Die Methode Macron
Frankreichs Präsident treibt seine Politik voran und kämpft mit Imageproblemen
Herkules war ein Held der Antike, der zwölf atemberaubend schwierige Taten vollbrachte. Ein Vorbild, so schreiben die Pariser Zeitungen mit einer gewissen Süffisanz, für Präsident Macron mit seinen zwölf großen Reformvorhaben vom Arbeitsmarkt über die Staatsfinanzen und die Bildung bis zur Rente.
„Herkules nimmt eine Aufgabe nach der anderen in Angriff, genau wie ein Investmentbanker einen Deal nach dem anderen abarbeitet. Das ist die Methode, für die sich Emmanuel Macron entschieden hat“, schrieb Le Figaro (8. Oktober).
Diese Beschreibung enthält eine bösartige Spitze. Investmentbanker sind in Frankreich nicht gut angesehen, und Macron hängt seine Tätigkeit als Investmentbanker zwischen 2008 und 2012 bei Rothschild hinterher. Hier klingt an, was den Präsidenten in diesen Wochen unter Druck bringt: die Wahrnehmung, dass er politisch immer weiter nach rechts rückt. Selbst sein Engagement für Europa diene dazu, seine wahre, neoliberale Agenda zu verschleiern. Davon ist Humanité (27. September), die Zeitung der einst mächtigen Kommunistischen Partei Frankreichs, überzeugt. „Wenn die Rede an der Sorbonne die Arbeitslosenzahlen überdeckt“, lautete die Schlagzeile über Macrons großer Europa-Rede am 26. September.
Es sind zwei Interpretationen der politischen Wirklichkeit, die sich in Frankreich gegenüberstehen; zwei rote Fäden, die sich an einigen Stellen ergänzen, an anderen Konkurrenz machen. Auf der einen Seite steht die traditionelle Unterteilung in Rechts und Links, eine Ordnung, die der Sichtweise der traditionellen Parteien und Medien Frankreichs entspricht. Auf der anderen Seite steht der 39-jährige Macron selbst, der seit dem Wahlkampf versucht, die Spaltung des Landes zwischen Links und Rechts für überwunden zu erklären. Stattdessen stünden heute die Europäer gegen die Anti-Europäer, erklärte Macron.
„Wer ist er eigentlich?“, fragte Le Monde (15. Mai). „Die Antwort liegt in dem ‚zugleich‘, das der neue Präsident so gerne benutzt. Emmanuel Macron stellt sich selbst als links und rechts zugleich da, als sozial und als liberal, als jemand, der die nationale Erzählung ebenso gut beschwören kann wie die Weltgeschichte (…), das Erinnern wie das Vergessen, und die Revolution ebenso wie die Monarchie.“
Macron setzt auf Europa, auf ein radikal erneuertes und geeintes Europa, wie er es in seiner Rede an der Sorbonne beschrieb. Das entspricht seinen Überzeugungen, zugleich hilft es ihm in der politischen Arena. Macron will keine Diskussion darüber, ob seine Politik nach rechts gerückt ist; er will die öffentliche Debatte auf den Konflikt zwischen Europäern und Populisten konzentrieren, den er schon einmal gewonnen hat. „Macron, der europäische Volontär“, schrieb François Ernenwein, Chefredakteur der katholischen Zeitung La Croix (28. September). „Der Wahlerfolg hat ihm recht gegeben: Sein Erfolg hat die Populisten des Landes, die Honig saugen aus einem engstirnigen und mit europafeindlichen Parolen gewürzten Nationalismus, sehr geschwächt.“
Aufschlussreich ist, wie Ernenwein im selben Artikel die Abhängigkeit Macrons von Deutschland beschreibt: Der französische Präsident habe für seine Europa-Reformen auf Rückenwind aus Berlin gezählt. Doch das schlechte Abschneiden von Bundeskanzlerin Angela Merkel mache ihm einen Strich durch diese Rechnung. Nun seien die FDP und ihr „schneidiger Anführer“ Christian Lindner für die künftige Koalition unverzichtbar geworden. „Beide sehen sich als Wächter einer strengen Disziplin und lehnen jeden Kompromiss mit einem Frankreich ab, dem sie Phantastereien und Ausgabenfreude unterstellen“, schrieb Ernenwein. Merkel müsse diese neuen Verbündeten nun mit Geschick und Mut umschiffen, um Europa voranzubringen.
