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03. Nov. 2017

Die große Leerstelle

Abbau von Regulierungen, Stopp von Handelsabkommen, weniger Umweltschutz – das ist es, was die Regierung Trump bislang an ökonomisch Relevantem gebracht hat. Vielleicht wird man später einmal über die Ära Trump sagen: Wichtiger als das, was der Präsident tat, war das, was er nicht tat, nämlich Führung zeigen, gerade in der Wirtschaftspolitik.

Wenn eines feststeht nach einem Dreivierteljahr Donald Trump im Weißen Haus, dann dies: Nichts steht fest, alles ist unsicher. Washington ist so gut wie handlungsunfähig. Entscheidend für die amerikanische Wirtschaft ist nicht so sehr, dass niemand weiß, ob es jemals zu der angekündigten großen Steuerreform kommen wird. Oder ob es dem Präsidenten tatsächlich noch gelingen wird, die Gesundheitsreform Barack Obamas abzuschaffen und durch etwas zu ersetzen, das sowohl moderate als auch ultrakonservative Republikaner im Kongress zufriedenstellt und dabei die eigenen Wähler nicht allzu sehr vor den Kopf stößt.

Die Unsicherheit betrifft ganz fundamental den Führungsstil Trumps und seine Konsequenzen. Gibt es genügend Erwachsene im Weißen Haus? Wie groß ist der Einfluss der Profis – Außenminister Rex Tillerson, Verteidigungsminister James Mattis und Wirtschaftsberater Gary Cohn? Werden sie den Präsidenten von Kurzschlusshandlungen und Idiotien abhalten können, im Nahen Osten, im Umgang mit dem Iran und besonders mit dem Diktator in Nordkorea? Wenn der mächtigste Mann der Welt nicht mehr berechenbar ist, kann das Unternehmer, Investoren und Handelspartner nicht unbeteiligt lassen. Alles Politische ist jetzt ökonomisch, Washington ein Risiko für die Weltwirtschaft.

Normalität ist in Washington nicht mehr möglich

Wie labil die Lage in der US-Hauptstadt ist, zeigte der Streit um das Schuldenlimit im Bundeshaushalt Anfang September. Die Republikaner im Kongress hatten, genau wie zu den Zeiten von Präsident Barack Obama, damit gedroht, dem Regierungsapparat das Geld abzudrehen, sollte Trump nicht zu weiteren Haushaltskürzungen bereit sein. Ein technischer Staatsbankrott der Vereinigten Staaten lag damals durchaus wieder im Bereich des Möglichen.
Trump löste das Problem – zur Empörung der eigenen Leute – mit Unterstützung der demokratischen Opposition im Kongress. Die Demokraten garantierten die Finanzierung des Haushalts wenigstens bis in den Dezember hinein. Diese Kooperation ist nur eine Episode, ermöglicht durch tagespolitisches Kalkül. Der ideologische Graben zwischen Trumps Regierung und der Partei von Obama, Clinton und Bernie Sanders ist breiter denn je. Aber das Normale, eine enge Zusammenarbeit zwischen republikanischem Weißem Haus und republikanischer Mehrheit im Kongress, ist derzeit in Washington eben nicht möglich.

Inzwischen hat sich ein wesentlicher Teil der US-Wirtschaft von Trump losgesagt. Ein Schlüsselerlebnis für die Bosse waren die Ereignisse von Charlottesville im August, als Horden von Rechtsextremisten mit Waffen und Hakenkreuzbinden durch die liberale Universitätsstadt in Virginia zogen und Trump hinterher die Extremisten mit den linken Gegendemonstranten gleichsetzte. Hakenkreuze und Parolen des Ku-Klux-Klans auf amerikanischen Straßen – das war zu viel. Einige der wichtigsten CEOs traten von einem Beratergremium zurück, das Trump nach seinem Amtsantritt eingerichtet hatte: Brian Krzanich (Intel), Denise Morrison (Campbell Soup), Elon Musk (Tesla), Inge Thulin (3M), Kenneth Frazier (Merck), Kevin Plank (Under Armour). Die Nähe zum Präsidenten schadet dem Ruf und ist mithin schlecht fürs Geschäft – so etwas hatte es in der amerikanischen Geschichte wohl noch nie gegeben.

