrere mutmaßliche Determinanten der Konfliktgefahr gleichzeitig zu betrachten. Wer möchte ernsthaft den Frieden zwischen der Schweiz und Finnland in erster Linie durch den demokratischen Charakter dieser Länder und nicht durch die geografische Entfernung erklären? Im Fall Großbritanniens und Frankreichs dagegen oder – in Anbetracht der zahlreichen Kriege zwischen beiden Ländern – erst recht im Fall Deutschlands und Frankreichs, ist die Erklärung des Friedens durch Demokratie schon plausibler.
Grundelemente typischer Untersuchungspläne sind also die Betrachtung von Dyaden und die Frage, warum manche konfliktanfällig sind und andere nicht. Nomologische Hypothesen geben vorläufige Antworten auf diese Fragen. Wenn die in einer Vielzahl von Hypothesen vorgeschlagenen Antworten mit den Daten kompatibel sind bzw. zur Unterscheidung von konfliktfreien und konfliktbelasteten Dyaden beitragen, dann gelten die Hypothesen als gestützt. Bisher nahmen wir an, dass die typischen Studien Querschnittsanalysen seien. Das ist aber nicht so. Denn in der neueren Forschung ist das Dyaden-Jahr und nicht die Dyade die Einheit der Analyse. Nehmen wir Iran und Irak als Beispiel. In den achtziger Jahren gab es in dieser Dyade einen blutigen Krieg, aber nicht in den Jahren davor oder danach. Typische Untersuchungspläne widmen sich gleichzeitig den Fragen, warum manche Dyaden kriegsanfälliger als andere sind, oder warum dieselbe Dyade zu verschiedenen Zeitpunkten unterschiedlich konfliktanfällig ist.
Demokratie und Handel
Bei dieser Art der quantitativ-empirischen Kriegsursachenforschung konnte zwar kein völliger Konsens erzielt werden, aber es bildete sich eine zurzeit herrschende Auffassung heraus. Danach ist die Kriegsgefahr unter Demokratien wesentlich geringer als anderswo. Der „demokratische“ Frieden bezieht sich zunächst auf die zwischenstaatlichen Beziehungen unter den Demokratien. Umstritten aber ist die Frage, ob die Kriegsgefahr zwischen Demokratien und Autokratien niedriger oder höher als unter Autokratien ist, ob der Demokratisierungsprozess als solcher vorübergehend die Kriegsgefahr erhöht, und ob die Kriegsverwicklung der Demokratien niedriger als die anderer Staaten ist.
Auch herrscht kein Konsens darüber, warum Demokratien selten – oder bei hinreichend anspruchsvoller Demokratiedefinition vielleicht sogar nie – gegeneinander Krieg führen. Denkbar sind eine Reihe von Gründen: die schon bei Kant erwähnte Belastung der Bürger durch Krieg, die diese nicht freiwillig auf sich nehmen, wenn man sie fragt. Denn Demokratien befragen per definitionem ihre Bürger regelmäßig, wer regieren soll und damit indirekt auch, welche Politik betrieben werden kann. Weiter lassen sich Demokratien im Verhältnis zu anderen Demokratien von denselben Normen leiten, die innerhalb des Staates Ausgleich, Kompromisse und Gewaltverzicht möglich machen.
Auch erschwert die mit der Demokratie verbundene Gewaltenteilung den Schritt zum Krieg. Schließlich können Demokratien wegen der Offenheit ihrer politischen Diskussionen und der damit auch für Ausländer verbundenen Transparenz eher als Autokratien anderen Staaten ihre friedlichen Absichten signalisieren. Aber diese bisher noch umstrittenen Fragen über die Gründe, warum es unter Demokratien fast nie Kriege gibt, sollten nicht den weitgehenden Konsens verdecken, dass unter Demokratien die Kriegsgefahr sehr gering ist.