Wie sehr Macron trotzdem noch auf Deutschland zählt, und wie wichtig es ihm ist, die europäische Karte zu spielen, zeigt sich auch an der deutsch-französischen Eisenbahnfusion von Siemens und Alstom, für die Macron unmittelbar vor seiner Rede an der Sorbonne grünes Licht gab. „Durch die Megafusion Siemens-Alstom kann Europa es mit China aufnehmen“, schrieb das Nachrichtenmagazin Le Point. Doch wo die bürgerliche Mitte die Hoffnung auf einen neuen europäischen Champion mit Wohlwollen begleitete, tobten die Populisten von Rechts wie von Links.
L’Heure du Peuple (Stunde des Volkes) heißt eine Zeitung, die der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon, der wichtigste Oppositionspolitiker Frankreichs, gegründet hat. „Verkauf von zerlegten Unternehmensteilen, falsche Versprechungen an die Beschäftigten, Verweigerung staatlicher Eingriffe“, klagte das Blatt am 27. September. „Dieser gigantische Ausverkauf findet im Namen veralteter liberaler Dogmen statt, die von anderen Ländern auch nicht angewendet werden, unter Verachtung des nationalen Interesses.“
„Genau an dem Tag, an dem Alstom von einem deutschen Unternehmen geschluckt wird, feiert unser Präsident die immer engere Gemeinschaft zwischen Frankreich und Deutschland“, heißt es auf der anderen Seite des politischen Spektrums. Der Essayist Guillaume Bigot leitet eine Business School und beschreibt sich selbst als „Souveränisten“. „Wäre es die Absicht von Macron gewesen, die Unterwerfung von Paris unter Berlin und der Politik unter die Wirtschaft zu versinnbildlichen, er hätte es nicht besser anstellen können“ (Interview im Figaro, 27. September).
Weil solche Konflikte dem Präsidenten ebenso nützlich sind wie den Populisten, brach wenige Tage später schon der nächste Streit los. Anfang Oktober brachten die Abgeordneten von Jean-Luc Mélenchons Partei „La France Insoumise“ einen Antrag ein, um die Europa-Flagge aus der Nationalversammlung zu verbannen. Macron konterte mit der Ankündigung, er werde beim nächsten EU-Gipfel die blau-gelbe Flagge offiziell und in Ergänzung zur französischen Fahne anerkennen. Die auflagenstarke Wochenzeitung Paris Match (11. Oktober) beschrieb daraufhin den Zorn der Rechtspopulisten: Marine Le Pen habe den Präsidenten beschuldigt, er handele „als Knecht der EU“.
Hohe Subventionen für die Presse
Besonders heftig werden solche Auseinandersetzungen in den sozialen Medien der Rechts- und Linkspopulisten geführt. Mélenchon hat nicht nur einen Blog, die „Stunde des Volkes“, sondern auch eigene Youtube-Kanäle. Auf der rechten Seite des Spektrums heißen die wichtigsten Webseiten fdesouche oder vpolitique; auch sie dienen gleichermaßen der Information und der Mobilisierung der jeweiligen Anhänger.
Das Gewicht solcher Medien ist in Frankreich, wo es kaum unabhängige Verleger gibt, vermutlich noch größer als in Deutschland. In Frankreich sind fast alle Zeitungen, aber auch die meisten Fernsehsender im Besitz von Wirtschaftsmilliardären wie Serge Dassault (Figaro), Martin Bouygues (TF1) oder Xavier Niel (Le Monde), für die gute Beziehungen zum Präsidenten nützlich sind. Hinzu kommt, dass die Presse erhebliche Zuschüsse vom Staat erhält, um ihr Überleben zu sichern. 2015 bekamen allein die linksliberale Libération und der konservative Figaro jeweils knapp 6,5 Millionen Euro an Subventionen.
Trotzdem muss sich Macron auch in den etablierten Medien kritische Kommentare gefallen lassen. Ein Beispiel ist die Berichterstattung über seine Popularitätswerte. Schon im August 2017, nach nur 100 Tagen im Amt, war Macron im Volk so unbeliebt wie noch kein französischer Präsident vor ihm. Ein Teil dieser Erosion ging auf Macrons offensichtliche Machtverliebtheit während der ersten Wochen im Amt zurück. Denn das war die Zeit, in der der neue Präsident allen Ernstes den Göttervater Jupiter zum Rollenvorbild erklärte.
