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01. Juli 2006

Amerika als Ordnungsmacht

Einzig die USA sind in der Lage, globale öffentliche Güter bereitzustellen

Eigentlich hätte dieses Buch von einem Westeuropäer oder von einem Ostasiaten geschrieben werden müssen, denn die Menschen der wohlhabenden Länder Europas und Ostasiens profitieren in besonderer Weise von Amerikas weltpolitischer Rolle. Tatsächlich aber hat ein Professor der School of Advanced International Studies der Johns Hopkins University in Washington dieses Buch geschrieben. Wir Nutznießer der amerikanischen Rolle als Ordnungsmacht – Mandelbaum selbst verwendet einmal dieses deutsche Wort – überlassen den Amerikanern auch noch die Analyse.

Mandelbaum betont, dass die USA keine imperiale Macht sind. Von Ausnahmen, die von Amerikanern als Belastung betrachtet werden, abgesehen, wollen die Amerikaner weder die Wirtschaft noch die Politik anderer Länder bestimmen. Dennoch stellen die USA eine Art Weltregierung. Im Gegensatz zu den Regierungen von funktionierenden Staaten haben die USA allerdings kein Gewaltmonopol. Mandelbaum betrachtet die USA als ein funktionales Äquivalent einer Weltregierung, weil sie die Welt mit öffentlichen Gütern versorgen. Öffentliche Güter werden vor allem durch das Merkmal der Nichtausschließbarkeit definiert. Falls sie beschafft werden, kommen sie denen, die keinen Beschaffungsbeitrag leisten, gleichermaßen zugute wie denen, die die Beschaffungskosten tragen. Beispiele für öffentliche Güter sind: Sicherheit vor Gewalt und Verbrechen, Rechtsstaatlichkeit und Umweltschutz.

Wegen des Merkmals der Nichtausschließbarkeit besteht immer die Gefahr, dass öffentliche oder Kollektivgüter nicht beschafft werden, weil alle Nutznießer werden wollen, aber keiner die Beschaffungskosten tragen will. In Anlehnung an den amerikanischen Ökonomen Mancur Olson vertritt Mandelbaum die Auffassung, dass Ungleichheit der Akteure die Beschaffung von Kollektiv gütern erleichtert. Gerade weil die USA soviel stärker und mächtiger als jeder andere Staat sind, kann es im amerikanischen Interesse liegen, die Beschaffungskosten für internationale oder globale Kollektivgüter notfalls allein zu tragen. Olson würde das als die Ausbeutung des Großen durch die Kleinen bezeichnen.

Auf globaler Ebene kann man an drei Gruppen öffentlicher Güter denken: sicherheitspolitische, weltwirtschaftliche und umweltpolitische. Die wesentliche sicherheitspolitische Leistung der USA besteht darin, dass Amerika allen anderen Staaten – vor allem aber den mit den USA verbündeten Demokratien – den Rücken freihält. Obwohl Mandelbaum den Begriff nicht verwendet, könnte man sagen, dass zumindest für Amerikas Verbündete das Sicherheitsdilemma und damit eine klassische Quelle von Wettrüsten und Kriegsvorbereitung überwunden ist. In der Nachkriegszeit mussten sich etwa Deutsche und Franzosen keine Gedanken über eine potenzielle Bedrohung durch den Anderen machen. Das hätten die USA nicht zugelassen. In diesem Sinne kann man mit Mandelbaum die NATO, die ja wesentlich eine Garantie der USA für ihre Verbündeten ist, sogar als Voraussetzung für die europäische Einigung betrachten.

Man könnte die sicherheitspolitische Funktion Amerikas ein wenig – aber nicht viel – anders als Mandelbaum so beschreiben: Das amerikanische Übergewicht hat seit der Auflösung der Sowjetunion Weltkriege nicht nur unmöglich, sondern sogar undenkbar gemacht. Davon haben wir alle etwas. Zur sicherheitspolitischen Rolle der Ordnungsmacht gehören auch humanitäre Interventionen – manchmal unter NATO- oder gar UN-Flagge, aber meist auf amerikanische Mitwirkung oder gar Führung angewiesen oder eben völlig ungenügend wie bis zum Frühjahr 2006 in Darfur – und auch Präventivkriege, wie gegen den Irak. Mandelbaum ist sich der Problematik dieser Ordnungsleistung durchaus bewusst.