Ein zweiter Befund dieser Art von Kriegsursachenforschung besagt, dass die Konfliktgefahr zwischen Staaten umso geringer ist, je mehr Handel sie miteinander treiben und je abhängiger sie damit von diesem Handel sind. Die mit diesem Befund gestützte Hypothese „Frieden durch Freihandel“ ist immer noch und seit langem umstritten, weil einige Studien eher einen Zusammenhang zwischen Handel und größerer Konfliktgefahr als pazifizierende Handelseffekte nahe legen. Nach dem Forschungsstand vom Frühjahr 2005 sieht es allerdings so aus, dass sich die These vom Frieden durch Freihandel besser stützen lässt, wenn eine oder gar mehrere der folgenden Bedingungen erfüllt sind.
1. Man analysiert nur solche Dyaden, bei denen räumliche Nähe und/oder der Machtstatus überhaupt die Gelegenheit für militärische Auseinandersetzungen bieten. Die Einbeziehung anderer Dyaden – beispielsweise Finnland/Schweiz, Brasilien/Iran – ist so, als ob man die Wirksamkeit eines Impfstoffs auch an Personen testen wollte, die keinem nennenswerten Infektionsrisiko ausgesetzt sind.
2. Man definiert das Explanandum oder die abhängige Konfliktvariable so, dass man sich auf die Erklärung von Konflikten mit Todesfolgen beschränkt und nicht etwa militärisches Säbelrasseln einbezieht. Wegen der Seltenheit von militärischen Konflikten gibt es zwar gute methodologische Gründe für die weit verbreitete Praxis, schon Drohungen und Truppenbewegungen als Konflikte zu verkoden. Aber letztlich werden zwischenstaatliche Konflikte nicht durch diplomatische Grobheiten, sondern erst durch die Tötung von Menschen schlimm. Wenn die Beurteilung einer Hypothese von der operationalen Definition der Konfliktvariablen abhängt, sollte man einer engen Definition den Vorzug geben, die erst gewaltsame Auseinandersetzungen, bei denen Menschen zu Tode kommen, als Konflikte bezeichnen.
3. Außerdem hängt die Bewährung der Hypothese „Frieden durch Freihandel“ auch davon ab, wie man die Handelsvariable definiert. Wenn man den Handel zwischen zwei Staaten als Anteil am jeweiligen Bruttosozialprodukt der Staaten erfasst, dann stützen die Befunde die Hypothese. Wenn man den bilateralen Handel als Anteil am Außenhandel erfasst, dann sprechen die Befunde eher dagegen. Die erste ist schon deshalb der zweiten Forschungsstrategie vorzuziehen, weil die Konzentration auf wenige Handelspartner und damit hohe Quotienten zwischen bilateralem Handel und Außenhandel in einigen wenigen Dyaden eher bei relativ geschlossenen als bei offenen Volkswirtschaften anzutreffen sind.
An dieser Stelle wird natürlich auch deutlich, dass die Frage der Operationalisierung der Handelsvariablen mit der Frage zusammenhängt, wie und warum Freihandel zur Kriegsverhütung beiträgt. Sind es die Offenheit von Volkswirtschaften und die Opportunitätskosten bei Handelsstörungen im Konfliktfall? Sind es die mit Offenheit verbundenen Möglichkeiten der Signalisierung friedlicher Absichten? Weil in diesen Fragen jedenfalls bisher weniger Konsens vorliegt, möchte ich sie hier ausklammern. Es sei nur angedeutet, dass die angemessene Erfassung der ökonomischen Interdependenzvariablen, die zwischenstaatliche Beziehungen pazifizieren können, ein aktives Forschungsfeld ist. Vielleicht spielen auch Handelsabkommen eine Rolle. Vielleicht sollte man weniger den tatsächlichen Handel als die wirtschaftliche Freiheit und damit das Fehlen politischer Hindernisse für Freihandel erfassen. Vielleicht verbinden auch ausländische Direktinvestitionen die Nationen noch stärker als der Handel.
