Die neue Ost-West-Kluft
Von Milan Nic
Der Wahlsieg von Zuzana Čaputová hat unterstrichen: Geht es um weibliche Staatsoberhäupter, hängt Osteuropa Westeuropa locker ab. Ein neuer Trend
In den westlichen Medien wurde der Erfolg der Rechtsanwältin Zuzana Caputová bei den Präsidentschaftswahlen in der Slowakei Ende März in erster Linie als Sieg des Liberalismus gefeiert: endlich ein Signal gegen den populistischen Trend! Dabei übersahen die Kommentatoren, dass mit Caputová nicht nur einem „neuen Gesicht“ ein gewaltiger Sieg gelang, sondern auch einer Frau.
Sie ist kein Einzelfall. Wenn es um weibliche Staatsoberhäupter geht, ist Osteuropa Westeuropa meilenweit voraus. Vergessen Sie Skandinavien! Die wahren Trendsetter sind die baltischen Staaten. Zwei von ihnen können derzeit eine „Mrs. President“ vorweisen: Dalia Grybuskaite in Litauen und Kerste Kaljulaid in Estland. Und der dritte Baltikumstaat, Lettland, hatte bis vor ein paar Jahren ebenfalls eine Staatspräsidentin. Außerdem ist da noch die kroatische Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarovic.
Wie sieht Westeuropa in diesem Spiegel aus, den ihm Osteuropa vorhält? Nicht so gut. Ich bin nicht sicher, ob man die Königin von Dänemark und die Königin des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland (God save the Queen!) mitzählen sollte, aber sie sind die einzigen, die einem in den Sinn kommen.
Zufall oder Trend? Letzteres, wenn man den slowakischen Fall genauer betrachtet. Ein Jahr nach dem Mord an dem investigativen Journalisten Ján Kuciak – eine Tat, die Caputová dazu bewegte, in die Politik zu gehen – hatten die Slowaken vom Klientelismus der herrschenden Smer-Partei genug, vertrauten auf eine 45 Jahre alte, geschiedene zweifache Mutter mit gradlinigem Führungsstil und gaben den Gegenkandidaten (allesamt Männer) einen Korb. Der ehemalige Chefstratege von Smer, Marek Madaric, schrieb dazu treffend: „Das gegenwärtige Panoptikum slowakischer Politik, das männertypenpsychologisch vom Narzissten über den Macho bis zum Psychopathen reicht, hat dafür gesorgt, dass die Leute etwas anderes wollten.“
Caputová wurde gewählt, um dem korrupten Machismo entgegenzutreten. Selbst mit ihren begrenzten Befugnissen kann sie Anstand und Rechtsstaatlichkeit verkörpern und zeigen, dass diese den Bürgern mehr Vorteile bringen als populistische Demagogie und Kumpel-Kapitalismus. Und wer weiß, wo der Trend halt macht. „Sie ist eine unglaubliche Quelle der Inspiration“, vertraute mir eine ungarische Aktivistin an, ebenfalls eine kämpferische junge Frau. Derzeit scheint Bratislava auf einem anderen Planeten zu liegen als Budapest, aber man sollte nicht vergessen: Mit dem Auto sind es nur zwei Stunden.
Milan Nič ist kommissarischer Leiter des Robert-Bosch-Zentrums der DGAP.
Internationale Politik 3, Mai/Juni 2019, S. 143