Ich halte vor allem zwei Hypothesen für wichtig, die er in diesem Zusammenhang entwickelt. Je leichter der militärische Sieg über ein Land fällt, desto schwerer ist es, hinterher dort einen funktionierenden Staat aufzubauen. Außerdem: Der Aufbau eines demokratischen Staates ist besonders zeitraubend und schwer, weil gleichzeitig Effizienz und Grenzen der Staatsgewalt erreicht werden sollen.

Nörgelnde Trittbrettfahrer

Wirtschaftspolitisch besteht die Rolle der USA in der Sicherung des freien Welthandels und den daraus resultierenden Wohlstands- und Wachstumseffekten. Zunächst einmal trägt Amerika durch seine sicherheitspolitische Rolle dazu bei, dass der Welthandel relativ frei ist. Bei Kriegsgefahr könnte man sich weder auf ausländische Lieferanten noch Abnehmer verlassen. Außerdem wären weder das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT) noch die daraus hervorgegangene Welthandelsorganisation (WTO) ohne amerikanische Initiative zustande gekommen. Die USA stellen die Weltwährung. Sie tragen zusammen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF), auf den niemand soviel Einfluss hat wie Amerika, auch zur Stabilisierung angeschlagener Volkswirtschaften bei. Sie sichern die Ölzufuhr vom Persisch- Arabischen Golf zu den Industriestaaten. Sie stellen einen großen und offenen Nachfragemarkt zur Verfügung, wobei Mandelbaum durchaus die Probleme sieht, die mit dem amerikanischen Leistungsbilanzdefizit verbunden sind. Merkwürdigerweise diskutiert er allerdings die zur Kriegsverhütung beitragenden Rückwirkungen des Freihandels nicht. Deshalb könnte man ihm vorwerfen, die Leistung der Ordnungsmacht Amerika für den Rest der Welt noch zu unterschätzen! Am stiefmütterlichsten behandelt Mandelbaum die Beschaffung globaler Umweltgüter. Darin folgt er der Vernachlässigung dieses Kollektivgutproblems durch die amerikanischen Regierungen.

Durch sparsameren Umgang mit Energie im Allgemeinen und Öl im Besonderen könnten die USA zweifellos einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Aus der Perspektive der Olsonschen Logik des kollektiven Handelns, auf der Mandelbaum aufbaut, ist allerdings die Nichtbeschaffung oder suboptimale Beschaffung von öffentlichen Gütern nicht verwunderlich, sondern zu erwarten.

Nach Mandelbaum sollte der Rest der Welt sich nicht darauf verlassen, dass die USA auch künftig in besonderer Weise zur Beschaffung von Kollektivgütern beitragen. Vor allem inneramerikanische Entwicklungen, wie das Altern der Bevölkerung Amerikas und die daraus resultierenden Finanzierungsprobleme bei Pensionen und medizinischer Versorgung, nähren seine Skepsis, ob Amerika auch künftig so belastbar sein wird wie bisher. Alternativen für die amerikanische Rolle als Ordnungsmacht sind zwar denkbar, aber unrealistisch. Das gilt für eine Art Weltregierung ebenso wie für eine Lastenteilung Amerikas mit der noch schneller ergrauenden und oft uneinigen EU.

Uns Europäern gefällt das Trittbrett fahren. Wir dürfen sogar meckern. Das geht zwar leicht in Heuchelei über, aber es ist doch wunderbar, von der amerikanischen Politik zu profitieren und sich zugleich auch noch besser als die Amerikaner vorzukommen. Damit ist auch klar, warum weder ein Deutscher noch ein Japaner, weder ein Franzose noch ein Südkoreaner ein derartiges Buch schreiben wollte. Aber wir sollten es zumindest lesen!

Michael Mandelbaum: The Case for Goliath. How America Acts as the World’s Government in the 21st Century. Public Affairs, New York 2005. 283 Seiten, $ 26,00.

Prof. Dr. Erich Weede, geb. 1942, lehrte bis 2004 Soziologie an der Universität Bonn. Zuletzt erschien von ihm „Balance of Power, Globalization and the Capitalist Peace“ (2005).

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 7, Juli 2006, S. 133-135

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