Trotz aller Verweise auf offene Fragen sollte man beim gegenwärtigen Forschungsstand davon ausgehen, dass die Konfliktgefahr in solchen Dyaden besonders niedrig ist, wo beide Staaten demokratisch regiert werden und viel Handel miteinander treiben bzw. ökonomisch interdependent sind. Diese beiden Befunde aus der Kriegsursachenforschung, „Frieden durch Demokratie“ und „Frieden durch Freihandel“, kann man durch andere Befunde aus der politischen Ökonomie und der politischen Soziologie ergänzen. Ob ein Land demokratisch oder autokratisch regiert wird, hängt vor allem davon ab, ob es wohlhabend ist oder nicht. Es gilt: Je wohlhabender eine Gesellschaft ist, desto wahrscheinlicher wird sie demokratisch regiert. Ob eine Gesellschaft wohlhabend wird, hängt u.a. auch vom Ausmaß wirtschaftlicher Freiheit und insbesondere von ihrer Offenheit für den Außenhandel bzw. ihrer Exportorientierung ab. Wenn man die zwei Befunde aus der Kriegsursachenforschung mit dem Befund aus der politischen Soziologie und dem aus der politischen Ökonomie kombiniert, dann kann man vom „kapitalistischen Frieden“ sprechen, der folgendermaßen funktioniert: Wirtschaftliche Freiheit, vor allem auch im Außenhandel, trägt zum Wohlstand bei. Wohlstand trägt zur Demokratisierung und der Überlebensfähigkeit des demokratischen Systems bei. Unter Demokratien ist die Kriegsgefahr gering. Außerdem hat der Freihandel einen direkten pazifizierenden Effekt auf die zwischenstaatlichen Beziehungen, wenn er von volkswirtschaftlicher Bedeutung für die betroffenen Länder ist.
Pazifizierende Globalisierung
In dieser theoretischen Konstruktion ist der „demokratische Frieden“ zur bloßen Komponente des „kapitalistischen Friedens“ geworden. Die Globalisierung, die ja auf Abbau der Schranken für den Handels- und Kapitalverkehr zwischen den Nationen hinausläuft, wird damit zu einer pazifizierenden Kraft. Sowohl die technologischen als auch die politischen Hintergrundbedingungen der Globalisierung tragen indirekt zum Frieden bei. Für die technologische Entwicklung gilt das, weil sinkende Transport- und Kommunikationskosten zunehmend die Voraussetzungen für einen Weltmarkt statt fragmentierter lokaler oder regionaler Märkte schaffen. Für die politische Entwicklung gilt das, wenn früher politisch durchgesetzte Handelshemmnisse – wie beispielsweise der Protektionismus der europäischen Agrarpolitik – durch eine freihändlerische Politik endlich abgebaut werden sollten. Seit Adam Smith, also seit mehr als 200 Jahren, wissen wir, dass das Ausmaß der Arbeitsteilung von der Größe des Marktes abhängt, und dass Arbeitsteilung die Produktivität erhöht. Die Globalisierung verspricht also globale Produktivitätsgewinne und eine globale Wohlstandssteigerung, die zum einen über die zunehmende Handelsverflechtung zwischen den Staaten und zum anderen über die durch zunehmenden Handel und Wohlstand ermöglichte Demokratisierung pazifizierende Effekte hat.
Einige Befunde der Kriegsursachenforschung aus den letzten zwei oder drei Jahren passen recht gut zu diesen prokapitalistischen Gedanken. Bis etwa 2003 sah es so aus, als ob vor allem die pazifizierenden Freihandels-effekte heftig umstritten seien, die pazifizierenden Demokratieeffekte zumindest bei den Beziehungen unter Demokratien aber kaum. Inzwischen gibt es Studien, wonach dieser Demokratieeffekt nicht immer und überall gilt, sondern nur in solchen Demokratien, die auch wohlhabend sind.2 Solche Demokratien kann man als Marktzivilisationen auffassen oder – in Anbetracht des sehr engen Zusammenhangs zwischen einer kapitalistischen Wirtschaftsweise bzw. wirtschaftlicher Freiheit einerseits und Wohlstand andererseits3 – auch als kapitalistische Demokratien. Während der pazifizierende Demokratieeffekt – ohnehin immer nur auf demokratische Dyaden bezogen – nach diesen neuesten Befunden nur unter wohlhabenden und kapitalistischen Ländern gilt, kann der pazifizierende Handelseffekt sich unabhängig davon auswirken. Nach dem gegenwärtigen Forschungsstand scheint das auch dann zu gelten, wenn beispielsweise relativ arme und relativ reiche Länder miteinander Handel treiben.
