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01. Juni 2007

Wege zum Wirtschaftswunder

Buchkritik

Drei neu erschienene Bände untersuchen die Chancen der jungen Generation in Entwicklungsländern, fragen nach den Zusammenhängen zwischen Armut, Entwicklung, Frieden und Umwelt und erstellen eine weltweite Hitliste der wirtschaftlichen Freiheit.

Von den derzeit weltweit rund 1,5 Milliarden Menschen im Alter von 12 bis 24 Jahren leben 1,3 Milliarden in Entwicklungsländern. Den Problemen und Lebensperspektiven dieser jungen Menschen ist der Weltentwicklungsbericht 2007 gewidmet. Die These des Berichts: Während einer Periode des demographischen Übergangs von hoher Geburtenrate und niedriger Lebenserwartung zu niedriger Geburtenrate und hoher Lebenserwartung bietet sich für Volkswirtschaften die Chance zu besonders schnellem Wirtschaftswachstum. Denn in dieser Phase ist der arbeitende Teil der Bevölkerung besonders hoch, der von der arbeitenden Generation ernährte Teil – Alte, Kinder – dagegen vergleichsweise niedrig. Dieses Phänomen hat in der Vergangenheit zu vielen asiatischen Wirtschaftswundern beigetragen.

Kann auch Afrika, das diese Phase noch vor sich hat, dieses „window of opportunity“ nutzen? Das hängt nach dem Bericht von zwei Faktoren ab: der so genannten Humankapitalbildung und dem Arbeitsmarkt. So besuchen zwar 85 Prozent aller Zwölfjährigen in Entwicklungsländern eine Schule, doch ändert das wenig daran, dass in einigen der Länder viele Schüler auch nach sechs Jahren noch nicht richtig lesen können. Mit der Folge, dass der Humankapitalertrag der Schulausbildung oft mangelhaft ist. Nicht viel besser die Situation auf dem Arbeitsmarkt: Ist die Jugendarbeitslosigkeit schon in den Industrieländern deutlich höher als die Arbeitslosigkeit der Älteren, so ist der Unterschied in den Entwicklungsländern noch größer. Staatliche Regelungen – vom Minimallohn bis zum Kündigungsschutz – haben oft einen negativen Effekt auf die Chancen der Jugend. Kommt hinzu, dass in einzelnen Ländern ein höheres Lohnniveau im öffentlichen Dienst als in der Privatwirtschaft dazu beiträgt, dass Jugendliche lieber auf einen privilegierten Arbeitsplatz im Staatsdienst warten statt sofort in der Privatwirtschaft tätig zu werden.

Um das „Fenster der Gelegenheit“ für Wachstum und Armutsbekämpfung zu nutzen, muss in der Bildungs- und Wirtschaftspolitik der Entwicklungsländer noch einiges getan werden. Die wohlhabenden Länder könnten einen Beitrag dazu leisten – etwa durch eine weniger restriktive Zuwanderungspolitik für Unqualifizierte. Neben Themen wie Humankapitalbildung und Arbeitsmarkt werden in dem Bericht Gesundheit, Familiengründung, politische Beteiligung und sogar Probleme der Identitätsfindung abgehandelt – oft jedoch auf einem selbst für den über einige Vorkenntnisse verfügenden Leser allzu hohen Abstraktionsniveau. Insgesamt ist der Bericht heterogener und weniger klar auf die ökonomische Kernkompetenz der Weltbank fokussiert als die vorhergehenden Berichte.

Dass es in erster Linie das Ausmaß der wirtschaftlichen Freiheit sei, welches über Wohlstand und Wachstum entscheide, ist das Credo der Wirtschaftsliberalen. Kaum verwunderlich, dass gerade sie sich um die international vergleichende Erfassung der wirtschaftlichen Freiheit bemühen. Eines der beiden großen Projekte, die sich derzeit damit beschäftigen, wird federführend vom kanadischen Fraser Institute geleitet (siehe IP 12/2006, S. 121 f.), das andere und hier zu besprechende gemeinsam von der Heritage Foundation und dem Wall Street Journal. Auf deren Index werden 157 Volkswirtschaften auf einer Prozentskala eingeordnet. In die Bewertungen gehen mit gleichem Gewicht zehn Freiheiten ein: die unternehmerische Freiheit, die Außenhandelsfreiheit, die fiskalische Freiheit, die Freiheit von der Regierung, die monetäre Freiheit, die Freiheit für ausländische Investoren, die Freiheit der Banken, die Sicherheit des Privateigentums, die Freiheit von Korruption und die Freiheit des Arbeitsmarkts. Hongkong schneidet mit 89,3 Prozentpunkten am besten ab, Nordkorea mit 3,0 Punkten am schlechtesten. Deutschland hält mit 73,5 Punkten Rang 19, deutlich hinter den USA mit 82 Punkten und Rang 4 oder Großbritannien mit 81,6 Punkten und Rang 6. Während in vielen Entwicklungsländern die fehlende Sicherheit des Privateigentums und die mangelnde Freiheit von Korruption die Hauptprobleme sind, sind es in Deutschland und Österreich die fehlende Freiheit von der Regierung (hohe Staatsausgaben) und die mangelnde Freiheit der Arbeitsmärkte.