Bemerkenswert ist immerhin, wie gelassen die Finanzmärkte das Desaster in Washington hinnehmen. Kurz nach der Wahl gab es einen heftigen Trump-Boom, die Märkte spekulierten auf steigende Gewinne durch Deregulierung und auf Pump finanzierte Steuersenkungen. Nun ist klar, dass es diese Steuersenkungen so schnell nicht geben wird. Dennoch sind die Aktienkurse bis Oktober nicht eingebrochen. Sicher, immer wieder gab es kurze Rückschläge, etwa wegen der Krise um die nordkoreanischen Raketen. Aber beim Redaktionsschluss dieser Ausgabe lag der Dow Jones immer noch bei knapp 22 800 Punkten, nicht weit von seinem Höchstwert entfernt. Allerdings ist der Kurs des Dollar deutlich gefallen, ganz anders als die meisten Analysten zu Jahresbeginn vorhergesagt hatten. Damals kostete ein Euro 1,06 Dollar, Mitte Oktober lag der Kurs des Euro bei knapp 1,18 Dollar. Die europäische Währung wäre noch stärker, hätte nicht die Katalonien-Krise das Vertrauen in Europa beschädigt.

Die Wirtschaft wächst, selbst in den bisherigen Krisenstaaten der Euro-Zone. Daher wird und muss die Europäische Zentralbank früher oder später ihre Nullzinspolitik auslaufen lassen. Viel wichtiger ist aber der andere Faktor: Die Finanzmärkte hatten Donald Trump einen Vertrauensvorschuss gegeben, der inzwischen aufgebraucht ist. Man traut dem Präsidenten nichts mehr (oder nur noch Schlimmes) zu. Das Misstrauen und die Verunsicherung wachsen.

Verhängnisvoller Isolationskurs

Die amerikanische Wirtschaft befindet sich, ebenso wie die deutsche, in einem ungewöhnlich langen, aber relativ schwachen Aufschwung – nicht untypisch für die Zeit nach einer schweren Finanzkrise. Die Arbeitslosigkeit ist unter 5 Prozent gesunken, das kommt schon fast Vollbeschäftigung gleich. Trump kann also zu Recht sagen: Der Wirtschaft geht es gut, selbst wenn das nichts mit seiner Politik zu tun hat. Aber die Arbeitsproduktivität wächst langsam, deshalb steigen die Löhne kaum. Das nährt die Frustration in der unteren Mittelschicht, die den Wahlsieg Donald Trumps möglich gemacht hat. Und die Frustration wird umso größer, wenn der infolge der versprochenen Steuersenkungen für die Unternehmen und die Wohlhabenden erwartete Boom ausbleibt.

Der ökonomische Nationalismus, der Versuch also, ausländische Arbeitnehmer und Exporteure für die Probleme im Inland verantwortlich zu machen, findet so immer neue Argumente. Mögen Ökonomen des Mainstreams noch so sehr die Vorteile des bisher von den USA – und durchaus auch zum eigenen Nutzen – garantierten multilateralen Handelssystems preisen: Trumps Protektionisten vom Amt, Berater Peter Navarro und Handelsbeauftragter Robert E. Lighthizer, halten an ihrem verhängnisvollen Kurs fest. Die Republikaner im Kongress, traditionell freihändlerisch gesinnt, haben nicht den Mut, sich dem entgegenzustellen. Die nach Trumps Wahlsieg demoralisierten Demokraten pflegen, zumindest in ihrem linken, gewerkschaftsnahen Flügel, ihre eigene Tradition von ökonomischem Nationalismus. Sie erwarten von der Regierung, dass sie Industriearbeitsplätze in Amerika gegen ausländische Konkurrenz schützt.