Ob man eher von einem demokratischen oder eher von einem kapitalistischen Frieden reden sollte, ob man folglich eher mit der Globalisierung der Märkte und der Verbreitung wirtschaftlicher Freiheit oder mit der Verbreitung der Demokratie Friedenshoffnungen verknüpfen sollte, ist eine schwer zu entscheidende Frage, denn die meisten Demokratien sind auch kapitalistische Gesellschaften und auch der Welthandel wird wesentlich von den kapitalistischen Gesellschaften geprägt.
Die Betrachtung militärischer Konflikte seit dem Ende des Kalten Krieges und des Zerfalls der Sowjetunion und ihres Warschauer Paktes kann das veranschaulichen. Von einer Konfliktliste des Osloer Friedensforschungsinstituts und der Universität Uppsala ausgehend4 kommt man auf zwölf verschiedene dyadische Konflikte, in denen mindestens 25 Menschen getötet worden sind: Vier dieser Konflikte waren Konfrontationen zwischen Jugoslawien bzw. Serbien einerseits und anderen vormals aus Jugoslawien hervorgegangenen Staaten (Slowenien, Kroatien, Bosnien) und einer von den USA unter NATO-Flagge geführten Koalition (Kosovo-Krieg) andererseits; ein Konflikt ereignete sich zwischen sowjetischen Nachfolgestaaten, zwischen Armenien und Aserbaidschan; drei Konflikte ergaben sich aus der Weltpolizisten-rolle der USA (nämlich der oben schon erwähnte Kosovo-Krieg gegen Serbien, die Kriege gegen Afghanistan und den Irak); drei lokale Konflikte ereigneten sich in Afrika, zwischen Äthiopien und Eritrea, zwischen Kongo-Kinshasa (früher Zaire) einerseits und Ruanda und Uganda andererseits; je einen Konflikt gab es in Asien (zwischen Indien und Pakistan) und in Lateinamerika (zwischen Ecuador und Peru).
Wenn man bei Koalitionskriegen unter amerikanischer Führung deren Verbündete nicht berücksichtigt – selbst die Briten hätten im letzten Jahrzehnt nie allein gegen Afghanistan oder den Irak gekämpft – sind das zwölf verschiedene Konfliktdyaden. Bei Verwendung üblicher Maßstäbe gibt es darunter keine Dyade, bei denen beide Gesellschaften der Konfliktdyade gleichzeitig Demokratien waren und dennoch gegeneinander kämpften.5 Es gab darunter allerdings auch keine Dyade, in der beide Staaten von wirtschaftsliberaler Seite gleichzeitig eindeutig als „wirtschaftlich frei“ oder, was bei diesen Quellen auf dasselbe hinausläuft, als kapitalistisch bezeichnet werden können.6 Es ist also deshalb schwer, zwischen einem kapitalistischen Frieden unter wirtschaftlich freien Staaten und einem demokratischen Frieden unter Demokratien zu unterscheiden, weil beide Ansätze in weitgehend ähnlichen Teilmengen von Dyaden kriegerische Konflikte entweder zulassen oder verbieten und damit entweder beide theoretischen Ansätze gleichzeitig oder keiner mit Anomalien zu kämpfen hat. Mit diesem Verweis auf ein methodologisches Problem sollte nur auf die unvermeidbare Vorläufigkeit der Befunde der Kriegsursachenforschung hingewiesen werden.
Trotz der Schwierigkeit, den demokratischen Frieden von einem kapitalistischen Frieden in der empirischen Forschung zu trennen, hat diese Unterscheidung aber offensichtliche politische Implikationen.
Wirtschaftsmacht China
Zwei Beispiele können dies illustrieren: einmal der Aufstieg Chinas und die daraus resultierenden Gefahr eines Konflikts zwischen der jetzigen Weltmacht USA und der aufsteigenden Macht China.7 Ein Konflikt um Taiwan, das von China als Teil des eigenen Landes beansprucht wird und gleichzeitig von den USA unterstützt wird, wäre dabei der plausibelste Auslöser eines Krieges. Sofern die These des demokratischen Friedens richtig ist, hängt die Friedenshoffnung allein von der baldigen Demokratisierung Chinas ab.