Das vorliegende Werk ist aber nicht nur ein Datenhandbuch, es enthält auch zwei wertvolle Artikel von Gastautoren. So zeigt der bekannte Wachstumsforscher Xavier Salai-Martin von der Columbia University, dass die Globalisierung nicht nur das Wachstum beschleunigt hat, sondern auch zur Egalisierung der Einkommensverteilung unter den Menschen und zum Abbau der Armut beigetragen hat. Waren 1970 noch 15,4 Prozent der Menschheit arm, wenn man die Einkommensgrenze pro Person und Tag bei einem kaufkraftbereinigten Dollar ansetzt, so waren es 2000 „nur“ noch 5,7 Prozent. Bei einer Armutsschwelle von zwei Dollar gab es einen Rückgang von 29,6 auf 10,6 Prozent, bei einer Schwelle von drei Dollar von 46,6 auf 21,1 Prozent. In einem weiteren Artikel plädiert Johnny Munkhammar vom schwedischen Timbro-Institut für eine Deregulierung der europäischen Arbeitsmärkte. Er illustriert das mit einem Vergleich von Schweden und Großbritannien für den Zeitraum 1995 bis 2004. Das Einkommen der ärmsten 10 Prozent der Bevölkerung stieg in diesem Zeitraum in Schweden nur um 10 Prozent, in Großbritannien aber um 59 Prozent. Munkhammers These: Sogar die Ärmsten können von freien Arbeitsmärkten profitieren. Armut und Unterentwicklung erhöhen die Bürgerkriegsanfälligkeit massiv, Bürgerkriege wiederum zementieren Armut und Unterentwicklung – oft sogar bei den Nachbarn der betroffenen Länder. Dass es Zusammenhänge zwischen Frieden oder Kriegsverhütung und Entwicklung oder Wirtschaftswachstum gibt, deuten die an der Herausgabe des Sammelbands „Globale Trends 2007“ beteiligten Institutionen schon im Namen an: Es handelt sich dabei um die Stiftung Entwicklung und Frieden (Bonn) und das Institut für Entwicklung und Frieden (Universität Duisburg-Essen). So wird in dem Band mit dem Untertitel „Frieden – Entwicklung – Umwelt“ auch darauf verwiesen, dass der Aufstieg künftiger Großmächte – wie Chinas und Indiens heute – in der Vergangenheit oft mit gesteigerter Kriegsgefahr einherging.

Die Interdependenzen von wirtschaftlicher Entwicklung und Umwelt werden etwa am Beispiel der Wasserverknappung in Nordchina oder der Luftverschmutzung in chinesischen Großstädten aufgezeigt. Dabei liegt ein großer Wert des Bandes in seinem Datenreichtum. Nur zwei Beispiele: Während sich der deutsche Ölverbrauch seit 1990 kaum verändert hat, hat er sich in Indien verdoppelt, in China fast verdreifacht. Oder: In Indien ist die extreme Armut seit 1990 von 42 auf 34 Prozent zurückgegangen.

Was zuweilen allerdings fehlt, ist eine exakte Beschreibung der Indices, etwa wenn von der Verdoppelung der Ungleichheit in China die Rede ist. Schließlich gibt es viele Ungleichheitsindices. Ob etwa die Einkommensungleichheit in den letzten Jahrzehnten weltweit zu- oder abgenommen hat, hängt von der genauen Fragestellung und den verwendeten Indices ab.

World Development Report 2007. Development and the Next Generation. Washington: World Bank 2006, 317 Seiten, 26,00 $

Tim Kane, Kim R. Holmes, Mary A. O’Grady: 2007 Index of Economic Freedom. The Link Between Economic Opportunity and Prosperity. Washington, DC/New York: The Heritage Foundation and The Wall Street Journal 2007, 408 Seiten, 19,95 $

Tobias Debiel, Dirk Messner und Franz Nuscheler (Hrsg.): Globale Trends 2007. Frieden –Entwicklung – Umwelt. Frankfurt/Main: Fischer 2006, 416 Seiten, 14,95 €

Prof. Dr. Erich Weede, geb. 1942, ist emeritierter Professor für Soziologie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.
 

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 6, Juni 2007, S. 151 - 154.

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