In der internationalen Handelspolitik ist da, wo die USA bisher waren, eine Leerstelle, und es gibt derzeit keine politische Kraft, die willens und fähig wäre, dies zu ändern. Wie sehr das Amerikas Führungsrolle auf Dauer schwächt, kann man nur erahnen. Zwar verhandeln die USA mit Mexiko und Kanada über die Modernisierung und Verlängerung des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens NAFTA, der Verdacht verdichtet sich aber, dass Trump unannehmbare Forderungen stellen und das Abkommen so platzen lassen könnte.

Dagegen prüft Trump nach Spekulationen in US-Medien den Ausstieg aus einem fünf Jahre alten Freihandelsabkommen mit Südkorea. Diese Spekulationen wurden mitten in der Krise um nordkoreanische Atom- und Raketentests publik, in der Südkorea eigentlich auf Solidarität angewiesen wäre. Für Europa, und besonders für Deutschland mit seiner starken Exportwirtschaft, bleibt der neue ökonomische Nationalismus der USA ein permanentes Risiko.
Die USA sind nicht nur ein gespaltenes Land; sie haben auch eine gespaltene Wirtschaft. Traditionell wurde diese Spaltung immer als Gegensatz von Wall Street und Main Street beschrieben, wobei Main Street für das normale, kleinstädtische Amerika steht. Nun haben die Wall Street und mit ihr die gesamte Finanzwirtschaft durch die Finanzkrise an Glanz und Macht verloren. Umso stärker steht das Silicon Valley da. Apple, Facebook, Google, Cisco wirken wie die Herren der Welt, die „disruptiven“ Prozesse, die sie auslösen, betreffen jeden, auch in Amerika. Von Main Street aus betrachtet wirken die jungen Milliardäre und Millionäre in San Francisco, San José und Palo Alto wie Wesen aus einer anderen Welt, abgehoben, liberal, tolerant gegenüber Homosexuellen, offen für Einwanderer und herzlos gegenüber dem normalen Volk.

Dieses normale Volk hat nichts von dem Reichtum, der in Kalifornien geschaffen wird. Für dieses Volk gibt es in Amerika eine machtvolle rhetorische Figur: den „forgotten man“. Dieser angeblich oder tatsächlich von der Politik vergessene Amerikaner hat 2016 Trump gewählt. Das Klischee wird vom Silicon Valley immer wieder bedient, besonders dann, wenn sich die Reichsten der Reichen dort demonstrativ vom Präsidenten abwenden. Zum Silicon Valley als Inbegriff der globalisierten, disruptiven Wirtschaft gibt es einen Gegenentwurf: Texas. Konservativ bis reaktionär, korrupt, aber in Maßen, durch eine boomende Ölwirtschaft vorangetrieben, ist der größte Bundesstaat der USA mit der zweitgrößten Volkswirtschaft für viele ein Vorbild. Hier nimmt man keine falsche Rücksicht auf illegale Einwanderer, man trägt Waffen und hält schon gar nichts von der Schwulenehe. Trotzdem ist Texas reich. Dass dieser Reichtum auch von Millionen von Einwanderern aus Mexiko und anderen Ländern Lateinamerikas geschaffen wurde, vergisst man als weißer Texaner dann leicht.

Der Graben zwischen dem Kalifornien-Amerika und dem Texas-Amerika ist fast so groß wie der zwischen Nord- und Südstaaten in den Jahrzehnten vor dem Bürgerkrieg. Dass das so ist, gehört längst zum Allgemeingut von Amerika-Experten. Die Tatsache, dass dies auch eine ökonomische Komponente hat, weniger. Texas ist noch ein Land traditioneller Industriearbeitsplätze und hat auch den Verfall der Ölpreise nach 2013 vergleichsweise gut überstanden. Deshalb gibt es für die rechte Ideologie hier auch eine ökonomische Grundlage.

Wenig Hoffnung auf Besserung gibt es für die „forgotten men“, die Abgehängten, in den schwer angeschlagenen Staaten im Rost-Gürtel der USA – vor allem in weiten Teilen von Ohio oder in Pennsylvania. Trotzdem oder gerade deswegen haben sie mit großer Mehrheit Trump gewählt. Von seinen Reformen, wenn sie denn noch kommen sollten, haben sie nichts. Die Steuerreform hilft jemandem nicht, der mangels Einkommen schon heute keine Steuern zahlt. Und die Abschaffung von Obamacare würde für viele den Verlust der Krankenversicherung bedeuten. Es gibt kaum eine Chance für Trump, seine Wahlversprechen einzulösen und gleichzeitig seinen Wählern zu helfen.