Sofern nur die These des demokratischen Friedens gültig ist und diese auch nur unter wohlhabenden Demokratien gilt, sieht die Zukunft besonders düster aus. Denn dann würde nur eine wohlhabende chinesische Demokratie, die vermutlich erst in Jahrzehnten denkbar ist, die Konfliktgefahr zwischen China und den USA reduzieren. Anhänger einer Theorie des kapitalistischen Friedens (wie ich) können etwas optimistischer in die Zukunft schauen: Der Handel zwischen den USA und China, ebenso der zwischen dem chinesischen Festland und Taiwan, entwickelt sich kräftig und schnell. Auch Direktinvestitionen amerikanischer und taiwanesischer Unternehmer auf dem chinesischen Festland tragen zur wirtschaftlichen Verflechtung bei. Während China auf dem Weg zur Demokratie – jenseits der Ebene kleiner Kommunen und dort abgehaltener Wahlen – kaum sichtbare Fortschritte macht, ist die Entwicklung zu mehr wirtschaftlicher Freiheit oder Kapitalismus seit Ende der siebziger Jahre unübersehbar.
Wer nur an einen demokratischen Frieden glaubt, wird dazu neigen (müssen), China als künftigen Gegner zu betrachten, dem man etwa mit einer neuen Containment-Politik begegnen müsse. Andererseits könnte die Angst vor einem wirtschaftlichen Aufstieg Chinas über die Beschränkung des freien Handels mit China zur Verlangsamung von dessen wirtschaftlicher Entwicklung und damit zu einer verspäteten Etablierung der ökonomischen Basis der Demokratie führen.
Für das Verhältnis zwischen den USA oder dem Westen einerseits und China andererseits folgt aus dem demokratischen Frieden allein eine gewisse Ratlosigkeit. Denn aus dieser theoretischen Perspektive ist unklar, ob ein wohlhabenderes China wegen des sicher damit verbundenen Machtzuwachses eine größere Gefahr darstellt oder wegen der damit verbundenen Demokratisierungshoffnung eine kleinere Gefahr.
Unter der Annahme eines kapitalistischen Friedens kann man davon ausgehen, dass die zunehmende ökonomische Interdependenz zwischen China einerseits und den USA, Taiwan und dem Westen andererseits sofort pazifizierende Konsequenzen hat, womit die Kriegsgefahr reduziert werden kann, schon bevor es ein wohlhabendes und demokratisches China gibt. Unter dieser theoretischen Prämisse ist ein Containment Chinas kontraproduktiv und abzulehnen. Stattdessen wird die Kooptation Chinas in die Weltwirtschaft und die kooperative Weltpolitik der großen Mächte zum Gebot der Stunde.8
Demokratischer Irak?
Nun zum nächsten Beispiel der Implikationen der Theorien des kapitalistischen oder des demokratischen Friedens: Den letzten Irak-Krieg haben die USA, die Briten und deren Verbündete zwar vor allem auch wegen der nicht nachgewiesenen oder nicht nachweisbaren Gefahr der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und einer potenziellen Zusammenarbeit zwischen dem säkularistischen Saddam-Regime und extremistisch-islamischen Terroristen geführt. Aber der Gedanke, den Irakern – und über die erhoffte Vorbildwirkung der Demokratisierung des Iraks auch anderen arabischen Staaten – die Demokratie zu bringen spielte ebenfalls eine Rolle. Denn Regimewechsel war ja eines der Kriegsziele. Rückblickend erscheint die Hoffnung, nach dem Sturz des für die Iraker selbst zweifellos mörderischen Saddam-Regimes den Irakern die Demokratie zu bringen, fast schon als die solideste Rechtfertigung des Krieges.9 Aber Krieg heute zwecks Verbreitung der Demokratie und der Hoffnung auf Frieden morgen ist an sich schon eine fragwürdige Friedensstrategie – sogar dann, wenn die Demokratisierung des Iraks gelingen sollte.