Um den Figaro (31. August) zu zitieren: „Zu viel Public Relations, zu viele Fotos von sich. Es entstand der Eindruck, wie es ein Abgeordneter der Rechten ausdrückte, ‚eines verzogenen Kindes im Süßwarengeschäft‘. Macron im Militär-Look im U-Boot, Macron im Militär-Look auf einem Luftwaffen-Stützpunkt, Macron im Fußballer-Look in Marseille … Aber während Macron sich amüsierte, fehlte es den Franzosen an Perspektive. Und als der Sommer vorbei war, haben sie ihm ihr Vertrauen entzogen.“
Nach der „rentrée“, der Wiederaufnahme des normalen Lebens nach dem Ferienmonat August, wurde auch deutlich, in welcher Schärfe Macron die wirtschaftlichen und sozialen Reformen durchziehen will, die er im Wahlkampf angekündigt hatte. Kaum hatte er seine große Arbeitsmarktreform in Kraft gesetzt, folgte der Haushaltsentwurf 2018 – ein Budget, das nicht nur Sozialkürzungen vorsah, sondern auch die Streichung der Vermögenssteuer, die in den 1980er Jahren von den Sozialisten eingeführt worden war. Stattdessen wollte Macron nur den großen Immobilienbesitz höher besteuern.
„Es ist also geschehen. Die Regierung hat tatsächlich die Reichen um 4,5 Milliarden Euro Steuern entlastet und gleichzeitig die Beschäftigungsbeihilfen für 150 000 Jobs gestrichen“, schrieb Libération (6. Oktober). „Robin Hood hat den Reichen genommen, um den Armen zu geben. Macron ist ein Schakal, er ist ein echter Mann, er redet den Leuten nicht nach dem Mund. Er nimmt denen, denen es am schlechtesten geht, und gibt es denen, die bereits am besten ausgestattet sind.“ Die satirische Zeitung Canard Enchainé (3. Oktober) titelte „Jetzt rennen die Superreichen (nach Frankreich) zurück“.
Der Protest tobte, und Macron selbst heizte ihn noch an. Auf eine Gegendemonstration von Arbeitslosen während eines Besuchs im Département Corrèze reagierte der Präsident öffentlich mit einer abfälligen Bemerkung. Arbeitslose, so sagte er, sollten sich lieber um einen neuen Job kümmern, als einen Schweinestall anzurichten. „Das war Absicht, kein Ausrutscher“, urteilten Experten. Schließlich war es nicht Macrons erste Bemerkung dieser Art.
Im Express (5. Oktober) sagte Philippe Moreau-Chevrolet, Professor für politische Kommunikation, Macron versuche sich ein neues, volksnäheres Image zu geben. „Macron hofft, dass dieser Übergriff es ihm ermöglicht, den Franzosen näher zu kommen, indem er das Image des elitären Bankers zerstört“, fügte er hinzu. Doch das Risiko sei groß, nun als „Präsident der Reichen“ wahrgenommen zu werden.
Offenkundig ist das auch Macron bewusst, der nun erneut umzusteuern scheint. Nach zwei Wochen heftiger Kritik kündigte Macrons Fraktionschef Richard Ferrand Nachbesserungen an: Ab 2018 sollen nun nicht nur Immobilien, sondern auch Luxusgüter wie Yachten, Goldschmuck und Luxuswagen höher besteuert werden. Politisch notwendig, wirtschaftlich fragwürdig, heißt es dazu im Kommentar des Senders France Inter (2. Oktober): „In Frankreich gibt es nur 34 Segelboote und 45 Motorboote von über 24 Meter Länge, die dem entsprechen, was wir unter Luxusyachten verstehen“, sagte Dominique Seux. „Die politische Debatte ist reell und offenkundig legitim, aber die finanzielle Bedeutung ist mikroskopisch klein.“
Ein Land, das zwischen Nationalismus und Europa schwankt; ein Präsident, der sehr zielbewusst Politik macht, aber nicht weiß, mit welchem Image er sich den Rückhalt im Volk sichern kann. „Herold Europas … Held der Reichen,“ titelte die Liberation (27. September) am Tag nach Macrons Rede an der Sorbonne. Ein schönes Wortspiel auf Französisch.
Bettina Vestring ist freie Autorin und Publizistin in Berlin. Sie schreibt vor allem über Außen-, Sicherheits- und Europapolitik.