Die ehemals „unverzichtbare Nation“

Aber die Wirtschaft der USA wird nicht nur vom Präsidenten und Kongress bestimmt, sondern ebenso sehr von der Notenbank Federal Reserve. Der Präsident hat enormen Einfluss darauf, wie es dort weitergeht, denn er nominiert die Kandidaten für das Board, den Verwaltungsrat der Fed. Bestätigt werden müssen sie dann vom Senat. Trump ist in der – aus seiner Sicht – glücklichen Lage, während seiner Amtszeit mehrere entscheidende Stellen bei der Fed neu besetzen zu können. Wie er dies tun wird, ist von kaum zu überschätzender Bedeutung für die amerikanische Wirtschaft.

Vor allem geht es um den Posten an der Spitze: Die Amtszeit von Fed-Präsidentin Janet Yellen, einer linken Demokratin, endet am 31. Januar 2018. Zunächst galt es als sicher, dass Trump seine politische Gegnerin nicht für eine zweite Amtszeit nominieren würde. Zuletzt schien die Frage offen zu sein. Janet Yellen ist, in den Kategorien der Geldpolitik, eine „Taube“, was bedeutet: Sie verzichtet im Zweifel eher auf eine Zinserhöhung, wenn sie um den Wirtschaftsaufschwung fürchtet. Für einen Präsidenten im Weißen Haus, der bisher keines seiner Projekte durchgebracht hat, ist das eine sehr bequeme Position: Es ist so etwas wie gekaufte Zeit. Ob die rechten republikanischen Ideologen bereit wären, die ihnen verhasste Fed-Chefin im Senat passieren zu lassen, ist eine ganz andere Frage.

Eine Personalentscheidung bei der Fed ist bereits gefallen. Als obersten Regulierer bestellte Trump den Finanzinvestor und Ex-Mitarbeiter des Finanzministeriums Randal Quarles. Dieser tritt an mit der Absicht, die aufwendigen Regeln für die Wall Street zu lockern, die nach der Finanzkrise unter Obama eingeführt wurden. Angenehm für Trump dürfte auch sein, dass der hoch angesehene Vize der Fed, Stanley Fischer, seinen Rücktritt aus persönlichen Gründen erklärt hat. Damit fehlt ein wichtiger gestaltender Faktor im Board der Notenbank. Eines immerhin kann man über den weiteren Kurs sagen: Die Wall-Street-Banken werden Millionen Dollar an Regulierungskosten sparen – ein bemerkenswertes Ergebnis nach der Wahl eines Politikers, der mit Ressentiments gegen die Wall Street Wahlkampf gemacht hat.

Abbau der Regulierung im Finanzsektor, weniger Umweltschutz, Stopp des transpazifischen Handelsabkommens TPP, Austritt aus dem Pariser Klimaabkommen – das ist es, was die Regierung Trump in ihren ersten neun Monaten an wirtschaftspolitisch Relevantem gebracht hat. Darüber hinaus herrscht Leere. Vielleicht wird man später einmal über die Ära Trump sagen: Wichtiger als das, was der Präsident tat, war das, was er nicht tat: Führung zeigen, auch und gerade in der Wirtschaftspolitik.

Es war Bill Clintons Außenministerin Madeleine Albright, die im Jahr 1998 den Begriff von Amerika als der „unverzichtbaren Nation“ – der einzigen Nation, die globale Probleme lösen kann – prägte. Heute würde das wohl niemand mehr sagen, sofern er denn nicht zum Gefolge des Präsidenten gehört. Donald Trump hinterlässt ein Vakuum, auch in der Wirtschaftspolitik.

Nikolaus Piper ist Leitender Redakteur der Süddeutschen 
Zeitung in München.

Bibliografische Angaben

IP Wirtschaft 3, November 2017 - Februar 2018, S. 6 - 10

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