Wie sind die Demokratisierungs-chancen des Iraks? Generell gibt es drei in der quantitativ-empirischen Forschung recht gut abgesicherte Zusammenhänge.10 Danach sind die Demokratisierungschancen umso schlechter, je ärmer ein Land ist, je höher die volkswirtschaftliche Abhängigkeit vom Öl,11 und je höher der muslimische Bevölkerungsanteil in einem Land ist. Das muslimische Ölförderland Irak sieht danach nicht wie ein besonders aussichtsreicher Demokratisierungskandidat aus, zumal Krieg und nachfolgender Bürgerkrieg bzw. Widerstand gegen die Besatzungsmacht zunächst einmal eher zur Verfestigung der Armut und nicht zu deren Überwindung beitragen.
Natürlich hat es Länder gegeben – wie Deutschland, Italien und Japan – in denen ein verlorener Krieg und anschließende Besetzung durch demokratische Mächte als Rezept zur Herstellung der Demokratie funktioniert haben. Aber diese Länder waren nie von den Demokratisierungshindernissen Öl und Islam betroffen. Diese Länder konnten durch ihre Wirtschaftswunder in der Nachkriegszeit schnell die ökonomische Basis für eine Demokratie schaffen. Wegen der, verglichen mit europäischen Ländern und Japan, bescheidenen Humankapitalausstattung im Irak ist ein entsprechendes und vom Öl unabhängiges Wirtschaftswunder dort kaum vorstellbar. Außerdem sprechen qualitative Überlegungen dafür, dass die demokratische Umerziehung in den Verliererstaaten des Zweiten Weltkrieges auch deswegen gelungen ist, weil große Teile der Bevölkerung und der Eliten im expansiven Sowjet-Kommunismus eine weit größere Gefahr als in den westlichen Demokratien sahen und deshalb schon zur Zusammenarbeit mit den Demokratien bereit waren, als die demokratischen Überzeugungen noch nicht wirklich belastbar waren. Wogegen sich Amerikaner und Iraker verbrüdern könnten, das kann ich mir einfach nicht vorstellen.12
Aber selbst wenn die schnelle Demokratisierung des Iraks gelingen sollte, darf man sich davon nicht allzu starke pazifizierende Effekte versprechen. Sofern der demokratische Frieden nur unter Demokratien gilt – und nur dieser ist fast unumstritten – bringt die Demokratisierung eines Landes mitten in einer autokratisch regierten Region wenig für den Frieden. Unter den Nachbarn des Iraks kann nur die Türkei beanspruchen, eine Demokratie zu sein – nicht aber Syrien, Jordanien, Saudi-Arabien, Kuwait oder der Iran. Selbst im Fall der Türkei irritiert die Rolle der Streitkräfte noch im letzten Jahrzehnt und die mangelhafte Durchsetzung der Menschenrechte.
Gerade im Verhältnis zwischen den USA oder dem Westen einerseits und den Entwicklungsländern andererseits halte ich die Demokratie für keinen Exportartikel, der einen Krieg wert ist. Wirtschaftliche Freiheit und Kapitalismus dagegen lassen sich gewaltfrei exportieren, wie sowohl der Zusammenbruch der Sowjetunion und ihres Warschauer Paktes als auch die freiwillige – wenn auch schrittweise und vielleicht gerade deshalb erfolgreiche – Übernahme des Kapitalismus in Ostasien belegen. Dabei kommt es auf die Substanz des Kapitalismus und nicht auf das Etikett an. Die chinesischen Umschreibungen, wie „Verantwortungssystem“ oder „komparativen Kostenvorteilen folgende Entwicklungsstrategie“ sind recht ansprechend.13
Natürlich kann ich mit diesen Überlegungen nicht beweisen, dass der kapitalistische Frieden erreichbarer als der demokratische Frieden ist. Aber der kapitalistische Frieden hat auf jeden Fall den Vorteil, dass er nicht zur Rechtfertigung eines Krieges zwecks Verhütung späterer Kriege herangezogen werden kann. Außerdem lassen sich gute Gründe für die Auffassung anführen, dass eine Einführung des Rechts- und Verfassungsstaats vor der Demokratisierung, wie sie für die europäische Entwicklung typisch ist, der umgekehrten Reihenfolge vorzuziehen ist.14 Ohne rechtsstaatliches Fundament kann man sich kaum Hoffnungen auf eine schnelle und stabile Demokratisierung machen.
