Porträt

01. Mai 2022

Resolut und eloquent

Ngozi Okonjo-Iweala ist die erste Frau und zugleich die erste Person aus Afrika an der Spitze der Welthandelsorganisation. Die 67-jährige Nigerianerin gilt als durch­setzungsstark – aber kann sie in der aktuellen weltpolitischen Lage Erfolg haben?

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Bild: Porträt von Ngozi Okinjo-Iweala
Anfangs trug „Dr. Ngozi“ afrikanische Tracht, weil es im Alltag in Washington D.C. praktisch war. Heute ist es ein Statement.
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Links der Frieden, rechts die Gerechtigkeit, dazwischen führen fünf Treppenstufen nach oben. Die beiden Sandsteinskulpturen von 1924 flankie­ren den Eingang zur Welthandelsorganisation (WTO) in Genf. Hier werden am 13. Juni, wenn die wichtigste handelspolitische Konferenz der Welt beginnt, die Regierungsvertreter ankommen. Die Botschaft der zwei Frauen­figuren ist klar, und sie passt zu dem, was die Gastgeberin des Treffens, die eloquente und resolute Ngozi Okonjo-Iweala, den Ministern sagen wird: Auf dem Spiel steht die Zukunft des freien und fairen Welthandels, der Milliarden von Menschen Wohlstand beschert hat. „Beim Handel geht es immer um die Menschen“, sagt Okonjo-Iweala oft.



Dr. Ngozi, wie sie meist genannt wird, ist die erste Frau und zugleich die erste Person aus Afrika an der Spitze der WTO. 15 Ehrendoktortitel besitzt die 67-jährige Nigerianerin; sie wurde hochgelobt als Managerin der Weltbank wie als Finanzministerin ihres Landes, saß in den Aufsichts- und Beiräten zahlloser Organisationen, schrieb Bücher und pflegte ein Netzwerk, das seinesgleichen sucht. Ohne Zweifel ist Okonjo-Iweala eine stahlharte Managerin, selbstbewusst, energisch, ungeheuer fleißig und durchsetzungsstark. „Ich gebe nie auf. Ich bin von Natur aus Optimistin. Ich nehme niemals eine Arbeit an, die mich nicht mit Leidenschaft erfüllt“, sagte sie vor Kurzem im Interview mit Bloomberg TV. „Und die Menschen merken, dass es mir wirklich um Ergebnisse geht.“



Und doch ist ihr Erfolg bei der WTO, deren Sekretariat sie seit März 2021 leitet, keineswegs gewiss. Ihre Feuerprobe wird die WTO-Ministerkonferenz der 164 Mitgliedsländer im Juni, die wegen Covid-19 mehrfach verschoben worden war. Okonjo-Iweala braucht Erfolge in wenigstens einem der großen WTO-Konflikte, die den Welthandel seit Jahren belasten. Gelingt ihr das, hat sie Rückenwind für die dringendsten Reformen der internationalen Handelsregeln. Ohne sie droht die Welt in konkurrierende Handelsblöcke zu zerfallen, nur lose verbunden durch eine in die Bedeutungslosigkeit abgerutschte WTO, wie das Bruegel-Institut in Brüssel vor Kurzem warnte.



Den Zeitgeist hat Okonjo-Iweala nicht auf ihrer Seite. Jahrelang waren es vor allem die Globalisierungsgegner auf der Straße, die die Vorteile von Freihandel und damit auch die Legitimationsgrundlage der WTO infrage stellten. Inzwischen sind es die Regierungen selbst, die das Welthandelssystem unterminieren. Die Großmachtkonkurrenz zwischen den USA und China wird vor allem im Wirtschaftlichen ausgetragen. US-Präsident Donald Trump erließ Strafzölle und Embargos gegen China und warf der WTO vor, sie verschaffe China unfaire Vorteile. Er hebelte auch die Streit­schlichtung der WTO aus, indem er die Ernennung neuer Mitglieder des Schiedsgerichts blockierte. Trumps Nachfolger Joe Biden äußert sich zwar freundlicher, führt die Politik aber fort. Bisher haben die USA noch nicht einmal einen Vorschlag vorgelegt, wie eine Reform der WTO aussehen könnte, die ihren Bedenken Rechnung tragen würde.



Seit der Pandemie planen selbst Handelsnationen wie Deutschland die Verkürzung ihrer Lieferketten. Nun kommt auch noch der Krieg in der Ukraine hinzu, der die WTO vollends zu blockieren droht. Wichtige westliche Staaten, unter ihnen Deutschland, wollen den Meistbegünstigungsstatus von Russland aussetzen, um Strafzölle auf russische Waren erheben zu können.



Ihre Hoffnungen setzt die Generaldirektorin auf eine Lösung des Streits um die Patente für die Corona-Impfstoffe. Einer Verhandlungsgruppe aus USA, EU, Südafrika und Indien gelang eine vorläufige Einigung, nach der für die meisten Entwicklungsländer die Patente für drei bis fünf Jahre ausgesetzt würden, um lokale Produktionen zu ermöglichen. Allerdings muss der Vorschlag von allen WTO-Mitgliedern gebilligt werden – auch von Deutschland und der Schweiz, deren Industrien ­gegen die ­Lockerung von Patenten sind, und von China, das von der befristeten Patentfreigabe ausgeschlossen bliebe. Zudem kommt die Einigung reichlich spät, denn inzwischen herrscht auch in den Entwicklungsländern ein Überangebot an Impfstoffen. Dringender erscheint jetzt eine Lösung für die Hungerkrise in den Entwicklungsländern, die sich seit der Invasion der Ukraine ankündigt.



Kämpferin gegen Korruption

Armut kennt Okonjo-Iweala aus ihrer Kindheit, die sie bei ihrer Großmutter auf dem Dorf verbrachte, während die Eltern im Ausland studierten. Sie war 13, als der Biafra-Krieg ausbrach, in dem ihre zum Igbo-Volk gehörende Familie ihr Vermögen verlor. Ngozi schaffte es trotzdem zum Wirtschaftsstudium nach Harvard und zur Promotion an das renommierte Massachusetts Institute of Technology. Es folgten insgesamt 25 Jahre bei der Weltbank, wo sie bis zur Geschäftsführenden Direktorin aufstieg, sowie zwei Amtszeiten als Finanzministerin in Nigeria, ihrem riesigen, ölreichen und von Korruption geplagten Heimatland.



Dass auch einfache Maßnahmen höchst wirkungsvoll sein können, um Korruption zu bekämpfen, ist die wichtigste Lehre aus ihrer Zeit als Finanzministerin. Sie machte öffentlich, welche Beträge der Staat jeder Gemeinde für Straßenbau oder den Betrieb von Schulen und Krankenhäusern zahlte. Zum ersten Mal erfuhren die Bürger, wie wenig von dem Geld, das ihnen für öffentliche Aufgaben zustand, tatsächlich in ihren Gemeinden ankam. Und bei der Überprüfung der staatlichen Gehalts- und Pensionslisten fand sie heraus, dass 46 821 Staatsdiener nur auf dem Papier existierten. Transparency International würdigte den Reformeifer und die Ehrlichkeit der Ministerin und nahm sie in ihre Ehrenliste von Kämpfern gegen die Korruption auf.



So erfolgreich war Dr. Ngozi im Finanzressort, dass selbst ihr damaliger Chef, Präsident Olusegun Obasanjo, Rücksicht auf ihren Willen nehmen musste. Als er der Finanzministerin die Planungs- und Haushaltsabteilung wegnehmen wollte, trat sie aus Protest zurück. Um sie zur Rückkehr zu bewegen, musste Obasanjo sein Vorhaben aufgeben. Ganz ähnlich ging Okonjo-Iweala offenbar im Herbst 2021 bei der WTO vor, um ihre Reformen voranzubringen. Nein, mit Rücktritt habe sie nicht gedroht, sagte sie später. Sie habe nur darauf hingewiesen, dass sie für ihre Wohnung in Genf noch keine Möbel gekauft habe.



Ob es genützt hat? Die Umstrukturierung des Sekretariats in Genf mit seinen 625 Mitarbeitern und einem Jahresbudget von knapp 200 Millionen Schweizer Franken kommt voran, auch wenn von großer Unruhe bei den Beschäftigten berichtet wird. Mehrere führende Mitarbeiter sollen gekündigt haben; offenbar gibt es am Führungsstil der Chefin heftige Kritik. Doch zum Teil mag das auch daran liegen, dass die WTO bisher immer von weißen Männern geleitet wurde.



Von den grauen Anzügen und dunkelblauen Kostümen, die die Konferenzräume internationaler Organisationen sonst bevölkern, setzt sich Dr. Ngozi bewusst ab. Ihre Kleider sind blau, rot, golden gemustert, kombiniert mit einer Kopfbedeckung aus demselben Stoff und farbigen Halsketten. Anfangs trug sie afrikanische Tracht, weil das einfach praktisch war, wenn sie in Washington vor der Arbeit ihre vier Kinder in die Schule bringen musste: schick, unkompliziert und preiswert. Heute ist es ein Statement.



„Wenn ich einen Raum betrete, sind die Leute überrascht, wenn sie sehen, wie ich angezogen bin“, sagte Dr. Ngozi in dem Bloomberg-Interview. „Auf manchen Gesichtern kann man erahnen, was Leute sich vorstellen, weil sie auf das Äußere schauen und vielleicht den Schluss ziehen, dass diese Person dem Job womöglich nicht gewachsen ist. Aber in dem Moment, wo ich den Mund aufmache und spreche, vergessen die Leute das.“



Bettina Vestring ist freie Autorin und Publizistin in Berlin. Sie schreibt vor allem über Außen-, Sicherheits- und Europapolitik.

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 3, Mai/Juni 2022, S. 9-11

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