1 Obwohl sich dieser Aufsatz auf eine Vielzahl einzelner Studien bezieht, werde ich hier nicht auf diese verweisen. Vgl. dazu Erich Weede: Balance of Power, Globalization and the Capitalist Peace, Berlin 2005, wo diese Literatur besprochen wird. Nur die allerwichtigste Studie sei hier genannt: Bruce Russett und John Oneal: Triangulating Peace. Democracy, Interdependence, and International Organizations, New York 2001.
2 In meinem im Januar 2005 erschienenen Buch noch nicht genannt: Michael Mousseau: Comparing New Theory with Prior Beliefs. Market Civilization and the Democratic Peace, in: Conflict Management and Peace Science 22(1), 2005, S. 63–77.
3 Liberales Institut der Friedrich-Naumann-Stiftung (Hrsg.): Wirtschaftliche Freiheit in der Welt (Kurzfassung), Sankt Augustin 2003, v.a. S. 18.
4 Nils Petter Gleditsch u.a.: Armed Conflict 1946–2001. A New Dataset, in: Journal of Peace Research 39(5), 2002, S. 615–637. Außerdem: www.prio.no/cwp/ArmedConflict/
5 Zur Operationalisierung der Demokratie vgl. Monty G. Marshall und Keith Jaggers: Polity IV Project. Political Regime Characteristics and Transitions, 1800–1999. Dataset Users’ Manual. Center for International Development and Conflict Management, College Park: University of Maryland. Außerdem: http://cidcm.umd.edu/inscr/polity/index.htm und für einen alternativen Demokratie-Indikator: www.freedomhouse.org.
6 Liberales Institut der Friedrich-Naumann-Stiftung (Hrsg.): Economic Freedom. Annual Report 2004, Potsdam 2004. Alternativ: Heritage Foundation and Wall Street Journal: 2001 Index of Economic Freedom, Washington, DC/New York 2001.
7 Vgl. dazu auch das 4. und 11. Kapitel von Erich Weede: Asien und der Westen, Baden-Baden 2000; Erich Weede: China und Russland – Überlegungen zum Aufstieg und Niedergang von Weltmächten, in: Erich Reiter (Hrsg.): Jahrbuch für internationale Sicherheitspolitik 2001. Hamburg/Berlin/Bonn 2001, S. 141–156.
8 Eher von einem ideographischen als einem nomothetischen Wissenschaftsideal ausgehend kann man zu ähnlichen Auffassungen kommen. Vgl. David Shambaugh: China Engages Asia. Reshaping the Regional Order, in: International Security 29(3), 2005, S. 64–99.
9 Vgl. James Kurth: Ignoring History: U.S. Democratization in the Muslim World. In: Orbis 49(2), 2005, S. 305–322.
10 Brigitte Weiffen: The Cultural-Economic Syndrome. Impediments to Democracy in the Middle East, in: Comparative Sociology 3 (3-4), 2004, S. 353–375.
11 Den wichtigsten Grund für diesen Zusammenhang sehe ich darin, dass die Herrscher ölreicher Länder nicht die Akzeptanz der Untertanen für die Besteuerung benötigen. Steuerfragen und Budgetrecht haben bei der Entwicklung westlicher Demokratien bekanntlich eine bedeutsame Rolle gespielt.
l2 Vgl. David M. Edelstein: Occupational Hazards, Why Military Occupations Succeed or Fail, in: International Security 29(1), 2004, S. 49–91.
13 Vgl. Justin Yifu Lin, Fang Cai und Zhou Li: The China Miracle. Development Strategy and Economic Reform, Hongkong 2003.
14 Vgl. dazu Weede: Asien und der Westen (Anm. 7); Fareed Zakaria: The Future of Freedom. New York 2003.
Internationale Politik 7, Juli 2005, S. 65 - 73